Lukas 1,67-80

Lukas 1,67-80

Dritter Advent | 12.12.21 | Lukas 1,67-80 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen |

Die Zeit ist vorbei, in der Kinder erwartet werden. Vorbei die Zeit des Anfangs, wo die Möglichkeiten noch vor einem liegen und wo die Lebensbahn noch eine unerforschte Landschaft ist. Elisabeth und Zacharias sind alt. Wir begegnen ihnen im Lukasevangelium. Beide sind hoch in die Jahre gekommen, stehen da, und sind damit in einem Lebensabschnitt gekommen, wo „alt“ eine treffende Bezeichnung der Lage ist.

Alte Leute wissen, was Verlust heißt. Vieles liegt da hinter einem, viel hat man erlebt, es hat sich in unser Bewusstsein und im Unbewussten eingegraben. Und die Sinne sind selten ganz unberührt von dem vielen Gebrauch.  Die Welt steht nicht mehr so deutlich vor uns, wie sie dies einmal in jungen Jahren tat, und das geschwächte Gehör legt einen Dämpfer auf die Laute, die zuvor ungehindert in unsere Ohren drangen. Nach all den Jahren sind da auch mehr Gräber, an denen wir stehen. Für den Alternden leben die Toten hinter unseren Ohren. Hier sind sie lebendig zugegen. Nahe und liebenswerte Namen, aus denen Liebe strömt. Nahe und liebenswerte Menschen, die noch immer teilhaben an dem inneren Gespräch und deren Gangart und Auftreten noch lebendig ist bei den Nachfahren.

Alte Leute wissen auch etwas darüber, was Zeit ist. Die Jungen sagen: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Alte Leute greifen selten zu so schlagkräftigen Formulierungen. Alte Leute wissen nämlich, dass da mehr ist als nur ein Heute und dass das Jetzt ein enger Raum werden kann, in dem man sich bewegt.  Denn da sind Tage, die unerträglich sind und wo der Trost darin besteht, dass auch andere Tage kommen. Alte Leute wissen auch, dass die Vergangenheit nicht nur ein verlassenes Land ist, mit dem der heutige Tag nichts zu tun hat. Da liegen Erkenntnisse und Einsichten in der Vergangenheit, die wichtig sind und die man mit sich tragen muss. Entweder um nicht das zu wiederholen, was nicht wiederholt werden darf, oder um die Weisheit früherer Zeiten mitzunehmen in das Leben heute. Die alten Leute breiten also die Zeit aus. Sie reden nicht nur vom Heute, sie reden auch vom Gestern, ja von einer Zeit, die weit zurück liegt. Und sie tragen die Sitten und Rituale mit sich, die für frühere Generationen den Rahmen ihres Lebens darstellten.

So ist es auch für Zacharias. Er ist Priester im Tempel mit den Traditionen und Ritualen, die das mit sich bringt. Er bewegt sich im Heiligtum und kehrt dahin zurück. Das ist sein Leben zwischen dem Alltag und den Festen.  Bis zu dem Tag, wo das Heilige die Lebensbahn unterbricht, auf der er sich bis dahin bewegt hat.

Für eine gewöhnliche Betrachtung folgt dies einem festen Schema. Erst Kindheit, dann Jugend, dann Erwachsenalter und schließlich das Alter. Aber Gott nimmt das offenbar nicht so genau mit der Reihenfolge der Lebensabschnitte. Wenn Gott auf den Plan tritt, kann es deshalb sehr wohl beginnen, auch wenn der lineare Ablauf mehr einen Abschluss nahelegt. Auch wenn sie also alt geworden sind, Elisabeth und Zacharias,  erfährt Zacharias dennoch eines Tages, als er in das Heiligtum geht, dass sie ein Kind bekommen werden – einen Jungen, der vom Mutterleibe an mit dem Heiligen  Geist erfüllt ist.

Als diese göttliche Unterbrechung geschieht, wird Zacharias stumm. Draußen warten sie aber auf den Priester, warten darauf, was er zu sagen hat. Und warten vielleicht auch darauf, dass der Alte etwas von seiner Lebensweisheit preisgeben wird – von den Erfahrungen erzählen wird, die er in einem langen Leben gemacht hat, was für edle Gedanken er sich gemacht hat und ob er im Laufe der Jahre einem Sinn näher gekommen ist, der Wahrheit über das Leben des Einzelnen wie der Gemeinschaft.

