1. Petrus 5, 1-4

1. Petrus 5, 1-4

„Cheffragen“ | Miserikordias Domini | 23. 4. 2023 | 1. Petr 5, 1-4 | Dörte Gebhard |

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.                                                                                                 Amen.

Liebe Gemeinde

Als ein Konflikt im Gange war, piekte er den rechten Zeigefinger in die Luft, senkrecht nach oben.

Weil es Probleme gab und er sich sogar ein wenig aufregte, zeigte er in die Höhe und sprach dazu mit grosser Ruhe und Bestimmtheit:

„Mein Chef … ist da oben, … alles andere … relativiert sich von selbst.“

Worum es damals, vor knapp 40 Jahren, ging, weiss ich schon lange nicht

mehr. Es ist ein gutes Zeichen geistigen Ausmistens, wenn man sich nicht an alles Üble erinnern kann. Vielleicht habe ich aber auch noch gar nicht verstanden, worum es ging.

Aber diesen Satz habe ich mir eingeprägt und mitgenommen, aufbewahrt in meinem Oberstübchen bei den gebrauchsfertigen Weisheiten:

„Mein Chef … ist da oben, … alles andere … relativiert sich von selbst.“

Diese kurze Geste und diese wenigen Worte sind mir geblieben.

Aber wer tat und sprach so?

Pastor Matthias Ortmann, seinerzeit Pfarrer in Mestlin, redete so.

Ich hoffe, er tut es immer noch. Unterdessen ist er längst pensioniert und anderswo daheim. Matthias Ortmann war Pfarrer in einem kleinen Dorf bei Parchim in Mecklenburg zu jener Zeit, als ich in die Junge Gemeinde ging und wahrscheinlich dort einem seiner sechs Kinder begegnet war.

(Vielleicht war auch die grosse Familie manchmal ein Grund, diesen Pieks in die Weite des Himmels zu machen, wer weiss.)

„Mein Chef … ist da oben, … alles andere … relativiert sich von selbst.“

Etwas ausführlicher wird diese Einsicht im 1. Petrusbrief verhandelt, wo es im 5. Kapitel darum geht, das Gemeindeleben der ersten Christen und dann auch schon der zweiten und dritten Generation einzurichten. Man machte sie allmählich darauf gefasst, dass der Glaube länger gebraucht werden könnte als ursprünglich erwartet.

Die ersten waren schon gestorben.

Die zweiten wurden langsam alt.

Die dritten waren auch keine Kinder mehr.

Darum heisst es im kleinen, ersten Petrusbrief kurz vor Schluss, bei den letzten Ermahnungen:

Leiten und Dienen in der Gemeinde

5 1 Ich bin ein Gemeindeältester und ein Zeuge für die Leiden von Christus. Deshalb habe ich auch Anteil an der Herrlichkeit, die bald offenbar werden wird. Nun ermahne ich die Gemeindeältesten unter euch: 2 Leitet die euch anvertraute Gemeinde Gottes wie ein Hirte seine Herde! Achtet auf sie. Tut dies nicht aus Zwang, sondern freiwillig. Denn so gefällt es Gott. Handelt dabei nicht aus hässlicher Gewinnsucht, sondern tut das bereitwillig. 3 Spielt euch in eurer Gemeinde nicht als Herrscher auf, sondern seid Vorbilder für die Herde.

4 Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den Siegeskranz empfangen, dessen Herrlichkeit unvergänglich ist. (Übersetzung: Basisbibel)

Liebe Gemeinde

Es riecht nach Schafstall! Etwas streng, aber noch erträglich.

Die Herde der Christinnen und Christen war zur Zeit des 1. Petrusbriefes noch überschaubar.

Ihr Mist stank noch nicht zum Himmel.

Sie waren noch nicht besonders mächtig und taten noch nichts Grosses oder gar Gewaltiges.

I          Hirt und Herde

Die anvertraute Gemeinde ist wie eine Schafherde und braucht einen Hirten.

Sie hat keinen Chef nötig, der durch lange Büroflure schreitet und schreit.

Schafställe waren und sind ebenerdig. Sie haben keine oberen Etagen.

Die Gemeinde hat keinen Herrscher nötig, der einsame Entscheidungen fällt.

Aber einen Hirten, der die Herde nicht alleinlässt.

Die Gemeinde hat schon gar nicht einen Diktator nötig, der auf die Versuchung der Macht hereingefallen ist und macht, was er will, weil er vergessen hat, was er sollte.

