2. Korinther 5,1-10

2. Korinther 5,1-10

Unser Weg zwischen den Bildergalerien hindurch | Vorletzter Sonntag d.Kj. | 14.11.2021 | Predigt zu 2. Korinther 5,1-10 | verfasst von Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

die Sonntage im November leiten uns zur Rückschau an, aber auch zur Neuorientierung. Nach dem Abschluss des Kirchenjahres werden sich für uns mit der Adventszeit neue Chancen eröffnen. Die gestalten wir ja gerne mit Änderungen in unserer Wohn-Dekoration, aber auch wir selbst müssen uns an Veränderungen anpassen. Vielleicht müssen wir uns sogar neu erfinden, aber ganz sicher, sagt Paulus, werden wir neu erfunden werden. Dazu beschreibt er im 2. Korintherbrief seine Sicht vom Übergang zwischen der Lebenszeit und der Ewigkeit mit starken Bildern. Einige findet er selbst zum Seufzen, andere trösten ihn mit neuer Lust. Welche guten Ideen können wir von ihm übernehmen?

Wir lesen in seinem 2. Brief an die Korinther, im 5. Kapitel:

„Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen. Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.“ (2. Korinther 5,1–10)

Paulus schreibt durchgängig als „wir“, als ob er mit anderen oder für andere schreibt, als ob es Notizen einer turbulenten Diskussion sind, in der Emotionen umherschwirrten wie „beschwert sein“ oder „Lust haben“. In der Zwischenrufe laut wurden wie „Himmel“, „Richterstuhl“, „Behausung“ oder „Fremdsein“. Es geht also um viel. Paulus kann sich zu dem Thema auch kurzfassen und im Römerbrief schreiben: „Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.“ Hier aber sind seine Bilder und Gefühle so individuell, dass sie wohl aus seinem Innersten stammen. Auch wenn er „wir“ sagt, setzt er doch auf seine Glaubwürdigkeit, auch aufgrund seiner gemeinsamen Geschichte mit der Gemeinde zu Korinth. Er hat sie mit gegründet und ihr schon einen ersten ausführlichen Brief geschrieben. Bei einem längeren Besuch erfuhr er viel Zustimmung und auch zornigen Widerspruch. Nun schreibt er einen zweiten Brief, mal mitfühlend, mal kategorisch, auch, um den nächsten Besuch dort erhobenen Hauptes bestehen zu können.

In seiner Biographie ist viel passiert, was seine Glaubwürdigkeit stärkt: Konkurrenzkämpfe mit anderen Missionsteams; innere Kämpfe zwischen Todessehnsucht und Lebenseifer, Selbstverdammung und Euphorie. Fragen wie: Sitzt Gott auf seinem Gnadenthron oder auf dem Richterstuhl Christi? Dazu Schiffbrüche auf Seereisen und Einkerkerungen mit Auspeitschungen. ­– Bei so vielen Konflikten und so hohem Anspruch wird verständlich, warum Paulus zum Thema „Sterben und Werden“ alles aus sich heraus ausschüttet. In seiner Lust an der Verwandlung macht er ungewohnte Gedankensprünge. Sein Seufzen spiegelt seine Zweifel wider. Viele seiner Behauptungen beginnen mit dem Wörtchen „denn“. Damit fordert er Zustimmung ein und will einen Glaubensfrieden in Korinth durchsetzen. Offensichtlich spricht er aus einer Verteidigungshaltung heraus, weswegen ich die Wucht seiner Sätze bei ihm belassen kann. Paulus packt zwar alles in großer Kühnheit an, aber wir müssen nicht jeden seiner Zugriffe verstehen. Vielmehr suche ich andere Hoffnungsbilder in der Bibel mit ähnlicher Wucht. Dann möchte ich zwischen ihnen hin- und herschauen und einen eigenen Weg finden, der mich auch in unbekannte Gefilde einlädt.

