1. Korinther 1,26-31

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1. Korinther 1,26-31

Ein Antwortbrief an Paulus | 1. Sonntag nach Epiphanias | 07.01.24 | 1. Kor 1, 26-31 | Dörte Gebhard |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.                                       Amen.

Liebe Gemeinde

Über die Feiertage ist bei uns ziemlich viel Post eingetroffen. Auch selbstgebackene Kekse, Honig und Bücher waren im Milchkästli zu finden, aber der Briefkasten war immer besonders gut gefüllt. Ausnahmsweise erreichten uns nicht nur Rechnungen und Spendenaufrufe, Krankenkasseneinzahlungsscheine und weiteres Amtliches, sondern auch schöne lange Briefe von Leuten, von denen wir nicht so oft etwas hören oder lesen. Natürlich diesmal auch Genesungswünsche und Grüsse zum Fest, jede Menge Segensworte zum neuen Jahr und viele Fragen, wie es geht.

Die Päckli aus Deutschland kamen wie meistens erst nach dem Jahreswechsel. Da dauert immer alles etwas. Aber pünktlich vor dem heutigen Sonntag traf ein besonderer Brief ein, der unterdessen ohne Briefmarke immer wieder verschickt wird. Er ist ursprünglich, vor allerlei Weiterleitungen und Nachsendeaufträgen, an die Korinther adressiert gewesen.

Von den alten Bewohnerinnen und Bewohnern der griechischen Hafenstadt, an die der Brief eigentlich gerichtet war, leben heute noch ihre äusserst zahlreichen Nachfahren im Glauben, unterdessen verteilt über die ganze Welt. Wir realisierten schnell, dass wir dazugehören, also haben wir den Brief gleich gelesen.

Damals in Korinth hat man die Briefe sonntags laut vorgetragen, weil nicht alle lesen und schreiben konnten. Heute und hierzulande ist es zum Glück anders. Aber wer bekommt nicht gern interessante Post vorgelesen, zumal, wenn sie für alle zugleich bestimmt ist?!

Paulus schreibt nach Korinth, gleich am Anfang:

26 Schaut doch auf eure Berufung, liebe Brüder und Schwestern: Da sind in den Augen der Welt nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme. 27 Im Gegenteil: Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, 28 und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, 29 damit kein Mensch sich rühme vor Gott.

30 Er hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsere Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung. 31 So soll gelten, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn. (Zürcher Bibel, 1. Kor 1, 26-31)

Das reicht für heute! Paulus soll gleich jetzt eine Antwort bekommen. Dafür braucht es etwas Zeit. Schreiben würde ich:

Sehr geehrter Herr Apostel aus Tarsus

Wir haben Ihren Brief erhalten, mit Interesse darin gelesen und danken dafür. Gern gehen wir bei der Antwort auf einen Abschnitt im Kapitel 1, genauer auf die Verse 26-31, ein.

In der Schweiz legt man viel Wert auf Höflichkeit und Freundlichkeit. Man schätzt es, wenn sich jemand auszudrücken weiss, wenn jemand Missstände diskret und keinesfalls verletzend zur Sprache bringt.

Du aber, alter Apostel, pflegst – mit Verlaub – einen ziemlich konfrontativen, direkten Stil, den hier niemand gewöhnt ist. Wir möchten doch sehr bitten!

Du schreibst da ohne Umschweife: Da sind in den Augen der Welt nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme. 

Die meisten Christen sind also in Deinen Augen dumm, ohne Einfluss und ohne Manieren?

Meinst Du dabei etwa die Gemeinde, die Du selbst aufgebaut hast? Meinst Du jene, die Du nachher, am Schluss des Briefes, persönlich und herzlich grüsst, samt Spendenaufruf und Ratschlägen wie: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe?! (1. Kor 16, 14)

Hör mal, weisst Du eigentlich, wen Du vor Dir hast?

Entschuldige, jetzt habe ich mich schon Deinem Tonfall angepasst. So schnell kann das gehen!

Uns Schöftlerinnen und Schöftler kannst Du allerdings noch nicht kennen oder gar beurteilen. Wir pflegen das Christentum hier erst seit 650 nach Christus. Aber immerhin schon seit dem 7. Jahrhundert werden hier, sehr weit entfernt von Korinth, Deine Briefe in einer kleinen Kirche laut vorgelesen.

Du behältst durch die Zeiten Recht: Weltweit berühmte Leute, Nobelpreisträger und Influencer mit Millionen Followern hat Schöftland noch nicht hervorgebracht, aber das muss laut Deinen Worten gerade nicht sein.

