1. Korinther 16,14

1. Korinther 16,14

Vom Tun und Geschehenlassen | Predigt zur Jahreslosung 2024 | 01.01.2024 | 1.Kor. 16,14 | Ulrich Pohl |

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“

Alles. Alles, was ihr tut.

Das hört sich umfassend an. Das passt zu dem, was man sich für ein neubegonnenes Jahr vornimmt. Die sprichwörtlichen „guten Vorsätze“: Man will Neues und Sinnvolles in den eigenen Gewohnheiten verankern, indem man es Tag für Tag wiederholt, und das am besten ein ganzes Jahr lang. Auf Süßes verzichten, langsamer machen, dem Schönen Raum geben, kultivieren, was das Miteinander stärkt. Alle Tage, das ganze Jahr hindurch. Geduldig, unablässig.

Ein guter Vorsatz kann Grund in das eigene Leben bringen. Und das möchte ich. Ich möchte wieder etwas mehr Kontrolle bekommen über das, was ich bin und das, was ich tue. Ich möchte mich weniger getrieben fühlen. Ich möchte spontanen Launen nicht mehr so ausgeliefert sein. Ich möchte selbstgeleitet leben. Ich möchte mich persönlich weiterentwickeln. Ich möchte mehr werden, wie ich sein könnte. Und ich weiß, dazu gehört Disziplin. Täglich.

Also, alles. Alles, was ihr tut, 365 Tage im Jahr. Alles kommt unter einen Vorsatz, einen, von dem man sicher weiß: Der hilft, das ist ein gutes Programm.

Was für ein Vorsatz soll das sein, wenn nicht die Liebe?

Die Liebe ist ein geradezu überirdisches Prinzip. Sie kann mich wirklich zu einem anderen Menschen machen. Liebe tut gut. Sie tut mir gut. Sie tut meinen Mitmenschen gut. Und auch Gott hat Freude daran.

Dreimal Liebe: Liebe zu Gott. Liebe zu meinen Nächsten. Und Liebe zu mir selbst. So erklärt Jesus einem Schriftgelehrten, der ihn fragt: Was ist das höchste Verhaltensprinzip, was ist das wichtigste Gebot? Dreimal Liebe, lautet die Antwort. Gott lieben, deinen Nächsten lieben, dich selbst lieben. (Markus 12, 29 – 31)

Aber damit werden eben aus einem Gebot drei Gebote. Und das macht es nicht leichter. Denn auf die Spitze getrieben können sie sich gegenseitig widersprechen.

Wir merken es auf schreckliche Weise, wenn religiöse Kriege geführt werden, Kriege im Namen Gottes. Solche Kriege führen zu den schlimmsten Auswüchsen. Eben weil „Gottes“-Krieger, sich bei dem, was sie anderen antun, auf etwas berufen, was weit über allem Irdischen steht. Nicht selten setzt die vermeintliche Treue zu Gott alle menschlichen Regungen außer Kraft. Mitleid und Empathie gibt es dann nicht mehr. Da schreibt sich die „Gottesliebe“ ganz groß. Und die Menschenliebe wird bis zum Verschwinden klein. Heraus kommen Ereignisse, wie wir sie im Oktober beim Überfall auf Israel mitansehen mussten.

Doch auch der umgekehrte Weg führt an der Liebe vorbei: Die Selbstaufopferung im Namen Gottes. Ich kann mich für andere einsetzen. Ich kann in Not Geratenen helfen, und es ist gut, wenn ich das tue. Aber immer ist es so, irgendwann komme ich an einen Punkt, da sind meine Kräfte aufgebraucht. Da sind meine Grenzen erreicht. Da muss ich nein sagen, wenn ich mich nicht völlig erschöpfen und verlieren will. Die Aufopferung für andere wird im Christentum zwar mitunter positiv angesehen. Das, was Jesus mit Liebe meinte, hat damit aber nicht viel zu tun. Jesus hatte ein Gespür dafür, ein Mensch muss seine Grenzen akzeptieren. Du sollst deinen Nächsten wie dich selbst.

Liebe zum Dritten: Wie erziehen wir unsere Kinder? In Liebe, natürlich! Nur, wenn mein Kind ausnahmslos Spaghetti zu Mittag will und zum Nachtisch Nutella, ist es dann Liebe, wenn ich sie ihm gebe? Oder ist es Liebe, wenn ich ihm Widerstand entgegensetze – auch wenn es dabei im Ernstfall Tränen gibt?

