1. Könige 3,5-15

1. Könige 3,5-15

Das ´hörende Herz`  weiß, was gut ist | 9. So. n. Trin. | 6. 8. 2023 | 1 Kön 3, 5 – 15 | Michael Plathow |

EG 195, 1 – 3

„Ich weiß nicht aus noch ein“ – bei der Begegnung auf der Straße bricht es plötzlich heraus aus der älteren Frau, einem früheren Gemeindeglied: ihr Enkel – ich kenne ihn, er liegt ihr sehr am Herzen –  lehnt momentan ab alles, was mit Kirche, Glaube und Gott zusammenhängt. Nun will er sich auch nicht konfirmieren lassen. Als Oma habe sie mit ihm gesprochen, mehrmals, liebevoll und drängend. Hilflos fühlt sie sich. – Ich höre und höre zu.

Nicht aus noch ein zu wissen – so mancher kann das nachvollziehen, ähnlich oder anders: die Entscheidung bei unterschiedlichen Auskünften und Ratschlägen vor einer Operation; die Wegkreuzung beruflicher Karriere im Stimmgewirr der Angebote usw. Und da sind mit den Zeitenwechseln die Dissonanzen, die Widersprüche und Dilemmata, die Ungerechtigkeit und Unfrieden resonierenden Töne gegen einander in gesellschaftlichen und politischen Spannungsfeldern und auch in mir, in meiner Gemeinde und Kirche.

Nicht aus noch ein weiß Salomo in der gehörten Geschichte des Alten Testaments. Er war – wie kurz vorher berichtet – durch feindselige Intrige und blutige Auseinandersetzung an die Macht gekommen.  Schuldig geworden ist er. Zugleich lebt er noch ganz im Schatten seines Vaters David, aus dem frei zu werden ist, um selbst sein zu können. Er sucht Orientierung in überkommener Religiosität und auch bei der neuen Religion auf dem Berg Gibeon.

Als junger König steht er vor der gewaltigen Aufgabe, das Volk weise und gerecht zu regieren. Er spürt, unerfahren und unsicher wie er ist, die eigene Unzulänglichkeit. Die Probleme von Ungerechtigkeit und Torheit um ihn; das eigene Erleben, nicht aus noch ein wissen, quälen ihn und drücken ihn wie Sorgenberge, verfolgen ihn des nachts bis in den ruhelosen Schlaf.

Da träumt ihm. Er träumt. Wohl entschwinden die erdenschweren „Tagesreste“ nicht, aber sie werden verändert. Im Traum eröffnet sich etwas Anderes, Neues.

Der Himmel öffnet sich. Eine Stimme spricht, ja, sie verspricht: „Was immer du bittest, will ich dir geben“. Es ist die Stimme dessen, der Bitten erhören, Versprechen erfüllen kann. Ihm gegenüber darf der junge König Salomo an der Schnittstelle seines Lebens einen, nein, den Herzenswunsch äußern, persönlich und frei.

Träume als  unbewusste Wirkung menschlicher Sehnsüchte sind in Geschichten unseres kollektiven Gedächtnis tief verankert. Virgils Metamorphose berichtet über Midas´ von Gier bestimmten Wunsch mit tragisch-komischer Folge: alles, was Midas berührt, möge zu Gold werden; sein Wunsch lässt ihn verhungern und erbärmlich zugrunde gehen. Entsprechend mahnt das Grimmsche Märchen vom „Fischer und seiner Frau“. J. P. Hebel erzählt, die menschliche Schwäche humorvoll widerspiegelnd, von den „Drei Wünschen“, die aus dem Egoismus des Herzens hervorgehen.

Wie anders Martin Luther Kings „I have a dream“.

Und der junge König Salomo?

Salomo bittet: „Du wollest deinem Knecht ein hörendes Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist“. Verstehen „was gut und böse ist“ jenseits von Eden (Gen 2, 17). Denn mit der Korrumpierung von „gut und böse“ durch die Selbstverschließung des Menschen gegen den guten Willen Gottes, wie die Vätergeschichten von Kain und Abel, vom den Himmel stürmenden Babelbau der Menschen, von Jakobs bösartigen Betrug an Esau  berichten, da tut Weisheit Not: die von Gott gegebene Weisheit. Verdorben ist das menschliche Herz durch Egoismus, Wille zur Macht und den Widerspruch von Wollen und Vollbringen.

Gewiss haben auch die Klugen und Weisen der Stoa, die Denker der praktischen Vernunft und der ethischen Urteilsbildung viel zu „gut und böse“ gesagt. Regeln für gutes Verhalten und Lebenshilfen für gutes Leben haben sie gegeben.

Doch etwas Besonderes, Einzigartiges ist dem Wunsch Salomos eigen. Er äußert als Gebet die Bitte: gib mir ein „hörendes Herz“. Ein „hörendes Herz“ auf Gottes Willen wünscht er sich, damit er „dein Volk – Gottes Volk – richten könne und verstehe, was gut und böse ist“.