Du forderst dazu auf, dass wir auf unsere Berufung schauen sollen. Das machen wir!

Wir sind genau wie Du berufen, von Jesus Christus weiterzuerzählen, von seinem Leben, seinem Sterben und von seiner Auferweckung. Die Begabungen unter uns Schwestern und Brüdern sind dabei sehr unterschiedlich verteilt.

Die einen singen gern die vertrauten Lieder von früher, die anderen lieben den allerletzten Schrei auf englisch.

Die einen kochen immer zuerst Kaffee und machen Teewasser heiss, der andere steigt auf eine gefährlich hohe Leiter, um die Tauftropfen mit den Namen unserer Täuflinge aufzuhängen.

Die einen treffen sich jede Woche zum Beten in kleinen Gruppen für die ganze Gemeinde, die anderen beten daheim, im stillen Kämmerlein, natürlich auch für alle, die auf Fürbitten angewiesen sind.

Die einen sind immer vor Ort und packen an, wo sie nur können, die anderen spenden, ohne es an die grosse Glocke zu hängen, sogar für jene Menschen in Not, die sie gar nicht kennen.

Die einen unterrichten die Kinder, die anderen pilgern durch die Gegend.

Die einen reden, die anderen leihen jemandem ihr Ohr, hören genau hin.

Die einen tun dies, die anderen haben Zeit, um etwas werden zu lassen.

All das geschieht zum Wohle der ganzen Gemeinde.

Keiner kann alles, aber niemand soll sich mit seinen Begabungen verstecken.

Das machst Du, Paulus, auch nicht!

Du behauptest dann, dass Gott das Törichte, das Schwache und das Geringe erwählt hat. Da schluckten wir eben, beim Zuhören, zweimal leer.

Das müssen wir uns zuerst gesagt sein lassen: Gott hat uns erwählt, nicht wir selbst. Zweitens gilt: Dabei hat er uns nicht erwählt, weil wir so grossartig wären oder weil wir uns so sehr angestrengt haben …

Ehrlicherweise kränkt das unsere Eitelkeit und unseren Stolz, aber es geht nicht nach dem Massstab unserer Einbildungen.

Das ist sehr gut so.

Nur deshalb haben Törichte und Verachtete eine Chance – weil Gott sie ihnen schenkt.

Die Kriterien der Welt sind völlig andere; in den Augen der Welt ist Stärke gefragt: Belastbarkeit und ein überzeugendes Auftreten. Da werden Vielseitigkeit, Flexibilität, Fachkenntnisse, jugendlicher Elan und am besten gleichzeitig noch viele Jahre Berufserfahrung verlangt.

Wenn man einen Moment darüber nachdenkt, ob diese Behauptung überhaupt stimmen kann, dass Gott gerade nicht die Stärksten aussucht und auswählt, kommen durchaus ein paar Beispiele zusammen! Wenn man zwei Augenblicke darüber nachsinnt, merkt man, dass es mehr als genug Beispiele gibt, in denen Törichte, Schwache, Geringe auserwählt waren, an Gottes grossen Verheissungen mitzuwirken. In Geschichte und Gegenwart.

In der Kirchengeschichte dagegen ist viel über Herrscher aller Art zu erfahren, die sehr viel grösser von sich dachten, sich für bedeutender und entscheidender, stärker und besser hielten als sie eigentlich waren.

Aber es kommt wohl nicht nur mir so vor, als lerne man aus der Geschichte vor allem, dass man bislang noch nicht wirklich etwas aus der Geschichte gelernt hat.

Aber wer gehört denn zu den grossen Toren, die erwählt sind?

Wer nun auf Namen und Adressen hofft, muss gründlich enttäuscht werden.

Du, Paulus, stellst niemanden bloss.

Du schreibst zwar ziemlich schroff, aber an diesem heiklen Punkt nennst Du keine Namen. Das ist sehr klug von Dir. Denn wir hätten Deine Post nie bekommen, wenn einer der Korinther sie – mit wildem Temperament – gleich nach dem ersten Lesen wutentbrannt ins Feuer geworfen hätten.

Lieber Paulus

Niemand soll sich rühmen vor Gott, denn dazu gibt es keinen Anlass.

Aber wir rühmen doch manche vor anderen Menschen so sehr, dass sie eben dadurch be-rühmt werden.

Ich denke, wir alle haben be-rühmte Vorbilder im Leben und im Glauben, an denen wir uns orientieren. Selbstverständlich sind sie so verschieden wie unsere Begabungen, aber auf ein paar könnten wir uns wohl einigen: Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King, Mutter Teresa, Franz von Assisi … und Du gehörst auch dazu, Paulus! Aber hast Du es gemerkt? Ich sieze Dich trotzdem schon seit drei Seiten nicht mehr. Du bist zwar extrem berühmt, aber zugleich einer wie ich! Mit Stärken und Schwächen.

