100-jähriges Bestehens des Turnvereins Guts Muths

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100-jähriges Bestehens des Turnvereins Guts Muths

Ansprache im Gottesdienst bei den Dorfmeisterschaften
im Jahr des 100-jährigen
Bestehens des Turnvereins Guts Muths; Scharzfeld, am 6. Juli 2003 (3.
Sonntag nach Trinitatis)

Liebe Gemeinde hier auf dem Schulhof,

diese Dorfmeisterschaften sind
gut besucht wie immer und werden heute Abend sicher wieder der volle
Erfolg gewesen sein, über den wir uns noch jedes Jahr freuen konnten;
und doch gibt’s es in diesem Jahr auch etwas besonderes: Zum einen
feiert der Scharzfelder Turnverein in diesem Jahr sein 100-jähriges
Bestehen.- den Festkommers in der vorigen Woche werden wir so schnell
nicht vergessen- und zum ersten mal können auch die Gottesdienstbesucher
von Anfang an bei den Dorfmeisterschaften dabei sein. Wir haben uns im
Kirchenvorstand sehr darüber gefreut, als der Vorsitzende des Turnvereins
beim Kirchfest im vergangenen Jahr auf zu uns zukam, und vorschlug, die
Dorfmeisterschaften mit einem Gottesdienst zu beginnen.

Das ist ein schönes Zeichen für die guten Beziehungen zwischen
Kirche und Dorf und wir kommen der Bitte gerne nach.

Wir freuen uns darüber, endlich wieder einmal mit einer so großen
Gemeinde Gottesdienst halten zu können und als Kirchengemeinde davon
profitieren zu dürfen, dass die Meisterschaften stets große
Resonanz in unserem Dorf finden.

Auch sehe ich keineswegs bloß aktive Sportlerinnen und Sportler
heute morgen. Vielmehr haben sich alle Generationen hier versammelt,
und mancher ist von weither angereist, um zu diesen Meisterschaften wieder
einmal in seinem Heimatdorf zu sein.

Für viele Ältere ist dieser Tag mit Erinnerungen verbunden,
Erinnerungen, die sich am besten dann pflegen lassen, wenn nun Jüngere
die Wettkämpfe austragen, an denen man vor Jahrzehnten selbst teilgenommen
hat. Die Dorfmeisterschaften gehören zur Geschichte unseres Dorfes
und zur Lebensgeschichte vieler unter uns.

Und doch: bei aller Gemeinschaftlichkeit kann nicht übersehen werden,-
und die Unruhe unter den Jüngeren zeigt dies schon- dass wir heute
zusammengekommen sind, um Unterschiede zu ermitteln: am Ende werden Sieger
und Verlierer dastehen, und auch wer nicht aktiv dabei ist, wird sich über
manchen Sieg freuen, über manche Niederlage aber etwas traurig sein
oder ärgern.

Ohne Wettkampf wäre der ganze Tag heute nur halb so spannend.

Doch enden, das ist auch sicher, soll der Tag nicht im Hader zwischen
Siegern und Verlierern, sondern in dem Einklang, in dem wir heute Nachmittag
bei buntem Programm feiern wollen.

Vielleicht ist uns das gar nicht so bewusst, welch hohes Gut das eigentlich
bedeutet und auch welch sportliche Leistung, dass wir an solch einem
Tag, der doch im Zeichen des Wettkampfs beginnt, nachmittags und abends
wieder gemeinsam feiern.

Sport kann nur Sport bleiben, wenn nach dem Wettkampf nicht zwischen
Siegern und Verlieren getrennt werden muss.

„Lieber tot als Zweiter“, so war es letztens in unserer
Zeitung zu lesen, als über Entwicklungen im Leistungsport geschrieben
wurde, die dann tatsächlich dazu geführt hatten, dass ein Radsportler
wegen Doping sein Leben lassen musste.

Doch nicht nur im Hochleistungssport gibt es diese Versuchung, den Sieg über
alles zu setzen.

