2. Korinther 4,6–10

2. Korinther 4,6–10

Zeugen Gottes | 4. Sonntag nach Epiphanias | 28.1.2024 | 2Kor 4,6-10 | Florian Wilk |

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Kann man, liebe Gemeinde, das überhaupt sagen? „Wir ängstigen uns nicht“? So steht es ja auf dem Gottesdienstblatt und im Predigttext: „Wir ängstigen uns nicht!“ Nimmt, wer da redet, den Mund nicht zu voll? Weiß er überhaupt, wovon er spricht? Ein bisschen fühle mich an Momente erinnert, in denen ich als Kind in den Arm genommen wurde und dann hörte: „Hab keine Angst!“ Die Umarmung war tröstlich, gewiss. Aber meine Angst ließ sich doch nicht einfach weg reden…

Und es ist noch abenteuerlicher. „Wir ängstigen uns nicht!“, heißt es. Das ist noch nicht einmal ein Zuspruch; das klingt nach Selbstvergewisserung. Können wir uns das denn selbst zusagen: „Wir ängstigen uns nicht“? Erinnert das nicht allzu sehr an diese fragwürdigen „simplify your life“-Ratgeber? Im Umgang mit Angst erscheint mir ein Selbsthilfeprogramm jedenfalls wenig erfolgversprechend. Wenn sich Angst in uns breitmacht, können wir das doch nicht einfach stoppen…

Und doch lässt mich der Satz nicht los: „Wir ängstigen uns nicht!“ Denn schon der Textzusammenhang macht deutlich, dass hier keine Schönrederei vorliegt. Da heißt es ja: „Wir sind von allen Seiten bedrängt… Uns ist bange… Wir leiden Verfolgung… Wir werden unterdrückt…“ Von Realitätsverweigerung also keine Spur. Wer hier redet, weiß offenbar genau, wovon er spricht: bedrängt sein, bange, verfolgt und unterdrückt…

Aber was ist dann mit: „Wir ängstigen uns nicht“ gemeint? Ich schaue in den Duden und lese: „Ängstigen, d.h. angst machen, in Angst versetzen“. Ich denke dem nach, was mir die Sprachgelehrten da sagen. „Sich nicht ängstigen“ ist offenbar etwas Anderes als „keine Angst haben“. Wirke ich, wenn ich mich ängstige, daran selber mit? Vielleicht so, dass ich meine Angst stark werden lasse, dass ich ihr den Vorrang gebe gegenüber dem, was ihr entgegenstehen könnte…?

Und ich schaue in den griechischen Text. Das mit ‚ängstigen‘ übersetzte Wort meint eigentlich „den Raum eng machen, in die Enge treiben“. ‚Ängstigen‘ ist also eine gute Übersetzung, auch im Deutschen bezeichnet „Angst“ ja einen „Zustand der Enge“. Allerdings lässt die griechische Wortform offen, ob die „Wir“-Gruppe, die da spricht, das „In-die-Enge-Treiben“ sich selbst antut oder von anderen erleidet. Es könnte in der Tat auch gemeint sein: „Wir… werden nicht in die Enge getrieben.“ Das würde darauf verweisen, dass da eine Person oder Größe ist, die den Bedrängnissen zu wehren vermag…

Was genau gemeint ist, lässt sich nur vom Kontext her klären, in den hineingesprochen wird. Es sind Paulus und seine Mitarbeiterschaft, die hier in einem Brief das Wort ergreifen. Und sie reden zunächst einmal mit den Christusgläubigen zu Korinth. Die waren an ihren Gemeindegründern etwas irregeworden. Denn da traten andere Apostel in der Stadt auf, die zu beeindrucken wussten: mit selbstbewusstem Auftreten und klaren Ansprüchen, mit Zeichen, Wundern und Visionen … Schnell entstand der Eindruck, sie seien Paulus und seinem Team überlegen. Und so war die Gemeinde drauf und dran, sich von ihren Vätern im Glauben abzuwenden.

