2.Korinther 4,6-10

2.Korinther 4,6-10

Zerbrechlich – aber… | 4. Sonntag nach Epiphanias | 28.01.2024 | 2.Kor 4,6-10 | Luise Stribrny de Estrada |

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;

Hat uns Hoffnung und Zukunft gebracht;

es gibt Trost, es gibt Halt,

in Bedrängnis, Not und Ängsten

ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

Amen.

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Im Radio spielt ein Lied von Sting „How fragile we are.“ „Wie zerbrechlich wir sind, sagt uns der Regen immer wieder“. Ich mag das Lied und singe den Refrain mit: „On and on the rain will fall like tears from a star. On and on the rain will say how fragile we are.“ Auf deutsch: „Immer und immer wird der Regen fallen wie Tränen eines Sterns. Immer und immer wird der Regen uns sagen, wie zerbrechlich wir sind.“ Ich entdecke, als ich den Text lese, dass der Sänger Sting hier ein Lied gegen den Krieg geschrieben hat. Das passt in unsere Zeit mit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas, der Ukraine gegen Russland und den vielen anderen Kriegen in der Welt.

Viele von uns spüren, dass das Leben zerbrechlicher geworden ist: Es gibt Kriege in unserer Nähe, die Auswirkungen der Klimakrise sind zu merken, die Politik der AfD trifft auf wachsende Zustimmung, weltweit sind immer mehr Menschen auf der Flucht – sicherlich fallen Ihnen noch weitere Krisen ein, die uns verunsichern und herausfordern. Das ist die Welt, die wir miteinander teilen.

Daneben gibt es das, was wir im Familien- und Freundeskreis oder in der Kirchengemeinde erleben: Als ich vor einigen Wochen mit einer Freundin sprach, erzählte sie mir: „Ich muss nächste Woche ins Krankenhaus. Beim MRT haben sie festgestellt, dass ich einen Tumor im Gehirn habe. Er muss herausoperiert werden. Die Ärzte meinen, er sei gutartig, aber genau wissen kann man es nur, wenn er entfernt und untersucht worden ist. Ich habe Angst.“ Ich bin schockiert, weil das für mich aus heiterem Himmel kommt. Dann versuche ich meiner Freundin Mut zu machen. Ich verspreche ihr, mich nach der Operation zu melden, an sie zu denken und für sie zu beten. Die Operation verläuft gut, aber es steht noch der Laborbefund aus. Es dauert und dauert. Endlich meldet sie sich bei mir: „Es ist alles in Ordnung, der Tumor war gutartig.“ Sie ist erleichtert, wie neu geboren, ein Stein ist ihr von der Seele gefallen – und ich lasse mich mit hineinnehmen in ihre Freude. Wie gut, dass es so ausgegangen ist! Was für ein Segen!

„Wir haben … diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ (Übersetzung: Luther) schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die irdenen Gefäße, das sind unsere Körper. Von Gott geformt aus Erde, wie es die Schöpfungsgeschichte erzählt. Unser Körper ist wie ein Krug aus Ton, schön anzusehen, aber leicht zu zerbrechen, leicht zu beschädigen, gar zu zerstören. „How fragile we are.“ Paulus bleibt aber dabei nicht stehen: Er spricht von einem Schatz, den wir in unseren Herzen haben, einen hellen Schein, den Gott dort hineingelegt hat. Dieser helle Schein verändert alles. Er sorgt dafür, dass wir unserer Zerbrechlichkeit etwas entgegensetzen können. Sie ist nicht das einzige, das unser Leben bestimmt. Daneben gibt es den Schatz, durch den Gott uns stark macht und uns die Kraft zu widerstehen gibt.

Bei Paulus klingt das so: „Von allen Seiten werden wir bedrängt – doch wir haben Raum. Wir wissen nicht weiter – doch wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt – doch nicht von Gott im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen – doch wir gehen nicht zugrunde.“ (Übersetzung: BigS) Der Apostel und Missionar Paulus erlebt eine andere Situation als wir, wir Christinnen und Christen werden hier in Deutschland nicht verfolgt. Am ehesten trifft auf uns zu, dass wir nicht weiterwissen. Ich empfinde die Kirche, also uns, oft als überfordert von Kirchenaustritten, abnehmenden Mitgliederzahlen, wenigen Pastorinnen und Pastoren, die nachkommen, der Debatte um Missbrauch und sexualisierte Gewalt und der Frage: Wie können wir die Zukunft der Kirche gestalten? Paulus würde wahrscheinlich sagen: Ja, das ist so, und es ist schwierig, aber ihr seid nicht allein. Gott lässt euch und seine Kirche nicht im Stich. Vertraut ihm. Es werden sich Wege finden, auch wenn Vieles anders wird. Ihr braucht nicht zu verzweifeln. Gott stellt eure Füße auf weiten Raum.

