1. Timotheus 4, 4–5

Home / Kasus / 15. So. n. Trinitatis / 1. Timotheus 4, 4–5
1. Timotheus 4, 4–5

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


15. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 1. Oktober
2000

Predigt über 1. Timotheus 4, 4–5,

verfaßt von Wilfried Theilemann


Bemerkungen zu
Predigt

Liebe Gemeinde, das biblische Wort zum
Erntedankfest, das wir heute feiern, steht im

1. Timotheusbrief und lautet: „Denn alles,
was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit
Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und
Gebet.“ – Wenn wir dieses Wort so unmittelbar hören, klingt
einerseits Befremdliches an, aber andererseits auch etwas, das wir spontan
bejahen können am heutigen Tage. Das ist die Danksagung für die
Ernte, der Dank für das, was wir empfangen, was wir zum Leben brauchen und
durch unsere Arbeit uns erschlossen haben. Dabei denken wir nicht nur an die
Erträge der Felder, Wiesen und Weiden, sondern im weitesten Sinne an all
das, was das Leben am Leben hält, es ermöglicht. Wir haben doch ein
Gefühl dafür, daß das Leben eine Gabe ist, eine gute Gabe, und
dafür dankt man. Daß das Leben ist und nicht vielmehr gar nichts,
das ist gut und dafür ist Dank angesagt. Aber können wir über
dieses Gutsein hinaus sagen, daß alles gut ist? Ist alles, was Gott
geschaffen hat, gut? Dagegen sperrt sich ein anderes Gefühl in uns, ein
Gefühl, das aus Erfahrung spricht. Die Natur selbst hat doch die Dimension
des Katastrophalen: Überschwemmungen, Trockenheit, Erdbeben, Epidemien. Da
können wir nicht sagen, daß alles gut ist. Da gibt es nichts zu
ernten, vielmehr: die Not ist groß. Dazu kommt noch, was alles in Folge
menschlichen Eingriffs in die natürlichen Zusammenhänge
ausgelöst wird. Ein Reaktorunglück hat ein weites Land auf lange Zeit
vergiftet, ernteuntauglich gemacht, das Leben krank gemacht, ein Beispiel. Wir
kommen nicht umhin zu bemerken: ein ambivalentes Gefühl stellt sich ein.
Einerseits ist Dank angesagt für das, was wir zum Lebenserhalt ernten
können. Andererseits verschlägt es uns die Sprache, wenn uns vor
Augen geführt wird, wieviel Not, Hungerstod aus mangelnder Ernte
herrschen, wieviel Unheil um die Welt zieht. Daß alles gut ist,
können wir nicht sagen, dagegen spricht unsere Erfahrung.

Aber wenn wir vom Maßstab unserer
Erfahrung ausgehen als entscheidendes Kriterium, dann erscheint unser Wort als
ein törichtes Wort. Aber die Frage ist, ob es überhaupt ein Wort aus
der Erfahrung ist. Weil aus ihm nicht unsere tägliche Erfahrung spricht,
ist es befremdlich, ja, es mutet uns einiges zu, denn: Alles, was Gott
geschaffen hat, ist gut. Unser biblisches Wort bekennt Gott als den
Schöpfer. Wenn Gott Schöpfer der Welt und allen Lebens ist, wenn er
alles geschaffen hat, hat er dann auch das ganze Übel geschaffen? Das ist
die geradezu unheimliche Frage, die sich uns aufdrängt. Nicht nur,
daß sich diese Frage aufdrängt, sie wird auch zum Stein des
Anstoßes. Denn Gott als Schöpfer bekennen, der alles gut geschaffen
hat, angesichts von Katastrophen und Unheil, das will nicht zusammenpassen.
Für viele Menschen bricht an dieser Stelle der Glaube an Gott zusammen,
das „Ich glaube an Gott, den Schöpfer…“ will nicht mehr
über die Lippen kommen. Und wenn wir dann allein von unserer Erfahrung als
Maßstab ausgehen, können wir allerdings nur noch uns sagen: So ist
es nun einmal mit der Welt. Gutes und Böses, Positives und Negatives,
Leben und Tod, immer ist beides da. Das ist eben so, damit muß man sich
abfinden. Die Welt ist dann nicht mehr Gottes Schöpfung, die Dinge, von
denen wir leben, sind nicht mehr Gaben Gottes. Aus den Gaben wird etwas, das
einfach bloß vorhanden ist, das man zum Leben verbraucht, aber wem sollte
gedankt werden? Aus dem Erntedankfest wird ein Erntefest, wo man die Natur und
den Naturgenuß feiert, die dunklen Seiten der Natur und des Lebens
möglichst im Dunkel des Verdrängens ausblendet. Man kann versuchen,
das Dunkle einfach als gegeben hinzunehmen, das Unerklärliche daran als
unerklärlich stehenzulassen. Man kann es versuchen, aber der Stachel des
Unerklärlichen bleibt.

