2 Korinther 4,14–18

2 Korinther 4,14–18

Jubilate | 21.04.2024 | 2Kor 4,14–18 | Hansjörg Biener |

„Irgendwann is jut“, sagen die Leute und gehen in Rente. „Nur wer muss, bleibt zum Schluss.“ Womöglich kann er oder sie sich auch glücklich schätzen. Viele Leute gehen auch, weil gesundheitlich oder beruflich „nix mehr jut“ ist. Und oft gehen sie mit dem Gefühl, die besten Jahre ihres Lebens gegeben zu haben und nichts zurückzubekommen. Der heutige Predigttext klingt wie ein Gegentext. Aber er stammt auch aus einer Zeit, in der es Rente nicht gab…

Predigttext

Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth:

»Wir werden nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.« (2. Korinther 4,16-18)

Durchhalten [im geistlichen Dienst] bis zuletzt?

Das sind tapfere Worte, die mich sehr bewegen. [Als Mensch und als Pfarrer. Mein Rentenbescheid sagt, ich soll bis 66-6 durchhalten. Aber das wäre nur die berufliche Entpflichtung. Wie Sie vielleicht wissen, gilt das Ordinationsgelübde wie die Priesterweihe auf Lebenszeit.] Ich habe deshalb in meinen Erinnerungen nach Menschen gesucht, die mir das Gesagte auch heute bewahrheiten würden. Ich bin auf zwei gekommen, deren äußerer Mensch verfiel, die aber bis zuletzt ein christliches Zeugnis geben wollten. Einen der beiden kennen Sie nicht, aber er bleibt mir das Beispiel. Den anderen kennen Sie vielleicht. Tausende Christen haben in ihm jedenfalls ein Beispiel gesehen. Die Älteren unter uns werden sogar Bilder vor Augen haben.

»Wir werden nicht müde; […] wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, […]. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit […]. Was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.« (2. Korinther 4,16-18)

Das könnten auch Worte von Papst Johannes Paul II. (1920-2005, ab 1978 Papst) sein. Als er gewählt wurde, war er 58 und wirkte frisch, geradezu jung für sein Alter. Seine Amtszeit dauerte jedoch 26 Jahre und 5 Monate. [Wir kennen nur einen Papst, der länger im Amt war: Pius IX. (1792-1878, ab 1846 Papst) im 19. Jahrhundert.] Johannes Paul II. war eine markante Persönlichkeit: In Moralfragen streng katholisch, im Antikommunismus deutlich. [Nicht umsonst hat der Kreml 1981 ein Attentat auf den Papst verüben lassen.] Johannes Paul II. hatte aber auch moderne Seiten. Er war der erste Papst, der seine Gemeinde in aller Welt besuchte und konsequent Medien nutzte. Was die Menschen am Ende erschreckte und beeindruckte, war die Zähigkeit, mit der er seinem Amt bis ins hohe Alter nachkam. In seinen letzten Jahren war Johannes Paul II. durch Lähmungserscheinungen und Probleme beim Sprechen gehandicapt/ beeinträchtigt. Aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten? Davon hielt Johannes Paul II. nichts. Er wollte die Dauer seiner Amtszeit „in Gottes Hände legen“. Anfang 2005 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des 84-Jährigen dramatisch. Den Ostersegen Urbi et Orbi spendete er stumm. Er wurde bereits durch eine ständige Sonde künstlich ernährt. Nach seinem Tod wollte die Menge auf dem Petersplatz Johannes Paul II. sofort heiligsprechen. Santo subito. Die Menge sah in seinem zeitlichen Wirken bereits „eine über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“. [Santo subito?] Bei Heiligsprechungen jeder Art bin ich dann doch evangelisch. Ich bin skeptisch wegen der unbekannten, womöglich dunklen Seiten eines Menschen. Ich erkenne aber an, dass die Gläubigen auf dem Petersplatz das Gefühl eines Segens hatten, der über den Tod von Johannes Paul II. hinaus reichte.

Fast 20 Jahre später erleben wir wieder, wie ein Papst gebrechlich wird. Papst Franziskus I. (*1936, ab 2013 Papst) sitzt seit 2022 im Rollstuhl und muss sich gelegentlich vertreten lassen. In der Karwoche nahm auch die nicht-religiöse Öffentlichkeit Notiz von seinen gesundheitlichen Problemen. So hat Franziskus am Palmsonntag eine schon an die Presse verteilte Predigt ausfallen lassen und geschwiegen. Beim Kreuzweg am Karfreitag war er nicht dabei, um sich für die Osternacht und den Ostersonntag zu schonen. Seit geraumer Zeit gab es Spekulationen, wie es weitergeht. Vor Ostern hat Franziskus I. klargestellt, dass auch er das Papstamt ad vitam, auf die gesamte Lebenszeit, sieht. Sein Vorgänger Benedikt XVI. (1927-2022, 2005-2013 Papst) ist als erster Papst der Neuzeit zurückgetreten, als er merkte, „ich kann/will nicht mehr“. Manche haben ihm das übel genommen. Das Papstamt sei eine Lebensaufgabe, aus der man sich nicht davonstehlen kann. Auch hier bin ich dann doch evangelisch. Jeder Pfarrer, jeder Priester, auch der Bischof von Rom sollte das Amt aufgeben können, wenn die Kräfte von Körper und Geist erkennbar schwinden. Andererseits habe ich im Fernsehen die Übertragung vom Ostersegen Urbi et Orbi gesehen. Ich muss anerkennen, wie bewegt die Menschen auf dem Petersplatz waren. Sie konnten den Papst [noch einmal] sehen und seinen Worten lauschen. [Überdies bekamen praktizierende Katholiken, unter den Bedingungen des katholischen Bußsakraments, im Segen auch den Erlass zeitlicher Sündenstrafen zugesprochen.] Auf der einen Seite der Papst, der nur mit Mühe zum Segen aufsteht. Auf der anderen Seite Tausende auf dem Petersplatz und Millionen über die Medien, die hier Segen empfangen. Nicht einfach von einem Papst, der durchhalten will bis zuletzt, sondern durch ihn von Gott.

