Johannes 2,1-12

Johannes 2,1-12

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

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Predigtreihe
„Maria“

18. Sonntag nach
Trinitatis, 22. Oktober 2000
Johannes 2,1-12
Maria
Widl


Die Hochzeit zu Kana

Am dritten Tag fand in Kana in
Galiläa eine Hochzeit statt, und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und
seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. Als der Wein ausging, sagte
die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was
willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter
sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! Es standen dort sechs
steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungsvorschrift der Juden
entsprach: jeder fasste ungefähr hundert Liter. Jesus sagte zu den
Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum
Rand. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt, und bringt es dem, der für
das Festmahl verantwortlich ist. Sie brachten es ihm. Er kostete das Wasser,
das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber,
die das Wasser geschöpft hatten, wussten es. Da ließ er den
Bräutigam rufen und sagte zu ihm: Jeder setzt zuerst den guten Wein vor
und erst, wenn die Gäste zuviel getrunken haben, den weniger guten. Du
jedoch hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. So tat Jesus sein
erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit, und
seine Jünger glaubten an ihn. Danach zog er mit seiner Mutter, seinen
Brüdern und seinen Jüngern nach Kafarnaum hinab. Dort blieben sie
einige Zeit.

Es gibt in der Bibel nur wenige
Stellen, wo die Mutter Jesu vorkommt. Einmal ist das die lukanische
Kindheitsgeschichte, wo mehrfach von Maria berichtet wird: Sie ist mit Josef
verlobt, empfängt ihr Kind aber vom Hl. Geist. Sie geht zu Elisabeth, wird
von dieser als Gottesmutter erkannt und singt daraufhin das Magnificat. Sie
bringt Jesus zur Welt, während sie wegen ihrer Bürgerpflichten auf
Reisen ist, und Engelchöre stimmen das Gloria an. Sie bringt den
Neugeborenen gemäß jüdischem Gesetz im Tempel dar und der
greise Simeon preist Gott im Nunc dimitri. Der 12jährige Jesus
schließlich bleibt bei der gemeinsamen Fahrt zum Osterfest im Tempel in
Jerusalem zurück, rechtfertigt sich auf sonderbare Weise –
„Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater
gehört? – und Maria „bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem
Herzen“. Bei Matthäus kommen nach der Geburt die Weisen aus dem
Morgenland, daran schließt sich die Flucht nach Ägypten. Bei
Johannes spielt „die Mutter Jesu“ – der Name Maria wird nicht
genannt – eine zentrale Rolle bei Jesu erstem öffentlichen Zeichen
auf der Hochzeit zu Kana. Danach kommt sie noch einmal vor: Sie steht unter dem
Kreuz, wo ihr der Lieblingsjünger an Sohnes statt anvertraut wird. –
Alles in allem ein bewegtes Leben für eine Frau ihrer Zeit, voll mit
Ansatzpunkten für das politisch-emanzipative Bewusstsein heutiger Frauen.
Das ist die eine, die neue Seite Marias.

In der kirchlichen, zumal der
römisch-katholischen und der ostkirchlichen Tradition, ist Maria ein
zentraler Sammelpunkt der Frömmigkeit – nicht zuletzt stehen ein
Gutteil der biblischen liturgischen Gebete im Zusammenhang mit ihr. Bei
zahlreichen Ordensgründungen und insgesamt für die priesterliche wie
die Laienfrömmigkeit stand Maria im Mittelpunkt. Dem entspricht die
große Zahl an Marienfesten im Kirchenjahr, Wallfahrtsorte und
Kirchweihen, die kirchliche Kunst, Gebete und Lieder bis hin zu dem
Marienerscheinungen und Wunderheilungen. Maria als „Mutter aller
Gnaden“ konnte da leicht den Blick auf Jesus Christus als eigentlichen
Heilsmittler verstellen. Entsprechend reserviert verhielt sich der
Protestantismus dem Phänomen gegenüber, die Katholiken zogen seit dem
Konzil in den 60er-Jahren des 20. Jhs. nach. Für moderne ChristInnen galt
Marienfrömmigkeit als zu überwindendes Relikt unaufgeklärter
Zeiten, bis die kontextuelle Theologien Maria in ihrer politischen Brisanz neu
entdeckten, primär auf dem Boden der biblischen Zeugnisse, speziell des
Magnificat. Neue religiöse Laienbewegungen schließen auf
traditionale Weise an die alte Frömmigkeit an.