Nun sind doch zwei Namen genannt!

Du schreibst selbst von Deinem Versagen … weiter hinten in Deinem Brief: Zuallerletzt aber ist {Christus} auch mir erschienen, mir, der Missgeburt. 9 Ich bin nämlich der geringste unter den Aposteln, der es nicht wert ist, Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.10 Durch Gottes Gnade aber bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben; nein, mehr als sie alle habe ich gearbeitet, doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist (1. Kor 15, 8-10)Das Gott uns erwählt und nicht wir selbst, das haben wir jetzt wirklich kapiert! Glaub uns: Wir bilden uns auf unsere Entscheidungen schon viel weniger ein als noch vor Deiner Post.

Aber noch etwas Anderes hast Du, Paulus, am eigenen Leibe erlebt: Wenn jemand besonders be-rühmt bei den Menschen ist, dann kommen natürlich auch alle seine Fehler und alles Scheitern gross heraus. Dass Du zuerst ein Christenverfolger warst, haben die Leute, die Dich kannten, nicht so schnell vergessen.

Da muss ich Dir noch kurz vor Schluss von einem Zürcher Reformator schreiben.

Heinrich Bullinger, der zu Unrecht bei den meisten Menschen weniger bekannte Nachfolger von Huldrych Zwingli am Zürcher Grossmünster im 16. Jahrhundert, hat die Tatsache der grossen Fehler bei grossen Leuten auf den Punkt gebracht, als Luther starb.

Bullinger, musst Du wissen, hat genau wie Du, sehr gern und sehr viele Briefe geschrieben. Natürlich hatte er vom Tod Luthers gehört.

Denn Luther war weitherum berühmt, aber Bullinger dennoch in vielen Dingen ganz anderer Ansicht als der Wittenberger Reformator, der übrigens zeit seines Lebens nie in der Schweiz gewesen ist.

Heinrich Bullinger schrieb in einem seiner zahllosen Briefe, in diesem Fall an Johannes Haller: „Ist Luther gestorben, so wünsche ich, dass er glücklich gestorben sei; denn es ist an ihm vieles, was die Besten mit Recht bewundern und loben. Selbst die grossen Männer der Kirche in der alten Zeit hatten ihre Fehler und ebenso Luther, nach göttlicher Vorsehung, damit man auch ihn nicht zum Gotte macht.“[1]

Gott wählt sich also laut Bullinger seine Leute aus und gibt grossen Menschen mit vielen Gaben grosse Fehler, damit niemand sie mit Gott verwechselt, damit niemand sie anbetet, damit niemand sie «zum Gotte macht».

Nun sollten wir gleich beim Orgelzwischenspiel die Liste aller unserer persönlichen, grossen Vorbilder im Leben und Glauben im Geiste durchgehen und überlegen, wo genau ihre Begabungen, aber auch, wo ihre Fehler lagen. Denn mit Schwung dem Törichten nacheifern und sich extra in Ohnmacht fallen lassen – das soll niemand! Davon ist nicht die Rede.

Dabei merken wir dann, dass auch die grössten Vorbilder Menschen waren und sind wie Du und ich. Bei Luther ist das unterdessen sehr gründlich erforscht. Du, Paulus, hast Deinen späteren Experten gewissermassen die Arbeit erspart, Du hast gleich selbst geschrieben, was Dein grösster Fehler im Leben war – die Christen zu verfolgen.

Lieber Paulus

Du hast uns in Schöftland zwar nicht persönlich kennengelernt, aber Du weisst, wie gern wir jemanden rühmen und damit be-rühmt machen. Auch für dieses menschliche Bedürfnis hast Du einen Rat. Christus sollen wir berühmt machen!

Jesus Christus war weise, aber nicht mächtig und schon gar nicht vornehm.

Er wurde von der Welt verachtet – und ihn hatte Gott erwählt.

Nun ist unser Brief richtig lang geworden. Papier ist heute viel billiger als zu Deinen Zeiten.

Du hast unsere Vorstellungen von stark und schwach, gering und gross, mächtig und ohnmächtig mit wenigen Zeilen auf den Kopf gestellt.

So freuen wir uns, ein anderes Mal mehr von Dir zu lesen und grüssen Dich herzlich.

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

[1] H. Bullinger an J. Haller, 12. 3. 1546, in: 2017. Nach Gottes Wort reformiert. Magazin zum Reformationsjubiläum, S. 51.

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