Ihr seid Kinder des Lichts…

Home / Bibel / Neues Testament / 10) Epheser / Ephesians / Ihr seid Kinder des Lichts…
Ihr seid Kinder des Lichts…

Ihr seid Kinder des Lichts. Dann lebt auch so! | Predigt zu Eph 5,1–2.8–9 |  verfasst von Pfarrer Dr. Christoph Kock |

I. Anrede

„Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts. Dann lebt auch so!“

Sie haben richtig gehört. Damit sind Sie gemeint.

Wer die Bibel aufschlägt, wird früher oder später angeredet.

Direkt und persönlich. Mit „du“ und „ihr“.

Ohne höflichen Abstand.

Das Aufschlagen habe ich für Sie übernommen.

Im Epheserbrief steht im 5. Kapitel:

Nehmt euch Gott zum Vorbild!

Ihr seid doch seine geliebten Kinder.

Und führt euer Leben so,

dass es ganz von der Liebe bestimmt ist.

Genauso hat auch Christus uns geliebt

und sein Leben für uns gegeben –als Opfer und als Duft, der Gott gnädig stimmt.

[…]

Früher habt ihr selbst zur Finsternis gehört.

Aber jetzt seid ihr Licht,

denn ihr gehört zum Herrn.

Führt also euer Leben wie Kinder des Lichts!

– Denn das Licht bringt als Ertrag

lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Eine steile Aussage und ein hoher Anspruch:

„Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts. Dann lebt auch so!“

Früher in der Finsternis, jetzt Kinder des Lichts. Was für eine Karriere.

„Kinder des Lichts“. So könnte eine Sekte heißen.

Da ist Kein Platz für anstrengende Kompromisse, für Schattierungen und Zweifel.

Im Mittelpunkt steht ein Moment, der hell und klar aufleuchtet.

Alles ist entschieden und eindeutig.

Der Blick geht in die Zukunft, die Kinder des Lichts vor sich haben.

II. Ganz oder gar nicht

Lina hat sich im Bad eingeschlossen. Auch wenn Simon das komisch finden wird. Aber der sitzt bestimmt noch eine Stunde in seiner Videokonferenz. Diesen Moment braucht sie für sich. Ihre Periode ist mehr als drei Wochen überfällig. Heute hat sich Lina einen Schwangerschaftstest gekauft. Vorher hat sie sich davon überzeugt, dass keiner vor der Apotheke ansteht, der sie kennt. Sie will es endlich wissen. Einerseits ist sie gar nicht mehr so entsetzt wie vor ein paar Tagen. Ein Kind, ihr Kind. Andererseits wäre es auch Simons Kind. Seit zwei Jahren wohnen sie zusammen. Seit einem Jahr enger als sie dachten. Ob das ihre Beziehung aushält? Lina könnte sich das vorstellen. Aber Gespräche über eine Zukunft als Familie hat sie mit Simon bisher vermieden. Lina muss noch eine Minute warten, dann kann sie den Test ablesen. Zwei Streifen – schwanger. Ein Streifen – nicht schwanger. Ihre Gedanken gehen hin und her. Entweder-oder. Entweder wird sich ihr Leben und Simons Leben bald verändern, eine Entscheidung werden sie treffen müssen. Ober eben nicht. Ob sie bei einem Streifen gar enttäuscht sein wird? Was wäre, wenn. … Das kann Lina nicht ausprobieren. Schwanger geht nicht ein Stück weit. Oder relativ. Nur ganz oder gar nicht. Sie atmet tief durch und greift nach dem Teststreifen.

 

III. Sich entscheiden

Ulrike holt tief Luft, bevor sie die Küche betritt. Die anderen sitzen schon beim Frühstück. Homeoffice, Homeschooling, alle da. Eigentlich doch schön, die Familie an einem Tisch. Allerdings sind die Gespräche anstrengender geworden. Seit sich Sarah bei „Fridays for Future“ engagiert. Das Wort „verzichten“ kommt häufig vor. Gefühlt jeden Tag präsentiert ihre Tochter eine neue Idee, die es umzusetzen gilt. Höchste Zeit, das eine zu tun bzw. anderes zu lassen. Als Ulrike letzte Woche mit Plastiktüten vom Einkaufen zurückkehrte, bekam sie vorwurfsvolle Blicke. Sie hatte vergessen, Beutel und Netze mitzunehmen. „Die hab ich doch extra dafür besorgt. Wie kannst du nur?“ Sarah schüttelte den Kopf. Wie an den Pranger gestellt kam sich Ulrike vor. Selbst ihr Mann hatte die Stirn gerunzelt.

