Predigt zu Johannes 1,19-28

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Predigt zu Johannes 1,19-28

Vierter Advent 2021 | Johannes 1,19-28 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Rasmus Nøjgaard |

Verwandlung

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich Johannes in der Wüste vorzustellen. Keiner stellt das so dramatisch dar wie der Evangelist Johannes, ganz so wie die Geburt Jesu bei Lukas dramatisch inszeniert ist.

Hier steht mit anderen Worten etwas auf dem Spiel. Die Adventszeit ist die Zeit der Verwandlungen. Daran erinnern uns auch die Propheten:

Die Ruinen Jerusalems jubeln, die Wüste blüht, die ganze weite Welt soll erlöst werden!

Hier beim Evangelisten Johannes hat das Wort alles geschaffen. Das Wort, das im Anfang war und durch das alles geworden ist und durch das die Schöpfung schon bei Gott war. Wir merken hier beim Evangelisten Johannes, dass Johannes der Täufer das weiß. Er weiß, dass Jesus das Wort ist. Er ist die Erfüllung aller Erwartungen, und wir leben nun wirklich in der Zeit der Erwartungen. Advent, die Zeit, die das Kommen des Herrn feiert.

Keine andere Zeit des Jahres ist so getragen von Erwartungen wie diese Adventszeit. Ernsthafte Erwartungen, kindliche Erwartungen. Das ist die Zeit der Hoffnung. Wir spüren das in der Finsternis, die sich wie ein Kissen über uns gelegt hat und die nur darauf wartet, dass ein Spalt das Licht durchbrechen lässt.  Wir üben uns und zünden Licht an, ungeduldig decken wir den Tisch und machen ihn festlich, wir feiern zur Unzeit die Rückkehr des Lichts, noch ehe es an der Zeit ist. Weil wir die Geschichte kennen und es wie der Täufer schon wussten, wissen auch wir, dass die Zeit der Drangsal bald vorbei ist. Dieses Bewusstsein muss seine eigene Ahnung von seinem Schicksal erträglich machen, und das machte die Untat des Herodes, als er Johannes enthaupten ließ, zu einer Erinnerung daran, dass es nichts nützt, den Boten umzubringen. Die Botschaft ist schon in der Welt und hat sich befreit. Das wusste Johannes. Das Wort war schon helllebendig, es wird das Joch des Sklavenfürsten brechen und die Finsternis verdrängen, die Johannes und alle Zeiten vor ihm umschlossen hatte. Aber er wusste, dass er es vollbracht hatte. So wie auch wir es merken, wenn wir das tun, was wir sollen, auch wenn eine ganze Welt gegen uns ist. Johannes bringt das Licht, und er macht uns allen die Hoffnung, dass die Welt durch eine größere Kraft verwandelt werden wird, als sie selbst besitzt.

Zusammen mit Johannes können wir jeder ruhig und überzeugt sagen: Ich bin kein Prophet, ich bin kein Messias, ich bin nicht Christus, ich bin nicht Gott. Aber ich bin sein Bote.

Auch wenn wir nicht Elias oder Moses sind, zeugen wir von Gott durch das Leben, das wir leben. Denn wir teilen schon Leben und Schicksal mit Gott. Wir sind getauft und schon eins mit Christus, wir sind Kinder und Erben Gottes. Nicht allein getauft mit Wasser, sondern im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wir gehören zusammen, teilen Leib und Geist. Erlöste und anerkannte Kinder Gottes!

Wir haben die Pflicht, dieses Erbe Jesu Christi weiterzugeben. Das tun wir ungeduldig in dieser Adventszeit, wenn wir Licht im Adventskranz anzünden, das Haus schmücken, backen und das Haus und die Straßen mit Tannenzweigen, Papiergirlanden und Weihnachtslichtern füllen. Wir können es gar nicht sein lassen mit allen möglichen Späßen und Spielen, die den ganzen Monat in eine gemütsvolle und erwartungsfrohe Zeit mit Heinzelmännchen, Weihnachtsmännern, Weihnachtskalendern, Geschenken und Weihnachtsmärkten verwandeln.

Ob wir es wussten oder nicht, diese Adventszeit verdient das lebendige Wort davon, dass wir uns in Erinnerung rufen: Das Höchste kam zum Niedrigsten, das Geringste erwies sich als das Größte, Himmel und Erde stehen in einem unverbrüchlichen Verhältnis zueinander. Unser Leben selbst kann allein auf das verweisen, was größer ist als wir selbst.

