Predigt zum 85. Psalm

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Predigt zum 85. Psalm

Der Herr redet vom Frieden| Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres | 7.11.21 | Predigt zum 85. Psalm |  verfasst von Sven Keppler |

Vor dem Gottesdienst wird der Gemeinde der Text des 85. Psalms in der Übersetzung der Basisbibel verteilt, mit der hilfreichen Gliederung in vier Absätze.

Ein Gebet. Ein musikalisches Gedicht. Der 85. Psalm wird uns heute für die Auslegung vorgeschlagen. Und weil das ein Gebet ist, möchte ihn nicht vorlesen. Sondern gemeinsam mit Ihnen, mit Euch sprechen. In den vier Teilen, wie Sie sie auf dem Zettel finden. Sprechen wir gemeinsam den ersten Abschnitt:

Herr, du hast dein Land wieder lieb gewonnen

und das Schicksal Jakobs zum Guten gewendet.

Du hast deinem Volk die Schuld vergeben

und alle Sünden hast du ihm verziehen.

Du hast deinen ganzen Ärger aufgegeben

und deinen glühenden Zorn verrauchen lassen.

Dankbar. So beginnt unser Gebet. Dankbar für das Gute, das Gott bereits getan hat. Gott ist nicht nur fern. Er ist nicht nur verborgen. Wenn ich dieses Gebet spreche, erinnere ich mich: Gott überlässt mich nicht dem, was schrecklich ist in der Welt. Sondern das Allerwichtigste ist: Er liebt mich.

Gott ist die schöpferische Macht, der ich mein Leben verdanke. Und nicht nur ich. Das ganze Land, die ganze Welt, in der ich lebe. All das gibt es, weil Gott es so will. Gott liebt diese Welt, dieses Land. Milde und frei von Zorn. Sollte ich da nicht dankbar sein?

Natürlich ist nicht alles heile in dieser Welt. Dazu später mehr. Und im Anfang unseres Gebetes klingt auch durch: Das Verhältnis zu Gott war nicht immer ungetrübt. Es gab dunkle Zeiten. Zeiten, in denen Menschen Gottes Nähe und Liebe nicht gespürt haben. Zeiten, die hart waren: Krieg, Vertreibung, Zerstörung des Landes.

Aber wer dieses Gebet spricht, der weiß: Dieses Leid ist Geschichte. Ich habe von Menschen gehört, die das so empfunden haben: Gott war fern. Befremdet, verärgert. Die Katastrophen des Krieges, das war wie wenn Gott glühend zornig war. Aber dieses Schicksal hat Gott zum Guten gewendet. Es ist vorbei. Hier zumindest. Dafür bin ich dankbar, wenn ich dieses Gebet spreche.

Nein, auch heute ist nicht alles in Ordnung. Das wird zur Sprache kommen. Gleich, wenn wir das Gebet fortsetzen. Aber bei allen Klagen, bei allen Bitten haben wir einen Ausgangspunkt. Ein Fundament. Gott meint es gut mit uns. Er überlässt uns, seine Geschöpfe, nicht den zornigen Kräften in dieser Welt.

Fahren wir fort mit unserem Gebet:

Gott, du bist unsere Hilfe, stell uns wieder her!

Sei nicht länger so aufgebracht gegen uns!

Willst du denn für immer auf uns zornig sein?

Soll sich dein Zorn noch ausdehnen

von der einen Generation auf die andere?

Willst du uns nicht wieder neues Leben schenken?

Dann wird sich dein Volk über dich freuen.

Herr, lass uns doch deine Güte erfahren!

Wir brauchen deine Hilfe, gib sie uns!

Wenn ich dieses Gebet spreche, dann erinnere ich mich: Gott meint es gut mit uns. Von ihm darf ich Hilfe erwarten. Er ist nicht mein Feind. Keine kalte, grausame, gleichgültige Macht. Gott, du bist unsere Hilfe.

