Predigt zu Lukas 1,26-38

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Predigt zu Lukas 1,26-38

Jesus – der neue Anfangsmensch Gottes | 4. Advent | 19.12.2021 | Lukas 1,26-38 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

vermutlich kennen Sie auch die Parole: „Zukunft passiert nicht, Zukunft wird gemacht!“ Daraus macht dann in Wahlkampfzeiten eine Partei das Versprechen: „Wählt uns, wir machen Zukunft.“ – Als Lukas seine Weihnachtsgeschichte aufschreibt, wird ihm klar, dass es in ihr um Zukunft geht, aber nur Weniges in ihr zufällig geschieht. Er berichtet, dass Zeugung und Geburt Jesu nicht Zufälle sind, sondern Gott als Initiator haben. Gott selbst beginnt damit die Lebenszukunft seines Jesus von Nazareth und die Ewigkeitszukunft seines Christus. Für uns erzählt Lukas die Weihnachtsgeschichte dann überwiegend aus der Perspektive der Jungfrau Maria und beginnt dabei mit der Ankündigung der Zeugung durch den Engel Gabriel. Der suchte zunächst im Tempel den Uralt-Priester Zacharias auf. Ihm und seiner unfruchtbaren Frau Elisabeth prophezeite er die Empfängnis, das Austragen und die Entbindung eines Knaben und verfügte als Namen: „Nennt ihn Johannes!“ Dieser Johannes wurde zum Täufer Jesu im Jordan.

Nun, ein halbes Jahr nach der Johannes-Ankündigung erscheint der Engel Gabriel der noch unberührten Maria im Haus ihres Vaters. Lukas ergänzt: da war sie bereits verlobt mit Joseph, einem weit entfernten Nachkommen Davids. Der Engel sprach sie an: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? – Und der Engel führte aus: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. – Dagegen fragte Maria ihn: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? – Darauf erklärte der Engel: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. – Maria erwiderte ihm: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.“ (Lukas 1,26-38)

Die Szene beginnt damit, dass der Engel eintritt und Maria begrüßt; mit einem „Guten Tag“, noch nicht mit dem klassischen „Fürchte dich nicht!“ Als Vornamen auch noch nicht mit „Maria“, sondern mit: „Du Begnadete!“ Er schließt seine Begrüßung ab mit einem „Gott sei mit Dir!“ – Als Kurzfassung davon hat sich uns das lateinische „Ave Maria“ eingeprägt; „gegrüßet seist Du, Maria!“ Das lateinische AVE brachte jemand auf die pfiffige Idee, die Buchstaben ihres Namens zu spiegeln. Dabei wird an das Begrüßungs-AVE der Name EVA angehängt. Dadurch wird aus dem AVE MARIA-Gruß ein AVE EVA-Gruß und der Maria der Weihnachtsgeschichte wird die Eva der Schöpfungsgeschichte gegenübergestellt. Eva ist dabei die Ur-Mutter aller Menschenkinder, Maria wird die Ur-Mutter aller Christuskinder. Nicht als Gegensatz, sondern eher als Neuauflage, durchaus mit einem großen Qualitätssprung. – Auch wenn es nur wie ein Buchstabendreher aussieht, ist es eine kühne Verbindung der beiden Frauen, die bereits in den ersten Briefen der Urkirche angedacht wird. So lesen wir im Kolosserbrief: „Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.“ Der Vorgang einer „Schöpfung“ verknüpft Maria mit Eva, beide sind für Gott jeweils Anfangsmütter zweier Menschensorten, das hat Weitblick. Zugleich nimmt diese Sicht den Druck aus den Details heraus, dass Eva aus einer Rippe kam und Jesus aus einer Jungfrau. Anstelle der Engführung, diese Details glauben zu müssen, entstehen neue Räume für die ursprünglichen Absichten dieser Dogmen. Sie zielen auf eine neue Schöpfung.

Auf Maria bezogen meint das: Sowohl das Zeugungswunder wie das Jungfräulichkeitswunder sind wichtig und wahr in einem begrenzten Sinn, aber spätestens mit Marias unbefleckter Himmelfahrt entpuppt sich das Denken in Dogmen als Nebenspur. Auf der Hauptspur startet derweil Gott die Initiative, seiner Menschheit einen neuen Ursprung anzuvertrauen für den neuen Menschentyp seines Wohlgefallens. „Ehre sei Gott und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“, wie laut Lukas die Engel singen werden.