Aber unser Wort will gerade verhindern,
daß wir meinen, verdrängen zu müssen. Es bekennt Gott als den
Schöpfer der Welt und allen Lebens und hält an diesem Bekenntnis
fest, auch wenn Gutes und Schlimmes, Heil und Unheil immer zusammen da sind.
Unser Wort will daran festhalten, daß alles, was Gott geschaffen hat, gut
ist, und wendet sich dagegen, daß wir Menschen unser Leben in der Welt
abwerten angesichts des Unheils, es für verwerflich erachten, wie unser
Wort es ausdrückt. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere ist,
daß wir versuchen, möglichst lange möglichst viel für uns
selbst aus dem Leben herauszuholen und dabei den Nächsten aus den Augen
verlieren und aus der Liebe fallen.

Hält nun unser Wort den Glauben an den
Schöpfer von allem fest, und zwar angesichts der Lebenswelt wie sie ist
und wie wir sie erfahren, dann will dieses Wort offensichtlich etwas bei uns
erreichen, an uns bewirken, nämlich: daß wir in unserer Erfahrung
etwas anderes mit erfahren, das den Glauben an Gott den Schöpfer
hervorruft. Das ist gleichsam die Dimension, die hinter unserem Wort steht und
von ihm vorausgesetzt ist. Was wir in unserer Erfahrung als unheilvoll, als
verwerflich erachten, wie unser Wort sagt, ist ja etwas, das wir nicht wollen,
nicht wünschen. Aber wir können es nicht aus der Welt schaffen. Das
steht nicht in unserer Macht. Das Unheilvolle, das lebenswidrige Böse, den
Tod können wir nicht aus der Welt schaffen, denn bei aller
Kreativität sind wir nicht Schöpfer. Unsere Kreativität lebt
davon, daß sie immer auf etwas Vorgegebenes zurückgreift, davon
Gebrauch macht. Wenn das so ist, dann zeigt sich doch darin, daß unser
Lebenswille gleichsam auf einen Gegenwillen stößt, dem wir nicht
gewachsen sind. Wir wollen unser Leben haben im Sinne von Besitzen, im Sinne
von eigener Mächtigkeit und Unabhängigkeit. Niemand ist von diesem
Bestreben ausgenommen, das ist gleichsam urwüchsig in jedem von uns da.
Ebenso wollen wir uns und unser Leben selbst bestimmen, man möchte sein
eigener Herr sein und im eigenen Haus leben, möglichst unabhängig von
Abhängigkeiten. Und doch erfahren wir eine Gegenmacht, einen Gegenwillen,
der uns Grenzen setzt, die nicht von uns zu überwinden sind. Es ist
gleichsam das verschlossene Paradies, dessen Tor wir nicht öffnen
können und dessen Mauer wir nicht überwinden können. Das ist der
Widerspruch in unserem Leben: wir wollen sein, was wir nicht sind. Wir
möchten ein Leben, das uns aber versagt ist. Und wenn wir das nicht
einfach resignativ hinnehmen wollen, dann müssen wir uns von unserem Wort
sagen lassen, was es voraussetzt: daß unser Leben von Gott geschaffen
ist, gut geschaffen ist, nur daß wir unsere Abhängigkeit vom
Schöpfer in einen Willen zur Autonomie, in einen Willen zur
Eigenmächtigkeit verkehrt haben. Und nun leiden wir daran, daß
Gottes Allmacht es verhindert, daß wir mit unserem Lebenswillen
durchkommen, ein Wille, der Gottes Allmacht nicht von vornherein vorbehaltlos
anerkennt und in unserem Lebensvollzug verwirklicht. Das ist der Entzug der
Anerkennung Gottes als des Herren und zugleich die Undankbarkeit gegen Gott,
weil er nicht so ist und handelt, wie wir wollen und wünschen. Es ist der
Mißbrauch der Freiheit, zu der uns Gott geschaffen hat, der Freiheit, die
ihre Grenze darin hat, daß sie von Gott geschaffene Freiheit ist und in
ihrem Wesen es auf immer bleibt. Daß unser innerster Lebenstrieb dies
nicht wahrhaben und anerkennen will, das ist unsere Verkehrtheit vor Gott, die
nun die Unheilsdimension unserer Wirklichkeit widerspiegelt, das Scheitern
unseres Wollens und Wünschens an der Wirklichkeit, die Gebrochenheit des
Lebens durch Unheil und Tod. Die Abkehr von Gott schlägt um in die
Verkehrung ins Unheilvolle unserer ganzen Lebenswelt.