Aber es ist eben nicht alles in Ordnung. Auch wenn wir durch Jesus wissen, dass Gott sich mit seinen Geschöpfen versöhnt hat. Vieles sieht entfremdet aus und gestört in der Welt. Nicht nur als Momentaufnahme. Sondern dauerhaft. Über die Generationen hinweg.

Wir leben in einer Zeit der Angst. Die Covid-19-Pandemie ist noch längst nicht überwunden. Die autoritären Kräfte sind weiter stark, die unsere freiheitliche Demokratie unterhöhlen. Und gefährlicher, mächtiger als alles erleben wir, wie wir Menschen unsere eigene Lebenswelt zerstören.

Tierarten sterben unwiederbringlich aus. Das Klima wird immer wärmer. Die grünen Lungen unserer Erde werden für kurzfristige Gewinne geopfert. Wasser, Luft und Erde werden vergiftet durch die Überreste unserer Produkte. Wie ein Parasit ist der Mensch zur Plage geworden für diese wunderbare Welt. Wir wissen es. Die Angst wächst. Und auch das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit. Wir brauchen deine Hilfe, Gott, gib sie uns!

Beten wir weiter:

Ich will hören, was Gott zu sagen hat.

Der Herr redet vom Frieden.

Er verspricht ihn seinem Volk und seinen Frommen.

Doch sie sollen nicht mehr zurückkehren

zu den Dummheiten der Vergangenheit!

Ja, seine Hilfe ist denen nahe, die zu ihm gehören.

Dann wohnt seine Herrlichkeit wieder in unserem Land:

Was gilt denn nun? Auf der einen Seite dürfen wir vertrauen: Gott hat sich versöhnt mit der Welt, die er geschaffen hat. Gott meint es gut mit uns, seinen Geschöpfen. Auf der anderen Seite sehen wir die Kräfte und Mächte, die das Leben bedrohen. Meins. Deins. Und das aller Lebewesen auf dieser Welt.

Was gilt denn nun? Herausfinden kann ich das nur, wenn ich mich auf Gott einlasse. Im Gebet erinnere ich mich: Es ist meine Aufgabe, auf Gott zu hören. Ich will hören, was Gott zu sagen hat. Wie mache ich das, wenn ich kein Prophet bin? Wenn ich keiner bin, zu dem Gott im Traum redet? Ich kann in der Bibel lesen. Kann versuchen, sie zu verstehen. Auf meine Haltung kommt es dabei auch an: Ich will hören, was Gott zu sagen hat. Ich hoffe darauf, dass er mich anspricht.

Wenn ich unser Gebet spreche, dann bekomme ich Hoffnung: Ja, Gott spricht wirklich. Und er hat eine ganz konkrete Botschaft: Der Herr redet vom Frieden. Darum geht es vor allem: Frieden. Frieden ist das, was Gott für diese Welt will. Ich soll im Frieden leben. Mit meinen Mitmenschen. Mit Tieren und Pflanzen. Mit meiner Lebenswelt. Mit mir selbst. Und in alledem: im Frieden mit Gott.

Aber dabei höre ich auch eine Aufgabe: Ich soll nicht zurückkehren zu den Dummheiten der Vergangenheit. Zu den Egoismen, die den Frieden gefährden. Die ihn zerstören können. Diese Besessenheit vom Wohlstand. Diese Habgier nach immer mehr Wachstum. Dieses Zerfressen sein von der Konkurrenz. Diese Selbstherrlichkeit, als ob wir Menschen uns von der Natur unabhängig machen könnten.

Dummheiten, oh ja. Aber sind das Dummheiten der Vergangenheit? Wir wissen alle: Sie sollten Vergangenheit sein. Aber die UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigt nur zu deutlich: Es reicht nicht, Klimaziele zu benennen. Dadurch ändert sich das Verhalten noch lange nicht.

Solange die Mächtigen die Wohlstandsmehrung über alles stellen. Solange die Wirtschaftslenker sich am kurzfristigen Profit orientieren. Und solange wir zu bequem sind für all die mühsamen kleinen Veränderungen in unserem Lebensstil. Solange bleiben die Dummheiten aufdringlich gegenwärtig! Gottes Hilfe mag nahe sein. Aber wir dürfen sie nicht ausschlagen.