Zuerst stelle ich uns des Paulus‘ Bilderreigen „Hütte-Haus-Heimat“ vor Augen. Paulus schreibt dazu: „Unser Sterben ist wie der Abbruch einer Hütte. Da trifft es sich, dass Gott ein Haus im Himmel erstellt hat, dass uns überkleidet. Wir haben Lust, unsern Leib zu verlassen, um darin daheim zu sein.“

Dieser Bildfolge stelle ich eine Zweite, mir vertraute, gegenüber. Darin wird unser Sterben als das Durchschreiten eines Todestales veranschaulicht und wir finden uns wieder an einem Tisch, an dem uns Gott unser Haupt mit Öl salbt. Im 23. Psalm reden wir als „Ich“ Gott mit „Du“ an und lassen ihn handeln. „Und ob ich schon wanderte im finstern Todes-Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“

Beide Texte reden in großer Ernsthaftigkeit vom Sterben, vom Verwandeltwerden und vom Ankommen bei Gott, dabei holen sie uns in ihrer Seelsorge verschieden ab. Zum Psalm höre ich eher eine Harfen-Melodie, zum Brief eher ein Schlagzeug-Solo. Paulus wird vom Drama mitgerissen und löst die Machtfrage; der Psalm bebildert unser Ankommen und löst die Heimatfrage. Paulus sieht Gott dabei als Baumeister, der mit eigenen Händen ein ewiges Haus schafft, das er uns als Schutzschicht überstülpt. Der Psalm sieht Gott dagegen in der Rolle eines Hirten, der auf saftige Weiden und zum ewig-klaren Lebenswasser führt. So erquickt Gott Kehle und Seele ganzheitlich. Paulus bestätigt ähnlich, dass ein ganzheitlicher Glauben besser ist, als dem Augenschein zu trauen: „Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“ Diesen beiden Bilderreihen wandeln wir nun entlang und erkennen dabei, wie sich unser Glaube bzgl. des Großen Übergangs anreichert.

Wenn Paulus weiter schreibt: „Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen.“ Dann weckt der 23. Psalm bei uns analoge Erlebnisse. Als wir der Fremde entkommen sind, als wir das Todestal durchschritten haben, als wir Platz nahmen im Angesicht der Feinde, damit wir bei Gott daheim uns Kelchwein und Salböl wohlgefallen lassen konnten.

In einer amerikanischen Kinderbibel sah ich, wie zu jedem Vers Szenen aus Davids Lebenslauf abgebildet sind. Als Kind spielt er Harfe und weidet Schafe; als Halbstarker fuchtelt er mit Stecken und einer Steinschleuder. Als König füllt er viele Weinpokale für die Gäste in seinem Palast; als Greis imaginiert er sich ein ewiges Bleiberecht im Tempel Salomos. Was im Comic fehlte, waren seine grausamen Tötungen, viele in Übereinstimmung mit Gott. Falls der Psalm von David stammt, spiegelt er wider, wie weit er seine Traumata verarbeitet hat. Denn schon der erste Vers strahlt bereits eine Genesung aus: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Die Gewissheit dieses Psalmverses wird uns helfen beim Schritt zwischen Tod und Himmel, wenn wir sagen: „Der Herr ist und bleibt unser Hirte, auch jenseits dieser Schwelle wird uns nichts mangeln.“

Dagegen hat Paulus seine Grenzerfahrungen erheblich anders verarbeitet. Einige Kapitel weiter listet er auf: „Dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt.“ Jedes Mal begannen Bestrafung und Folter mit der Entblößung, dem öffentlichen Herabreißen seiner Kleidung. Das Trauma dieser Kränkungen bändigt Paulus mit dem Bild des Verschlingens, wenn er sagt: „Dafür, dass das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben, hat uns Gott als Unterpfand den Heiligen Geist gegeben. So sind wir denn allezeit getrost.“ Der so entstehende Trost beruht also auf dem Rücktausch eines Unterpfands, es ist somit vertraglich abgesichert, dass unsere Sterblichkeit vom Leben verschlungen werden wird. Wir sind für den Fall der Fälle bereits versehen mit starken Tröstungen.

So entwickeln wir eigene Vorahnungen, indem wir die biblischen Verheißungen untereinander abgleichen und die Traumbilder des David und des Paulus kombinieren. Gott handelt sowohl als verlässlicher Kaufmann, der unser Unterpfand korrekt eintauscht – und ebenso als fürsorglicher Hirte, der uns ewige Geborgenheit schenkt. Die Bilder begleiten uns und verhelfen uns zur eigenen Klärung.

