2. Mose 34,29–35

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2. Mose 34,29–35

Die Hörner des Mose | letzter nach Epiphanias | 30.01.2022 | Exodus / 2. Mose 34,29–35 | verfasst von Thomas-M. Robscheit |

Friede sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, in unserer Kirche (Martinskirche Apolda) und in vielen weiteren Kirchen gibt es Darstellungen des Mose mit zwei kleinen Hörnern auf dem Kopf. In der Martinskirche kann man sie unter der Lockenpracht der geschnitzten Figur kaum ausmachen, den meisten Menschen fallen sie gar nicht auf. Vermutlich kam es dem Künstler einigermaßen merkwürdig vor, dass Mose plötzlich Hörner haben soll. Mit seiner Skepsis hatte er recht: Mose hatte keine Hörner. Nein, er strahlte stattdessen.

Die Vorstellung, dass Mose Hörner bekommen hatte, entspringt einer Doppeldeutigkeit im Hebräischen: Strahl und Horn sind das selbe Wort. Von einem gehörnten Gesicht wird man im Unterschied zu einem strahlenden Gesicht wohl eher nicht sprechen. Andererseits sind „Hörner“ im damaligen Kulturkreis durchaus ein Zeichen von Göttlichkeit. Vielleicht haben Sie noch den Psalm im Ohr (Ps. 118,27): Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars! Oder: in Ägypten gilt ein Stier als Verkörperung des Gottes Ptah; oder: Darstellungen des Baal (z.B: Baal-Stele aus Ugarit; heute im Louvre): sie zeigen ihn mit gehörntem Helm. Es scheint also nicht völlig unsinnig zu sein, dass Mose nach der Begegnung mit Gott selber göttliche Attribute erhält: Hörner.

Bekommt er aber nicht, sondern sein Gesicht leuchtet: Es strahlt so sehr, dass sich die Israeliten fürchten und Mose sich den Kopf bedeckt.

Das ist religionsgeschichtlich allerdings mindestens ebenso spannend wie die Geschichte mit den Hörnern: Dass die Begegnung mit Gott für den Menschen sehr gefährlich, ja tödlich ist, ist verbreitete Meinung ( Ex 19,21; Ex 33,20 ). Insofern wäre es eigentlich angemessen und logisch, wenn Mose sein Gesicht bedeckt hätte, wenn er zu Gott in die Stiftshütte geht. Stattdessen nimmt er da die Decke ab. Und verhüllt sich, wenn er vor´s Volk tritt. Man kann darüber spekulieren, ob es sich bei der Decke um eine Priestermaske gehandelt haben könnte. Aus Ägypten sind entsprechende Masken bekannt, mit denen der Priester in die Rolle seiner Gottheit schlüpft; in unserem Alten Testament spielt das aber keinerlei Rolle.

Eine Stelle, die viele Rätsel aufgibt und reichlich Raum lässt für Spekulationen. Spannend! Oder etwa nicht?

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, ich habe den Eindruck, dass die philologischen Erwägungen intellektuell äußerst verlockend sind und möglicherweise eine Tür in eine längst vergangene Welt einen kleinen Spalt öffnen. Doch je mehr wir uns auf diesen kleinen Spalt fokussieren, desto mehr verlieren wir das Eigentliche aus dem Blick: Mose ist Gott begegnet! Er kommt zurück und strahlt, er leuchtet. So sehr, dass andere das deutlich wahrnehmen können. Für ihn stand der Himmel ein Stück offen, der Glanz der Ewigkeit spiegelt sich nun in ihm wieder.

Ich hoffe und wünsche es Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, dass Sie ähnliches schon erlebt haben! Dass sie selber gesehen haben, wie die Augen ihres Gegenübers leuchten oder das Gesicht in unbeschreiblicher Weise strahlt. Wenn wir glückselige Momente durchleben, wenn Liebe uns durchflutet, wenn Gott uns den Himmel ein kleines Stück öffnet, dann sieht man uns das an. Diese Momente sind rar – und doch alltäglich. Eine Schwangerschaft, die Geburt eines Kindes oder die Liebe zwischen Menschen. Manchmal ist es die Kunst, die uns in tiefster Seele anrührt oder die Weite eines großen inneren Friedens morgens allein auf einem Gipfel. Vergänglich sind sie alle, diese Augenblicke voller Ewigkeit. Dieses warme, sanfte Strahlen unserer Seele, das sich im Gesicht widerspiegelt und dessen Schein Düsternis durchdringen kann.

Solche Momente können wir nicht erzwingen, Gott schenkt sie uns. Aber wir können diese Geschenke annehmen, uns auf sie einlassen, sie in uns aufnehmen und bewahren. Wir können einander davon erzählen und das Leuchten unserer Augen sagt mehr als unsere Worte und strahlt weit. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt, heißt es bei Kohelet. Ihr Aufstrahlen erleben wir immer wieder. In einer Welt in der uns so vieles düster, rätselhaft und verborgen ist, gibt uns das Hoffnung und Zuversicht. Und wenn Sie den nächsten Mose mit seinen Hörnern sehen, halten Sie inne und erinnern sich an einen Moment: „Da hat Gott meine Seele so wonnedurchflutet, dass mein Gesicht gestrahlt hat.“ Und ihnen wird warm ums Herz werden.

Der Friede Gottes, der größer ist als all unsere menschliche Vorstellungskraft bewahre Eure herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

de_DEDeutsch