Predigt zu 1. Kor. 4, 1-5

Predigt zu 1. Kor. 4, 1-5

Gottes Geheimnisse?! | 3. Advent | 12. Dezember 2021 | Predigt zu 1. Kor. 4, 1-5 | verfasst von Antje Roggenkamp |

Gnade sei mit Euch und Frieden, von Gott unserem Herrn, der da ist, der da war und der da kommen wird.

1.In dieser Weise soll man uns einschätzen als Diener Christi und als Verwalter der Geheimnisse Gottes. 2.Denn von Verwaltern verlangt man, dass einer als treu erwiesen wird. 3.Mir aber ist es völlig gleichgültig, ob ich von Euch beurteilt werde oder von irgendeinem menschlichen Gerichts(tag). Ich beurteile noch nicht einmal mich selbst.

4.Ich wüsste zwar nicht, dass ich mir etwas hätte zuschulden kommen lassen, aber damit bin ich nicht gerechtfertigt. Entscheidend ist das Urteil, das der Herr über mich spricht. 5. Darum richtet nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt, der das Verborgene der Finsternis erhellen und die Pläne der Herzen kundmachen wird. Und dann wird einen jeden sein Lob zuteilwerden von Gott.

Liebe Gemeinde,

Geheimnisse oder Heimlichkeiten?

In der (Vor-)Weihnachtszeit stelle ich mir Geheimnisse so vor wie in Bullerbü. Lasse, Bosse, Lisa, Britta, Inga und Ole können den Heiligen Abend kaum erwarten. Sie backen Sterne, Herzen und Schweine aus Pfefferkuchenteig, schmücken den Tannenbaum und tauschen sich über ihre Weihnachtswünsche aus. Das Holz im Ofen knackt, der Großvater versucht, die Scheite zu wenden. Bis zuletzt verraten die Kinder aus Smaland nicht, was sie einander schenken. Echte Geheimnisse wollen geheim gehalten werden, und da trifft es sich gut, dass nichts, ja rein gar nichts, nach außen dringt.

Geheimnisse sind etwas ganz Besonderes, sie unterschieden sich von Heimlichkeiten, von verborgenen Verhandlungen, von Dingen, die man Dritten gegenüber verbirgt. Damit meine ich nicht jene Geheimhaltung, die im Verborgenen um Lösungen ringt, sondern jene Heimlichkeiten, deren Folgen, die die sie begehen, fürchten müssen. Heimliche Aktivitäten erzeugen meist ein schlechtes Gewissen bei dem, der sie vollzieht. Auch, wenn es in der Natur der Sache  liegt, dass Heimlichkeiten nicht immer oder erst im Nachhinein entborgen werden. Heimlichkeiten haben es jedoch an sich, dass sie weitere Lügen und andere Betrugsformen nach sich ziehen: Fange ich erst einmal an, meinen Partner zu betrügen, folgt aus dem einen Versprecher, der mich verraten könnte, eine andere Vertuschungsaktion oder die nächste Lüge. Komme ich angesichts meiner Steuerlast auf die Idee, einen Teil meines Aktiengewinns in die Cayman Islands zu verschieben, muss ich nicht nur den Bank-, sondern mindestens auch die Steuerberaterin auf meine Seite ziehen. Wenn sie nicht gleich ihren Teil des Kuchen vorab erhalten wollen.

Heimlichkeiten in Korinth?

Nun sind die Korinther eigentlich keine Personen, die sich in Heimlichkeiten verstricken. Schaut man den Kontext unserer Perikope an, so gewinnt man den Eindruck, dass sie ihre Anliegen in aller Öffentlichkeit diskutieren. Die Anhänger von Paulus, Kephas und Apollos streiten nicht nur um ihre Deutung christlicher Verkündigung. Sie bedienen sich dabei auch Positionen, die Geheimlehren entstammen oder sich zumindest aus Weisheitskonstruktionen speisen. Wenn Paulus als Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes die Gemeinde frühzeitig darauf hinweist, dass das, „was die Welt für klug hält, bei Gott töricht ist“ (3, 20), dann geht es ihm darum, diese Verbreitung geheimen Wissens ad absurdum zu führen.

Was macht eigentlich ein Verwalter?

Ein guter Verwalter wirtschaftet mit dem ihm Anvertrauten umsichtig. Er sieht zu, dass das ihm Anvertraute nicht an Wert verliert, sondern wenigstens seine Qualität behält. Ich stelle mir darunter etwa Lothar Wieler vor, den Chef des Robert-Koch-Instituts, der uns allabendlich seine Sicht auf das Erreichte präsentiert. Je niedriger die Inzidenzzahlen ausfielen, umso besser hatten die Deutschen die AHA-Regeln befolgt. Je höher sie werden, umso weniger hält sich das Gesamt der Bevölkerung statistisch betrachtet an die wissenschaftlichen Empfehlungen.