Ich bin nicht sicher, ob ein Auftreten als Pfarrer oder Priester bis zuletzt wirklich immer ein Segen ist. Trotzdem helfen mir das persönliche Beispiel, das Sie nicht kennen können, und das Beispiel der Päpste, das Sie kennen können, Paulus ein bisschen besser zu verstehen. Was sei „unsere Trübsal“ im Vergleich zum erhofften Segen, indem man ein christliches Beispiel gibt, bis zuletzt.

Paulus, ein Apostel Europas

Was Päpste an äußerer Bedrängnis, inneren Kämpfen und körperlichen Schmerzen erleben, kann man aus der Ferne nicht ermessen. Deshalb nehme ich auf, was Paulus in seinen Briefen geschrieben hat: Sich immer neu fragen, wie man Menschen für Jesus gewinnen kann. So oft im Ungewissen sein, was die Mühen bringen. Andererseits spüren: Weh mir, wenn ich mich aus meinem Auftrag davonstehle. Menschen für Jesus gewinnen – das war die Bestimmung, die Paulus gefunden hat.

Diese Bestimmung hat auch mit sich gebracht, was Paulus Trübsal nannte. Es gab nicht nur Sonnenschein und Glaubensgemeinschaft in seinen Gemeinden. Gerade auch bei der Korinther Gemeinde, an die Paulus unseren Predigttext geschrieben hatte. Hier hat Paulus erlebt, wie seine Christen nicht mündig, sondern übermütig wurden. Er war nun nicht mehr der Gemeindegründer. Er war die alte Autorität, der man es zeigen wollte. [Das gibt es auch noch heutzutage. Ich habe in meiner Zeit als Gemeindepfarrer beobachten müssen, wie der gutmeinende Gründer einer freien Gemeinde einem Teil seiner Gemeinde nicht mehr genügte und die Gemeinde sich spaltete.] Paulus ist hier weiter an den Menschen geblieben, auch unter Schmerzen und Tränen. In Korinth fanden Gemeinde und Gemeindegründer wieder zusammen. Andernorts, in Galatien, [war das] nicht [der Fall].

Ich kann mir auch nicht ansatzweise vorstellen, wie viel Kraft Fußmärsche und Schiffbrüche kosteten, was Nachstellungen von Nichtchristen und Auseinandersetzungen mit Mitchristen mit Paulus gemacht haben. Trotzdem lässt Paulus sich nicht hängen. Er tut weiter das, was von Gott her seine Pflicht ist: für das Evangelium leben. Zu seinem Glück hilft ihm die Hoffnung auf das noch „Unsichtbare“, den erwarteten Segen, über das Offensichtliche, „Sichtbare“ hinweg. Und Paulus erlebt für sich: Die Herausforderungen wachsen, aber es wächst auch die Kraft. Oder, mit den Worten von Paulus: Auch in der Trübsal entstehen noch Dinge von Ewigkeitswert, „eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“. Er beklagt nicht schwindende Kraft. Er preist Gottes Kraft, die in den Schwachen mächtig wird.

Lernen am Vorbild

Es ist leicht, Menschen wie Paulus auf einen Sockel zu stellen. [Santo subito.] Damit gingen wir aber an dem vorbei, wofür zum Beispiel Paulus lebte. Es geht um ein Leben, das in Gott seine Bestimmung findet und deshalb segensreich ist. Darum sollen wir nicht die besondere Lebensleistung eines Paulus oder Papstes herausstellen. Worum es Paulus ging, soll auch in unserem Leben Gestalt gewinnen. Wir sollen in unserem Leben den Ort ausfüllen, an den man offenbar von Gott gestellt wurde. Dabei, so die Verheißung, werden wir erleben, was auch Paulus erlebt hat: Wir werden Müdigkeit spüren, aber auch die Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Sie kann „eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ schaffen, weil es Gottes Kraft in unserem Leben ist.

