1. Korinther 1,26-31

1. Korinther 1,26-31

Der Beginn von allem | 1. Sonntag nach Epiphanias | 07.01.24 | 1. Kor 1,26-31 | Silja Keller |

Blick von aussen

Wart ihr in den letzten Wochen auch an Weihnachtsessen oder Silvesterfeiern eingeladen? Habt ihr da neue Leute kennengelernt? Was waren eure Gesprächsthemen? War es viel Smalltalk wie: Wo wohnst du? Was macht dein Partner, deine Partnerin? Und schade, dass es nicht schneit?

Oder gehört ihr eher zu den Menschen, die Smalltalk hassen, und gleich in die Tiefe gehen?

Wenn ihr zu den Letzteren gehört, welche Themen schneidet ihr an? Und ist Glaube oder Spiritualität auch darunter?

Ich, als Pfarrerin, habe selten eine Wahl. Beim Smalltalk kommen wir unweigerlich auf diese Themen, wenn ich meinen Beruf erwähne. Neben immer überraschten Gesichtern begegnen mir oft Zurückhaltung und manchmal auch Misstrauen. Ihr kennt das vermutlich selbst, wenn ihr Gespräche über Glauben oder Religion führt. Die Aussagen ähneln sich oft: Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten. Ich kann nicht hinter der Kirche stehen. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, der Papst und wie mit Homosexualität umgegangen wird, sind beliebte Themen. Und oft spüre ich das unausgesprochene Vorurteil, dass wir wissenschaftsfeindlich sind. Glaube und Wissenschaft können doch unmöglich friedlich nebeneinander existieren, so höre ich. Und weil die Wissenschaft am Ende siegt, werde die Kirche nicht mehr lange überleben. Und überhaupt, wem die wissenschaftlichen Gründe nicht reichen, der könne bei den vielen Skandalen, in die die Kirche verwickelt sei, nur schon aus moralischer Sicht, nicht mehr Mitglied sein. Es sei kein Wunder, dass die Kirchen sich leeren. Während ich versuche, eine differenziertere Sicht auf die Themen aufzuzeigen, wird mir einmal mehr bewusst: Die Kirche ist in den Augen eines Grossteils der Bevölkerung nicht mehr relevant. Was wir tun und wie wir es tun, reicht nicht, um uns einen guten Ruf zu verschaffen.

Und da tut mir der Abschnitt im 1. Kapitel aus Paulus erstem Brief an die Korinther sehr gut. Da steht:

«26 Schaut doch auf eure Berufung, liebe Geschwister: Da sind in den Augen der Welt nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme.

27 Im Gegenteil: Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, 28 und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, 29 damit kein Mensch sich rühme vor Gott.

30 Er hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsere Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung.

31 So soll gelten, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.» 

Seht doch Brüder und Schwestern, auf eure Berufung!

Ja, wir können viel jammern und uns darüber beklagen, dass wir wenige sind und weniger werden. Wir können darüber trauern, dass unser Einfluss als christliche Kirche schwindet und dass uns niemand so richtig versteht. Wir können bestätigen, dass aus der Sicht der Welt nicht viele Weise, Mächtige und Vornehme zu uns gehören.

Oder wir können auch tun, was Paulus vorschlägt: «Schaut doch auf eure Berufung, liebe Geschwister!»

Schaut auf eure Berufung! Warum seid ihr Christenmenschen geworden? Und was ist eure Aufgabe in der Welt? Es geht doch nicht hauptsächlich darum: Was haben wir alles richtig oder falsch gemacht? Oder wie müssten wir Dinge ändern, damit mehr Leute sich für Kirche interessieren? Nein. Die entscheidende Frage, die am Anfang stehen sollte, ist doch: Warum tun wir, was wir tun? Was ist der Kern? Und was hat uns so berührt, dass wir gläubige Menschen geworden sind?

Wenn mir jemand diese Fragen stellt, beginnt mein Herz zu brennen. Darüber möchte ich reden! Ich bin Pfarrerin geworden, weil ich erfahren durfte, dass Gott uns Menschen bedingungslos liebt. Bei ihm müssen wir nicht erst leisten, sondern sind angenommen, so wie wir sind. Seine Liebe ist nicht gebunden an spezifische Charaktereigenschaften oder Fähigkeiten. Gott wurde sogar selbst Mensch, als Kind in der Krippe, um uns seine Liebe zu beweisen.