Man muss also nicht nur Regeln kennen, um einer Minderung gesamtgesellschaftlicher Lebensqualität vorzubeugen. Man muss sie auch möglichst befolgen: „2.Denn von Verwaltern verlangt man, dass einer als treu erwiesen wird.“ Paulus kommt mir irgendwie wie dieser Verwalter vor, der versucht Menschen von seinen Empfehlungen zu überzeugen. Es ist besser, die von ihm Grund gelegte, die gesamte Gemeinde adressierende Verkündigung zu befolgen, als sich Parteien anzuschließen und Clusterbildungen zuzuarbeiten. Dass die in dieser Verkündigung begründeten Geheimnisse auf besondere Weise zu bewahren sind, darauf macht er die Gemeinde als treuer Verwalter aufmerksam.

Strategiewechsel?

Dass Paulus nun gerade für dieses Verhalten Kritik erntet, fordert ihn zu tieferer Nachdenklichkeit heraus. Hat er dem Treiben der Korinther vielleicht zu lange zugeschaut, hat er zu lange geschwiegen? War er so zögerlich und zurückhaltend, weil er hoffte, dass sie von sich aus zur Vernunft kommen würden?

Im politischen Bereich stellen sich Erfolge aktuell auf andere Weise ein. So verabredeten die führenden Politiker von SPD, FDP und Grünen nichts, rein wirklich nichts über ihre erste Treffen an die Außenwelt gelangen  zu lassen. Dass die geheimen Verhandlungen am Ende auf einen Koalitionsvertrag hinausliefen, hat auch damit zu tun, dass man aus den Fehlern vorangegangener Verhandlungen zu lernen bereit war. Wären also die Strategien der Ampelkoalitionäre ein Modell für Pauli Umgang mit den Korinthern?

Nichts dergleichen geschieht. Paulus gibt seine Rolle als Rechenschaft ablegender Verwalter auf. Er zeigt den Korinthern die kalte Schulter: „3.Mir aber ist es völlig gleichgültig, ob ich von Euch beurteilt werde oder von irgendeinem menschlichen Gerichts(tag). Ich beurteile noch nicht einmal mich selbst.“ Paulus kann, ja er muss diesen Schritt vollziehen: Als Amtsperson wäre er viel zu sehr in die Diskussion über berechtigte und unberechtigte Kritik verwickelt, als dass er als neutraler Vermittler ruhig argumentieren könnte. Paulus poltert und entzieht den Korinthern jede Zuständigkeit dafür, über sein Handeln zu urteilen.

Machtmissbrauch oder finstere Mächte?

Und so – wie Paulus – scheint es uns allen irgendwie gerade zu gehen. In unsere Politiker haben wir kein Vertrauen mehr. Wir fühlen uns ihnen und ihrem Gebaren hilflos ausgesetzt. Politiker treffen ihre Entscheidungen häufig zu spät. Ihre zögerlichen Beschlüsse nehmen all jene, die sich an alle Empfehlungen der Wissenschaftler gehalten haben, in gesellschaftliche Geiselhaft. Daher würden wir ihnen am liebsten jede Zuständigkeit entziehen. Dass ein amtierender Gesundheitsminister im vorletzten Lockdown eine große Partie mit geladenen Gästen ohne Mundschutz feiern konnte, obwohl seine eigenen Gesetze dem Rest der Bevölkerung Kontaktsperren vorschrieben, gibt wenig Anlass zu vernünftiger Hoffnung. Dass dies an einem Ort geschah, wo sich schon damals einer der größten Hotspots etabliert hatte, zeugt von einer Verantwortungslosigkeit, die sich kaum in Worte fassen lässt.

Diese Pandemie verändert uns. Es ist offensichtlich eine politische Überregulierung, die uns zur radikalen Beschränkung unserer Kontakte zwingt. FFP-2 Masken hier, medizinische Masken dort. 2 G+ hier, die 3. Impfung dort. Wir meiden nicht die Öffentlichkeit, weil wir sie wie die politischen Heimlichtuer fürchten müssten, sondern wir meiden sie, weil wir eine diffuse Angst haben, uns anzustecken oder irgendetwas Verbotenes zu tun. Wir stehen Mächten gegenüber, die am Ende keiner mehr durchschaut und die unser Zusammenleben bisweilen bedrohlich an den Abgrund führen. Gelegentlich kommt es mir vor, als sollte Blaise Pascal mit seiner düsteren Anschauung der menschlichen Situation recht behalten: „Er (der Mensch) ist ebenso unfähig, das Nichts zu sehen, aus dem er stammt, wie die Unendlichkeit zu erkennen, die ihn verschlingen wird.“

Wer hat das Recht zum Urteilsspruch?