Wenn wir im Glauben das Gottesverhältnis
bewahren, werden wir uns durchsichtig für uns selbst. Das geschieht
zuhöchst, wenn wir sehen, daß menschliche Verkehrung vor Gott zum
Kreuz auf Golgatha geführt hat, und wenn wir auf das christliche
Urbekenntnis hören: Gott hat den Getöteten ins Leben
zurückgeholt. Erst in diesem Urbekenntnis werden wir uns so durchsichtig,
wie wir in Wahrheit vor Gott zu stehen kommen. Denn Gottes Antwort auf unser
verkehrtes Streben und Wollen ist die Zusage seines Heils durch alles Unheil
hindurch. Daß Gott den Gekreuzigten zu sich ins Leben geholt hat, das
läßt uns Gott ins Herz schauen. Er zeigt sich da als der, der seinem
Heilswillen treu bleibt, diesen Willen bestätigt hat und dadurch uns die
Möglichkeit eröffnet, nun im Glauben an die unbeirrbare Liebe Gottes
neu zu leben. Der Glaube stiftet ein neues Grundverhältnis unseres Lebens
in der Welt, darum ist Glaube auch Schöpfungshandeln Gottes. Gott schafft
durch den Glauben die Freiheit neu, die wir Menschen in der Verkehrung des
wahren Verhältnisses zu Gott verloren haben. Es ist eine ganz
eigentümliche Freiheit, weil sie nämlich mitten in allen
Unheilsabhängigkeiten Bestand hat. Daß Gott durch alles Unheil und
Tod hindurch an seiner Lebenszusage festhält, läßt uns gerade
in aller Anfechtung durch soviel heillose Wirklichkeit mehr auf Gott vertrauen
als auf das Sein im Hier und Jetzt. Daß wir auf Gottes
grundsätzliches Versöhnugshandeln in Christus vertrauen dürfen,
läßt uns in aller Not des Lebens aufatmen. Gottes
schöpferisches Handeln in Christus ermöglicht es nun, daß wir
Gott danken können. Danksagung ist unsere Antwort auf Gott als den
Schöpfer des uns zugesagten Lebens.

Mit solcher Grundeinstellung des Dankes zu Gott
als dem Schöppfer eröffnet sich der rechte Umgang mit den Gaben
Gottes. Alles, was geschieht, kommt auf verborgene Weise von Gott und will uns
auf Gott als den Herren über alles Leben ausrichten und durch alles, auch
durch das in die Anfechtung stürzende Leiden-Müssen hindurch, auf
Gott als den Vater ausrichten, der uns das endgültige Leben zugesagt hat.
In solcher Ausrichtung lernen wir, die Gaben des Lebens so zu genießen,
daß es geschenkte Gaben bleiben, für die zu danken ist, und nicht
zum Besitz werden, dessen Verlust nur in die Verzweiflung führt. Das aber
ist die christliche Freiheit, die wider alles Unheil nicht zum Scheitern
verurteilt ist, sondern Leben in rechter Weise möglich macht. Amen.

Bemerkungen zu Predigt:

Leitgedanke: Alles ist gut! – Ist alles
gut?

Der historische Sitz im Leben des Textes ist
die antignostische Stoßrichtung. Die spekulative Ontologie der Gnosis
führt zu einer Abwertung der Grundsituation diesseitigen Lebens und damit
zu einer entsprechenden Haltung des Gnostikers, entweder harte Askese oder ein
ebenso der Selbstvernichtung dienender reiner Libertinismus. Vgl. dazu die
Homiletische Auslegung von G. Voigt. Der hermeneutische Ansatz zur Predigt war
die Frage, wie es heute mit dem Glauben an Gott als Schöpfer steht, der
die Bedingung zur Dankbarkeit ist. Zur Theologie der Schöpfung ist
hifreich der TRE-Artikel „Schöpfung“. Die Frage, auf die ich bei
den Gemeindegliedern stoße, ist die Ungewißheit in Bezug auf die
Gaben der Schöpfung als gute Gaben zum Leben einerseits und der oft so
geradezu grausamen Weise des unheilvollen Entzugs dessen, was das Leben so
„lebenswert“ macht. Diese Ambivalenz ist die hintergründige
Frage gerade am Erntedankfest. Sie sollte bewußt aufgenommen werden, um
die Grundstellung dessen, was Glaube an Gott den Schöpfer ist, in einigen
Gedankenschritten deutlicher zu machen.

Wilfried Theilemann
e-Mail:
w.theilemann@luth-braunschweig.de

Am Fallersleber Tore 9
38100
Braunschweig
Tel.: 0531 1 83 20
Fax: 0531 1 83 21

de_DEDeutsch