Nun sind wir nicht der Völkermissionar Paulus. Die meisten werden auch keine Berufung ins geistliche Amt haben. Eins aber gilt für Paulus wie für Gläubige heute: Wer sein Leben von Gott her versteht, bekommt ein orientierendes und tragendes Element in die Lebensführung. Dazu noch zwei Gedanken. Nicht als Vorgaben der Art: Das musst du jetzt so oder so machen. Aber doch in Form von Anregungen mit der Hoffnung, dass Zeitliches „eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ schaffen kann.

Anregung „für jetzt“: Projekt Segen

Ich möchte zunächst auf die Lebensphase schauen, in der wir noch nicht dauerhaft müde sind. Da haben wir es in Mitteleuropa gut. Im Vergleich zu früher, aber auch im Vergleich zu vielen anderen Regionen in dieser Welt: Wir sind nicht mehr auf das Dorf oder die Stadt beschränkt, in der wir geboren wurden. Berufe werden uns nicht mehr in die Wiege gelegt. Und für Frauen heißt es nicht mehr „Kinder, Küche, Kirche“. Das Leben bietet uns so viele Möglichkeiten und so viel Lebenszeit, uns privat und beruflich zu entfalten. Die Vielfalt der Möglichkeiten hat aber auch ihre Kehrseite. Die Möglichkeiten zur Lebensgestaltung sind so vielfältig, dass man irgendwann wissen muss, was man will. Wer sich für nichts entscheiden kann, hat am Schluss auch nichts. Und da kann Gott ins Spiel kommen. Die Orientierung an Gott kann helfen, „eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ zu schaffen.

Nun haben wir eher keine „Berufung“ zum Paulus oder Papst. Wir brauchen es etwas kleiner. Also spreche ich von unseren „Berufen“. Im frühen Christentum gab es Berufe, die man nicht ausüben durfte. Auch heute würde ich Berufstätigkeiten kennen, die man nicht ausüben kann, ohne seine Seele zu beschädigen: Rechtsanwalt von Donald Trump, Söldner oder Putins Folterknecht, Arzt, der auf Migrantenrouten oder in Gefängnissen einer anderen Großmacht Getöteten Organe für den Organhandel entnimmt. Das sind vielleicht Extrembeispiele, doch ich kann mir noch mehr unchristliche Tätigkeiten vorstellen. Ich möchte Christen und Christinnen sehen, die etwas schaffen, wofür Menschen ehrlichen Herzens dankbar sein können. Und da kann ich mir von der Hebamme bis zum Bestatter viele segensreiche Berufstätigkeiten vorstellen. Man kann als Biobauer oder Pfleger ein Segen sein, Polizistin oder Wissenschaftlerin in der Grundlagenforschung in vielen Berufen mehr.

Und wenn es noch etwas kleiner sein soll: Es ist auch eine Herausforderung, ein angenehmer Mensch zu sein. Jemand, der nicht nur nimmt, sondern auch etwas Positives zur Welt beiträgt. Auch das wäre für mich ein Handeln mit Ewigkeitswert.

Anregung „für bis zuletzt“: Projekt Ewigkeit

Ich habe bisher von der Lebenszeit gesprochen, in der die Gestaltungsmöglichkeiten größer sind als die Einschränkungen. Ab der zweiten Lebenshälfte tritt dem Projekt, ein Segen zu sein, ein zweites zur Seite. Schon in der aktiven Zeit wird uns klar, dass manche Entscheidungen andere ausgeschlossen haben. In vielem können wir nichts mehr ändern. Die Zeit für komplette Neuanfänge läuft immer mehr ab. Das heißt: Wir müssen Frieden schließen mit dem Leben, dem gelebten und dem ungelebten. Eine Freundin von mir hat einmal gesagt: „Ich will einmal eine weise Frau sein.“ Das war ein weises Wort!

Je älter man wird, umso klarer wird die Frage nach dem, was bleibt. Von den irdischen Gütern wird man  nichts mitnehmen können und wahrscheinlich auch nicht viel bleiben. Vielleicht, hoffentlich, bleibt man in den guten Erinnerungen von Kindern und Kindeskindern, Nachbarn und Berufskollegen, gerne auch Mitchristen und Mitchristinnen. Vielleicht hat man tatsächlich auch in größeren Zusammenhängen etwas zum Besseren bewegt. Sei es im Beruf, sei es im Ehrenamt. Die Dankbarkeit der anderen, dass man da war, sind das Einzige, was von uns bleibt. Gute Werke, die Menschen wirklich gutgetan haben, werden unsere „ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ sein.

Abschließend muss ich an den Anfang zurückkehren. Wir in Deutschland/Österreich/der Schweiz werden heutzutage deutlich älter als Menschen in der Zeit des Paulus. Viele Menschen erleben deshalb noch eine Zeit, in der „nix mehr jut“ ist. Deshalb: Es gibt eine Zeit nach den Projekten. Wenn es nicht mehr geht, soll man nicht mehr mehr sein müssen, als einfach ein Mensch, dem es nicht gut geht. Irgendwann wird es Zeit, mit der letzten Kraft der Ewigkeit entgegenzuwachsen.

Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an der Wilhelm-Löhe-Schule in Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)

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