1. Korinther 14,1-3 + 20-25

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1. Korinther 14,1-3 + 20-25

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach
Trinitatis

2.7.2000
1. Korinther 14,1-3 + 20-25


Hans Theodor Goebel


Liebe Gemeinde!

Vor ein paar Tagen war es.
Ich komme über die
Schildergasse in Köln, gehe zum Kaufhof. Da steht auf der Straße ein
Mann. Er redet laut. Ein paar Leute sitzen und stehen um den Brunnen herum – in
der Sonne oder im Schatten. Sie hören ihm zu.
Der Mann erzählt
von Jesus und von Gott. Von seinem eigenen ehemals verwilderten und verlorenen
Leben. Aus dem er gerettet worden sei. Denn Gott liebe ihn und sein Ruf habe
ihn getroffen.
Nun liebe er Gott und Jesus, sagt der Mann.
Die ihm
zuhörten, sollten es ihm doch nachtun. Weil Gott sie liebe, sollten sie
sich zu ihm bekehren. Er, der Prediger auf der Straße, habe es ihnen
jetzt gesagt. Er habe es ihnen auch sagen müssen. Wenn sie jetzt nicht
hörten, könne Gott ihr Leben nicht von ihm fordern, sei er nicht
schuld an ihrer Verdammnis.
Gottes Gericht werde nämlich kommen. Auch
über die Kirchen, den Vatikan und den Weltkirchenrat.

Er selbst – so sagte der Prediger – sei ein einfacher Mann. Nicht
studiert. An ihm liege nichts. Auf ihn käme es gar nicht an und er habe
nichts vorzuweisen mit seiner Person und seinem Leben. Im Gegenteil. Nur auf
die Liebe Gottes käme es an. An der hinge alles. Zu Gott sich hin zu
kehren und ihn wieder zu lieben – darum ginge es.

Wer war dieser Mann? Ich weiß es nicht.
War er ein
Prophet – von Gott gesandt? Zu den paar Menschen auf der Straße, die
sonst vielleicht in keine Kirche gehen, und haben ihm zugehört. Haben
vielleicht gelächelt oder sind nachdenklich geworden und er hat sie
angesprochen. Hat der Mann für mich prophetisch geredet?

1.
Prophet sein oder prophetisch reden – was ist das?
Was
haben wir damit zu tun?
Nach dem, was Paulus hier davon schreibt, ist es
eine geistliche Sache. Und geht die christliche Gemeinde an.

Zum Propheten kann niemand sich selbst machen. Nur Gottes Geist
kann Menschen dazu bewegen.

Prophet zu sein, kannst du nicht planen und machen wie eine
Politiker-Karriere. Und auch nicht wie einen Pfarrer-Beruf.

Du kannst auch nicht machen, dass ein anderer auf seine Knie
fällt und Gott die Ehre gibt.

Wenn aber von Gott her der Geist kommt, wenn er da ist in unsrer
Gemeinde, dann begabt er uns und setzt einen Prozess in Gang. – Dann
können wir uns Mühe geben, seine Gabe zu aktivieren. Wir sollen das
auch!

Bemüht euch eifrig um das Geistliche (die Gaben des
Geistes), am meisten aber, dass ihr prophetisch redet –
schreibt Paulus.

Besonders ans prophetische Reden sollt ihr Eifer und Mühe
setzen.
Aber dann müsste der Geist Gottes da sein – in dieser Gemeinde
in Köln-Rath und bei euch, lieber Dollenchen-Besuch, in der Niederlausitz.

Können wir denn damit rechnen, dass er bei euch und bei uns ist und
dass hier und da Menschen erfüllt vom Heiligen Geist wie Propheten Gottes
reden können?

Gott hat seinen Jüngern seinen Geist versprochen. Jesus hat
ihnen gesagt, dass sie den Vater im Himmel nicht vergeblich um seinen Geist
bitten werden. Und wo er sein Versprechen erfüllt, wird in seiner Kirche
immer neu Pfingsten.
Ich frage, ob wir Gott bei seinem Wort nehmen? Ob wir
auf Gottes Geist gefasst sind?
Oder ob wir uns doch lieber auf unsere
eigene Kunst verlassen. Dann gehen uns vielleicht auch die Propheten aus.