Wer – im „nicht ein noch aus wissen“ der  persönlichen Widersprüche von Wollen und Vollbringen, der kirchlichen Neuerungen und politischen Dilemmata –  wer fühlt sich nicht berührt von dieser Bitte, und hineingenommen in den „Gottruf“: schenk mir ein „hörendes Herz“.

Demütig stellt sich Salomo im Traum in Gottes Verheißungsgeschichte mit seinem Volk: nicht eigene Vorstellungen und eigenes Wollen sollen über „gut und böse“ entscheiden.  Nein, das Hören auf Gottes Wort und Willen, das Wissen um die eigenen Grenzen verbindet sich mit der „Furcht Gottes als aller menschlichen Weisheit Anfang“ (Spr 1, 7).

Ein „hörendes Herz“ meint das Zentrum der ganzen Person. Fühlen, Denken, Wollen verbinden sich im Hören auf das von außen anredende Wort: „So spricht der Herr“ (Am 5, 4), „Höre, Israel …“ (Deut 6, 4f). Hören, weil angesprochen, Erfahren, weil widerfahren, Sehen, weil ersehen, Lieben, weil geliebt – die unverfügbare Begegnung des hörenden und sich verwandeln lassenden Herzens vor und mit Gott, ein Geschehen an und mit uns ist es Im Wunschtraum Salomos findet Gottes Wort und Wille im „hörenden Herzen“ Resonanz, indem der Hörende der Anrede folgt: „den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzen Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (Deut 6, 5). Weise ist er.

Jesus Christus, in dem sich Gott als der Liebende und als Kraft und Kriterium der Weisheit offenbart, fügt vollmächtig dazu, “den Nächsten lieben wie sich selbst“ (Mk 12, 31). Denn – so der Apostel – „Gott hat Christus gemacht für uns zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung“ (1 Kor 1, 30); in ihm liegen verborgen und offen „alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol 2, 3) für weises Urteilen und Unterscheiden, „was gut und böse ist“.

Menschliche Weisheit als Gabe Gottes, das ist der cantus firmus.

Und Salomos Traum  wurde und wird Wirklichkeit: „I have a dream“.

„Schenk mir ein hörendes Herz“, um zu erkennen, zu verstehen und zu urteilen , „was gut und böse ist“ nach dem Willen Gottes. Das ist auch meine Bitte in persönlichen Zweifeln, in spannungsvollen Konflikten und gesellschaftlichen Dilemmata.

Angesichts von Unübersichtlichkeit, Ungleichzeitigkeit, Unklarheit von Verstehen und Urteilen geht ein Sehnen nach Weisheit und Mut für das Gute durch uns.

Es erweist sich jedoch als nicht unterschiedslos.  Heute entbergen in unguter Weise die Dissonanzen als schrillen Ton das Sehnen nach der perfekten Lösung, nach der eindeutigen Antwort, die alle anderen zum Schweigen bringen will.

Weisheitliches Erkennen, Verstehen, Urteilen jedoch ist nicht unterschiedslos. Ermächtigt durch die Liebe Gottes in Jesus Christus erweist sich das, „was gut ist“ als freie Selbstzurücknahme in Liebe um des Anderen und der Anderen willen. Denn die Gabe der Weisheit kennt die Freiheit in der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Sie hält aus, was nicht perfekt, nicht absolut ist,

 – gerade dann, wenn man nicht aus noch ein findet. Sie weiß um Schuldigbleiben und Schuldigwerden und ist auch da gewiss der Vergebung  mit hoffnungsvollem Anfangen.

„Schenk mir ein hörendes Herz“, das Gottes Wort vernehmen und sich verändern lässt, ist meine und auch unsere Bitte.

Salomos Traum wurde Wirklichkeit. Und als er erwachte, da wurde ihm bewusst, dass es nicht gut war, in Gibeon anderen Göttern Gehör zu schenken. Er bricht auf nach Jerusalem und gibt Gott allein die Ehre und leitet das Volk als weiser Richter und König, wie das „salomonische Urteil“ gleich anschließend erzählt.

Übrigens das anfangs erwähnte Gespräch mit „hörendem Herzen“ führte nicht zum einfachen Ratschlag und zur eindeutigen Antwort, vielmehr zum Rat, dann zu reden, wenn die Enkel uns Ältere fragen, und glaubwürdig zu leben, dass sie uns fragen, auch täglich für sie zu beten etwa um gute Freunde und Vorbilder, die besser als ich, als wir von Glaube, Gott und Kirche zu sprechen vermögen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Erkennen, Verstehen und Urteilen, der bewahre euer Herz im Hören auf Gottes Wort und Willen in Jesus Christus. Amen.

EG 662, 1 – 4

Pfarrer i. R. Prof. Dr. Michael Plathow

michael@plathow.de

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