Markus 1, (1-13) 14f  (Losung des  Ev.  Kirchentags 2023)

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Markus 1, (1-13) 14f  (Losung des  Ev.  Kirchentags 2023)

‚Jetzt ist die Zeit‘  | Predigt über Markus 1, (1-13) 14f  (Losung des  Ev.  Kirchentags 2023)  | Jochen Riepe |

Nachdem aber Johannes überantwortet war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium‘.

I

Selbstkritik ist gut und wichtig. Selbstvertrauen ist auch gut und noch wichtiger. Noch besser aber ist dies: Gottvertrauen. Ein leuchtendes Bild im Herzen, ein offener Himmel über uns. ‚Du bist mein geliebter Sohn‘, sagt der Vater. ‚Ändert euren Sinn und glaubt an das Evangelium‘, antwortet der Sohn.

‚Ja es ist Zeit / sich zu öffnen /allen ein Freund zu sein / das Leben zu rühmen‘.*

II

Sie war sich ihrer Sache sicher und entsprechend bereit, die persönlichen Konsequenzen zu tragen. Vor einigen Wochen wurde sie zu einer Haftstrafe von zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation, verteidigte vor Gericht die Straßenblockade mit den Worten: ‚… Millionen Menschen werden sterben, wenn wir jetzt in der Klimakrise nicht handeln‘. Sie erzählte von ihrer Todesangst und der ihrer Geschwister. Die Zuhörer spürten den Ernst. Da hat jemand ein dringliches, ein ‚letztes‘ Anliegen und versteht sich als Teil einer globalen Rettungsaktion: ‚Jetzt fällt die Entscheidung‘.

III

Derzeit fragen sich ja das viele unter uns – ratlos oder begeistert, verärgert und wütend, mitfühlend oder auch mitleidig: Was bewegt die sogenannten Klimakleber und welcher Geist treibt sie an? Woher stammen ihre Warnungen von Weltuntergang oder Klimakrise, und warum hat man mitunter den Eindruck, sie schwelgten darin? Vor allem aber: Warum diese Gewalt gegen sich selbst und gegen andere? Heiligt der Zweck die Mittel? Einige genervte Autofahrer schritten im Stau zur Selbsthilfe und zogen die Blockierer von der Straße.

Aber auch die Kritiker räumen ein: Die Aktivisten spüren einen enormen Druck – Handlungsdruck. ‚Schon morgen kann es zu spät sein‘, sagen sie. ‚Wir müssen etwas tun, wollen wir einen lebenswerten Planeten erhalten und bewahren‘. ‚Jetzt ist die Zeit‘- ‚Handeln. Machen‘. Die Losung des Kirchentages nimmt die Dringlichkeit ja noch einmal auf, verstärkt sie und will sie für das Verhalten der Christen verbindlich machen.

IV

Was aber sollen wir tun? Was ist an der Zeit? Johannes, der Prophet und Täufer vom Jordan, hätte vermutlich geantwortet: Bevor ihr auf die Welt, die Gesellschaft, ‚die anderen‘  losrennt, sie erwecken und verändern wollt, verändert euch selbst und betrachtet euer eigenes Verhalten. Johannes predigt auf der Grenze von Wüste und bewohntem Land. Distanz, Abstand ist seine Grundhaltung. Besitzverzicht und Askese prägen seine Lebensweise: ‚Heuschrecken und wilder Honig…‘ sind seine Speise.

Wer andere überzeugen will, soll bei sich selbst anfangen. Johannes verweist auf Gott und sein kommendes Gericht: Was hast du getan, und was hast du unterlassen? Der Prediger konfrontiert einen jeden mit seinen Taten und Untaten, und das kann sehr unangenehm sein. Gottes Gesetz zerschlägt persönliche und kollektive Sicherheiten und führt buchstäblich in die Krise. Es geht nicht mehr nach Herkunft, Zugehörigkeit, nach Schulnoten oder guter Gesinnung: ‚Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiß gemacht, daß ihr dem zukünftigen Zorn entkommen werdet… schon ist die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt‘ (Lk 3,7.9). Ein scharfer Tonfall.