2.
Warum soll nun gerade am prophetischen Reden so besonders
viel gelegen sein?

Es hat zur Zeit des Apostels Paulus wie auch heute in den
Gemeinden doch auch andere Formen von geistlichem Leben gegeben.
Paulus
nennt eine: das Zungenreden. Da sind Menschen von Gottes Geist ergriffen
und reden in Lauten oder in einer Sprache, die nur Gott verstehen kann – und
nur bestimmte Menschen. Auf die anderen aber, die das Zungenreden nicht
verstehen, wirkt es, als redeten da Wahnsinnige.

Seht ihr, sagt Paulus. Das ist das Problem. Es kommt doch gerade
darauf an, dass die anderen Menschen euch verstehen können.

Du betest und bist dabei irgendwie verzückt und
entrückt. Du bist irgendwie außer dir. Vielleicht einfach
religiös ergriffen und persönlich tief bewegt von dem, was du
erfahren hast und erahnst und was kein anderer versteht. Das alles kann vom
Heiligen Geist sein. Aber – du bleibst dabei privat.
Den anderen bleibst du
mit dem, was du erlebst, ein Geheimnis. Sie verstehen es nicht. Darauf legst du
es auch gar nicht an. Deine Religion bleibt für dich Privatsache. Du
erbaust dich selbst. Vielleicht mit Gottes Geist. Dann danke ihm.

Aber pass auf, dass der Geist Gottes nicht von dir aus schon
weiter gegangen ist. Bleib ihm auf der Spur. Denn der Heilige Geist will, dass
du die Gemeinde erbaust und nicht nur dich selbst. Dein christlicher Glaube
kann nicht deine Privatsache werden.

Darum sollt ihr euch besonders um das prophetische Reden
bemühen – schreibt Paulus an die Gemeinde. Denn wer prophetisch redet, der
redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.

Ich denke in unserer Gemeinde daran, dass auch Gruppen so ein
Eigenleben führen können, auch ein geistliches Eigenleben. Ich will
das nicht schlecht machen. Nur – baut es die Gemeinde auf? Oder bleibt es in
sich verkapselt, die anderen bekommen es nicht mit, sie bleiben von ihm
ausgeschlossen? -Wenn es so steht, dient es dann dem Aufbau unsrer Gemeinde?

Warum kommt es denn nun so auf die Erbauung der Gemeinde an und
nicht nur auf die eigene? Weil es auf die Liebe ankommt. Der Liebe wegen
kann die christliche Religion nicht Privatsache bleiben.

3.
Prophetisch reden im Heiligen Geist ist öffentlich und
will das Verstehen und den gegenseitigen Austausch.
Um aber was geht es,
wenn Menschen durch prophetisches Reden erbaut und ermahnt und getröstet
werden?

Ich versuche einmal zu übersetzen. Prophetisch reden
heißt, Menschen die Zeit ansagen. Von Gott her und im Auftrag Gottes.
In Jesus Christus ist die Liebe Gottes unheimlich nahe an euch herangekommenen.
Kehrt zu ihr um!

Das ist anders, als wenn wir uns aus unserer eigenen Sicht heraus
die Zeit ansagen.

Du bist vielleicht krank. Aus deiner eigenen Sicht heraus starrst
du auf die die Krankheit. Du verstehst sie nicht. Sie läßt
dein Leben sinnlos erscheinen. Sie stellt Gott für dich in Frage.
Und
dann kommt jemand zu dir und fragt dich: Meinst du denn nicht, dass die Liebe
umso mehr für dich da ist?
Und es war eine Prophetin, die dir da von
Gott gesprochen hat.
Aus unserer eigenen Sicht heraus sehen wir noch mehr,
was uns Angst macht, was uns deprimiert. Viele Zusamenhänge verstehen wir
gar nicht. Wer steckt dahinter, wenn sich heute immer mehr wirtschaftliche
Macht zusammenballt? Große Banken und Konzerne fusionieren. Wem kommt das
zugute? Werden die Habenichtse unserer Welt etwas davon haben, die Länder
Afrikas, die immer mehr verelenden, die Arbeitslosen bei uns? Sieht es nicht
eher danach aus, dass auf der einen Seite wirtschaftliche Macht und Reichtum
wächst und gleichzeitig Armut Elend auf der anderen Seite produziert wird?