Sicher spornt der Siegswille die Leistung an, und wer antritt und nicht
erster werden will, der wird vermutlich nicht einmal zweiter oder dritter.
Auch hat mancher Erfolg, gerade weil er sich einredet: heute muss ich
gewinnen.

Entscheidender und gefährlicher scheint es mir zu sein, wenn dieser
Druck nach dem Wettkampf weitergeht und wenn der, der gesiegt hat, und
der, der verloren hat, den Weg zu den Konkurrenten nicht mehr sucht.
Dann wird leicht vergessen, dass alle Leistung und gerade die sekunden-
und millimeterkleinen Fortschritte und Unterschiede, die schließlich
zum hauchdünnen Sieg führen mögen, sich nur entwickeln
können, weil andere mitkämpfen und herausfordern.

Um einen Sieger zu ermitteln, müssen schließlich alle erst
einmal loslaufen, und je ausgeglichener das Feld der Verfolger, umso
mehr wiegt der knappe Sieg.

Sport, egal ob Einzel- oder Mannschaftssport, kann nur in Gemeinschaft
gedeihen.

So kann der Sport etwas sehr schönes sein und vor allen Dingen
dem Menschen gemäßes: Johann Christoph Friedrich GutsMuths,
der vor über 200 Jahren nicht weit von hier in Quedlinburg geboren
wurde, und der so viel für die Entwicklung des Sports getan hat,
dass noch heute viele Turnvereine wie der unsrige nach ihm benannt sind,
hat darin den Sinn des Turnunterrichts an den Schulen gesehen, dass sich
der Mensch seinen Anlagen gemäß entwickeln kann. Turnunterricht
war für ihn keine Wettkampfschmiede, sondern eine Bildungsaufgabe,
die den Menschen als geistiges und körperliches Wesen fördern
wollte. GutsMuths liebte die Menschen und wollte, dass sie sich frei
entfalten können.

Da fällt es mir gar nicht schwer, mich auf ein passendes Bibelwort
zu besinnen:, das viele von uns sicher schon kennen: „Was hülfe
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch
Schaden an seiner Seele.“(Mt. 16, 26).

Jetzt im Gottesdienst vor den Wettkämpfen kann uns dieses Wort
Jesu die Chance geben, noch einmal kurz innezuhalten und uns darauf zu
besinnen, was wir denn eigentlich gewinnen wollen für heute, aber
auch für morgen.

Dabei sehen wir schnell, dass der Sport nicht die einzige Gelegenheit
im Leben ist, bei der wir unter solch einen Leistungsdruck und Siegswillen
geraten können, dass für uns dann nur noch die Siege zählen
und wir jede Niederlage mehr als den Tod fürchten müssen.

So steht plötzlich unser ganzes übriges Leben mit auf dem
Prüfstand.

Der Sohn Gottes will uns helfen, bei uns selbst zu bleiben, oder zu
uns zurückzufinden, wenn er uns davor warnt, an die ganze Welt verloren
zu gehen. Denn dann drohen wir in der Tat unsere Seele zu verlieren,
wenn wir eigentlich nicht mehr wissen, warum und wozu wir etwas tun,
und uns vielleicht sogar danach sehnen, eine Kampfmaschine sein zu können,
die nur noch unseren Namen trägt.

Schön wäre es, wenn heute Abend jeder von uns, die Aktiven
ebenso wie die Zuschauer, wieder etwas mehr über sich wüsste, über
seine Leistungen, über seine Reserven und über das, was er
mit den anderen noch erreichen möchte.

Schon die Väter und Mütter haben die Scharzfelder Dorfmeisterschaften
ausgetragen, und ohne ihr Engagement gäbe es vermutlich heute nichts
zu feiern

Auch die Geschichte des Sports in unserem Dorf handelt zwar von Siegen
und Niederlagen, aber in der Hauptsache von Menschen, die im Sport immer
wieder die Balance zwischen Arbeit und Freizeit gesucht haben, ohne die
es keiner Seele gut gehen kann..

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
Tel: 05521/2429
e-mail: friedrichseven@compuserve.de

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