Wir kennen die Verzweiflung im Ruf des Johannes in der Wüste: ‚Bahnt dem Herrn einen Weg‘. Er kann die Dinge nicht selbst realisieren. Das können wir auch nicht. Das ist das eigentliche Geheimnis des Christentums – und die wahre Befreiung des Glaubens, dass wir nur auf Gott verweisen können, aber dass Gott dann umgekehrt uns entgegenkommt und uns befreit hat von jedem Irrtum darüber, dass wir selbst die Welt erlösen können. Das kann nur Christus. Dies ist das Wunder, das wir ahnen. Dass Er es kann. Wir können das Licht nicht aus dem Boden stampfen oder die Antwort des Himmels entschlüsseln, aber wir können auf sein Wort hören, das uns Befreiung verheißt, wenn wir es nur vertrauensvoll annehmen. Unser Leben hat die evangelische Aufgabe, ein lebendiges Zeugnis von der lebendigen Schöpferkraft zu sein, die das Wort noch immer in der Welt ist. ‚Fackeln mit Freude tragen‘[1], das können wir, und das tun wir. Unser Leben bahnt den Weg für einen Glauben daran, die Liebe Gottes erfahren zu haben. Gott ist nicht mehr unbekannt, sondern bekannt und geglaubt.

In Lampedusa’s Roman Der Leopard sagt der Prinz von Salina: ‚Alles muss niedergerissen werden, damit alles dasselbe bleiben kann‘. Advent ist der Widerspruch gegen diese Prophetie vom Untergang, diesem Mythos vom Vogel Phönix, der erst verbrennen muss, um sich wieder aus der Asche zu erheben. Johannes der Täufer ruft uns zur Umkehr, zum Umdenken, dass wir zur Ruhe kommen, ehe wir verbrennen. Der Evangelist Johannes erzählt uns von der Wüste, in der wir schon leben. Von den Nöten, die wir schon erleben. Von dem Krieg und Unfrieden, die schon herrschen. Von den Krankheiten und den Vira, die das Leben schon verpesten. Und mitten in dieser leeren Wüste mit beißendem Frost und sengender Hitze bläst plötzlich ein frischer Wind, und der Regen sättigt die Erde, so dass alles zum Leben erwacht. ‚Blühen wie ein Rosenhag, wird die Wüste wieder‘.[2] Die Verwandlung geschieht in dem Leben, das wir leben, und dieses Leben wird nie mehr dasselbe sein. Advent ist die Zeit der Verwandlung, die Zeit der Vorbereitung, die Zeit der Ahnungen: ‚Doch wir tragen fackeln mit Freude‘, und wir singen von der Hoffnung.

Die Verwandlung ist im Gange.  Gottes Wort ist schon in der Welt. Es ist nicht Tag des Gerichts, sondern der Verwandlung. Die Verwandlung geschieht durch das Wort. Das Wort verwandelt. Es kommt zu uns als ein Klang, als all das, was vor unseren Augen geschieht, als Duft und Geschmack. Das Wort kennt keine Grenzen, es ist Leib und Geist zugleich. Früher sagte man, die Liebe sitzt im Herzen, aber es erfordert ein Gehirn, das Lächeln umzusetzen und zu spüren, dass die Gefühle ein Schauern und ein Prickeln auf der Haut bewirken. Sitzt die Liebe dann im Gehirn? Freundlichkeit, Fürsorge, Aufmerksamkeit, Offenheit, Nachgiebigkeit und alle die anderen Kennzeichen der Liebe kommen durch die Sinne und werden mit Mund, Augen, Haut und dem ganzen Körper erfahren, und sie gehören unlösbar zusammen mit dem  Gehirn, nicht getrennt, sondern verwoben.

Wir sind Fleisch und Geist. Wie Gott selbst. Die Welt, an der wir teilhaben, ist Gottes Wirklichkeit. Unsere Art in der Welt zu ein als Leib und Geist entscheidet darüber, ob die Welt vergeht oder ob sie erblüht, ob sie stirbt oder lebt. Wenn das Wort Gottes seinen freien Lauf in der Welt hat, kommt das Licht, und der Frost verschwindet.

An all das erinnert uns der Advent. Dass das Wort Gottes Gabe ist für jeden, der es hören und annehmen will. Ein Wort so kraftvoll, dass es Steine in Brot verwandeln kann, Wasser in Wein – und von den Toten auferwecken kann:

Blühen wir ein Rosenhag

Wird die Wüste wieder,

blüh’n in einem Jubeljahr

voller Vogellieder,

neigen sich dem Strahlentanz

Libanons und Karmels Glanz,

Sarons Lieblichkeiten.[3]

Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

[1] Lied Nr. 733 im dänischen Gesangbuch

[2] Lied Nr. 78 im dänischen Gesangbuch.

[3] Dänisches Gesangbuch Nr. 79, Übersetzung Deutsch-dänisches Kirchengesangbuch.

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