V

Die Menschen kamen – ‚das ganze jüdische Land und alle Leute aus Jerusalem‘. Aus Neugier und Erregung: ‚Was für ein gewaltiger Prediger!‘ Aus der Erwartung, Heilsames, Orientierendes zu erfahren: ‚Er zeigt mir einen Weg aus meinem verfehlten Leben heraus‘. Vielleicht auch aus Sensations- oder gar Straflust: ‚Der sagt uns `mal so richtig die Meinung…‘  ‚Verbietet uns endlich etwas‘, so riefen manche ja während der Corona-Zeit. Die Bußfertigen ‚bekannten ihre Sünden‘, tauchten unter im Wasser des Jordans und fühlten sich gereinigt. Manche gaben ihren Besitz auf und schlossen sich dem Täuferkreis an. Andere gingen ‚ernüchtert‘ in ihren Alltag zurück und versprachen, demnächst ehrliche Zöllner oder Soldaten zu sein, die niemandem Unrecht tun.

‚Selbstkritik ist der erste Weg zur Besserung‘, sagt der Volksmund, denn nur der, der seine Fehler sieht, hat die Chance, etwas zu bewegen und zu bewirken. Wir beklagen die Unfähigkeit von Politikern, einen Irrtum einzuräumen. ‚Dann verachten die Leute mich und ich mich selbst dazu‘. Auch wir klammern uns bockig an unsere Meinungen, Urteile und Einbildungen. Aber was ist das für ein Selbstbild, das von Illusionen getragen wird? Und wie gut kann es tun, sich mit den Augen der anderen oder eben Gottes zu sehen.

VI

Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Carla Hinrichs zeigte sich vom Strafmaß unbeeindruckt und  meinte, der Richterspruch ‚würde sie nicht davon abhalten, weiter auf die Straße zu gehen‘. Andere forderte sie auf, schnell am ‚Protesttraining‘ teilzunehmen und  die Blockaden wieder aufzunehmen.

Das klingt alles sehr entschieden, und besonders junge Leute werden die Konsequenz und Treue zu sich selbst bewundern. Unbeugsam. Aber zeigt es nicht auch etwas Atemloses, Selbstgerechtes, Gepanzertes? ‚Bewährung‘-  das Wort der Juristen meint ja: Zeit zur Umkehr aus Zwang und Verstocktheit, aus der Blockade der Seele und des Denkens. Auch der gute Wille ist nicht gefeit vor dem Bösen. Auch im Gerechten kann ‚die Liebe erkalten‘(Mt 24,12). Hätte Frau Hinrichs nicht Distanz gutgetan? Ein Nachdenken darüber, was ihre Protestformen für andere und auch für sie selbst bedeuten. Ein selbstkritisches Sich-öffnen im Angesicht der ‚letzten‘ Krise: Wie kann man Gewalt vermeiden? Wie werden wir sensibler im Hinblick auf die leiblichen und seelischen Folgen unserer Aktionen?

Das sagen ja auch die Wohlwollenden unter uns: Das Anliegen der Aktivisten ist wichtig und gut. Es ist wichtig, die Schöpfung zu erhalten. Es ist wichtig, etwas zu tun, aber woraus speist sich unser Handeln? Welcher Geist wirkt in ihm? Worin gründet diese? Wir müssen das unterscheiden lernen: Selbstgerechtigkeit – Selbstvertrauen.

VII

Selbstkritik. Selbstvertrauen. Gottvertrauen. ‚Dies ist mein geliebter Sohn‘, sagt der Vater. ‚Ändert euch und glaubt an das Evangelium‘, sagt der Sohn.

Wir wissen: Jesus wurde zunächst ein Schüler des Johannes. Manche behaupten gar, er habe in ihm endlich den Vater gefunden, den er als uneheliches Kind nie hatte**. Er verließ Nazareth und bekam so Abstand zu Familie und Herkunft. Ja, Johannes wurde zu einer Art väterlicher Leitfigur oder vielleicht angemessener: zu seinem Paten oder Mentor. Gegenüber einem guten Mentor kann man sich über Lebenssinn und Zweifel, über Stillstand und Festgefahrensein, über Gott und die Welt äußern. Im Gespräch mit ihm entsteht Raum zu Einsicht und Selbstkritik.

