Predigt zu Lukas 18, 1-8

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Predigt zu Lukas 18, 1-8

Harre meine Seele | Sechste Predigt zur Predigtreihe: „Begegnungen im Lukasevangelium“ | 25.07.2021 | Lukas 18, 1-8 | Berthold W. Haerter |

Liebe Gemeinde

  1. Eine Zwetschgengeschichte

Sie kennen Zwetschgen.

Sie wissen auch, die Zwetschge besteht aus Kern, Fruchtfleisch und Haut.

Die Geschichte von der hartnäckigen Witwe besteht genau aus diesen 3 Teilen.

Einem Kern, an dem das Fruchtfleisch ist und einer Haut, die eher etwas bitter schmeckt.

  1. Der „Kern“ des Textes: Die Witwe und der Richter

Fangen wir mit dem Kern dieser Geschichte an.

Das ist die Geschichte von der Witwe, die um ihr Recht kämpft, bei einem Richter, der sich nur sehr widerwillig ihrer Sache annimmt.

Wir merken, wir befinden uns nicht in einem Schweizer Rechtssystem, sondern in einer, damals offensichtlich ziemlich willkürlichen Rechtsprechung.

Aber wir kennen diese unberechenbare Rechtsbeugung auch heute.

In Weissrussland wurden gerade in dieser Woche wieder friedliche, aber kritische Menschen einfach festgenommen.

Ähnliches geschieht in China und in der Türkei.

Es werden politische Urteile gesprochen, die willkürlich sind, einfach um Menschen mundtot und für Diktatoren ungefährlich zu machen.

Was heute Regimekritiker in diktatorischen Staaten sind, entspricht den damaligen Witwen.

Sie haben kaum Rechte, werden schnell Opfer von Willkür und Ausbeutung.

Die jungen Christengemeinden sorgten deshalb besonders für Witwen.

Auch in der jüdischen Rechtsprechung werden sie besonders geschützt.

Wir sollten uns immer wieder fragen: Wer braucht bei uns diesen besonderen Witwen-Schutz?

Sind es z.B. Menschen, die unser Rechtssystem nicht kennen, wie Flüchtlinge, Behinderte, ältere Menschen, Kinder, Ausländer, usw.?

Die Geschichte, also der Kern, hat auch eine Moral.

Sie will uns Mut machen.

Kämpft!

Gebt nicht auf!

Wenn Du etwas erreichen willst, frage bei den Stellen immer wieder nach!
Sei auch penetrant gegenüber Behörden, sie sind auch nur Menschen.

Finde die menschliche Lücke, wodurch Du Dein Recht oder das recht anderer bekommen kannst.

Wir haben das mit unserer Tochter erlebt.

Für ein halbes Jahr wollte sie in ihrer ehemaligen Schule in Südafrika ein Praktikum machen.

Sie war als Jugendliche ein Jahr dort.

Geht nicht, sagte die Südafrikanische Botschaft.

Sie könne die Voraussetzungen für ein „Arbeits- oder Praktikumsvisum“ nicht erfüllen.

Unsere Tochter kämpfte, besorgte Papiere, fragte wieder nach, telefonierte… zwei Monate ging das so.

Zwei Tage vor der Abreise konnte sie sich das Visum dann in Bern abholen.

Sie hatte immer wieder ihr eigentliches Recht eingefordert und bekam es quasi in letzter Minute.

Diesen Kampf, bei dem Ohnmächtige plötzlich mächtig werden, hat Christina Oellerich in ihrem Bild zu dieser Geschichte dargestellt.

(Christiane Oellerich: Die bittende Witwe (2018) – aus Downloadmaterial zur Bibelwoche 2020/21, Neukirchener Verlag)

In diesem abstrakten Bild sehe ich rechts in dem kleinen, blau-weissen Streifen den selbstgefälligen Richter.

Im farbigen gelb-blau-roten Streifen erkenne ich die Witwe, die immer wieder zum Richter kommt.

Sie bedrängt ihn, dass er ihren Fall endlich behandeln soll.

Spannend sind die Farbstreifen, die auf die Witwe einwirken, ja ihr helfen, Druck aufzusetzen, sie unterstützen.