Diese Erfahrung mit Gott hat mich tief bewegt und mein Leben positiv verändert. Und das möchte ich anderen Menschen weitererzählen, weil ich hoffe, dass auch sie von Gottes bedingungsloser Liebe berührt werden.

Alles andere als schlau

Aber Achtung! Von etwas erfüllt zu sein und begeistert vom eigenen Glauben zu sein, hat auch seine Tücken. Manchmal wird der verächtliche Blick, der uns Gläubigen zugeworfen wird, auch zurückgeworfen auf die, die nicht glauben. Die Annahme, dass wir richtig sind und die anderen falsch, macht nicht halt vor Christinnen und Christen. Sie kann dazu führen, dass wir das Gefühl haben, wir sind sehr schlau. Wir haben begriffen, wie die Welt sich verändern müsste, damit hier paradiesischere Zustände herrschen. Wenn die anderen nur glauben würden, wäre die Welt eine Bessere.

Aber ich frage mich: Stimmt das wirklich? Sind wir Christenmenschen besser als die, die nicht an unseren Gott glauben? – Ich finde ihre Kritik am Christentum nicht angenehm, aber berechtigt. Denn in den letzten hunderten von Jahren, ist es uns nicht gelungen, eine gerechte, friedliche Welt zu schaffen. Im Gegenteil. Es scheint, dass wir schlicht nicht dazu in der Lage sind. Und ich lese Paulus Zeilen noch einmal:

«Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen, 28 und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, 29 damit kein Mensch sich rühme vor Gott.

Und ich denke: Ja. Schwach sind wir und oft töricht. Wir sind nicht besser als Andersgläubige. Wir haben immer wieder bewiesen, dass wir selbst nur wenig von Jesu Lehren wirklich in die Tat umsetzen. Gerne bleiben wir in unseren alten Strukturen verhaftet. Jammern über den Mitgliederschwund und versuchen krampfhaft etwas zu bewahren, was es nicht mehr gibt. Wir versuchen innovative Projekte zu lancieren und verfallen lieber in Aktivismus, als uns auf Christus zu besinnen. Wir denken viel zu oft über das nach, was wir tun und wie  wir es tun und viel zu wenig über den Antrieb, der dahinter steckt, unseren Glaube. Es ist offensichtlich: Wir sind fehlerhaft und versagen all zu viel. Aber anstatt zu sagen: Und deshalb endet es hier, Experiment abgebrochen. Bleibt Gott mit uns auf dem Weg. Nichtsdestotrotz liebt er uns weiter. Gott ruft uns, die Törichten, Schwachen, Belächelten, deren Ruf zumindest in weiten Teilen Europas Versagen und Fehlerhaftigkeit anhaftet.

Das Unscheinbare…

Gott kann aus Schwachem Stärke machen. «Das Geringe in der Welt und das Verachtete hat er erwählt» schreibt Paulus. Und ich denke an die Weisen aus dem Morgenland. Ist es nicht töricht und unwissenschaftlich einem Stern zu folgen? Weshalb nennt man sie überhaupt weise? Sie klingen eher nach ein paar Verrückten, die zu viel geraucht haben.

Und doch sind sie es, die das Kind finden. Es funktioniert zwar erst im zweiten Anlauf, weil sie den neugeborenen König bei den Reichen und Mächtigen im Palast suchen, aber sie kommen ans Ziel. Im schäbigen Stall in einer Futterkrippe begegnet ihnen der neugeborene König.

Ihre Weisheit besteht darin, dass sie sich auf Unerklärliches, Unerwartetes einlassen, einem Stern folgen und etwas finden, was im ersten Augenblick unscheinbar erscheint, aber viel grösser ist als das, was sie erwartet haben.

…ist der Beginn von allem

Ein kleines Kind, arm und bloss, kommt auf die Welt, um uns von Gottes Liebe zu berichten. Gott beginnt mit dem Unscheinbaren, Kleinen. Wenn wir kleine Kinder taufen, tun wir es ihm nach. Wir taufen sie als Symbol dafür, dass Gott nicht erst prüfen muss, ob wir genug intelligent oder mächtig sind, um uns zu den Seinen zu zählen. Das Unscheinbare kleine ist der Beginn von allem.

