Galater 5,1-6 | „Wirklich befreit“

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Galater 5,1-6 | „Wirklich befreit“

Reformationsfest | 31.10.2021 | Predigt zu Gal 5,1-6 | verfasst von Peter Schuchardt |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen!

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir feiern heute das Reformationsfest. Es ist das Fest der Freiheit. Nein, ich muss es noch genauer sagen: Es ist das Fest der Befreiung. Das klingt zwar ähnlich. Aber es legt das Gewicht auf einen ganz wichtigen Punkt. Denn wenn wir das Fest der Be-Freiung feiern, dann müssen wir ja befreit werden. Und das meint: Wir sind – oder wir waren – nicht frei. Fest der Freiheit, das klingt nicht sofort danach. Das klingt nach: Wir feiern die Freiheit, die schon immer da war. Unsere evangelische Kirche hat vor einigen Jahren ein Reformpapier veröffentlicht. Das trug den Titel „Kirche der Freiheit“. Es mag mit dem etwas plakativ-schwammigen Titel zusammenhängen, dass dieses Papier nicht mehr oft in den Diskussionen auftaucht.

Wir feiern heute das Fest der Befreiung. Wir haben einen, der uns befreit: Jesus Christus. Das Reformationsfest ist immer auch ein Christusfest, ein Fest, dass Christus in den Mittelpunkt stellt. Und darum kann dieses Fest auch kein anti-katholisches Fest sein, an dem wir zeigen, wie gut und toll wir Evangelischen sind. Das war ja auch das Anliegen von Martin Luther. Er wollte ja die Kirche reformieren, erneuern, den wahren Grund wieder freilegen. Dieser Grund ist immer Christus (daran erinnert uns der Wochenspruch!). Luther findet nach schweren inneren Kämpfen zu Christus. Das war ein langer und harter Weg für ihn. Als er Mönch wird, wählt er sich bewusst den Augustinerorden aus. Die waren bekannt für ihre Strenge und Disziplin. Dort, so hofft Luther, wird er Frieden finden und Sicherheit. Doch viele es kommt anders. So streng und diszipliniert seien Ordensbrüder auch sind, Luther will noch strenger mit sich sein und noch disziplinierter leben. Aber das führt ihn immer mehr in Verzweiflung. Er durchforscht sein Herz, ob da nicht doch noch irgendwelche bösen Gedanken sind, ob er nicht doch an irgendeiner Stelle Gottes Gebot missachtet hat. Er möchte so gerne gut vor Gott dastehen und muss erkennen: Es wird nicht besser, es wird immer schlimmer. Luther sucht einen gnädigen Gott, einen Gott, dem er sich mit allen Fehlern anvertrauen kann, der seine Schuld vergibt, und findet doch nur den strengen Richter, der ihm immer nur sagt: Es langt nicht, Martin.  Diese innere Unruhe, diese Ungewissheit treiben Luther immer mehr in Verzweiflung. Er möchte gerne frei sein, aber er merkt: Durch alles, was ich tue, werde ich nicht frei. Ich bleibe ein Gefangener meiner selbst. Aber Luther lässt nicht locker, er sucht weiter in der Bibel nach einem Wort, das ihm hilft und ihn von diesen Qualen erlöst. Und er findet es: „Der aus Glauben Gerechte wird leben.“ (Rö 1,17). Der, der sich mit aller Schuld, allen Fehlern voll Glauben, voller Vertrauen an Gott wendet, der wird leben. Luther erkennt: Vorher habe ich versucht, mich selbst zu befreien. Nun sehe ich: Christus hat mich doch schon längst befreit. Er hat mich schon gerecht, richtig vor Gott gemacht. Das ist für ihn wie eine neue Geburt. Mit einem Mal, so schreibt er, öffneten sich mir die Tür zum Paradies, zur Freude und zum Leben. Alles war mit einem Mal anders. Nicht, dass ich etwas tue und mache, ist wichtig, sondern nur das eine: Gott hat schon längst das Entscheidende für mich und für alle Menschen getan. Er hat uns befreit. Jesus Christus, Gottes Sohn, nimmt alle Fehler, alle Schuld von uns mit an das Kreuz und in den Tod. Er bringt uns Versöhnung. Er bringt uns Frieden. Wenn wir unser Leben ihm voll und ganz anvertrauen. Und darum hat jeder und jede einen ganz persönlichen Tag der Befreiung – das ist der Tag der Taufe. Da nimmt er uns als seine Kinder an.

