Jakobus 5,13-16

Home / Kasus / 19. So. n. Trinitatis / Jakobus 5,13-16
Jakobus 5,13-16

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


19. Sonntag
nach Trinitatis, 29. Oktober 2000

Predigt über Jakobus 5,13-16,
verfaßt von Andreas Pawlas


5,13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist
jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 5,14 Ist jemand unter euch krank, der
rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten
und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 5,15 Und das Gebet des
Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er
Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 5,16 Bekennt also einander
eure Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet. Des
Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Liebe Gemeinde!

„Da hilft nur noch Beten!“ Bekommt man
das nicht in so einem ganz merkwürdigen Ton gesagt, wenn die Lage wirklich
hoffnungslos ist? Wenn alle Medikamente keinen Erfolg bringen, so
viele Operationen nichts gebessert haben und schon so viel Geld für
alternative Behandlungen und Mittel ausgegeben worden sind, daß man nicht
mehr kann, – ja dann kommt von einem mitfühlenden Arzt oder
einer mitfühlenden Schwester oder auch von einem mitfühlenden
Mitpatienten dieser Satz „Da hilft nur noch Beten!“ Und wie ist das
denn eigentlich? Wird denn dann auch tatsächlich gebetet? –

Wie? Sie meinen, man findet dann
nicht zum Gebet? Sie meinen tatsächlich, man würde
nicht zum Gebet finden, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, wenn man
schon alles andere versucht hat, wenn man sich schon die Hacken schief gelaufen
hat, um endlich, endlich hilfreiche Lösungen zu finden? Wenn ich dagegen
zurückdenke an die Tausende von Menschen, die ich im Krankenhaus besucht
habe und die ich in ihren Krisensituationen miterlebt habe, da ging es mir doch
fest regelmäßig so, daß ich als Pastor meist gar nicht erst zu
fragen brauchte, ob etwa jemand betet oder nicht. Sondern fast
unwillkürlich war das Gebet nahezu immer da. Nein,
natürlich nicht in jedem Fall mit in gepflegten oder wohlformulierten
Sätze. Aber dieses betende Ächzen, dieses stöhnende Betteln und
Jammern, das kannten wirklich fast alle, das hatten eigentlich
jeder durchgemacht.

Übrigens was ebenfalls fast alle kannten,
war, wie einen die Frage nach dem „Warum“ umtreiben und
richtig besessen machen kann. Ja, diese Frage nach dem „Warum“ war
es, die einen nicht loslassen wollte, die dann mit Wimmern und Klagen vor Gott
gebracht wurde und die einen in Fieberträumen nicht nachließ zu
peinigen. Mit der Frage nach dem „Warum“ wurde Gott auch
angefleht, angeschrien und zur Rede
gestellt. Und im gleichen Zuge wurde dann auch dem Pastor bittend oder fordernd
die Frage nach dem „Warum“ weitergegeben: „Warum muß
ausgerechnet ich denn so leiden?“ „Warum muß denn
gerade mich dieses Elend und diese verfluchte Krankheit treffen?
Was habe ich denn getan? Ich war doch immer ein ehrlicher Mensch!
Was habe ich denn verbrochen

Wird man als Pastor so eindringlich befragt, dann
wollen einem natürlich sofort die Stellen der Bibel in den
Sinn kommen, nach denen Krankheit wirklich nichts mit Sünde zu tun haben
muß. Und von den Medizinern hört man ja sowieso, daß
wissenschaftlich die Ursache der Krankheit allein in der Wirksamkeit
irgendwelcher Viren oder Bakterien, zu suchen sei.

Aber was wollten solche Worte oder
wissenschaftlichen Erwägungen helfen gegen die in dem schmerzenden
Körper trotzdem stechende Frage nach dem „Warum“: „Warum
bin denn ausgerechnet ich nun mit diesem Virus infiziert worden?
Wer sagt mir endlich warum? Wo ist denn dabei meine Schuld?“ So werden
viele Menschen mit der Frage nach der Schuld, nach Ursache und Wirkung einfach
nicht fertig. Und was sollte es dagegen eigentlich für eine Medizin geben?
So bleibt für viele nur dieses schlimme Gefühl, wie sich die Frage
nach dem „Warum“, nach der Schuld, scharf und schmerzhaft immer
weiter
in Leib und Seele hineinbohrt.