Aber die Verheißung lässt Zacharias verstummen. Was soll man auch sagen, wenn das Leben größer wird als man glaubt. Größer als die Träume, die man zuvor zu träumen gewagt hat. Die Worte reichen nicht aus. Oder auch verstummt er, weil dies etwas ist, was in ihm reifen soll? Ein neues Verstehen vielleicht, ein neuer Glaube, eine neue Hoffnung? Und in diesem Reifeprozess ist das Verstummen nur eine Zeit der Vorbereitung, in der das Neue seinen Weg in ihm findet.

Es vergehen neun Monate, und Zacharias sagt kein Wort. Als die neun Monate vergangen sind, bringt Elisabeth das Kind zur Welt, und die Leute fragen, wie man das nun einmal tut: Was soll das Kind heißen? Zacharias schreibt auf einer Tafel: Johannes. Und von da an kann er wieder sprechen. Oder besser gesagt, es sind zuerst nicht Worte. Zacharias singt. Er singt seine Freude und seinen Dank heraus.

Ein neues Leben ist in die Arme des alten Mannes gelegt, ein Junge, aus dessen Namen Liebe strömt. Und die ungewöhnliche Lebensbahn des Jungen ist vorausbestimmt. Der soll den Weg bahnen für neue Erkenntnisse nicht nur bei einem Vater, sondern einer Menschheit, er soll den Weg bahnen, auf dem Gott den Weg in die Welt finden kann.

Neues und Altes, Altes und Neues vereinen sich im Lobgesang des Zacharias. Er steht eben da im Übergang zwischen dem, was war, und dem, was kommt, zwischen Abschluss und Beginn. Er trägt die Geschichte mit sich, die alten Gedanken und die alten Erkenntnisse. Sie haben dazu beigetragen, ihn zu prägen, so wie er auch das Schöne aus der Vergangenheit mit sich weitergetragen hat.  Ja vielleicht hätte er gar nicht zu diesem Punkt gelangen können ohne das, was ihn zuvor geprägt hat. Zugleich aber ist entscheidend Neues eingetroffen, was für immer nicht nur die Gegenwart und die Zukunft verändert, sondern auch zurückwirkt auf das, von dem er herkommt, so dass es in einem neuen Licht erscheint. Zuvor war er der Kinderlose, jetzt ist er der, der neues Leben geschenkt hat. Vorher war er der, der sich in das Heiligtum begab, um Gott zu dienen. Nun hat Gott ein Kind in seine Hände gelegt und gesagt, dass dieses Kind die Ankunft Gottes selbst ankündigt.

Zacharias ist wie nein Moses, der nach vierzig Jahren Wüstenwanderung in das verheißene Land gelangt. Er ist der Alte, der nicht nur das Neue erblickt, sondern mit dem Neuen im Arm dasteht. Und die Wüste ist wie das Verstummen, das Zacharias wiederfahren ist. Ein Verstummen, ehe der Jubel ausbricht.

Das Neue, von dem Zacharias singt, ist wie ein Wiedererklingen des Alten in einer neuen, verklärten Form. Ein Gott, der nicht gefesselt ist an die Gebote und Vorschriften, denen Zacharias sein ganzes Leben gedient und nach denen er gelebt hat. Es ist vielmehr ein Gott so lebendig wie zwei Kinderaugen, die einen anschauen. Ein Gott, von dem Liebe ausströmt.

Als alter Mensch weiß Zacharias etwas von Verlusten, nun weiß er auch etwas von Geburten. Und Johannes ist zwar sein Junge, aber das Neue reicht weiter als zu ihm selbst und weiter als zu dieser Geburt. Zacharias singt also von der Barmherzigkeit Gottes und dem Licht aus der Höhe. Von dem, was gut begonnen hat und dem, was vollendet werden wird. Es kann gut sein, dass die Sinne geschwächt sind, aber die innere Einsicht hat sich eingefunden.

Und eben dies ist ein Anfang. Noch eine Geburt ist zu erwarten. Sie steht nun nahe bevor. Bald werden die Glocken läuten und ein himmlischer Lobgesang wird erklingen. Der Lobgesang des Zacharias erweist sich als Auftakt dazu. Denn direkt nach diesem Lobgesang beginnt Lukas im Ernst sein Evangelium. „Es begab sich aber zu der Zeit“, schreibt er, und alte Leute, die diese Erzählung schon früher gehört haben, wissen, dass dies der Anfang der Erzählung vom Kommen Gottes ist. Amen.

Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

 

de_DEDeutsch