Jesus ging an den Jordan und ließ sich taufen. Aber er blieb nicht bei Johannes. Auch zu ihm brauchte er Distanz. Jeder gute Lehrer ist ein Begleiter auf Zeit. Vielleicht erkennt er sogar, daß der Schüler ihm längst voraus ist: ‚ein Stärkerer‘. Jesus hätte sich der Bußbewegung anschließen und gleichsam in einer Gruppen- Blase verharren können. ‚Gott kommt und wird richten. Aber wir sind vorbereitet, während die anderen untergehen‘. Das tat er aber nicht. Jesus predigte das ‚Evangelium‘. Gute Nachricht. Das Evangelium der Gotteskindschaft. Ein Wort der Geborgenheit und des Schutzes. Daß Selbstkritik nicht in Selbstverachtung umschlägt, ist wohl in dieser Zugehörigkeit und Bindung begründet: Alles fühlt sich anders an mit einem Gott, zu dem man kommen kann,  oder besser: der uns in zärtlicher Offenheit ‚entgegenkommt‘, ja, der uns ‚um den Hals fällt‘(Lk 15,20).

VIII

Die biblische Erzählung hält fest: In dem Moment, in dem Jesus von Johannes getauft wurde, begann er auch, sich von ihm zu lösen. Jesus bekam gleichsam einen neuen Vater, den Vater im Himmel: ‚ Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, daß der Himmel sich auftat und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam‘ (1,10). Das kritische Selbstbild des Täuflings kam soz. in den Wärmestrom eines Wortes: ‚… mein geliebter Sohn‘.

Der väterliche Gott als Mentor: Wenn ein Mensch dieses Wärmestroms innewird, dann hat sich sein Leben, seine ‚Zeit‘ ‚erfüllt‘. Er hat etwas ‚Grund-legendes‘ gelernt: Jetzt ist die Zeit, aus dieser Liebe zu leben; allen Sinn und Verstand, eben: ‚Geist‘,  darauf zu verwenden, den Menschen ihre Gotteskindschaft konkret zu bezeugen, heilend, sprechend, berührend. ‚Meta-noeite‘- Jesu Ruf zur Umkehr meint entsprechend ‚die Einnahme einer gänzlich neuen Denkungsart… korrigiert eure Grundeinstellung‘***. Jesus geht zurück nach Nazareth, nach Galiläa, in die Dörfer und Städte. Er ist gleichsam ein Heimkehrer und sein Auftreten verwandelt eine alltagsgraue Gegend, ja, in ein Stück ‚Reich-Gottes-Land‘. Er, der Distanz fand und im Gebet ‚an einem öden Ort‘ (1,45) immer wieder sucht, kann eben darum Nähe und Berührungen zulassen. Die Menschen werden ihn suchen, in Scharen zu ihm kommen, ihn anfassen, immer wieder staunen, sich wundern und sich entsetzen: ‚Wer ist dieser?‘ Das Gottesreich mitten unter ihnen. Ja, ‚jetzt ist die Zeit‘.

IX

Ob die Vertreter der ‚Letzten Generation‘ diese Bewegung von der Selbstkritik über das Selbstvertrauen zum Handeln aus Gottvertrauen nachvollziehen können? Ich bete darum, daß sie Menschen, nicht zuletzt in den Medien, in der Politik und auch in unserer Kirche, finden, die sie nicht instrumentalisieren, sondern ihnen gute, nachdenkliche, kritische Mentoren sind. Die ihnen leuchtende  innere Bilder geben, aus denen heraus sie eine demokratische und ‚rationale Klimapolitik‘**** mit verantworten können.

Druck erzeugt Gegendruck. Ängste lähmen und verengen den Blick. Selbstgerechtigkeit macht hart. ‚… daß die Liebe nicht erkalte‘:

  ‚Ja es ist Zeit / sich zu öffnen / allen ein Freund zu sein / das Leben zu rühmen‘.


Liedvorschläge: Geh aus mein Herz (eg 503); Herr, gib mir Mut zum Brücken bauen (eg 669); Wir haben Gottes Spuren festgestellt (eg 648);  Erleuchte und bewege uns (eg 608)


*R. Ausländer, Mai II (Ges. Werke, Bd. VI, Wieder ein Tag aus Glut und Wind. Gedichte 1980-1982, 1986) ; **Chr. Türcke, Jesu Traum. Psychoanalyse des Neuen Testaments, 2009  ***U. Barth, Symbole des Christentums. Berliner Dogmatikvorlesung, hrsgg. v. F. Steck, 2021, S. 355 **** s. R. Eichenberger, D. Stadelmann  https://www.spiegel.de/wirtschaft/rat-von-wirtschaftsexperten-so-koennte-deutschland-zum-klimavorbild-werden-gastbeitrag-a-26b04445-c00b-47d7-b439-a84e7b17ea2d

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