Und es ist wahr: Wir müssen befreit werden. Auch heute. Unsere äußere Welt mit den technischen Fortschritten ist anders als die zur Zeit Luthers oder des Neuen Testaments. Doch innerlich sind wir weiterhin gefangen und eingeengt. Luther, das wissen viele von euch, kämpfte gegen die Missstände des Ablasshandels. Menschen kauften sich für Geld einen Ablassbrief, damit ihnen Strafen im Fegefeuer erlassen werden. Der Ablassbrief sagt: Nun stehst du gut vor Gott da. Der moderne Ablasshandel heißt Selbstoptimierung. Gott ist in weite Ferne gerückt, aber die anderen sind nun mein Maßstab. Die Frage: „Wie stehe ich gut vor anderen da?“ treibt viele um. Ich kann und ich muss alles tun, damit ich besser werde. Selbstoptimierung bedeutet ja Selbst-Verbesserung. Ich kann also mein fehlerhaftes Selbst verbessern, durch Leistung, indem ich versuche mich zu ändern, durch Meditation und anderes. Aber dann bin ich, so wie Luther im Kloster, wieder nur bei mir selbst. Ich versuche, mich zu verbessern – und scheitere. Denn immer wieder gibt es Dinge, die noch besser, noch optimaler sein könnten. Und trotzdem lockt viele Menschen dieser Weg. Denn er verspricht Anerkennung, Ruhm und Ansehen. Er verspricht auch innere Ruhe, Glück und Frieden. Aber nicht Gott schenkt einem diesen Frieden, sondern die Anhängerschaft in den Sozialen Medien, die Follower. Die Klicks bei Instagram, Facebook zeigen: Die ist gut. Und der andere nicht, denn er hat nicht so viele Klicks. Das Ganze ist sehr zerbrechlich, denn es reicht ein falsches Wort, eine verkehrte Bemerkung, und die Zahl der Klicks geht rapide runter. Oder aber es bricht ein Shitstorm los. Aus den Followern werde Feinde. Das ist die moderne Form des Fegefeuers – und es gibt keine Gnade. Und selbst, wenn alles ruhig bleibt: Ich muss ständig weiter das Netz mit tollen Nachrichten und Aktionen füttern. So komme ich nie zur Ruhe.

Wahren inneren Frieden, wahre Ruhe, wahre Freiheit finde ich nur bei dem, der mich wirklich ein für allemal befreit. Das Reformationsfest weist uns wieder auf Christus hin. Hier ist der, der dich freimacht, wirklich freimacht. Denn er tut das allein aus Liebe. Wenn du dein Leben Gott anvertraust, allein Gott anvertraust, dann kannst du frei leben. Das klingt einfach – und ist doch zugleich schwer. Denn ich bin doch oft so stolz auf das, was ich gemacht habe. Ich bemühe mich doch, Gutes zu tun. Es erfüllt mich, wenn ich andern helfen kann. Und das soll bei Gott jetzt gar nichts zählen?