Entsprechend nachdrücklich versuchen diese, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Sie schreiben einen Brief – und ziehen alle Register: bitten und erklären, argumentieren und mahnen, loben und tadeln, schimpfen und ironisieren… Und was sie dabei mehrfach ansprechen, ist das erbärmliche Bild, das sie abgeben. Ja, sie haben eine großartige Botschaft: von Versöhnung und Leben. Aber sichtbar Eindruck machen sie nicht, im Gegenteil. Leid und Not prägen ihr Dasein. Sehen so Zeugen der helfenden, rettenden Zuwendung Gottes aus?

Auf diese Anfrage reagiert der Predigttext. Und verblüffenderweise streiten die Autoren die Vorhaltungen gar nicht ab. Im Gegenteil: „Wir haben Gottes Schatz in irdenen Gefäßen“, schreiben sie. Das soll heißen: „Unser kleines Dasein ist höchst zerbrechlich“ – und wird sofort konkretisiert: Ja, wir sind in allem bedrängt, ratlos, verfolgt und niedergeschlagen… Gerade so aber können wir euch dazu verhelfen, auf dem Angesicht Jesu Christi die Herrlichkeit Gottes zu entdecken.

Kann das sein? Wie sollte das angehen? Drei Gesichtspunkte stellen Paulus und sein Team heraus. „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe“, schreiben sie. Was für ein drastisches Bild! Aber in seiner Drastik entfaltet es einen tröstlichen Sinn: Gerade in unserer Bedrängnis und Ratlosigkeit, gerade in unserem Elend sind wir ganz bei Christus. In welche Tiefen wir auch sinken mögen, wir können gewiss sein, dass er uns dorthin vorangegangen ist. In welche Not wir auch immer geraten, Christus ist immer schon da.

Zudem, so heißt es, empfangen wir „ein Übermaß an Kraft“. Das ist keine bloße These. Paulus und sein Mitarbeiterschaft sprechen aus Erfahrung: Wo unser eigenes Vermögen an seine Grenzen stieß, da tat sich eine Kraftquelle auf, die nicht in uns selbst liegt; da half Gott selbst unserer Schwachheit auf. Und dank dieser Kraft mündete unsere Ratlosigkeit nicht in Verzweiflung, unsere Bedrängnis nicht in Ausweglosigkeit. So gewiss Christus alle Verzweiflung und Ausweglosigkeit auf sich genommen hat…

Und auf diesem Wege, so heißt es dann, soll „auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werden“; so also, dass wir es leibhaftig zu spüren bekommen. Was für eine Verheißung! Leid und Not sollen nicht das letzte Wort haben – denn Gott hat Christus zu sich gerufen, damit die Neuheit seines Lebens sich auch uns immer neu erschließt: in kleinen Rettungserfahrungen und in ganz großen. Ja, nicht einmal der Tod soll das letzte Worte haben – so gewiss Gott Christus von den Toten erweckt und damit dem Tod seine Macht genommen hat…

Konnte die Gemeinde zu Korinth etwas damit anfangen? Wahrscheinlich. Immerhin erfahren wir andernorts, dass sie Paulus bei einem späteren Besuch beherbergt und ihn dann bei seiner Kollekte für die Gemeinde zu Jerusalem unterstützt hat. Das klingt nach erneuertem Vertrauen…

Und können wir selbst damit etwas anfangen? Vielleicht. Immerhin ist der Brief des Paulus zum Teil der Bibel geworden, sind seine Zeilen von einst also aufbewahrt für uns. Und so sind es eigentlich die Worte der Bibel, die uns zu Zeugen Gottes werden wollen. Bloße, zerbrechliche Worte sind es, ja – aber Worte, in die eine überschwängliche Kraft einziehen kann, Worte, die unserer Angst eine Grenze setzen – auf dass durch sie das Leben Jesu an uns spürbar werde.

Amen.

Prof. Dr. Florian Wilk, Theologische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, Universitätsprediger an St. Nikolai zu Göttingen

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