Auch Paulus findet die Auswirkungen wichtig, die Jesus, Gottes neuer Anfangsmensch, für uns alle bewirkt. Dass er sie in Kraft setzen kann, leitet Paulus aber nicht ab von dem doppelten Mysterium, Jesus sei „empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria“. Sondern pragmatisch, eher nach Ursache und Wirkung: „Gott sandte Jesus, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste.“ (Galater 4,4) Erlösung ist somit das Wichtigste, das im Advent beginnt. Mit dem Ziel, dass Jesus letztlich das Joch der menschlichen Selbstverwirklichung unterkriecht und abschüttelt. An Weihnachten beginnt Gott mit der Zukunft unser aller Erlösung vom Gesetz der Sünde. Weihnachten mit seinen Vorgeschichten – plus Kreuz und Ostern – sind zusammen Gottes Initiative, dass wir nicht mehr Sklaven sind, sondern „die Kindschaft empfingen“. Alles zielt auf eine neue Schöpfung – inklusive Erlösung.

Hatten wir das auf dem Wunschzettel? Dass wir unsere Selbstoptimierung und unseren Machbarkeitswahn als Irrweg erkennen mögen, um den Hauptweg wieder einzuschlagen, mündige Kinder Gottes zu werden? In Reimform hört sich das so an: „Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren. Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden, Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden. Merk, in der stillen Nacht wird Gott, ein Kind, geboren, und wiederum ersetzt, was Adam hat verloren.“ – Diese Zeilen packen uns, auch wenn sie fast 400 Jahre alt sind (Angelus Silesius). Sie machen uns gelassen im Stress der Vorweihnachtszeit, aber wir brennen darauf, erneuert zu werden in unserer spirituellen Abstammung aus Gott. Darauf brennen wir – nicht mehr kindisch, sondern in verliehener Kindschaft.

Der Engel verpflichtet Maria in ihrer vorfindlichen Situation, aber verheißt ihr auch, dass sie alles, was noch kommen mag, einordnen wird können. Noch bevor die Veränderungen eintreten, sagt ihr der Engel, welche großen Ziele durch Jesus, ihrem Kind, erreichbar werden. Und welche Anteile sie hat an der Erreichbarkeit dieser Ziele.

So geht es bei der Davidsverheißung vordergründig um Jesu Rolle für Israel, aber ebenso um die Hilfe des Engels für Maria, ihre Herausforderungen einbetten zu können. Er sagt: „Dein Kind wird den Thron Davids einnehmen, und sein Reich wird kein Ende haben.“ Das ist eine alles übersteigende Verheißung, aber sie gibt Maria eine unvermutet neue Sicht. Ein Gespür dafür, dass im Lebenslauf ihres Sohnes und letztlich in der Zukunft Gottes alles angelegt ist an Erwartung und Treue, an Erfüllung und Frieden.

So ist für die jugendliche Maria eine Schwangerschaft vor der Eheschließung mit Joseph ein großes Problem. Dass der Engel ihr sagt: „Das Heilige, das Du entbinden wirst, wird Gottes Sohn genannt werden!“ ist eine alles übersteigende Verheißung, aber sie wird „schwesterlich“ eingebettet in Elisabeths unvermuteter Schwangerschaft. Deren Kind Johannes der Täufer wird parallel zu Jesus zeigen, dass bei Gott nichts unmöglich ist, was mit Buße und Bereitschaft, mit Schöpfung und Erlösung zu tun hat.

Im Engelsgruß hat der Erzengel Gabriel der Maria zugemutet, von Gott vereinnahmt zu werden, aber er hat ihre Mitwirkung auch in einen überaus großen Rahmen gestellt. Wir erleben in den letzten Monaten, dass selbst in unseren kleinsten Entscheidungen globale Rahmenbedingungen einwirken und dass unsere innersten Ziele schon durchschaut und vereinnahmt wurden. In unserem Selbstverständnis sind wir die Herren unseres Schicksals; dabei haben wir nur eine vage Hoffnung auf einen irgendwie gesegneten Jahresübergang. Dieses Gefühl, einer großen Aufgabe zugestimmt zu haben und im selben Augenblick ohne Schutzengel dazustehen, teilen wir mit Maria. Wie geht es für sie weiter?

Den letzten Satz des Engels „Bei Gott ist kein Ding unmöglich!“ quittierte Maria mit: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Dann schied der Engel von ihr und Stille trat ein. Kurz dachte Maria, ihm hinterherzurufen: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, dass Du mich segnest!“ Aber das hatte er ja schon anfangs getan. Dann hatte er viel geredet, ohne gesprächsbereit zu werden. Sie hatte ihm widersprochen, was ihn nur zu einem weiteren Monolog veranlasste. Nun tat ihr die Stille gut. – Vielleicht waren es Wochen später die Kindsbewegungen unter ihrem Herzen, die sie veranlassten, sich eine eigene Sicht auf ihr Kind zu erarbeiten. Lukas hörte sie sagen: „Meine Seele preist die Größe Gottes, meines Retters. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Gott hat Großes an mir getan, und ich werde diesem Kind den Namen Jesus geben. Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Er erfüllt die Verheißungen, die Gott Abraham gab. Mein Lobpreis für meinen Retter wird sich fortpflanzen.“