Liebe Schwestern und Brüder, das ist die Grundfrage unseres Glaubens (und auch der Reformation).  Was zählt, was rettet, was befreit mich? Christus allein? Meine guten Taten? Oder beides zusammen? Mit dieser Grundfrage setzt sich auch der Apostel Paulus auseinander. Er hat ja verschiedene Gemeinden gegründet auf seinen Reisen. Immer erzählt er zuerst von Christus. Wer dann will, wird von ihm getauft. Nach einiger Zeit zieht Paulus dann weiter. Er bleibt aber durch Briefe in Verbindung mit den Menschen in diesen Gemeinden. In der Gemeinde in Galatien ist Unruhe entstanden. Denn es sind neue Prediger gekommen. Die erzählen: Prima, dass ihr Christen geworden seid. Prima, dass ihr euch habt taufen lassen. Aber das langt noch nicht. Ihr müsst euch auch beschneiden lassen, müsst also in den Bund Gottes mit dem Volk Israel eintreten. Erst dann seid ihr voll und ganz befreit und gerettet. Paulus hört davon, und er spürt: Hier geht es um Grundsätzliches. Die Beschneidung ist nicht einfach eine medizinische Maßnahme, dahinter steht ein ganz anderes Glaubensleben. Und dieses Glaubensleben ist anders als der Weg, den Christus weist. Mit der Beschneidung schlage ich den Weg der Gesetzeserfüllung ein. Dann ist plötzlich wieder immens wichtig, was ich tue – und eben auch nicht tue.

Ich lese den Predigttext. Er steht in Gal, 5 1-6 (BasisBibel):

Christus hat uns befreit, damit wir endgültig frei sind. Bleibt also standhaft und unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Sklaverei! Ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird Christus euch nichts nützen. Ich sage es noch einmal mit allem Nachdruck jedem, der sich beschneiden lässt: Er ist verpflichtet, das ganze Gesetz einzuhalten. Ihr habt dann mit Christus nichts mehr zu tun. Jeder, der durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten will, hat damit die Gnade verspielt. Wir aber dürfen durch den Geist Gottes hoffen, aufgrund des Glaubens vor Gott als gerecht zu gelten. Denn wenn wir zu Christus Jesus gehören, spielt es keine Rolle, ob jemand beschnitten ist oder nicht. Es zählt nur der Glaube, der sich in Liebe auswirkt.

Paulus schärft hier deutlich ein: Es geht nur das eine oder das andere. Und dann heißt es: Ganz oder gar nicht. Ihr seid getauft und geht damit den Weg des Glaubens. Wenn ihr euch nun beschneiden lasst, dann verlasst ihr diesen Weg. Dann ist nur noch entscheidend, dass ihr die Gebote Gottes haltet. Und dann hat das, was Christus am Kreuz getan hat, mit euch nichts mehr zu tun. Dann geht es nur noch um eure guten Taten. Ihr könnt nicht hoffen, dass Christus euch trotzdem annimmt. Oder ihr geht weiter den Weg, den Christus euch weist. Das ist der Weg des Vertrauens, des Glaubens. Der gilt dann aber voll und ganz. Wenn ihr aus dem Vertrauen heraus lebt (Rö 1,17), dann könnt ihr bei Gott nicht auf irgendwelche guten Taten hinweisen. Was immer auch passiert, selbst wenn ihr abgrundtief in Schuld steckt, es geht nur um das Vertrauen. Sobald ihr denkt: „Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Aber Gott, vergiss nicht, ich habe doch viel Gutes getan“, sobald ihr so denkt, verlasst ihr den Christusweg. Und Paulus hat völlig Recht. Es geht nur das eine oder das andere. Die Christen in Galatien scheinen sich so eine Art Mittelweg zusammengedacht zu haben: Ich erfülle die Gebote, und was ich nicht schaffe, da hilft mir dann Jesus mit seiner Gnade. Doch Christus will mehr sein als der Lückenfüller, wenn wir versagt haben. Er will uns endgültig befreien von dem Kreisen um uns selbst und der ängstlichen Sorge: „Langt es? Reicht es, was ich getan habe?“ Vertraue dich mit allem Christus an, und du wirst leben. Du wirst frei sein.