Gehört nun eigentlich unmittelbar zu unserem
Leben als moderne und aufgeklärte Menschen die feste Überzeugung,
daß wir alle Antworten auf diese und ähnliche bohrenden Fragen nur
allein und zwar ganz allein finden können und
auch finden müssen? Aber wie ist das denn eigentlich dazu
gekommen, daß dieser einfache Satz des Jakobus
„Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander,
daß ihr gesund werdet.“ so unpopulär geworden ist? Wie ist das
denn eigentlich dazu gekommen, daß das „Jemand anders
seine Sünden bekennen“, also daß die Beichte so
vollkommen aus dem Bewußtsein von uns modernen Menschen verschwunden ist?
Immerhin hatte sie doch noch zu Luthers Zeiten fast noch das Gewicht eines
Sakraments. Das kann man sich doch noch so wunderbar auf dem
schönen Cranach-Altar in Luthers Predigt-Kirche in Wittenberg anschauen.

Fehlt da etwa einfach nur ein Bißchen
Übung? Sollte das so sein, daß allein fehlendes
Training der Grund ist, weshalb da ein Stück Sprachlosigkeit in unsere
Gottesdienste und in unsere Häuser und Krankenhäuser eingezogen ist?
Und wir, müßten nur genügend wieder einüben, einander zu
beichten, oder sogar auch wieder für die Krankensalbung mit Öl
werben, wie es die Katholische Kirche aus diesem Bibelwort ableitet und sogar
zum Sakrament gemacht hat? Aber warum sollte hier die Evangelische Kirche nicht
von der Katholischen zu lernen können? Allerdings wie sollte
es schnell gelingen, solche tiefgehenden seelsorgerischen Handlungen im
Gemüt gesunder und kranker Menschen wieder zu verankern? Und
außerdem hören wir doch genauso von katholischer Seite
die Klage vom Abbruch ihrer Beichttradition.

Oder könnte es sein, daß deshalb das
„Jemand anders seine Sünden bekennen“, also daß deshalb
die Beichte so vollkommen aus dem Bewußtsein von uns modernen Menschen
geschwunden ist, weil uns christlichen Brüdern und Schwestern, uns Laien
und Seelsorgern etwa genügend Sachkompetenz fehlt? Haben wir
etwa in der christlichen Gemeinde verlernt, für andere unser
Ohr zu öffnen, anderen unsere ganze
Aufmerksamkeit
zu schenken, wenn es um Beichte geht? Und haben wir
vielleicht auch genauso das Vertrauen verloren, daß da,
wenn uns körperliche und seelische Schmerzen drücken, daß da
jemand da ist, der uns wirklich aufmerksam und
einfühlsam zuhört, und dessen
„Urteil“, bzw. dessen Vergebung wir in
Gottes Namen annehmen können?

Oder stimmt das alles zusammen überhaupt
nicht? Und wehren wir uns aus ganz anderen Gründen gegen das
Bekennen unserer Sünden und das füreinander zu beten, um gesund zu
werden? Könnte unserer Widerstand gegen einen solchen einfachen und
urchristlichen Umgang miteinander etwa darin liegen, weil es für uns hier
in unseren Breiten so etwas wie eine Schwelle der doppelten
Demütigung
gibt, die uns hier blockiert, abhält und uns auf
uns selbst zurückwirft: nämlich als erste Demütigung, etwas ganz
Persönliches von mir sagen und preisgeben müssen, mein
Herz wirklich öffnen müssen, und als zweite Demütigung; dann
sogar noch jemandem mitteilen müssen, wie schlimm es in
diesem ganz intimen Bereich aussieht, zugeben zu müssen, wo ich
versagt habe, oder wo mir etwas nur unter der Hand
böse geraten ist, oder wo ich ganz bewußt Böses gewollt habe,
vielleicht sogar, wo ich so Übles getan, gesagt oder getan
habe, daß es mir nur peinlich sein kann und ich
darüber schon gar nicht mehr schlafen kann. Nein, und wer
wollte sich freiwillig so bloßstellen? Wer wollte nicht, wo
immer er kann, noch einen letzten Rest Würde und
Selbstachtung bewahren wollen?