Wenn wir das Gebet abschließen, dann bekommen wir ganz greifbare Hinweise, worauf es ankommt. Güte und Treue, Gerechtigkeit und Friede. Sprechen wir gemeinsam:

Güte und Treue finden zueinander.

Gerechtigkeit und Frieden küssen sich.

Treue wächst aus der Erde empor.

Gerechtigkeit scheint vom Himmel herab.

Auch schenkt uns der Herr viel Gutes,

und unser Land gibt seinen Ertrag dazu.

Gerechtigkeit zieht vor ihm her

und bestimmt die Richtung seiner Schritte.

Vier ganz konkrete Tugenden können helfen. Das ist es, was Gott zu sagen hat. Güte und Treue, Gerechtigkeit und Friede. Das ist auch sehr vernünftig. Die alte Philosophie hatte vier ganz ähnliche Grundtugenden erkannt: Weisheit und Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit. Wie schön, dass Gott und Vernunft hier ganz Ähnliches sagen.

Unser Gebet spricht von diesen Tugenden, als wären es greifbare Gestalten. Heilsmächte, lebendige Wesenheiten. Treue wächst aus der Erde. Gerechtigkeit geht vor Gott her und küsst sich mit dem Frieden. Wie in den allegorischen Bildern der klassischen Kunst.

Und dass die Treue aus der Erde emporwächst und die Gerechtigkeit vom Himmel scheint, ist ja auch ein wunderbares ökologisches Bild: In der ganzen Schöpfung wirken diese heilvollen Kräfte.

Aber so schön das Bild dieser mächtigen Gestalten auch sein mag: Es gibt sie nur in unserem Handeln. Wenn unsere Dummheiten nicht nur die Vergangenheit bestimmen, sondern auch die Gegenwart, dann bleiben diese Tugenden kraftlos. Auf Gott hören heißt: Versuchen, dass diese Tugenden in meinem Leben mächtig werden.

Güte oder Weisheit. Im Hebräischen steht hier Chäsäd. Das heißt auch Treue, Erbarmen. Erkennen, wie ich eingebunden bin. In die Gemeinschaft mit anderen Menschen. In die Zusammenhänge der Natur. In meine Beziehung zu Gott.

Erkennen, dass der Einzelne und sein Eigentum nicht das Maß aller Dinge ist. Dass ich Teil eines großen Zusammenhangs bin. Dass ich von dort bekomme, was ich zum Leben brauche. Und dass dieser Zusammenhang es auch braucht, dass ich ihn pflege. Mich als Teil und als Bewahrer dieses großen Lebenszusammenhangs erkennen – darin liegt Weisheit.

Treue und Tapferkeit. Hebräisch Ämät. Das heißt fest sein. Tragfähig. Zuverlässig. Das heißt: Ich soll nicht nur sagen, was richtig ist. Sondern es auch tun. Und nicht nur, solange es Spaß macht. Sondern auch, wenn es anstrengend wird. Nicht nur gegen Flugreisen sein, wenn es November ist. Sondern auch, wenn im Sommer die Traumstrände locken.

Gerechtigkeit ist die Tugend des Ausgleichs. Friede wird nur, wenn die Interessen in dieser Welt zu einem Ausgleich kommen. Oder wenn zumindest alle das Gefühl haben können, dass sie gesehen werden. Dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Und es nicht den einen gut geht. Denen auf der Sonnenseite. Oder auf der Nordhalbkugel. Sondern dass alle im Blick sind.

Alles läuft auf das große Ziel hinaus: den Frieden. Frieden zwischen Menschen, mit der Natur, mit mir selbst und mit Gott. Der Friede, den Gott tatsächlich verspricht. Amen!

Pfarrer Dr. Sven Keppler

Versmold

sven.keppler@kk-ekvw.de

Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Vorsitzender des Versmolder Kunstvereins. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

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