1. Johannes 4,16bff.

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1. Johannes 4,16bff.

Gottes Plakat der Liebe: Jesus Christus | 1. Sonntag nach Trinitatis | 11.06. 2023 | 1. Johannes 4, 16b ff | Berthold W. Haerter |

Liebe Gemeinde

  1. Ein banaler Satz

«Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.» 1. Johannes 4, 16b

Das ist zunächst ein eher banaler Satz.

Er klingt für mich beim ersten Hinhören, nach einer Selbstverständlichkeit, wie:

«Der Zürichsee ist blau.»

Es ist eine eher oberflächliche Aussage, wie:

«Unser Dorf ist bei Sonnenschein besonders schön.»

Welches Dorf ist bei Sonnenschein nicht besonders schön?

Das ist logisch.
Das ist banal.

Ok, Gott ist Liebe.

Und wer geliebt wird, also wer in der Liebe bleibt, bei dem ist Gott.

Das nehmen auch Agnostiker, selbst Atheisten von uns lächelnd entgegen.

Das hinterfragt nichts und niemanden.

Als Hörender würde ich jemanden der mir sagt:

«Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.» fragen:

«Ok, aber bitte, werden Sie doch etwas konkreter!

Was meinen Sie genau?»

  1. Das Umfeld des Satzes

Der 1. Johannesbrief, indem dieser Satz steht, ist konkreter.

Die Schreibenden betonen:

Es gibt einen Grund, ja eine Quelle der Liebe.

Das ist Gott.

Und Gottes Liebe zeigt sich konkret in Jesus Christus.

Klaas Huizing formuliert das in seinem neuesten Buch «Lebenslehre» mit Bezug auf den Philosophen Hermann Schmitz so:

«Im Menschen Jesus nimmt die Liebe, (so die Pointe,) eine hochkonkrete Gestalt an, die «von da ab unverkennbar ausstrahlend als diese selbige im Wechsel der Menschen und Situationen herausgespürt werden kann.» (Klaas Huizing: Lebenslehre, Eine Theologie für das 21. Jahrhundert, Gütersloh 2022, 66)

Das ist ein philosophischer Theologensatz oder theologischer Philosophensatz.

Machen wir ihn doch noch etwas konkreter und schauen wir uns dazu das Bild an.

  1. Gottes Plakat der Liebe: Jesus Christus

Sicherlich haben Sie es auf ihrem Ablauf erkannt.

Es ist ein Ausschnitt aus dem Glasfenster «Glaube», dass sich hier, im mittleren Chorfenster unserer Kirche befindet.

Künstler versuchen seit fast 2000 Jahren Jesus und seine Botschaft in Bildern darzustellen.
So auch Bruno Bischofsberger 1982 in dem Jesus, den sie nun genauer und näher vor sich sehen.

Ich möchte Sie konkret fragen und komme deshalb etwas näher:

Was sehen Sie?

(einen Mann, mit Bart, gelben Mantel, Farbe wie die Sonne, im Glasfenster wirklich sonnendurchflutet, ernstes Gesicht, konzentriert, offen, sehend, hörend, unverkennbar Jesus – Kreuz scheint hindurch, Hände anschauende, offen, nahe, aber nicht aufdringlich)

Wir erkennen unverkennbar Jesus.

Wir erinnern uns, was er den Leuten erzählt hat, was er gepredigt und wie er gelebt hat.

Wir erinnern uns an seinen Weg ans Kreuz und die leuchtende Farbe erinnert an sein Auferweckt-Werden.

Und jede und jeder von uns würde wohl unterschreiben, wenn ich sage:

Jesus ist ein gelungenes und ausstrahlendes Bild für den Begriff Liebe. (Nach Huizing, Ebenda 65)

In Jesus hat die Liebe konkret Gestalt angenommen.

Im Betrachten seines Lebens können wir dieser Liebe nachspüren und sie wirkt bis in unser Leben hinein.

Diesen philosphisch-theologischen Satz aus dem Buch haben wir jetzt verstanden.

Jesus = Liebe.

  1. Der Satz des 1. Johannesbriefes konkret

Ich meine daher, dass man für den Satz mit der Liebe aus dem 1. Johannesbrief, so wie er auf ihrem Ablauf steht, dass man da «Liebe» durch «Jesus» ersetzen kann.

Dann hiesse:

«Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.» 1. Johannes 4, 16b

Jetzt:

«Gott ist Jesus, und wer in Jesus bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.»

Und auf einmal wird aus einem banalen Satz, eine Aussage, die mich hinterfragt.

Auf einmal wird Liebe konkret und fragt mich:

Wer ist Jesus Christus für Dich?

Der Menschensohn, der Gottes Gesandte?