Gewinnen wir mit dieser Entwicklung die Zukunft für eine
Welt, die von immer mehr Menschen bewohnt wird?

Heute fordern alle wirtschaftliches Wachstum und wollen es
gefördert sehen. Aber es gab doch vor ein paar Jahrzehnten einmal die
Einsicht, die Grenzen des Wachstums seien erreicht. Wo ist diese
Einsicht heute? War sie damals falsch oder ist sie heute nicht mehr aktuell? Es
redet keiner mehr davon.

Welche Politik kann die Entwicklung heute noch steuern oder
gestalten?
Kann uns jemand prophetisch da reinreden?

Wenn wir von uns aus sehen, gibt das schnell eine pessimistische
Zeitansage: Die Zukunft ist zum Fürchten. Zumindest ist ungewiss, unter
welchen Bedingungen große Teile der Menschheit überleben
können.

Immerhin könnte die Furcht die Verantwortlichen ja zum
Innehalten und Nachdenken bringen. Aber sieht es in unserer Welt danach aus?

Wie sagt uns ein Prophet im Namen und Auftrag Gottes heute die
Zeit an?
Jedenfalls wird er uns sagen: Gottes Liebe, die in Jesus
Christus ist, – sie ist nahe an euch herangekommen. Es ist an der Zeit, dass
ihr umkehrt zu dieser Liebe
.
Gebt euch nicht selbst auf, lasst euch
selbst nicht fallen. Diese Liebe trägt euch! Haltet das für die
entscheidende Tatsache eures Lebens!

Gebt unsre Welt, gebt die nachkommenden Generationen nicht auf!
Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie hergab.
Die Welt soll sich nicht selbst verlieren und verloren geben.

Da drängen Menschen aus den armen und ärmsten
Ländern
in unsere europäischen Wohlfahrtsstaaten. Weil sie zu
Hause keine Lebenschance mehr haben oder keine mehr sehen.
Müssen wir
uns dann nicht politisch und wirtschaftlich dafür engagieren, dass ihren
Heimatländer sich entwickeln können und sie da nicht verhungern und
mit Recht und Würde da leben können? Ihr Problem ist unser Problem.

Da kommen Menschen nach Köln, die hier Asyl suchen.
Die an Leib und Seele vielleicht schwer traumatisiert sind. Einigen von ihnen
werden die Ämter und die Gesetze unseres Staates nicht gerecht.
Schützen sie nicht. Können wir sie denn dann verloren geben?
Sich selbst überlassen?
Aber manche Flüchtlinge könnten uns
ausnutzen oder täuschen?
Ja und? Martin Luther hat gesagt: Die
Liebe denkt von jedem nur das Beste und ist nicht argwöhnisch. Mag sie
irren. Es gehört zur Liebe betrogen, zu werden. Sie ist dem Gebrauch und
dem Missbrauch aller preisgegeben.
(WA 18,652). Steile Worte. Ich kommen
ihnen nicht nach.

Aber meinst du denn, Gott hätte dich anders geliebt?

Von uns aus sehen wir Ängste. Das ist wahrscheinlich in
Brandenburg nicht anders als in Köln. Dann denken wir, die Fremden
könnten uns etwas wegnehmen. Arbeit oder Geld aus den öffentlichen
Kassen, das Geld von unseren Steuern.
Manche denken, wir würden
überfremdet. Andere meinen, die kirchliche Gemeindearbeit werde
vernachlässigt, wenn das Presbyterium sich hier um die Fremden
kümmert.
Und da redet vielleicht einer prophetisch dazwischen und
sagt: Wieso spielt ihr das denn gegeneinander aus?
Die Liebe gilt doch nach
innen in der Gemeinde und nach außen gegenüber den Fremden. Wollt
ihr denn Gottes Liebe auch aufteilen – dahin oder dorthin? Gottes Liebe ist
doch unteilbar.