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Das, was sich zunächst einfach anhörte, das „Jahresprogramm Liebe“, stellt sich nun als schwierige Mission dar. Ich muss von Mal zu Mal genau überlegen: Auf welche Weise will ich denn nun der Liebe in genau dieser Situation Gestalt geben? Was will ich tun? Was muss ich tun? Diese Fragen bleiben offen.

Doch in unserem kurzen Vers ist nicht nur vom Tun die Rede, sondern auch vom Geschehenlassen. Besonders deutlich wird das, wenn man die Lutherbibel zu Rate zieht. Sie übersetzt den Vers so: Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. Hier kommt das Wort „tun“ überhaupt nicht vor. Damit ist Martin Luther nahe am Urtext, der Bibel auf Griechisch, die die ersten Gemeinden gelesen haben. Was dort steht, hört sich ungefähr so an: Panta hümoon en agapää genestho. Kurz und knapp übersetzt: Alles Eure geschehe in Liebe.

In der Spannung zwischen Tun und Geschehenlassen scheint beinahe so etwas wie eine fernöstliche Weisheit auf. Es öffnet sich die Tür zu einer tiefgreifenden Einsicht in das Gleichgewicht zwischen aktivem Handeln und einer Art Gelassenheits-Prinzip. Ein Verständnis, das uns dazu anregt, die Nuancen des Lebens zu verstehen und – wenn man es so sagen will – auf den Wellenschlag des Universums zu achten und sich einzufügen.

Das aktive Handeln, das Tun, repräsentiert die Energie, die wir in diese Welt bringen. Es ist die bewusste Teilnahme am Fluss des Lebens. Zugleich mahnt die Weisheit, die in diesem Vers anklingt, wir sollen bescheiden bleiben. Wir sollen erkennen, es liegt nicht alles in unserer Hand und nicht alles unterliegt unserer Kontrolle. Es gibt Momente, in denen wir das, was geschieht, geschehen lassen müssen. Sonst stören wir den Lauf, den Gott den Dingen gibt.

Im Geschehenlassen liegt eine tiefe Akzeptanz für das, was Gott in unserer Welt tun will. In der Sprache der fernöstlichen Weisheit: Wir vertrauen uns dem Fluss des Universums an. Für unseren Glauben gesagt: Wir vertrauen uns dem an, was Gott tut und tun will. Wo es angebracht ist, lassen wir los und lassen unsere Hände ruhen. Wir vertrauen darauf, er, der alles in Händen hält, ist ein liebender Gott. Er hat diese Welt ins Leben gerufen und ist weiter in ihr unterwegs. Was er tut, tut er aus Liebe. Wir müssen uns nicht dagegenstemmen.

Diese Haltung des Vertrauens erlaubt es, uns freizumachen vom übermäßigen Festhalten und allem unnötigen Widerstand gegen das, was werden will. Es ist, als ob man auf einem Fluss schwimmt, sich treiben lässt, während man gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, die Richtung sanft zu lenken. Die Kunst besteht darin, die Balance zwischen Tun und Geschehenlassen zu finden. Wir sollen in unseren Handlungen die Stille bewahren – und in der Stille die Kraft für ein neues Handelns wachsen lassen.

Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen: Dieser kurze Satz erinnert uns, bei dem, was wir vorhaben, nicht nur die äußeren Handlungen zu berücksichtigen, sondern auch die innere Haltung der Liebe, mit der wir dem begegnen, was auf uns zukommt. Dann wird unser Tun wird zu einer kreativen Ausdrucksform unserer selbst – und unser Lassen wird zu einer Quelle der inneren Ruhe.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Wir hören eine Einladung, in den kommenden 365 Tagen immer wieder still zu werden und auf die Balance zu achten. Auf die Balance zwischen dem, was geschehen will und dem, was wir tun sollen.

Als Gebet für alle Tage sei schließlich die Sentenz zitiert, welche im Kern dem deutschen Pfarrer Wilhelm Oetinger (oder wahlweise dem US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr) zugeschrieben wird: Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.

Und der Friede …


Pfarrer Ulrich Pohl, Neuss

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