Das ist ja alles gut verständlich und dennoch
wissen wir, wie schnell gerade schlimme Krankheit alles in
unserem Leben anders machen kann. Und da muß ich an eine Szene in einem
Krankenzimmer denken, wo alles Bohren und Kränken von Schuld einen
ehemaligen KZ-Aufseher an Leib und Seele so weit getrieben hatte,
daß es in seinen letzten Stunden im Krankenhaus, förmlich alles aus
ihm herausbrach, was da an Schlimmen getan und erlebt war, da war
ihm alle Würde und Selbstachtung völlig egal, da war es
ihm völlig egal, daß er immerhin in einem
Sechsbett-Zimmer lag und alle anderen fünf das mit
anhören konnten, was er mir da in seiner letzten Not alles
aus seinem Leben zuschrie. Und was sollte dann da anderes übrigbleiben bei
so viel Grausamen und Entsetzlichem, als alles mit ihm voller
Erschütterung im Gebet vor Gottes Angesicht zu bringen und auf Gottes
Gnade und Barmherzigkeit zu hoffen?

Aber warum sollte ein jeder durch ein solches
Fegefeuer gehen müssen? Warum können wir nicht als nach wie vor
selbstbewußte Menschen, viel natürlicher und
unbefangener auch unsere kleineren Nöte und Fehler vor Gott
bringen, sie einer Schwester oder einem Bruder im Glauben oder dem
zuständigen Gemeindepastor benennen und dann mit ihr oder mit ihm um
Vergebung und um Besserung beten? Warum gelingt es uns nicht als
selbstbewußten Menschen, uns viel natürlicher und
unbefangener darauf zu verlassen, daß der Herr uns
aufrichten wird; und daß er uns unsere Sünden vergeben
wird, und wir wieder gesund werden an Leib und Seele?

Oder haben wir etwa zu viel schlechte Erfahrungen
gemacht? „Herr Pastor, was habe ich gebetet und gebetet, und das
Magengeschwür ist nicht weggegangen, mein Auge ist nicht besser geworden,
mein Bein schmerzt nach wie vor!“. Warum also dann noch beten?

Aber was sind das denn für
Erfahrungen? Sind das nicht Erfahrungen die zum Umgang mit einem Automaten
gehören, der nicht funktionieren will? Wer aber wollte denn von unserem
Gott so gering und so mechanisch denken! Denn unser Gott ist doch kein
Automat
! Und so zu beten, ist doch im Grunde kein Gebet! Warum? Weil
doch solche „Auftragserteilung“ an Gott weder mit einem echten Bitten
zu tun hat noch mit dem festen Vertrauen, daß der allmächtige Gott
nach seinem Versprechen uns barmherzig und gütig sein will. Und wenn ich
Gott so wirklich ernst nehme in seiner Macht, zu heilen und zu bessern, wie
wollte ich ihm denn vorschreiben wollen und können, wie und wann er das zu
tun hat? Dabei gilt es ja ganz bestimmt, daß das Gebet des
Glaubens dem Kranken helfen wird, – ja auch durch das fürbittende Gebet
der ganzen Gemeinde – und daß der Herr den Kranken aufrichten wird; und
wenn der Kranke Sünden getan hat, daß die ihm vergeben werden. Aber
auf welche Weise und wann – vielleicht ja erst im Reich Gottes, aber dann
spätestens – das alles liegt in Gottes guter Hand.

Ja, vielleicht ist das das ganz Entscheidende:
eben im Gebet die Kraft und Gewißheit zu finden, daß Gott es ganz
bestimmt mit meinem Leben gut machen wird, sei es in Krankheit
oder Gesundheit. Vielleicht ist das das ganz Entscheidende: im Gebet durch
Jesus Christus die feste Gewißheit zu finden, daß Gottes
Barmherzigkeit und Güte bis in Ewigkeit viel
größer ist als alles, was ich in meinem Leben falsch
gemacht habe und was ich in meinem Leben an Schuld auf mich geladen habe. Wer
das erfährt, der kann trotz allen Leides guten Mutes sein und Psalmen und
neue und alte Kirchenlieder singen. Wenn ich so selber beten kann in Gesundheit
und Krankheit – allein oder mit vertrauten Brüdern oder Schwestern im
Glauben -, dann werde ich ganz bestimmt erfahren, daß des Gerechten Gebet
viel vermag, wenn es ernstlich ist. Ja, genauso im Gebet gehalten und getragen
zu werden durch gute Tage und durch schlechte bis hin in Gottes ewiges Reich,
das schenke uns allen um Jesu Christi willen der allmächtige und
gütige Gott. Amen.

Dr. Andreas Pawlas
Kontaktadresse: Andreas.Pawlas@web.de

de_DEDeutsch