In der Dogmengeschichte gibt es
zwei wichtige Aussagestränge über Maria. Der eine beruht auf der
Gegenüberstellung von Eva und Maria: Wo Eva durch ihren Ungehorsam das
Paradies verriet und die Sünde in die Welt brachte, bringt Maria durch
ihren Glauben Gottes Heil zur Welt. Die älteste theologische Aussage
über Maria steht entsprechend in der Auseinandersetzung darüber, wie
Christus recht zu sehen ist. Maria ist „Gottesgebärerin“, so
einigt man sich auf dem Konzil von Ephesos im Jahre 431. Dem zugeordnet ist das
Dogma über die Jungfräulichkeit Mariens: Wenn die Erbsünde durch
Zeugung weitergegeben wird, so beginnt mit Jesus Christus eine ganz neue Zeit,
wo die Logik der Erbsünde durchbrochen ist.

Der zweite Aussagestrang zu
Maria ist ihre Heilsmittlerschaft als Urbild der Kirche. Insofern Maria sich
nur Gott hingibt und ihm ganz gehorsam wird, bringt sie sein Heil zur Welt. Da
Maria ihre Gotteshingabe ganzheitlich lebt, also bis ins letzte verleiblicht,
wird sie auch mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen, so das zweite
Mariendogma. Sie ist „das erste Glied am mystischen Leib Christi“, in
dem sie die Erlösung für alle empfängt. In dieser Mittlerschaft
für das göttliche Heil ist Maria die Mutter der Kirche. Indem diese
wie Maria alles getreulich bewahrt, was Christus gesagt hat; indem sie
gläubig und gehorsam den oft schwierigen Weg der Nachfolge geht; indem sie
treu unter dem Kreuz steht, wird die Kirche wie Maria zur Mutter aller Gnaden.
Für die private Frömmigkeit ist daher Maria Vorbild im Gehorsam, im
Dulden der Leiden und in der Hingabe an den Herrn. Damit wird sie gleichzeitig
zur „Fürsprecherin in jeder Not“, zum „Schutz und Schirm in
jeglicher Gefahr“.

Maria wie Kirche stehen damit
in der gleichen Aufgabe wie Gefahr: Mittlerin zu sein zwischen Gott und den
Menschen, die Gnaden auszuteilen, das Heil zuzusagen und die Klage
weiterzutragen – Aufgaben, die auch heutige Menschen von der Kirche
erwarten, gerade die sogenannten „Fernstehenden“. Als Kehrseite davon
drohen Maria wie die Kirche den Blick auf Christus und Gott zu verstellen,
vielleicht ihn in manchen Formen der Volksfrömmigkeit sogar zu ersetzen.
Entsprechend hat die moderne biblische Frömmigkeit – beginnend bei
Martin Luther, in der katholischen Kirche seit der Konzilszeit – Jesus
Christus in den Mittelpunkt des Glaubens gerückt und Maria und die Kirche
in der Laienfrömmigkeit eher zur Seite geschoben.

Neuerdings wird die politische
Seite Marias wiederentdeckt: Sie preist Gott, weil er „die Mächtigen
vom Thron stürzt“ und „die Niedrigen erhöht“, sie geht
couragiert ihren eigenen Weg inmitten der politischen Wechselfälle ihrer
Zeit. Sie bringt als eine Frau Gott zur Welt – Analogien zu matriarchalen
Religionen sind verführerisch, wenn auch nicht sachgerecht. Faktisch
trennt ein Graben die Verfechter der traditionalen und der politischen
Marienbetrachtung. Interessant ist, dass gerade unsere Bibelstelle von der
Hochzeit zu Kana eine Brücke ermöglichen kann.

