1. Korinther 15, 19-28

1. Korinther 15, 19-28

 


Ostersonntag,
31. März 2002
Exegese zu 1. Korinther 15, 19-28, verfaßt von Gerhard Sellin


1 Kor 15,19-28

1.) Kontext
Das 15. Kapitel bildet im 1. Korintherbrief, der eine große
Anzahl praktischer Probleme einer jungen Gemeinde behandelt, einen Höhepunkt.
Das legt sich nicht allein durch die Schlussstellung (vor dem Briefschluss
Kap. 16) nahe, sondern auch durch die aufwendige theologische Argumentation.
Bevor Paulus in V. 12 das Ausgangsproblem nennt (einige Korinther behaupten,
es gebe keine „Auferstehung der Toten“), schafft er in V. 1-11
eine Argumentationsbasis: das Bekenntnis von der Auferweckung des gekreuzigten
Christus, dessen Geltung in der korinthischen Gemeinde er voraussetzt.
Das heißt: Die in V. 12 erwähnten Korinther leugnen keineswegs
jedes postmortale Heil der verstorbenen Christen, sondern sie bestreiten
die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung. Der Ausdruck „Auferstehung“
hat für Paulus und die Korinther (anders, als in der nachpaulinischen
Zeit, wo die „Auferstehung“ „geistlich“ gedacht wurde:
Kol 2,13; Eph 2,5-6; vgl. 2 Tim 2,18) selbstverständlich leibliche
Bedeutung. Das impliziert, dass die Auferweckung erst in der Zukunft sich
ereignen wird. Während die in V. 12 erwähnten Korinther diese
Vorstellung ablehnen, liegt Paulus gerade an der Leiblichkeit des eschatologischen
Heils. Im ersten Teil des 15. Kapitels (15,1-34) zielt seine Argumentation
auf die Notwendigkeit der Auferstehung als einer neuen Schöpfung,
im 2. Teil (15,35-58) auf die Denkbarkeit (das „Wie“) der Auferstehung.
Der erste Teil wiederum ist folgendermaßen aufgebaut: 15,1-11 stellt
eine Prämisse dar. Der Abschnitt V. 12-19 zeigt, dass die in V. 12
genannte Leugnung der Auferstehung der Toten im Widerspruch zur Verkündigung
der Auferstehung Jesu steht. Die Rede von der Auferstehung Jesu wäre
ohne ihren Zusammenhang mit der Auferstehung der Toten ohne Heilsrelevanz.
Der Abschnitt 15,20-28 geht umgekehrt von der in V. 1-11 aufgestellten
Prämisse aus. Die Perikopenabgrenzung mit ihrem Einsatz bei V. 19
erklärt sich durch die Absicht, die sich aus der Leugnung der Auferstehung
ergebende Aporie mit in den Predigttext einzubeziehen.

2.) Inhaltsstruktur des Textes
V. 19 bildet den negativen Hintergrund, von dem sich die positive
Argumentation V. 20-28 abhebt.
a) V. 20-22 stellen einen ersten Argumentationsgang dar:
V. 20a fasst noch einmal die Prämisse V. 1-11 zusammen: „Nun
ist Christus aber von den Toten auferweckt worden …“. V. 20b schließt
jedoch sogleich aus, dass dieses Ereignis als ein isoliertes einmaliges
historisches Faktum anzusehen sei. Die Auferweckung Jesu durch Gott hat
eine die ganze Menschheit betreffende und erfassende Wirkung. V. 21-22
begründen diesen Konnex zwischen Christus und „allen“ (Menschen).
Wie Adam den Ursprung der gefallenen Menschheit darstellt, so stellt der
auferweckte Christus den Ursprung der „Lebendiggemachten“ dar.

b) Darauf baut V. 23-28 auf. Das Heil, das der Einzelne im Glauben an
die Botschaft von Gottes Heilswillen erfährt, hat universal-kosmische
und zeitliche Dimension (Raum und Zeit). Die Zeit ist gegliedert, sie
hat eine Tagmatik. Mit der Auferweckung Christi ist die neue Zeit schon
eingebrochen in die alte, doch herrschen noch die kosmischen Mächte,
deren stärkste der Tod ist, der letzte Feind. Implizit ist er schon
besiegt mit der Auferweckung Christi, doch übt er seine Herrschaft
noch aus. Die Gegenwart ist also eine Zeit der Überschneidung. Die
Akte der Lebendigmachung gliedern die Zeit (tágma = Ordnung, Abteilung):
Die Auferweckung Christi ist der Anfang. Das Wort aparché bedeutet
„Erstlingsfrucht“, den Beginn der Erntezeit, worauf die volle
Ernte mit Sicherheit folgt (das erste tágma, das schon eingetreten
ist). Das zweite tágma folgt bei der erwarteten Wiederkunft Christi,
bei der alle Christen lebendiggemacht werden (also die volle Ernte nach
der „Erstlingsfrucht“). Umstritten ist, ob mit V. 24 („dann“)
noch ein drittes tágma folgt – das Ende, bei dem Christus die über
alle Mächte gewonnene Herrschaft an Gott abgibt. Als letzter Feind
wird dabei der Tod vernichtet (V. 26 – die zentrale Aussage des Abschnitts).
Aber die Auferweckung der Christen (das 2. tágma) ist ja implizit
schon die Vernichtung des Todes, der damit seinen Stachel verloren hat
(V. 55). Das spricht dafür, nur mit zwei „Abteilungen“
zu rechnen: dem Anfang in Christus und der Vollendung in der Auferstehung
der Christen. Dann gehört die ganze Welt der Herrschaft Gottes.