Da kommen Politiker und sagen: Wir brauchen Einwanderer
für unsere Wirtschaft, aber dafür nehmen wir dann nur noch eine
bestimmte Zahl von Asylbewerbern auf. Dann stehen hofffentlich Propheten auf
und sagen:
Ihr könnt doch die Grenzen unseres Staates nicht vor einem
Verfolgten dicht machen, nur weil eine Zahlenquote überschritten ist.
Kehrt um zu der Liebe Gottes!

Wenn Propheten so oder ähnlich in der Kirche und in unserer
Gemeinde von der Liebe Gottes reden und sagen: Kehrt zu ihr um! – denken
vielleicht viele: Das ist aber zu einseitig. Oder: Das ist aber politisch, und
damit hat die Kirche doch nicht zu tun.

Paulus schreibt ein paar Verse weiter an die Gemeinde in Korinth:
Von den Propheten lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst
darüber urteilen
(V 29).
Ich glaube, das brauchen wir in
unserer Gemeinde auch: Eine Gesprächs- und Diskussions- und Streitkultur,
in der wir uns miteinander zu verständigen suchen, was heute die Liebe
will? Denn der Pfarrer hat nicht immer recht. Aber die ihn kritisieren haben
auch nicht immer recht.

Wie war das denn vor Jahren?
Als Menschen in den Kirchen der
DDR das prophetische Wort aufnahmen: Schwerter statt Pflugscharen!. Und
sich die Embleme an ihre Jacken hefteten.
Und als Christen in den
Niederlanden und bei uns zu den Kernwaffen ein Nein – ohne jedes Ja!
sagten und auf den Kirchentagen lila Halstücher trugen?
Das waren wohl
prophetische Worte und Zeichen. Aber sie waren nicht unumstritten.

Unumstritten sind prophetische Worte nie. Sie führen uns in
die Auseinandersetzung um der Liebe Jesu Christi willen. Sie stellen uns in
Frage. Sie decken auch kritisch auf, was in uns ist. Lasst uns dieser
Herausforderung nicht ausweichen. Sie erhält uns lebendig.
Die
Auseinandersetzung gehört, wenn es gut geht, zu einem Verstehensprozess.
Die Auseinandersetzung selbnst ist dabei nicht das Letzte.
Es kann in der
Gemeinde zum Verstehen kommen. Paulus schreibt sogar von einem
Außenstehenden, der in die Gemeinde hineinkommt, das prophetische Reden
hört und erkennt:
Gott ist wahrhaftig unter euch.
Wenn das
geschieht, ist der Heilige Geist in der Gemeinde am Werk gewesen.

4.
Und der Prediger auf der Schildergasse? Schon möglich,
dass auch er uns in der Kirche prophetisch etwas zu sagen hat. Wenn seine
Predigt nur im Rahmen der Liebe Jesu Christi bleibt und die Menschen nicht
erschlägt mit der Angst vor der Strafe und dem Gericht. Denn Richter ist
Jesus Christus allein.
Prophetische Stimmen, die von Gott her kommen,
können jedenfalls auch von draußen, von den Straßen und
Plätzen in die Kirchen hineinrufen. Gottes Geist, der Menschen prophetisch
reden lässt, ist nicht gebunden an die Ämter und Institutionen der
Kirche. Gott sei Dank nicht! Darum gibt es von ihm her Hoffnung auf Leben –
auch in unserer Kirche.

Amen.

Nachbemerkung:
Die Predigt wird am 2. Juli 2000 in
Köln-Rath gehalten. An diesem Sonntag ist der Kirchenchor aus der
Partnergemeinde Dollenchen in der Niederlausitz zu Gast.

Literaturhinweis:
Peter Zimmerling, 2. Sonntag nach
Trinitatis – 2.7.2000, in: GPM, 54.Jg., 297-306.

Dr. Hans Theodor Goebel,
Im Wasserblech 1c, 51107 Köln

Tel.: 0221 / 861135

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