Indem Maria diese Gedanken laut vor sich aussprach, verknüpfte sie die Zukunft ihres Kindes mit ihrer eigenen Zukunft. Aus dem eher fremden Programm, dass ihr der Engel aufspielte, hat sie ihr eigenes gemacht. Ihre Zukunft wird ihr ab jetzt nicht mehr nur passieren, sondern sie wird sie mitgestalten. So hat sie sich erarbeitet, dass Gott für sie Gott bleibt und dass ihr Jesus sich in seine Missionen einfinden wird. Vor allem aber hat Maria nun ihre Gewissheit gefunden; und nun lädt sie uns ein, es ihr gleich zu tun. Gottes Zukunft zu bejahen und in unsere Planungen einzuflechten und mit anderen die Zukunft Gottes stark zu machen. Amen.

Kombinierter Vorschlag Lied/Fürbitten:

Der Text „Gott aus Gott und Licht aus Licht“ ist singbar zur Melodie EG 4: „Nun komm der Heiden Heiland“. Einige Zeilen daraus dienen den Fürbitten als Anrufung.

Das Responsorium nach jeder Fürbitte entstammt dem Lied EG 559: „Stern über Bethlehem“.

Lied:

  1. Gott aus Gott und Licht aus Licht; Feuer, das aus Feuer bricht.

Ewigkeit, noch nie erkannt; Himmel, der zur Erde fand.

  1. Licht, das sich den Hirten zeigt. Wort, das in Palästen schweigt.

Macht, die unsre Ohnmacht sieht. Gott, der seine Himmel flieht.

  1. Kind, von dem die Mutter singt, Leben, das uns Leben bringt.

Frucht, die in der Erde reift, Geist, der unsern Geist ergreift.

  1. Kind, das in der Krippe liegt, König, der sich selbst besiegt.

Wind, der durch die Herzen weht, Leben, das aus Gott entsteht.

  1. Friede, den kein Sturm zerstört; Wort, das unsre Worte hört.

Wahrheit, die an Blinde denkt; Liebe, die sich selbst verschenkt.

  1. Himmel, der die Erde liebt; Liebe, die dem Feind vergibt.

Feuer, das für alle brennt; Gott, der keine Grenzen kennt.

  1. Lobt die Macht, die sich verneigt. Lobt den Himmel, der nicht schweigt.

Lobt das Licht, in uns entfacht: Licht aus Licht in unsrer Nacht.

Text: Georg Schmid 1989; Textrechte: Theologischer Verlag Zürich;

Melodie: Einsiedeln 12. Jh./ Erfurt 1524; aus „Singt Jubilate“ Lied Nr. 4

Fürbitten (ggf im Wechsel Liturg/Diakon/Gemeinde):

Du „Gott-aus-Gott“, Du Licht-aus-Licht, Du Feuer, das aus Feuer bricht.

Wir bitten Dich für alle Menschen, die auf ihrem Weg den Frieden suchen: Schenke ihnen Orientierung, eine Sehnsucht nach dir – und verlässliche Weggefährten.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Licht, das sich den Hirten zeigt. Du Wort, das in Palästen schweigt.

Wir bitten dich für alle Aktivisten in unfreien Regimen. Schütze die Fliehenden, die zwischen die Grenzen geraten. Gib ihnen einen Halt in ihrer Spiritualität und allen eine zweite Zuversicht.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Wind, der durch die Herzen weht, schenkst uns das Leben, das aus Gott entsteht.

Wir bitten Dich für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; für alle, deren Wort Gewicht und Einfluss hat: Lass sie auf Spuren deiner Nähe stoßen.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Kind, das in der Krippe liegt, Du König, der sich selbst besiegt.

Wir bitten Dich für die Despoten, die wie Herodes Angst haben vor enormem Machtverlust: Bewege ihr Herz, segne ihre Gedanken, mache sie demütig in einem gerechten Mut.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Friede, den kein Sturm zerstört; Du Wort, das unsre Worte hört.

Wir bitten dich für die Strategen, die wieder Militärschläge planen. Stoppe ihre Zielstrebigkeit und zeige ihnen Ausstiegsmöglichkeiten auf in Richtung Entwaffnung.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Wahrheit, die an Blinde denkt; Du Liebe, die sich selbst verschenkt.

Wir bitten Dich für jeden Mitmenschen, dem ein Virus die Luft abschnürt, für die Pflegenden und Angehörigen. Unterstütze uns, wenn wir Netzwerke guter Nachbarschaft knüpfen.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.

Du Himmel, der die Erde liebt; Du Liebe, die dem Feind vergibt.

Wir bitten dich für uns, die wir die Impulse der Prophetie und der Evangelien oft geringschätzen. Schenke uns Neugier und von daher eine Liebe, die ankommt.

Und gemeinsam: Leuchte du uns voran, bis wir dort sind. Amen

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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