Der, dessen Lebensentwurf Liebe ist?

Ein gelungenes Leben der Liebe?

Jesus ist der, der uns eine Eigenschaft Gottes sichtbar und verstehbar macht:

Gottes Liebe zu den Menschen und Tieren, zu allen Leben.

Jesus wirbt für Gott.

Jesus ist Gottes Plakat oder auch Gottes Website.
Nach Klaas Huizing ist «Jesus Christus zu einem «Plakat der christlichen Liebe geworden.»

Er lebte eine opferbereite und demütige Offenheit.

Seine Zuwendung galt allen hilfsbedürftigen Menschen.

Und Jesus war immer bereit, dem Liebe zu geben der sie wünschte. (Huizing, Ebenda, 68)

  1. Die Folgen

Diesen Jesus Christus als Plakat der Liebe Gottes anzuerkennen, das hat Folgen.

Der 1. Johannesbrief benennt zwei.

  1. Keine Angst und Furcht vor der Zukunft

Ich bin geliebt.

Immer und überall, egal was ich mache, was mir zustösst, ob ich Mist baue oder gut Gemeintes von mir, von anderen missbraucht wird.

Auch wenn Menschen mich für irgend etwas verachten oder ich am Ende bin und nicht mehr weiter weiss:

Ich bin von Gott geliebt!

Jesus hat so starke Ausstrahlungskraft, so dass seine Liebe über 2000 Jahre hinweg mir dies deutlich macht, und auch mich heute noch diese Gottesliebe spüren, erfahren und fühlen lässt.

Im Beschäftigen mit seinem Reden, Handeln, Leben, Sterben und Auferstehen, bemerke ich sie und «begreife»:

Es gibt keinen Moment in Jesu Leben, das nicht Liebe ausstrahlt.

Als mein Bruder liebt Jesu auch mich als seine Schwester und seinen Bruder.

Es gibt keinen Moment in meinem Leben, indem ich nicht von Gott geliebt werde.

Warum, so fragen die Schreibenden im 1. Johannesbrief zurecht,

warum habt ihr Angst und Furcht im Leben, oder vor dem Danach?

Wer sich fürchtet hat Angst vor einer Strafe.

Aber Gott straft nicht, weil wir durch Jesus begriffen haben: Gott liebt mich.

Das ist ein Verstandesakt aber auch eine Erfahrung, ein «begreifen», dass man nicht immer im Leben sich selbst, verständlich machen kann.

Ich habe in dieser Woche eine fast 100-jährige Frau in einem Seniorenheim besucht.

Stetig baut sie Monat für Monat ab, körperlich und zwischenzeitlich auch geistig.

Inzwischen liegt sie meistens nur noch im Bett und schläft viel.

«Ich habe immer weniger Vertrauen.» sagte sie plötzlich zu mir.

«Wem vertrauen Sie nicht, den Menschen oder Gott?» fragte ich die, immer aktive und aus dem Glauben lebende Frau.

Nach einem Moment Stille antwortete sie:

«Zu beiden.

«Ich kann und mag nicht mehr.

Das alles hat hier doch keinen Sinn mehr.
Warum erhält man mich am Leben?»

Ich verstehe die Frau und konnte keine Antwort geben.
Dann aber sagte sie:

«Komm, bete bitte mit mir.
Das tut mir gut.
Das hilft mir jetzt.»

Es ist Ihnen wohl allen bewusst: Wir sind nicht Jesus.

Wir haben gute, gläubige, fromme Zeiten.

Und wir haben Momente und Zeiten, in denen wir von Gottes – und Menschenliebe nichts mehr spüren.

Gut, wenn es dann andere gibt, denen ich mich öffnen kann, die mir beistehen.

Menschen, die mir Gottes Liebe nahebringen.

Dietrich Bonhoeffer hat dieses Wissen um Gottes Liebe und die gleichzeitige innere Verzweiflung in dem «Gebet für Gefangene», im November 1943 im Tegler Gefängnis so beschrieben:

«In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht

ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht

ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe

ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden

in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld

ich verstehe deine Wege nicht, aber du weisst den rechten Weg für mich.»

(Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft mit Anmerkungen und Kommentaren, Taschenbuchausgabe 2008, 204f)

  1. Geschwisterliebe

Aus dem Wissen «ich bin geliebt» schlussfolgert der 1. Johannesbrief als Zweites:

Und dieses Gebot haben wir von ihm: dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder/ seine Schwester liebe

Wer sich von Gott geliebt weiss, pflegt Geschwisterliebe.Wie schwierig das ist, weiss jede/jeder die/der selbst Geschwister hat.

Aber auch in einer Gemeinde, in der wir als Schwestern und Brüder bezeichnet werden, ist das nicht immer einfach.
Schauen Sie sich mal um.