Ich sehe in ihnen, vom linken Bildrand ins Bild hinein drängend, Gott.

Gott, der dieser Witwe Kraft gibt, nicht aufzugeben.

Die Frage ist, wie wird sich die Frau dieser Kraft von Gott immer wieder neu bewusst.

Im Zusammenhang ahnt man es.

Durch das Gebet wird sie sich Gottes Unterstützung bewusst.

  1. Das „Fruchtfleisch“ im Text

a. Aufforderung zum Ausharren im Gebet

Damit kommen wir vom Kern zum eigentlichen Fruchtfleisch.

Das, was uns Konsumenten eigentlich interessiert.

Jesus greift diese ermutigende Story von der erfolgreichen Witwe auf, um seinen Freundinnen und Freunden, also uns, Mut zu machen.

Mut zu machen, immer wieder und in allen Situationen zu beten.

Die Witwe kann immer wieder diesen erniedrigenden und kaum erfolgsversprechenden Gang zum ungerechten Richter machen, weil sie betet.

So wird sie sich Gottes Beistand bewusst.

Das gibt ihr Kraft.

Wir haben dieses andauernde Beten im eben gesungenen Lied ausgedrückt.

Harre meine Seele, harre des Herrn.

Alles ihm befehle, hilft er doch so gern.

Beten – gerade, wenn man meint, da verändert sich nichts.

Auf Gott vertrauen, auch wenn man keinen Erfolg in seinen Anliegen sieht.

Ausharren in einer ständigen Beziehung zu Gott.

Das ist eine Lebenseinstellung, ein bewusstes mit Gott leben.

Ich habe diese Woche eine Witwe besucht.

Sie sagte zu mir:

‚Wissen Sie, egal was geschah, ich habe immer abends und morgens dieses: „Von guten Mächten“ (Dietrich Bonhoeffer) gebetet.

Und wenn ich gar nicht mehr konnte, dann habe ich die Karte mit dem Spruch aus dem Nachttisch genommen und diese 7 Strophen gelesen.

Wir haben sie bei Ihnen bei einem Geburtstagfest einmal geschenkt bekommen.

Mir hat das geholfen.’

Das Fruchtfleisch dieser Jesusgeschichte ist der Anfang und die Zeilen nach der Geschichte.

Sie lauten:

Jesus erzählte ihnen ein Gleichnis, um ihnen zu sagen, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten.

Sollte nun Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht Recht verschaffen, und sollte er ihre Sache aufschieben?

Die Geschichte lädt ein, mein Verhältnis zu Gott und Jesus zu klären.

Fühle ich mich als Auserwählter, als Auserwählte?

Schnell kommen da Zweifel in uns hoch.

Darf ich das von mir sagen: Ich bin auserwählt?

Aber hier wähle nicht ich aus, sondern Gott hat es bereits getan.

Und Gott sagt Ja zu mir, die/der ich immer wieder sein Wort höre, den Kontakt mit ihm suche.

Genau das vermittelt Jesus hier.

Ich bekomme göttliche Kraft, wie die Witwe, immer wieder neu für meinen Alltag aus dem Kontakt zu ihm heraus.

Im Bild drängt diese göttliche Kraft vielfarbig in das Bild hinein.

Sie ist da, immer.

Ich muss mich ihrer nur bewusst werden.

Und das geschieht im Gebet.
Das Gebet ist meine Antwort auf Gottes bedingungsloses Ja zu mir.

Gleichzeitig setzt Beten so eine Kraft in mir frei, die mich für den Alltag stärkt.

Liebe Gemeinde

Mir ist auch klar, dass wir alle unsere Hiobserlebnisse haben.

Wenn wir von der Überschwemmungskatastrophe in der Eifel hören, merken wir, wie gut wir weggekommen sind.

Gleichzeitig fragen wir warum?

Wir beten, wir kämpfen und trotzdem werden wir krank, leiden wir, erleben Enttäuschungen, werden unsere Hoffnungen zerstört und wir fragen: Warum?

Hiob hält in seiner Enttäuschung über Gott an Gott fest.