Jesus Christus wird dabei auch als Hirte, als oberster Hirte, also als Hirte der Hirten vorgestellt (V. 4).

„Mein Chef ist da oben …“, aber

  • nicht als Regent mit grossem Einfluss,
  • nicht als Herrscher mit weitreichender Macht,
  • nicht als Diktator mit brutaler Gewalt,
  • sondern als Hirte, der sein Leben mit den Schafen verbringt.

Das hat Konsequenzen für alle irdischen „Chefsachen“.

Hirten sind demselben Wind und Wetter ausgesetzt wie ihre Herden.

Unsere demokratischen Machtverhältnisse z.B. passen gut zur Idee von Hirt und Herde. Die Gewählten leben unter denselben klimatischen Bedingungen wie die Wähler. Auch dann, wenn es ihnen nicht bewusst ist.

Im 1. Petrusbrief wird nicht gesagt, dass es keine Chefinnen mehr geben dürfte. Im Gegenteil.

Ein Hirte wird gebraucht. Es muss einer da sein, der weiss, wo es langgeht.

Aber jeder dieser Hirten, und sei er noch so klein, zeichnet sich dadurch aus, dass er Rechenschaft ablegen muss.

Allerdings geht es nicht um die Rechenschaft über die Zahlen, von diesem oder jenem, was war oder nicht, was gelang oder missriet, was wurde und wo jemand versagte, sondern um die Rechenschaft von der Hoffnung, die man hegt (1. Petr 3, 15).

Im 3. Kapitel des 1. Petrusbriefes heisst es:

Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

Das hat Konsequenzen für mein Verständnis von Rechenschaft.

Ich überlege mir, ob ich jemals nach meinen Hoffnungen gefragt wurde, als ich Rechenschaft ablegen musste?! Ob es nicht immer darum ging, was ich tat und liess und wollte und vergeigte und hatte und verlor und vornahm und aufgab und schaffte und vergass …?!

Alles Leiten und Dienen soll

II         freiwillig und bereitwillig

… geschehen.

Das wird an zweiter Stelle gesagt, aber es wird doppelt betont.

… nicht aus Zwang, sondern freiwillig

… nicht aus hässlicher Gewinnsucht, sondern … bereitwillig

Als hätte dieser Gemeindeälteste schon geahnt, was später kam.

Wie der ganze Mist einmal zum Himmel stinken würde.

Wenn die Kirche dann erst einmal mächtiger und grösser und gewaltiger geworden sein würde …

Wenn man Rechenschaft von seinen Hoffnungen ablegt, dann wohl von den Befürchtungen gleich mit, wie von selbst.

Es riecht immer noch nach Schafstall, aber unterdessen weniger streng.

In Richtung Freiwilligkeit sind wir einen grossen Schritt weiter.

… nicht aus Zwang:

Man muss am Sonntag nicht in den Gottesdienst.

Man muss nicht Kirchenmitglied sein, um sonntags in den Gottesdienst zu gehen.

Man muss sich nicht sehen lassen.

Man muss nichts.

Aber man kann umso mehr.

Noch nie waren in der Kirche so viele Menschen freiwillig und bereitwillig da und machten mit wie heutzutage.

Früher kontrollierten sogenannte „Umgänger“ am Sonntagmorgen, ob ausser den Wöchnerinnen, ihren Neugeborenen und gebrechlichen Greisen alle Einwohnerinnen und Einwohner vollzählig unter der Kanzel versammelt waren. Gemäss der Chorgerichtssatzung von 1743 für das Berner Untertanengebiet, zu gebrauchen für Stadt und Land, ging es in Schöftland und Umgebung jedenfalls nicht um freiwilliges Erscheinen.

Versäumte jemand den Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen, wurde er zuerst „in Freundlichkeit und Liebe erinneret“ (S. 74), bei mehrmaligen Vorkommnissen aber bald einmal mit einer empfindlichen Geldstrafe belegt. Einer aus Holziken, der während des Gottesdienstes daheim Apfelsaft produzierte, „weil es ihn so nach Most gluschtete“, kam bei diesem ersten Verstoss noch mit einer Verwarnung davon.

Die Strafen wurden im Wiederholungsfall aber bald finanziell schmerzhafter und härter. Man ging von vorherein von wiederholten Verfehlungen aus; jeweils bis zu fünf Taten wurden hintereinander gereiht samt den dazugehörigen Bussen und Strafen. Im schlimmsten Fall endete es mit Landesverweis oder gar der Todesstrafe, je nach Vergehen.