Nur ein besonderes Bild bleibt übrig und scheint sich zu sperren. Es ist das Bild vom Richterstuhl Christi, vor dem wir alle zu erscheinen haben. Paulus kennt dazu einen Vorlauf und einen Nachlauf. Im Vorlauf können wir Gottes Wohlgefallen ansammeln, im Nachlauf entlohnt er uns entsprechend unserer guten und bösen Taten. Zwar entstammt diese Argumentation des Paulus Streitmodus‘ und bleibt uns als letzte Möglichkeit, denn auch dann ist uns erlaubt, mit Gott zu streiten. Aber als vorrangige Möglichkeit eröffnet uns der 23. Psalm einen Vorlauf in unserer ausgeübten Barmherzigkeit und einen Nachlauf in Gottes Geborgenheit: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.“ Und wenn Paulus auch vom Streitmodus in den Geborgenheitsmodus wechselt, kann er sagen: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“

Wenn wir also im Himmel vor dem Richterstuhl Christi erscheinen werden, wird uns unsere Navigation sagen: „Ihr habt euren Bestimmungsort erreicht!“ Dann stehen wir nicht allein und entblößt vor unserem Richter, sondern mit vielen anderen, zu denen Christus in letzter Instanz sagt: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Das ist unsere Zuversicht im Leben und im Sterben. Unser Leben wird nicht einfach entsorgt wie eine abgebrochene Hütte, sondern in Christi Gegenwart gewürdigt werden, mit allen Licht- und Schattenseiten. Nach dem Überqueren der Schwelle werden wir zuhause sein, leicht und ohne Last, daheim in Gottes Reich.

So haben wir einen Weg gefunden zwischen den Bildergalerien des Paulus und des 23. Psalms.

Amen


Liedvorschläge aus „Singt von Hoffnung“ (luth./Sachsen):

030 Oh Herr, wenn Du kommst, wird die Welt wieder neu – T + M: Helga Poppe 1979

010 Christi Kreuz vor Augen steh ich, ungeschminkt – T: Eugen Eckert 2006; M: Fritz Baltruweit 2006

107 Ich bin in guten Händen. Mein Hirte ist der Herr – T: Christoph Zehendner 1999; M: EG 295)

Auch EG 374 Ich steh in meines Herren Hand


Liturgievorschlag 1: Entwurf für ein Osterlied (Rudolf Otto Wiemer)

Die Erde ist schön, und es lebt sich leicht im Tal der Hoffnung.
Gebete werden erhört. Gott wohnt nah hinterm Zaun.

Die Zeitung weiß keine Zeile vom Turmbau.
Das Messer findet den Mörder nicht. Er lacht mit Abel.

Das Gras ist unverwelklicher grün als der Lorbeer.
Im Rohr der Rakete nisten die Tauben.

Nicht irr surrt die Fliege an tödlicher Scheibe.
Alle Wege sind offen. Im Atlas fehlen die Grenzen.

Das Wort ist verstehbar.
Wer Ja sagt, meint Ja, und „Ich liebe“ bedeutet: jetzt und für ewig.

Der Zorn brennt langsam. Die Hand des Armen ist nie ohne Brot.
Geschosse werden im Flug gestoppt.

Der Engel steht abends am Tor.
Er hat gebräuchliche Namen und sagt, wenn ich sterbe: Steh auf.

(Kanon zu den letzten beiden Zeilen von Hartmut Reußwig; Verlag Steinkopf)

 

Liturgievorschlag 2 zu Psalm 27: (Theophil Tobler – homepage: christliche Gebete.ch)

Im Dunkel bist du, Herr, mein Licht. Im Unheil ist bei dir mein Heil. Sollte ich je erschrecken und mich fürchten? Und wenn es geschieht, bist doch du meine Zuflucht. Du birgst mich am Tag des Unglücks.
Ist Feindschaft rings um mich, so höre ich deine Stimme. Du sagst mir: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir; sei getrost. Das habe ich von dir erbeten, dass ich bei dir bleiben darf. Die Sehnsucht zieht mich hin zu dir. Dich sehen und deine Herrlichkeit schauen, das ist mein größtes Glück. Und du lädst ein: Kommt, die ihr Mühe habt und Lasten tragt, ich will euch erquicken. Dein Zelt, dein Haus, deine Wohnungen – ich weiß: Alles ist bereit. Amen


Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

Mielke, Manfred, Pfarrer i.R.

Manfred.Mielke@ekir.de

Am Bosserhof 13 a

46519 Alpen

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