Der Speiseplan hat sich in den letzten Monaten verändert. Gekocht wird inzwischen vegetarisch, das ist auf jeden Fall klimafreundlicher. Ulrike hat dabei eine Menge neuer Gerichte kennengelernt. Die meisten schmecken ihr ausgesprochen gut. Geht auch ohne Fleisch. Eigentlich hat Sarah recht, denkt sie. Nach einer Doku über Massentierhaltung war ihr übel. Klar, solches Fleisch will sie auf keinen Fall kaufen. Aber auch sonst sorgt Fleisch für mehr CO2 als Gemüse. Sarah ist ebenso gut informiert wie kompromisslos. Anstrengend, dass sie meistens recht hat.

IV. Sehnsucht nach dem alten Leben

Markus gönnt sich eine Pause und setzt sich ins Restaurant. Allein. Mit seiner Familie führt er ein Hotel. Ein Geheimtipp in der Region. Der Thüringer Wald vor der Haustür, der Rennsteig fast in Sichtweite. Ideale Lage. In den Wellnessbereich zu investieren, hat sich als goldrichtig erwiesen. Bei kurzfristigen Anfragen musste er oft sagen: „Nächstes Wochenende? Tut mir leid, da wir sind ausgebucht.“ Seit dem letzten Jahr ist das anders. Im Frühjahr von jetzt auf gleich auf Stillstand. Der Sommer wieder deutlich besser. Mittelgebirge statt Flugreisen. Im Herbst hat er noch auf das Weihnachtsgeschäft gehofft. Dann der nächste Lockdown. Schnee ohne Gäste. Verkehrte Welt im Winter. „Wir haben coronabedingt geschlossen.“ Kurz und knapp das Schild an der Tür.

Markus blickt sich um. Volles Haus, das kam schon häufig vor. Zu den auswärtigen Gästen noch die Leute aus dem Ort. Stimmengewirr an den Tischen. Herkunft manchmal deutlich heraushörbar. Bei einem Kegelklub dachte er, gleich fangen sie an zu schunkeln. Der pure Stress, da mussten alle mit ran und bedienen. Gelegentlich gab es Streit mit den Kindern, die auf ein eigenes Leben pochten. Am Ende des Abends war er geschafft. Wie er das alles vermisst. Jetzt ist es still. Totenstill. Markus sehnt sich nach seinem alten Leben.

V. Kinder des Lichts

Ein Schwangerschaftstest im Bad, Klimawandel am Küchentisch, ein Wirt allein in seiner Gaststube.

Ein Stück aus dem Epheserbrief: „Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts. Dann lebt auch so!“

Entweder-oder. Ein bisschen schwanger geht ebenso wenig wie ein bisschen Ostern. Beim Glauben geht’s ums Ganze. Dass Jesus gestorben ist, um Leben in die Welt zubringen. Damit verbunden: Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Es geht ums Ganze. Dass Gott mich von den zerstörerischen Folgen meines Tuns radikal trennt. Der Tod nur begrenzte Macht hat. Leben endgültig den Ausschlag geben wird. Das möchte ich gerne glauben. Das leuchtet auf. In manchen Momenten. Daran kann ich zweifeln. Manchmal sogar verzweifeln. Aber nicht an halben Sachen. Vergebung unter Vorbehalt ist verletzend. Auferstehung als Gedankenspiel haltlos. Gott geht aufs Ganze: „Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts.“

„Dann lebt auch so!“ Entscheidungen sind gefragt. Wie am Küchentisch. Was Gott entspricht. Was angemessen ist, was irreführend. Kompromisse kommen ins Spiel, so anstrengend sie auch sein mögen. Fehler werden gemacht, es geht gar nicht anders. Im Wissen darum, dass die eigene Perspektive stets Stückwerk bleibt. „Kinder des Lichts“ wissen um ihre Schattenseiten. Für den Epheserbrief liegt die Finsternis in der Vergangenheit. Zu schön, um wahr zu sein. Nach fast 2000 Jahren ist deutlich: Finsternis begleitet auch jene treu, die den Glauben suchen. Aber das ist gar nicht tragisch. Nur wo die Finsternis geleugnet wird, breitet sie sich umso gnadenloser aus. Dann wird es zappenduster.

„Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts. Dann lebt auch so!“ Schaut nach vorn. So schwer das fällt angesichts dessen, was Menschen verlieren können. Die Pandemie schreibt eine lange Verlustliste. Darauf stehen Kontakte, Reisen, berufliche Perspektiven, viel zu häufig Gesundheit und Leben. Dennoch: Trotz aller Einschränkungen kommt es darauf an, nach vorne sehen. Auf das, was noch oder wieder oder auch überraschend möglich ist. Sich darauf einstellen. Sich daran freuen. Neuland betreten. Das ist leicht gesagt und doch nötig. Wer glaubt, ist da in Übung. „Auf das Reich Gottes kannst du nicht zurückblicken“, sagt Jesus. „Weil es auf dich zukommt.“

VI. Lichtblicke

Lina zuckt zusammen, als es an der Tür klopft. Dann hört sie Simons Stimme: „Lina, es schneit. Draußen ist schon alles weiß. Komm, das musst du sehen!“ Seine Begeisterung dringt durch die verschlossene Tür und rührt sie an. Ein Lächeln huscht über Linas Gesicht. Sie legt den Teststreifen zur Seite und schließt auf.

Ulrike sieht auf den Einkaufszettel. Kartoffeln, Wirsing, Möhren, Porree. Niederrheinisch regional. Sarah hat ein paar Gewürze dazugeschrieben, die ganz woanders herkommen. Aha, eine Ausnahme. Das gefällt Ulrike. Ab und zu, wenn sie mittwochs auf dem Markt einkauft, gönnt sie sich eine Bratwurst im Brötchen. Aber das muss zuhause keiner wissen.

Markus blickt aus dem Fenster. Vor dem Hotel sieht er seine Kinder, die einen Weg von der Tür zur Straße freischaufeln und sich dabei mit Schnee bewerfen. Ein schöner Moment. Wie stolz er auf sie ist. Sie werden ihren Weg gehen. Ob einer von ihnen das Hotel übernimmt? Er spürt, dass es darauf gar nicht ankommt.

„Ihr seid Gottes Kinder. Kinder des Lichts. Dann lebt auch so!“ Miteinander. Und es wird hell.

Amen.

Lieder:

Durch das Dunkel hindurch (WortLaute 19)

O Jesu Christe, wahres Licht (EG 72)

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht (EG.RWL 591)

Eingangsgebet (mit Motiven aus Psalm 34):

Ja, Gott,

deine Augen sehen auf die Gerechten,

aber wie siehst du uns?

Wir stecken dazwischen.

Zwischen gerecht und gottlos.

Du hast hohe Ansprüche

und das Leben ist kompliziert.

Du gehst aufs Ganze, Gott,

wir bleiben auf Kompromisse angewiesen.

Begrenzt, wie du uns geschafft hast.

Du forderst uns heraus,

gerecht zu leben

ohne selbstgerecht zu werden.

Schön ist, wenn das gelingt.

Hilf uns dabei, Gott.

Wenn es nicht gelingt,

erbarme dich unser.

Deine Augen sehen auf die Gerechten,

aber du bist und bleibst barmherzig.

Gott, vergiss das nicht.

Amen.

Fürbittengebet:

Du erklärst uns zu Kindern des Lichts.

Menschen stecken fest im Dunklen.

Sind einsam, haben sich zurückgezogen,

mit den Beschränkungen arrangiert.

Menschen stecken fest im Dunklen.

Sind traurig, weil der Tod ihnen jemand genommen hat.

Mach es hell und hilf uns, dein Licht leuchten zu lassen.

Menschen aus unserer Gemeinde sind gestorben.

Wir müssen sie loslassen und vertrauen sie dir an.

In deinem Licht werden sie Zuhause sein.

Du erklärst uns zu Kindern des Lichts.

Menschen stecken fest im Dunkeln.

In Kriegen und Konflikten bleiben sie auf der Strecke.

Stranden in Lagern fern der Heimat,

an Grenzen, die unüberwindbar bleiben.

Mach es hell und hilf uns, dein Licht leuchten zu lassen.

Du bist stärker ist als jede menschgemachte Hölle.

Du erklärst uns zu Kindern des Lichts.

Menschen stecken fest im Dunklen.

Die Pandemie hat das Leben fest im Griff.

Jeder Kontakt birgt Risiken.

Mit dem Virus mutiert die Angst.

Der Tunnel wird immer länger,

das Licht an dessen Ende zur Funzel.

Mach es hell und hilf uns, dein Licht leuchten zu lassen.

Verantwortlich mit uns selbst und anderen umgehen,

ohne in Panik zu verfallen.

Dein Licht strahlt weiter als jede Ansteckungsgefahr.

Du erklärst uns zu Kindern des Lichts.

Als deine Gemeinde sollen wir davon erzählen

und andere neugierig darauf machen.

Gib uns allen dazu Mut und Kraft.

Im Vertrauen darauf,

dass deine Zukunft heute schon aufleuchtet.

Darum beten wir mit Jesu Worten: Vater unser …

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

de_DEDeutsch