Denken Sie manchmal nicht auch: Mit dem will ich aber nicht mehr zu tun haben.

Diese da ist einfach unmöglich, bloss nicht zu nahekommen, sonst muss ich mit ihr noch lange reden.

Geschwisterliebe ist eine rechte Herausforderung.

So ist die Liebe Gottes in unserem Leben eben auch immer wieder eine Herausforderung für uns.

Wir sollen uns ihr stellen.

Es versuchen.

Denn Gott stellt sich dieser ja auch immer, jeden Tag, mit mir, neu.

Liebe ist das, was Jesus im Gleichnis vom «verlorenen Sohn» erzählt:

Dennoch die Arme öffnen und ausdrücken: Ich bin für Dich da, wenn Du mich brauchst.

Unser Jesusbild drückt das für mich aus.

Jesus, als Gottes Plakat der Liebe zu uns und Werbung, auch zu lieben,

dies ist eine Werbung gegen den Trend.

Huizing in seiner Lebenslehre sagt;

«Die Stärke des Christentums ist es, der Liebe einen Ernst gegeben zu haben, gegen unser «ironisches Zeitalter und die grassierende Haltung der Coolness, die sich gegen (affektive) Betroffenheit unempfindlich zeigt.» (Huizing, Ebenda 65)

Wer Christ sein will, so würde es der 1. Johannesbrief sagen, ist immer noch erschüttert, dass ukrainische Geflüchtete seit über einem Jahr, wie in einem Warteraum ausharren müssen, und nicht wissen: Kann ich heim oder soll ich mich hier einrichten?

Wer Christ sein will, ist immer noch erschüttert, wenn nach über einem Jahr Putin-Krieg in der Ukraine, ein Soldat, eine Soldatin sinnlos stirbt, ob Russe oder Ukrainerin.

Wer Christ sein will, kann bei Not nicht wegschauen, auch nicht im eigenen Dorf und auch nicht beim Klima – gegen alle plakative Angstmacherei.

Er oder sie versucht das zu praktizieren, was Jesus lebte. Liebe

  1. Schlussgedanken

Schauen Sie doch nochmals das Bild an.

Jesus ernstes, aber offenes Gesicht.

Sein Körper, der Göttliches sichtbar macht.

Und seine offenen Hände, sein uns Entgegenkommen.

Da wird Gottes Einladung sichtbar: Kommt zu mir.

Da steckt aber auch Gottes Erwartung drin: Macht es ebenso.

Denn: Gott ist Jesus Christus: Und Jesus Christus ist Gottes Liebe zu uns.

Diese Liebe beschreibt auf ihre Weise auch Edith Piaf in Hymne à l’amour. (Diese Hymne an die Lieber werden wir nun hören.)

AMEN

Eingangsgebet:

Unser Gott,

was ist nicht schon alles über die Liebe gesagt, geschrieben und gesungen worden.

Manchmal wirkt alles etwas flach.

Oft geht es an uns vorbei und erreicht uns nicht.

Und dann sollst du Liebe sein

Und auch da haben wir unsere Fragen.

Du bist mehr als Liebe,
Du bist auch Licht, Ewigkeit und Freude.

Öffne uns heute besonders für das Eine,

Deine Liebe zu uns.

AMEN

Fürbitte und Unser Vater

Unser Gott,

Jesus macht Deine Liebe zu uns offenbar.
Es ist gut, dies wieder mal zu hören,

gerade wenn wir Fragen und Zweifel haben.

Unser Gott,

Wir sollen andere Lieben,

uns als Christen untereinander

und Jesus zeigt uns: Wir sollen weit darüber hinaus lieben.

Da fühlen wir uns manchmal ziemlich überfordert.

Mach uns mit Deinem Geist Mut, es zu wagen

Und darauf zu vertrauen, dass Du uns wieder stärkst.

Unser Gott,

Angst und Furcht vor dem Ende wie mitten Im Leben,

das kennen wir.

Mit Dir in und bei uns, brauchen wir keine Angst haben,

schon gar nicht vor irgendwelchen Strafen.

Lass uns Deine Liebe in unserem Leben immer wieder entdecken.

Lass uns hören, wenn andere uns Deine Liebe erklären und verständlich machen.

Unser Gott,

andere lieben, heisst auch für andere beten: ….

Liedvorschläge:

So jemand spricht ich liebe Gott, RG 798

Weit wie das Meer ist Gottes grosse Liebe, RG 700

Du bist der Weg, auf dem wir schreiten, RG 281

Wir wolln uns gerne wagen, RG 811

Berthold W. Haerter

Geb. 1963

Pfarrer der Zürcher Landeskirche seit 1993

In Oberrieden am Zürichsee

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