Es ist aber weniger jene amtliche Überregulierung, die Paulus in jener Krise prägt, als vielmehr die Frage, ob überhaupt irgendjemand das Recht hat, sein Inneres zu beurteilen: „4.Ich wüsste zwar nicht, dass ich mir etwas hätte zuschulden kommen lassen, aber damit bin ich nicht gerechtfertigt.“ Auch wenn Paulus den Korinthern gerade noch jedes Recht auf Beurteilung seiner Amtsführung unter Verweis auf die asymmetrische Situation abgesprochen hatte, so wendet er nichts gegen eine Selbstprüfung ein – im Gegenteil. Seine Gewissenserforschung zieht weder die (Selbst-)Anklage noch eine Verteidigung nach sich. Diese Gewissenserforschung ist vielmehr notwendig, um keine weiteren Schranken zwischen jenen, die sich an Empfehlungen halten, und jenen, die seine Ratschläge mit Füßen treten, aufzurichten. Das Zulassen eines vorzeitigen, menschlichen Gerichts wäre der Versuch, das göttliche Urteil selbst vorwegzunehmen und damit das Eingeständnis, sich anderen Mächten unterworfen zu haben: „Darum richtet nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt“. Ob Paulus damit auch uns einen Weg aus der Krise weist?

Uns loben lassen?

Der Gott, auf den sich Paulus beruft, ist kein wankelmütiger Gott. Es ist ein Gott, der in die Herzen der Menschen blickt, der sie erforscht und der am Ende einem jeden seinen Lohn, also das, was er verdient, zukommen lässt. Und so sieht sich Paulus nicht im Status eines Gerechten, sondern bietet den Korinthern an, es noch einmal miteinander auf eine ganz andere Weise zu versuchen.

Und auch uns, die wir uns auf der richtigen Seite wähnen, könnte dies Anstoß sein, sich über die Folgen unseres Verhaltens Gedanken zu machen. Mich selbst hat eine im Krankenhaus tätige Studentin ins Nachdenken gebracht. Kurz vor ihrem ersten Boostern hinterfragte sie ihre privilegierte Behandlung, da doch noch „so viele Menschen ungeimpft“ seien. Und in der Tat: Sind nicht auch Coronaleugner, hilflose Heimlichtuer oder die Verantwortung scheuenden Politiker eingeladen, ihre Perspektive zu verändern? Es gibt keinen Unterschied zwischen Entscheidern und Nicht-Entscheidern. Diese Grenzen sind in Lebens entscheidenden Dingen aufgehoben. Mit Paulus sind wir frei, weil wir wissen, dass nicht wir es sind, die über uns Menschen richten.

Geheimnisse Gottes?!

Das Wissen um die Geheimnisse Gottes kommt nicht aus uns selbst heraus, sondern es wird uns am Ende von Gott entborgen, schon jetzt aber vom Kind in der Krippe geschenkt. Bringt die Gegenwart des Vaters all jene Heimlichkeiten ans Licht, an denen wir immer wieder zu ersticken drohen, so erinnert uns die Verletzlichkeit des Sohnes daran, den Panzer unserer Selbstgerechtigkeit fallen zu lassen. Durch seine Menschwerdung schaut Gott nicht länger als Richter in unsere Herzen, sondern mit jenem zärtlichen Blick, der sein Wesen von Weihnachten her verändert hat. Diese Veränderung kommt aber nicht dadurch zustande, dass wir es sind, die diese Zärtlichkeit verdienen, sondern er ist es, der uns durch seine Verletzlichkeit auf neue Weise empfindsam macht. Gerade weil er sich so verletzbar macht, kann er das tiefe Sehnen unserer Herzen offenbaren. Durch die Sendung seines Sohnes dürfen wir uns wirklich trösten lassen, durch jene Zärtlichkeit, die uns in unserem Inneren verändert.  Wie tragfähig seine Menschwerdung ist, spüren wir, wenn wir uns in dieser dunklen Adventszeit auf seine Ankunft gemeinsam vorbereiten. Die Geheimnisse Gottes verändern unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit – nicht erst an Weihnachten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus.

Lieder

EG 1, 1-3 Macht hoch die Tür

EG 10 Mit Ernst, o Menschenkinder (Wochenlied)

EG 184 Wir glauben Gott im höchsten Thron

EG 16, 1-3. 4-5 Die Nacht ist vorgedrungen

EG 13 Tochter Zion

Prof. Dr. Antje Roggenkamp

Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik
Universitätsstraße 13-17
48143 Münster

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