Ich schaue mit grosser Dankbarkeit auf den Wandel der Zeiten.

Etwas hat sich aber nicht verändert: Nach wie vor werden Vorbilder gebraucht.

III       Vorbilder statt Herrscher

Spielt euch in eurer Gemeinde nicht als Herrscher auf, sondern seid Vorbilder für die Herde, heisst es am Schluss des 1. Petrusbriefes. 

Hirte kann werden, wer als Vorbild taugt.

Wer bei sich selbst ausmisten kann, ehe es beginnt, faul zu riechen.

Sich aufspielende Herrscher erkennt man am leichtesten daran, dass man sie nicht nachahmen kann. Denn sie können nicht wollen, dass alle herrschen wie sie.

Wo kämen sie dann hin?

Auf den Misthaufen.

Vorbilder verhalten sich so, dass es jede und jeder so machen könnte.

Wo kommen wir dann hin?

Auf die grüne Weide, ans frische Wasser und nachts in den sicheren Stall.

Guten Hirten kann man nachlaufen.

Kinder lernen ganz am Anfang und am meisten vom Nachmachen ihrer unmittelbaren Vorbilder. Grimassen und Gesten machen sie nach, plappern nach, was grosse Leute sagen, spielen nach, was sie bei den Erwachsenen ernsthaft sehen.

Mag sein, „Vorbild“ ist ein zu grosses Wort für einen kleinen Schafstall.

Bei wem haben Sie abgeguckt, wie man schwimmt?

Wie man sich über Wasser hält?

Schafe können schwimmen, aber nur kurz und im Notfall, bis sich ihr Fell vollsaugt und sie zu schwer werden.

Wer hat sie hellhörig gemacht für die Klänge der Musik?

Bei wem haben Sie gelernt, anderen zuzuhören?

Schafe können jedenfalls die Stimme des Hirten erkennen (vgl. Joh 10, 4-5).

Wer hat Ihnen Lesen und Schreiben beigebracht und wie man sich benimmt?

Wenn ich so frage, dann wird es plötzlich sehr eng hier in der Kirche. Dann füllt sie sich eventuell mit alten Lehrern, wohl auch mit Sonntagsschullehrerinnen, mit geduldigen Grosseltern, mit Paten und Eltern, Geschwistern, Freunden, Kollegen, vielleicht auch mit Roman- und Filmfiguren, wer weiss. Die Kirche füllt sich auch gewiss mit Hirtinnen und Hirten, mit Vorbildern, die das von sich selbst niemals behauptet hätten.

Aber sie riechen alle gut!

Von meinem Vorbild habe ich erzählt, von jenem Pastor Ortmann, der einst sagte:

„Mein Chef … ist da oben, … alles andere … relativiert sich von selbst.“

Alles andere relativiert sich.

Das bedeutet keineswegs, dass es vollkommen unwichtig würde oder ich mich nicht mehr darum kümmern müsste.

„Relativieren“ bedeutet, etwas in eine Beziehung setzen.

Erkennen, dass die Weide einen Zaun hat, aber trotzdem Platz für alle da ist, dass der Mist stinkt, aber das grüne Gras dadurch immer wieder gedeiht,

dass das frische Wasser nicht mir allein gehört, sondern allen …

Alles andere relativiert sich.

Das gilt auch für mich selbst.

Denn manchmal bin ich ein grosses Schaf.

Kein Mensch kann immer Hirte sein.

In solchen Moment kommt es darauf an, nicht sein zu wollen wie Gott – die erste und grösste Versuchung –, sondern den rechten Zeigefinger in die Luft zu pieken, senkrecht nach oben, und sich mit grosser Ruhe und Bestimmtheit zu erinnern:

„Mein Chef ist da oben …“

Etwas poetischer wird diese Einsicht im Psalm 23 vorgestellt.

So beten wir gemeinsam – im RG bei der Nr. 113 –

Der Herr ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führet mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

Du bereitest vor mir einen Tisch

im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

und schenkest mir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,                        

Amen.


Predigt am Sonntag Miserikordias Domini, am 23. 4. 2023, in der Reformierten Kirche Schöftland über 1. Petr 5, 1-4 „Cheffragen“


Pfarrerin PD Dr. Dörte Gebhard

Mail: doerte.gebhard@web.de

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