Lukas 14,16-24

Lukas 14,16-24

2. So. n. Trinitatis | 18.06.2023 | Lukas 14,16-24 | Rasmus Nøjgaaard |

Das Leben als gegeben betrachten

Sind wir alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt? Sind wir so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir nicht hören, wenn nach uns gerufen wird? Das Evangelium vom großen Abendmahl trifft einen wunden Punkt bei den meisten von uns, und nach dem Evangelisten Lukas ein wunder Punkt, der sehr mehr wund sein müsste, der aber Gefahr läuft, sich zu verhärten und zu verschließen. Das Evangelium will, dass wir den Blick heben, die Augen öffnen und zuhören.

Wir sagen, dass der Zeitgeist heute flüchtig ist, dass wir es immer eilig haben und allzu sehr mit allem zwischen Himmel und Erde beschäftigt sind: Arbeit, Freizeit, soziale Medien, Fernsehserien – und so fort. Wir sagen, dass die Zeit vergeht und dass wir uns alle in einem Zustand befinden von Ermüdung, Stress und immer neuen psychischen Diagnosen. Das Evangelium erinnert uns daran, dass es offenbar schon immer so gewesen ist. Wir sind immer so mit uns selbst und unseren eigenen Aufgaben beschäftigt gewesen, dass wir ohne schlechtes Gewissen eine Einladung nicht annehmen. Die Geschichte sagt nicht einmal etwas von Absagen. Die Gäste kommen einfach nicht. Man könnte fast versucht sein, eine Parallele zum kirchlichen Leben zu ziehen, wo die Glocken ganz Kopenhagen zum Gottesdienst rufen – und wieviel Leute haben sich heute in unserer Kirche in Kopenhagen versammelt? 100? Fast ein Prozent? Wie damals haben alle etwas anderes vor und gute Gründe, nicht in die Kirche zu gehen.

Die Erzählung dieses Sonntags ist einer Art Zustandsrapport. Wir sehen das Leben an als gegeben. Das Fest ist jedoch die Einladung, das Leben, das wir bekommen haben, zu feiern, ein Anlass, einzuhalten und Bilanz zu ziehen, über das Leben nachzudenken. Unser Familienmitglied, unseren Freud und Kollegen zu ehren. Das Fest beinhaltet die Demut, wenn das Leben gelingt, dann ist uns bewusst, dass uns alles geschenkt ist. In der Perspektive der Schöpfung und der Ewigkeit besitzen wir nichts, wir sind vielmehr gemeinsam für eine kurze Zeit Verwalter des Lebens. In diesem Licht ist nichts eine Selbstverständlichkeit, sondern alles ruft nach unserer Demut und Aufmerksamkeit in Bezug auf unsere Umwelt.

Es ist ein durchgehendes Motiv im Lukasevangelium, dass niemand richtig den Willen Gottes versteht, den Jesus ansonsten durch Wort und Tat mit Gleichnissen und Wundern vermitteln will. Die göttliche Macht Jesu entfaltet sich vor den Augen von den Leuten, aber die sehen und hören es nicht. Sie sind mit sich selbst beschäftigt. Niemand erkennt den Willen Gottes von selbst, auch nicht, wenn der Wille Gottes ganz deutlich und offenbar vor unseren Augen ist.

Es ist eine wichtige Pointe im Evangelium, dass die Botschaft nicht nur einer besonders erwählten Schar in einem lokalen geographischen Gebiet gilt. Niemand besitzt besondere Voraussetzungen, um zu sehen und zu hören, hier sind alle gleichgestellt. Im Evangelium vollzieht sich eine Demokratisierung der Gnade, oder theologisch gesprochen, der Ruf Gottes erweist sich als universal und enthält die Botschaft, dass Gott offen ist für jeden, nicht nur für ein Volk, eine Nation, eine Kirche – sondern für alle.

Es kommt vor, dass ein Kirchenvorstand eine Klage empfängt, dass die Kirchenglocken den morgendlichen Schlaf des Stadtteils stören. Sowohl wenn die Glocken zum Sonnenaufgang und Sonnenuntergang läuten und uns daran erinnern, dass wir einem neuen Tag entgegengehen mit der Gnade Gottes und ihn mit Dank abschließen für das, was wir empfangen haben, als auch wenn die Glocken zum Gottesdienst rufen. Denn eben das sollen sie, uns stören, wecken, uns erwachen lassen, uns aufwachen und auf den Ruf Jesu antworten lassen: „Herr, da ist immer noch Platz! So geht hinaus an die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde“. Jesus meint hier wohl kaum ein gewöhnliches Haus, sondern ein Bild für das Himmelreich. Wohlgemerkt ein Himmelreich, das sich in alle Welt erstreckt und jeden umfasst, der auf die Einladung reagiert. Im Gleichnis sind es die Armen, Kranken und Ausgestoßenen. Das sind mit anderen Worten alle, und niemand kann seinen Platz als gegeben betrachten. Vielmehr sind die Barmherzigkeit und die Gnade im Hause Gottes grenzenlos.