Es geht weiter im Brief des Paulus an die Korintherinnen und Korinther, er schreibt: „Immer tragen wir das Sterben Jesu an unserem Körper mit uns. Genauso erscheint an unserem Körper auch das Leben Jesu.“ (Übersetzung: BigS) Das, was uns belastet, die Schwierigkeiten, in denen wir stehen, dass wir nicht weiterwissen, erinnert an das Sterben Jesu. Es ist aber mehr: Indem wir das erleben, tragen wir das Sterben Jesu an unserem eigenen Körper mit uns. Wir werden ihm gleichgestaltet. Wir sind – auf mystische Weise – so wie Jesus. Es bleibt aber nicht beim Sterben stehen. Auch das Leben Jesu, seine Auferstehung, erscheint an unserem Körper. Indem wir nicht untergehen, nicht verzweifeln, sondern uns Gott anvertrauen und neue Hoffnung schöpfen, leben wir die Auferstehung. Allem Tod und allem Sterben zum Trotz glauben wir an das Leben durch Gott. Dann werden wir wie Jesus, der den Tod hinter sich gelassen hat und neu und anders lebt.

Hat das einen Bezug zu unserem Leben oder ist es nur hohe Theologie, schöne Worte für meine Sonntagspredigt? Ich glaube, dass wir erleben können, wie das Leben sich gegen den Tod durchsetzt und wir trotz unserer Zerbrechlichkeit etwas bewirken können.

Am vergangenen Wochenende gab es im ganzen Land Demonstrationen gegen rechts. Tausende, oft Zehntausende gingen auf die Straße, um zu zeigen: Wir sind Demokratinnen und Demokraten. Wir sind weltoffen. Wir wehren uns gegen die Pläne, Menschen mit Migrationshintergrund zu deportieren. Sie sind Teil unserer Gesellschaft. – Mir macht das Mut. Ich bin froh über die Bilder von Menschenmassen, die Straßen und Plätze füllen und Flagge zeigen gegen rechts. Zusammen sind wir stark und zeigen, dass wir uns für das Leben, gegen den Tod engagieren.

Möglich ist es, anderen etwas von dem Schatz, den Gott in uns gelegt hat, weiterzugeben, indem wir Kranke besuchen oder uns erkundigen, wie es ihnen geht. Wir können ins Krankenhaus gehen oder sie zuhause besuchen. Wir können sie anrufen oder ihnen schreiben. Bestimmt freuen sie sich, wenn jemand sich für sie interessiert.

Wir können etwas von dem Licht in uns weitergeben, wenn wir Kindern und Jugendlichen etwas von Gott erzählen, im Kindergottesdienst, im Kindergarten und im Konfirmandenunterricht. Sie lernen Geschichten der Bibel kennen wie die von Weihnachten und Ostern, vom Verlorenen Sohn, vom Barmherzigen Samariter und vom Auszug aus Ägypten. Sie hören, wie Menschen miteinander umgehen sollten und wie nicht und wie Gott das Leben von Menschen verändert. Sie nehmen eine Orientierung mit, die ihnen in ihrem Leben weiterhelfen mag.

Wir können etwas vom Leben Jesu weitergeben, wenn wir uns für Menschen in Not wie Obdachlose engagieren und zur Sozialkirche werden. In meiner Stadt gibt es ein kirchliches Projekt, bei dem Jugendliche sich einmal wöchentlich nach der Schule mit Obdachlosen treffen, um mit ihnen zusammen zu kochen. Zuerst schnippeln sie gemeinsam, dann stehen einige zusammen an den Kochtöpfen und nachher sitzen alle zusammen an langen Tischen und essen die leckere selbstgekochte Mahlzeit. Dabei kommen beide Gruppen miteinander ins Gespräch und stellen fest, dass sie Vieles gemeinsam haben. Vorurteile verflüchtigen sich.

Auch wenn wir als Kirche oft nicht weiterwissen und uns fragen, wie die Kirche in Zukunft aussehen wird, bleibt, dass wir zusammen Gottesdienste feiern. Für mich ist dabei die Anzahl der Gottesdienstbesucher nicht entscheidend, denn „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18,20). Es ist auch nicht wichtig, ob modernere oder ältere Musik gespielt und gesungen wird, ob es ein Familiengottesdienst oder ein Gottesdienst anlässlich einer Goldenen Konfirmation ist, entscheidend ist, dass wir als Gemeinde zusammenkommen. Wichtig ist, dass wir gemeinsam beten und singen und uns stärken lassen von Gottes Wort und von seinem Abendmahl. Dass wir durch die Gemeinschaft im Gottesdienst ein Licht anzünden, wo die Finsternis regiert.

Ja, wir sind verletzlich, zerbrechlich – so wie Jesus. Was uns geschieht und was in der Welt geschieht, kann uns etwas anhaben. Wir kommen nicht ohne Blessuren davon. Aber wir sind mit Gott verbunden, mehr noch, wir sind wie Jesus geworden. Deshalb verzweifeln wir nicht. Wir haben in unseren Herzen einen Schatz, den uns keiner nehmen kann: den hellen Schein, den Gott dort hineingelegt hat. Es ist der Schein seiner Liebe.

Wenn wir uns darauf verlassen, können wir vielleicht, zumindest immer wieder, so leben:

Grenzenlos glücklich – absolut furchtlos – immer in Schwierigkeiten.

(Renate Wind, Dorothee Sölle 2013).

Luise Stribrny de Estrada

Lübeck

E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

Luise Stribrny de Estrada, geb. 1965, Pastorin der Nordkirche. Von 2001-2009 Pastorin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Mexiko. Seit 2009 Pastorin in Lübeck, zunächst in der St.Philippus-Gemeinde, die nach der Fusion im Jahr 2022 zur Gemeinde Marli-Brandenbaum gehört.

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