Und genau das versucht Jesus uns deutlich zu machen.

An Gott festhalten, Vertrauen und Geduld aufbringen, lohnt sich gerade in speziellen Lebenssituationen.

Gerade wenn ich den Kontakt zu Gott pflege, kann ich auf diesen in der Not zurückgreifen.

Das ist so, wie wenn der Physiotherapeut Ihnen empfiehlt, Sie sollten täglich Rückenübungen machen.

Wenn Sie es machen, haben Sie weniger Rückenschmerzen.

In Akutsituationen kennen Sie aber auch ein Hilfsmittel.

Beten sollte so selbstverständlich sein wie die täglichen Turnübungen.

Unterstützend gibt es für beides zum Beispiel Apps fürs Smartphone.

b. Der Richter ist nicht Gott

Wenn Sie das Gleichnis von Jesus genau anschauen, eventuell nochmals nachlesen, wird Sie, wie viele andere, vielleicht etwas irritieren.

Wenn ich die Witwe bin, die Dank Gott kämpfen kann, wer ist dann dieser ungerechte Richter, der endlich nachgibt?

Sicherlich nicht Gott!

Der Richter stellt eher die Welt dar, der wir uns ganz nüchtern immer wieder stellen müssen, so wie sie ist.

Und dass Menschen alles tun, wir sagen „quasi über Leichen gehen“, nur um ihre Karriere weiter voran zu treiben, willkürlich und eigennützig Menschen ausnutzen, so wie es der Richter hier tut, dafür hat jede und jeder von ihnen binnen kurzem mindestens ein Beispiel bereit.

Aber wir können beten und kämpfen – mit Erfolg und beharrlich – wie die Witwe.

Nicht aufgeben, empfiehlt Jesus.

  1. Die Haut, die alles zusammen hält oder: Eine Lebenshaltung bei Parusieverzögerung

Kommen wir zum Abschluss zur Haut dieser Geschichte.

Sie schmeckt in der Tat etwas bitter, denn sie bringt den so gut von Jesus benutzten Vergleich etwas durcheinander.

Wir müssen uns der Situation bewusst werden, die herrschte, als das Lukasevangelium aufgeschrieben wurde.

Die ersten Christen erwarteten nämlich Jesu Wiederkommen noch bevor sie selbst sterben.

Aber Jesus kam nicht so schnell wieder.

Die ersten starben.

Menschen fielen wegen dieser Enttäuschung vom Glauben an Jesus Christus ab.

Der Evangelist Lukas fügt der Geschichte deshalb diesen Satz an:

Ich sage euch: Er (Gott) wird ihnen Recht verschaffen, und zwar unverzüglich. Bloss – wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben antreffen auf Erden?

Er will die junge Christengemeinde stärken, ja Mut machen, weiter zu glauben, trotz und gerade wegen dieser grundsätzlichen Enttäuschung.

Gott handelt anders als wir denken, aber auf die Länge enttäuscht er nicht.

Kennen wir das nicht?

Glauben ist uninteressant, nicht verständlich, nicht hilfreich, bringt nichts.

Leute treten aus der Kirche aus, bleiben unseren Veranstaltungen, auch dem Gottesdienst fern – zu unattraktiv.

Jesus empfiehlt ein Mittel, dass da hilft, nicht attraktiv ist, von uns etwas abverlangt.

Wie die täglichen Turnübungen, das Spazieren gehen im Alter usw. ist es aber sehr hilfreich und stärkend im und für das Leben:

Jesus meint: Betet!

AMEN

Literatur:

Christfried Böttrich/ Kerstin Offermann: In Bewegung – in Begegnung, Arbeitsbuch, Zugänge zum Lukasevangelium, Texte zur Bibel 36, Ökumenische Bibelwoche 2020/21, Neukirchener Verlag 2020.

Bild: Christiane Oellerich: Die bittende Witwe (2018) – aus Downloadmaterial zur Bibelwoche 2020/21, Neukirchener Verlag

Berthold W. Haerter

Pfarrer in Oberrieden, Kanton Zürich

Seit 1993 Gemeindepfarrer

Berthold.haerter@bluewin.ch

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