Jesus bemüht sich darum, dass alle dabei sind, und er ist vor allem herausgefordert von den Pharisäern. Die Pharisäer waren zurzeit Jesu eine recht progressive Partei, die die jüdische Praxis und Zusammenarbeit mit den damaligen Herrschenden Herodes und den Römern reformieren wollten, um pragmatische Lösungen zu erreichen. Sie waren nicht verrückt und einseitig, und auch sie hatten die Erwartung, dass der Messias bald erscheinen würde, und deshalb war es für sie entscheidend, bereit zu sein, ein ordentliches und moralisches Leben zu führen und die Gesetze einzuhalten, z.B. das Gebot, den Sabbat heilig zu halten. Dies ist der vierte Konflikt zwischen den Pharisäern und Jesus über die Einhaltung des Sabbats, von dem Lukas berichtet. Einiges kann darauf hindeuten, dass es Jesus darum geht, die Pharisäer zu überzeugen, aber zugleich auch darum, dass sich seine Botschaft nicht allein an seine Landsleute richtet, sondern an alle. Nicht nur für die Heiligen, die sich an das Gesetz halten, sondern für alle Sünder. Denn was sagt das Gesetz eigentlich, ist es dazu da, Menschen zu verurteilen oder sie zu erlösen?  Die Szenen hier im Evangelium deuten darauf hin, dass das Gesetz ein Anlass ist, den Unterschied zwischen Wesentlich und Unwesentlich zu sehen. Das Gesetz soll darauf hinweisen, was dienlich ist, ist aber in sich selbst nichts. Es geht um den Geist des Gesetzes, nicht seinen Buchstaben. Das wird uns deutlich in der Erzählung gleich nach dem großenAbendmahl, wo Jesus erzählt, dass seine Jünger selbst wie das Salz sein sollen. Der Menschen selbst steht im Zentrum, nicht das Gesetz oder die Umstände. Jesu Ruf gilt dem einzelnen Menschen und der Art und Weise, wie Menschen in der Gemeinschaft zusammenwirken.

Das passt gut zu der Szene vom großen Abendmahl. Ohne Salz schmeckt das Essen nach nichts, ohne Gäste um den Tisch gibt es keine Gemeinschaft. Die Jünger und alle, die in das Reich Gottes berufen werden, sind jeder für sich das Salz, das die Mahlzeit vollendet. Es ist die dritte Mahlzeit Jesu mit den Pharisäern. Es geht Jesus darum, die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf den Geist des Gesetzes zu richten anstatt sich bei dem Buchstaben aufzuhalten. Es ist fast rührend, wie Jesus immer wieder mit seinen Landsleuten redet, den Pharisäern, und versucht, sie dazu zu bringen zu verstehen. Aber wie die Jünger verstehen sie nichts. Alle sind mit sich selbst beschäftigt. Bis zur Kreuzigung, der Auferstehung am Ostermorgen, der dramatischen Himmelfahrt und dem Kommen des Geistes zu allen Völkern auf Erden. Das ist eine universale Bewegung, das lernen wir, aber es hat schon begonnen hier im Hause um den Tisch mit den Pharisäern und Schriftgelehrten. Wir kennen das vom Gebot der Nächstenliebe, welches das ganze Gesetz in einem Gebot zusammenfasst, wo die Liebe das Salz des Gesetzes ist. Die Mahlzeit hat eine so herausragende Bedeutung im Lukasevangelium, dass viele Bibelforscher heute die Mahlzeit als das wichtigste Bild Jesu hervorheben, wenn er vom Reich Gottes spricht. In der Mahlzeit haben wir Gemeinschaft mit allen am Tisch, nicht zuletzt mit dem Wirt des Tisches, Jesus. Die Mahlzeit handelt von Gott und der Teilhabe der Menschen. Deshalb sagt Jesus zum Schluss: „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken“, was sich von selbst versteht, da sie die Einladung ausgeschlagen haben und nicht gekommen sind. Aber es ist auch klar, dass alle die, die die Einladung angenommen haben, das Mahl Jesu schmecken werden. Die Mahlzeit ist mit anderen Worten Bild für das ewige Leben, das Himmelreich, das was schon war, ist und kommt, die Gemeinschaft in Christus.