Aber was dann? Musst du denn gar nichts mehr Gutes tun? Darauf sagt Paulus: Müssen musst du nicht, aber wenn der Geist Gottes in dir ist und wirkt, dann wirst du einfach so Gutes tun. Und du wirst nicht bei jeder guten Tat daran denken: Na, hat Gott das jetzt auch gesehen und notiert? Du machst es einfach, ohne nachzudenken, ohne Berechnung. Denn du bist ja längst frei. Christus hat dich doch befreit. Befreit zum Leben. Freu dich daran, an den sonnigen Tagen deines Lebens, aber vor allem dann, wenn du Schuld auf dich geladen und versagt hast. Denn natürlich wirst du scheitern auf deinem Weg. Das aber zählt bei Gott nicht. Nur das Vertrauen zu ihm.

Martin Luther geht nach seiner großen Entdeckung der Gnade Jesu seinen Weg weiter. Nicht immer führt sein Weg durch den Paradiesgarten. Er muss durch viele Anfechtungen hindurch, macht Fehler, wird schuldig. Doch von nun an zieht sich durch sein Leben das Vertrauen: Ich gehöre zu Christus. Und der hält mich im Leben und im Sterben.

Das feiern wir heute. Wir feiern Christus, unseren Befreier, unseren Erlöser. Denn Christus löst uns heraus aus allem Kreisen um uns selbst. Er macht uns frei. Und in dieser Freiheit eines Christenmenschen dürfen wir fröhlich und aufrecht leben. Und lasst uns dabei immer ein offenes Herz und offene Augen haben für die, die unsere Hilfe brauchen. Denn auch sie sind Kinder Gottes. Genau wie wir. Getragen von seiner Gnade. Und allein das ist wichtig.

Amen


Lieder:

EG 341 „Nun freut euch, lieben Christen g´mein“ ist das Wochenlied; ich schlage zu der Melodie den Text „Mein Herz ist voll“ von Sarah Kaiser vor

EG 362 „Ein feste Burg ist unser Gott“

EG 567 „Du öffnest, Herr, die Türen“

HuT (Durch Hohes und Tiefes) 134 „Meine Hoffnung und meine Freude“


Fürbittgebet

Barmherziger Vater,

dein Sohn Jesus Christus befreit uns.

Wir dürfen leben, geborgen in deiner Liebe.

Viele aber zerbrechen unter den Lasten des Lebens.

So bitten wir dich nun für alle,

die an ihrer Schuld leiden.

Zeige ihnen, dass du ihnen vergeben willst.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

Wir bitten dich für deine Kirche.

Du sprichst dein befreiendes Wort zu uns.

Gib uns den Mut, dieses Wort in einer Welt zur sagen,

die sich oft von dir abwendet.

Wir denken an die Christen, die ihren Glauben nicht frei leben können.

Lass sie an der Hoffnung festhalten, die du uns schenkst.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

Wir bitten für unsere Kinder und Jugendlichen.

Noch immer ist vieles für sie eingeschränkt.

Lass sie die Freude des Lebens erfahren.

Lass sie zu Menschen heranwachsen,

die aus deiner Liebe heraus Gutes tun.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

Herr,

so viele sind verzweifelt und suchen einen Sinn in ihrem Leben.

So viele sind gefangen in Sucht und Angst und Trauer.

Hilf ihnen.

Zeige ihnen den Weg, der zu deiner Freiheit führt.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

Wir bitten für uns selbst.

Manches macht uns Angst.

Manches wünschen wir uns so sehr.

In der Stille sagen wir dir, was uns heute bewegt: STILLE

Lass uns auf dich vertrauen.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

Wir danken dir, lieber himmlischer Vater, für dein Wort der Gnade.

Dir allein sei Lob und Dank in Ewigkeit.

Amen


Anmerkung:

Gute Anregungen fand ich bei

Gottfried Voigt, Die himmlische Berufung, Homiletische Auslegung der Predigttexte. Neue Folge: Reihe IV, Göttingen 1981

Joachim Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater, Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 9, Berlin 1989,

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

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