3.) Schwierigkeiten des Textes
(1) V. 22 grenzt das Auferstehungsleben auf die „in Christus“-Seienden
ein. Aber Paulus spricht dabei (wie bei Adam) von „allen“ (pántes).
Entweder hat er das „alle“ nicht strictu sensu gebraucht, oder
er rechnet damit, dass alle einst Christen sein werden.
(2) Der Abschnitt gipfelt in der finalen Aussage, dass am Ende „Gott
alles in allem“ sein werde. Zuvor ist von einer Entmachtung der Mächte
die Rede, einer Unterwerfung des Alls unter Christus, der schließlich
seine Allherrschaft Gott übergibt. Sowohl von den einzelnen Mächten
wie vom ganzen All (V.27) wird ausgesagt, dass diese „unter seine
Füße gelegt“ werden. Die Unterwerfung kann dann keine
„Vernichtung“ sein. Vom Tod jedoch kann das nicht gelten, existiert
dieser doch nur dadurch, dass er tötet. Seine Entmachtung bedeutet
dann zugleich die Auslöschung seiner Existenz. In beiden Fällen
aber (im Fall der Unterwerfung der Mächte wie im Fall der Vernichtung
des Todes steht das Verb katargéo, das man also einmal im Sinne
der Entmachtung, das andere Mal im Sinne der Vernichtung (die häufigste
Bedeutung des Verbs) verstehen muss. Das heißt: Der Tod ist dann,
wenn Gott „alles in allem“ ist, nicht mehr existent. Die Mächte
aber sind durch Christus Gott untertan gemacht. Das geht auch aus der
Kombination der beiden Stellen Ps 110,1 und Ps 8,7 hervor. Implizit kann
man daraus (mit dem Kirchenvater Origenes, der u.a. deshalb später
verketzert wurde) eine „Erlösung aller“ (apokatástasis
pánton) folgern (mit Ausnahme des Todes).

4.) Theologische Bedeutung
Die diese Perikope beherrschende Vorstellung ist mythisch. Das bedeutet
keine Abqualifizierung der paulinischen Aussage. Über Gott und Gottes
bzw. Christi zukünftiges Handeln kann man nur in Modellen reden.
Modelle aber sind variable Veranschaulichungen von Wirklichkeiten, Erfahrungen
und Hoffnungen, die nicht als Tatsachen greifbar und beschreibbar sind.
Es gibt u.a. metaphorische und mythische Modelle. Bei den metaphorischen
Modellen erkannt man die Differenz zur Tatsächlichkeit ohne weiteres;
bei den mythischen Modellen ist das schwieriger, weil sie als Handlung
in Raum und Zeit daherkommen. Dass aber auch Paulus seine Modelle nicht
für die Tatsachen an sich hält, zeigt sich, dass er seine Modelle
gelegentlich transformiert und korrigiert. Von der Auferstehung der Toten
und der Wiederkunft Christi redet er in 1 Kor 15 anders als in 1 Thess
4,13-5,11. Er verwendet Metaphern, die sich – erkennt man ihren Modellcharakter
nicht – widersprechen. Es ist deshalb sinnvoll, die tieferliegende Intention
der jeweiligen Modellaussagen durch Interpretation ans Licht zu bringen:
In der Geschichte von „Adam“ (Gen 2-3) wird die Brüchigkeit
und Labilität des menschlichen Lebens (der Tod) konzentriert zum
Ausdruck gebracht. In der Geschichte von Christus (dem Evangelium) wird
das Ziel, das Gott der Welt setzt, das „Leben“, anschaulich
präsentiert. Dass dies in Raum und Zeit vorgestellt wird, lässt
sich nicht unter der Kategorie voraufklärerischer Naivität verbuchen.
Es hat vielmehr zwei gute Gründe: 1. Das menschliche Leben (und Leben
überhaupt) lässt sich nur erzählend begreifen. 2. Paulus
sieht den Menschen nicht dichotomisch, d.h. als Summe aus Geist (ohne
Ausdehnung) und Körperhülle, sondern als eine leibliche Ganzheit:
Der Mensch hat nicht einen Leib (soma), sondern er ist Leib (Rudolf Bultmann).
Als solcher exitiert er in der Zeit. Aber er ist „Leib“ nicht
nur, insofern er sich selbst reflektiert und begreift, ein Verhältnis
zu sich selbst hat, sondern indem er ein kommunikatives Wesen ist, das
auf das Andere bezogen ist: den Schöpfer und die Mitgeschöpfe.
– Die Wahrheit über Gott, die Welt und die Menschen kann nicht an
sich begriffen und beschrieben werden, sondern nur als mythische Erzählung
und metaphorischer Entwurf.

Prof. Dr. Gerhard Sellin, Hamburg
E-Mail: Gerhard.Sellin@theologie.uni-hamburg.de

 

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