Wenn wir das Evangelium dieses Sonntags hören, auch da ging es darum, wird uns gesagt, dass wir das Leben nicht als gegeben betrachten sollen. Wir sind eingeladen zum Fest und haben Teil an der Mahlzeit und am Reich Gottes. Aber das ist nicht alles. Denn wir werden auch daran erinnert, dass die Botschaft heute ergeht und zu allen Zeiten, dass der, der die Einladung annimmt, teilhat am Reich Gottes und das Wort der Vergebung wie einen Seufzer der Erleichterung empfängt. So wie Jesus bis zum bitteren Ende blieb und nicht das Handtuch in den Ring warf, so sollen auch wir weiter die Glocken läuten lassen und zum Fest einladen. Wir sollen vielleicht auch unsere eigene Faulheit und Bequemlichkeit überwinden und etwas mehr Leute nötigen zu kommen. Nicht unseretwegen, sondern um Gottes willen. Denn Gott liebt jedes seiner Kinder und freut sich über jeden, der kommt.

Die Gleichnisse Jesu lassen sich nie eins zu eins übersetzen, denn sie sind eben – Bilder. Meistens Bilder vom Himmelreich, von dem selbst der Sohn Gottes nicht in direkter Rede sprechen kann: Das Himmelreich gleicht! Ich kann das nicht anders verstehen als dass Jesus den Glauben in Bildern verkündigt, um die Botschaft für jeden von uns zu öffnen, der zuhört, und zugleich um zu verhindern, dass seine Worte in Formeln und Systeme verwandelt werden. Gottes Sohn verwaltet nicht den Himmel, sondern er will eine Tür öffnen für alle uns, die er zu sich ruft. Ich denke, dass seine Warnung deshalb so streng ist: „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken“. An der Mahlzeit teilnehmen kann man nun einmal nicht, wenn man die Einladung nicht annimmt und sich an den Tisch setzt.

Ein Lehrer, Mentor und Kollege erzählter einmal, dass wir Dänen im Gegensatz zu anderen evangelischen Pastoren immerzu über die Sakramente, die Taufe und das Abendmahl predigen. Er hat Recht. Das gilt auch heute, wenn wir zum Abendmahl einladen. Einst lehrte die Kirche, dass nur der Heilige und der Fromme am Abendmahl teilnehmen dürfe, nachdem man gebeichtet hatte und gereinigt war. Aber evangelisch betrachtet lautet die Botschaft heute, dass wir alle eingeladen sind, ja – die Botschaft ist wohl geradezu, dass es der Herr des Hauses gerne sähe, dass wir alle an der Mahlzeit teilnehmen, wenn wir auch geholt, getragen und genötigt würden zum Tisch des Herrn, ganz gleich wieviel Dreck und Schmutz dort mit dabei ist. Dann bekommen wir alle einen Vorgeschmack vom Himmelreich, das Jesus für alle öffnet, die hören und sehen, trotz unseres Zweifels und unserer Sündigkeit. Ja vielleicht weil wir als Zweifler und Sünder diesen Ort brauchen, um geheilt zu werden und eine Gemeinschaft zu spüren aus einer anderen Welt.

Das Gnadenreiche ist, dass Jesus nie ein Urteil über uns fällt und uns zerbrochen hinterlässt mit negativen Evaluierungen und Zensuren. Hier in der Kirche werden wir nicht beurteilt oder bewertet. Wir kommen hier, um die Fülle der Ewigkeit zu spüren. Die Liebe, die wir selbst nicht finden und erfüllen können, sondern die uns hier im Haus Gottes umschließt. Zusammen und jeder für sich. Jeder für sich gemeinsam in der Fülle Gottes. Wir sind hier, weil wir den Ruf Gottes gehört haben und gekommen sind. Jedes Mal bietet dieses Haus die Botschaft von einem neuen Anfang, wo wir gesehen und gesegnet werden als die, die wir sind, mit all dem, was wir sind. Das ist der Ort der Verwandlung. Wir können von hier gehen versöhnt und verwandelt, trotz aller Unzulänglichkeit und Unvollständigkeit. Weil wir nicht nur hier in der Kirche, sondern in unserem ganzen Leben in der Hand Gottes sind. Denn die Geschichte Gottes ist unsere Geschichte, und aus diesem Grund sind unser Leben und unsere Geschichte schon ein Teil der Wirklichkeit Gottes, ganz gleich ob wir das wissen oder nicht – ob wir das Leben als gegeben betrachten oder nicht. Amen.


Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

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