Es wird von einer Hochzeit
erzählt, die wohl in der Verwandtschaft Jesu gefeiert wird, sonst
hätten die Diener nicht Maria als erste und einzige eingeweiht, dass ein
Debakel droht: der Wein ist aus. Damals wie heute: wenn der Wein aus ist,
zerstreuen sich die Gäste, das Fest ist zu Ende. Ein Hochzeitsfest ist nun
eine ganz besondere Sache: Wie kein anderes Ereignis steht es an der
Schnittstelle zwischen der privaten und der gesellschaftlichen Seite des
Lebens. Wer Hochzeit feiert, macht seine private Liebe zu einem
öffentlichen Fest. Wer auf der Hochzeit zu Kana seine private Liebe
öffentlich gefeiert hat, ist nicht überliefert. Was der Evangelist
Johannes erzählt, ist eine andere Offenlegung: Jesus, der gerade eben
seine private Berufung erfahren (die Taufe im Jordan) und seine ersten
Jünger um sich geschart hat, wirkt sein erstes Wunder, macht seine private
Berufung öffentlich sichtbar. Seine Mutter hat es in die Wege geleitet.
Ein zweites Mal bringt sie Jesus damit im wahrsten Sinne des Wortes „zur
Welt“.

Jesus weist sie zurück:
„Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Drei Jahre später, wenn
seine Stunde gekommen sein wird, ist Maria wieder dabei, unter dem Kreuz. Hier
besiegelt er mit seinem Blut, was er tags zuvor im Mahl mit den Jüngern
symbolisch vollzog: aus Wein wird sein Blut. „Selig, wer zum Hochzeitsmahl
des Lammes geladen ist“, wird es in Off 19,9 heißen.

Zwischen dieser ersten Hochzeit
zu Kana, wo Jesus mit dem Weinwunder sein öffentliches Wirken beginnt und
der Wein in Strömen fließt, und der „Hochzeit des Lammes“
am Kreuz, wo sein Blut in Strömen fließt, steht Jesu Zeit als
Wanderprediger. In immer neuen Gleichnissen erzählt er vom Himmelreich. In
Mt 22,1-14 gleicht das Reich Gottes einem königlichen Hochzeitsmahl, zu
dem die geladenen Gäste nicht kommen, bis der Gastgeber erbost über
sie die Obdachlosen, Sandler und Streuner von den Straßenrändern in
den Festsaal holen läßt. Das Matthäusevangelium rundet dieses
Motiv zu seinem Abschluss mit der Predigt vom Weltgericht ab, wo die Guten und
die Bösen geschieden werden je nachdem, ob sie ein Herz für die
Hungernden, Frierenden und die Gefangenen hatten – für die
Außenseiter und Verbrecher eben, die kein Mensch zu seiner Hochzeit
einlädt. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht
die Niedrigen“ singt Maria im Magnificat.

Auf der Hochzeit zu Kana wird
Wasser zu Wein, weil die Diener tun, was Jesus sagt, ohne ihn zu verstehen. Wie
in allen späteren Jesus-Wundern auch ist es immer der Glaube, durch den
sie geschehen. Jesus tritt nicht als großer Magier auf, der irgendwelche
geheimnisvollen Riten vollzieht oder Sprüche murmelt. Nach der Schrift
geschehen alle Wunder allein im Glauben. Das Motto all dieser Wunder ist das
erste, das auch schon das letzte ankündigt: es ist Hochzeit, die private
Liebe der Brautleute zueinander, Marias zu Jesus, Jesu zum Vater wird
öffentlich. Als das Fest zu scheitern droht, als der Wein zu Ende ist, als
das Volk Israel keine Zukunft mehr sieht, da erscheint Jesus in seiner
Herrlichkeit. Der neue Wein ist besser als der erste, das Fest wird jetzt erst
so richtig beginnen. Maria, die Mutter des Glaubens, die Mutter der Kirche, hat
Gott erneut zur Welt gebracht. Eine Kirche, die dieser Mutter im Glauben folgt,
wird fromm und gehorsam, wach und politisch gleichermaßen sein. Und alle
Frauen, auch die modern denkenden, mögen im Blick auf Maria immer wieder
dazu inspiriert sein, durch ihren Blick für das was Not tut, Gott im
Alltag „zur Welt“ zu bringen.

Univ.-Doz. Dr.habil. Maria
Widl, Pastoraltheologin in Wien

E-Mail:
maria.widl@univie.ac.at

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