Genauso waren auch die ersten christlichen Gemeinden klein und unbeachtet. Die Gemeinde in Korinth an die Paulus schreibt, hätte wohl nie erträumt, dass aus diesen unscheinbaren Anfängen eine Weltreligion wird, die noch immer wächst.

Und ich denke: Vielleicht ist es gut für uns, wieder klein und unbedeutend zu werden. Es gibt Gott die Möglichkeit, sich in unserer Schwachheit zu zeigen. Je weniger Ressourcen wir haben, desto mehr erkennen wir, dass wir auf Gott angewiesen sind und dass er unsere Kirche baut, nicht wir mit unserem Wissen und Können. Es ist gut, denke ich, dass wir weniger Macht haben als früher, weil Macht korrumpiert. Weil die Macht und Bekanntheit der Kirche auch dazu führten, dass Menschen sie für ihre eigenen Interessen ausgenützt haben.

Das Schrumpfen der christliche Gemeinschaft zwingt uns, uns neu an Jesus Christus auszurichten.

«Er [Gott] hat es aber gefügt, dass ihr in Christus Jesus seid, der unsere Weisheit wurde, dank Gott, unsere Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung. So soll gelten, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.» 

Wir merken, wir vermögen so wenig, aber Gott vermag viel und wenn wir jemanden rühmen, dann sollte er es sein.

Je weniger wir sind, desto klarer wird es, dass es an der Zeit ist, sich zu besinnen und den Fragen Raum zu geben: Warum glaube ich eigentlich? Was ist wirklich wichtig? Und wo spüre ich, dass Gott mitten unter uns ist?

Ein neues Jahr hat gerade begonnen und ich lade euch ein, nochmals zurückzuschauen auf das vergangene Jahr. Wie habt ihr in diesem Jahr für euch die Frage: «Warum glaube ich?» beantwortet? In welchen Momenten hattet ihr das Gefühl, da ist Gott am Werk?

Für mich war es dort, wo junge Menschen neugierige Fragen über den Glauben stellten. Oder der grosse Geldbetrag, den wir vom Benefizanlass in den Kongo schicken konnten. Es war auch ein ermutigender Brief; dass wir so schnell einen neuen kompetenten Jugendarbeiter finden durften; die vielen Freiwilligen, die sich aus Überzeugung bei uns in der Gemeinde investieren und Menschen, die für andere beteten. Es waren echte ehrliche Fragen und tiefe Begegnungen; der ökumenische Gottesdienst am Kirchentag, die Menschen, die für den Frieden einstanden und der Kuchen, den eine Frau für den Jugendgottesdienst gebacken hat.

Und nein, es geht hier nicht um das: Was haben wir gemacht? Sondern um das «Warum glaube ich?» In all diesen Geschichten war Tiefe, Nähe, Liebe und eine Verbundenheit von Menschen, die ohne Kirche nichts miteinander zu tun haben würden. Gott bringt uns zusammen, zeigt uns seine Liebe und verändert unsere Kirchen und unseren kleinen unscheinbaren Glauben.

Wir haben ein neues Jahr begonnen. Vielleicht könnte ein Vorsatz fürs neue Jahr sein: Dieses Jahr möchte ich mich darauf achten, wo Gott wirkt und dort meine Energie einsetzen. Ich möchte nicht über Kirchenschwund, Mitgliedermangel und die Irrelevanz der Kirche in der Gesellschaft klagen. Stattdessen möchte ich mich darauf verlassen, dass Christus in unserer Mitte ist, dass Gott das Unscheinbare, das Geringe, das Verachtete erwählt und daraus Grosses macht. Und ich könnte all das Unscheinbare, Geringe und verachtete in mir in seine Hand legen und voll Hoffnung in die Zukunft sehen.

Amen

Silja Keller

Fehraltorf

E-Mail: silja.keller@kirche-fehraltorf.ch

Silja Keller, geb. 1990, Pfarrerin der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Seit 2021 zu 80% tätig als Pfarrerin mit Schwerpunkt Familien und Jugend.

de_DEDeutsch