1. Joh 3,1-2 | Weihnachten

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1. Joh 3,1-2 | Weihnachten

Predigt am 1. Weihnachtstag, am 25. 12. 2021 um 9.30 Uhr in der Reformierten Kirche Schöftland mit Abendmahl | von Dörte Gebhard | 

Gnade sei mit Euch, von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus.                                                                                   Amen. 

Der Predigttext für den 1. Weihnachtstag steht im 1. Brief des Johannes:

1 Seht, welche Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heissen, und wir sind es. Darum erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.

2 Ihr Lieben, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht zutage getreten, was wir sein werden. Wir wissen aber, dass wir, wenn es zutage tritt, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1. Joh 3, 1-2)

Liebe Gemeinde am Weihnachtsmorgen

Wie war Eure Nacht?

Still?

Sehr heilig?

Erfüllt von himmlischer Musik?

Oder:

Schlaflos?

Zu lang?

Nur mit Schmerzmitteln zu überstehen?

Wie war die Nacht in Bethlehem?

Sternenklar.

Stressig.

«Strub» (zusammenfassend auf Schweizerdeutsch).

Wie war Eure Weihnachtsnacht?

Wie immer?

Genau wie letztes Jahr?

Wie noch nie?

Die ‘Weih-nacht’ ist wie alle Nächte … und doch gleicht keine ‘Weih-nacht’ der andern.

Die Weihnacht auf den Intensivstationen braucht viel künstliches Licht.

Es blinkt und piept um Leben und Tod.

Die Weihnacht in einem LKW auf einem Autobahnparkplatz ist mehr als zweitausend Kilometer von der Familie entfernt.

Der Handybildschirm leuchtet matt, der Akku wird schnell schwach.

Die Nacht auf hoher See mag äusserlich ruhig scheinen, innerlich ist sie stürmisch.

Leider ist so weit draussen überhaupt kein Empfang.

Diese Weihnachtsnächte sind heute früh zu Ende gewesen.

Alle anderen Weihnachtsnächte sind auch vorbei: im Flüchtlingslager der Rohingya in Bangladesh, in den vielen Isolationszimmern in unserem Altersheim und auf der Polizeistation auch.

Heute morgen ist es hell geworden.

Gott ist zur Welt gekommen.

Aber es wird schon heute Abend wieder Nacht.

Denn die Welt ist noch nicht bei Gott angekommen.

Im 1. Johannesbrief wird davon erzählt:

Darum erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.

 

Gott ist nachts zur Welt gekommen.

Bei Lichte besehen … ist fast gar nichts zu sehen.

«Zu Beginn

war da nichts weiter

als ein jüdisches Kind

in einem Futtertrog»

dichtet Ingo Barz.

An einem Neugeborenen in unhygienischen Umständen ist nichts Überirdisches zu erkennen. Die Gründe für diese Stallgeburt waren total banal. So simpel, wie meine Ausreden zuweilen auch sind, wenn ich alles auf die Verhältnisse schiebe: Es lag bloss an der Volkszählung, am überfüllten Bethlehem. Ob damals die Wirte beim Wegschicken der zwei Weitgelaufenen bei sich dachten: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben?» Wenn sie das vor sich hin murmelten, lagen sie falsch. Aber das nur am Rande, weil Gott am Rand zur Welt kommt.

Nein, etwas Göttliches ist zwischen all dem Mist im Stall nicht zu erkennen.

Wenn die Nächte unruhig sind, fragt sich mancher, ob sich nicht aufgescheuchte Menschenseelen Gott bloss ausgedacht haben, ob nur unsere Fantasie ihn nötig hat, ob er nur unser Hirngespinst ist.

Die Nachtgeschichte, die wir von der Geburt Jesu erzählen, wäre auf keinen dabei herausgekommen. Sie ist fast, beinahe ein Gottesbeweis! Niemand hätte sich eine so schwere Geburt unter so widrigen Umständen ausgedacht.

Wenn Menschen etwas Grossartiges vorhaben, stellen sie es anders an als Gott. Pompöser, öffentlicher und medientauglicher wäre es gewesen, viel Geld hätte es gekostet, wenn hier jemand versucht hätte, Gott einen angemessenen Empfang auf Erden zu bereiten. Wir alle hätten uns dann noch gut verstecken können hinter Show und Schein. Bombastisch, überwältigend, unvergesslich hätte es sein müssen. Jedenfalls mindestens so, dass es nicht mit irgendetwas anderem zu verwechseln gewesen wäre, nicht mit einer Militärparade und nicht mit der Eröffnung der Olympischen Spiele.

Aber nach dieser Nacht, in der Gott zur Welt kam, ist noch nichts zutage getreten, wie es bei Johannes heisst.

Maria bewegte Gottes Worte für sich, in ihrem Herzen, schon länger, Tag und Nacht.

Aber wem sollte sie es ausser Elisabeth noch erzählen? Sie ist nur eine Frau!? Wer würde sie ernstnehmen?

Josef wird am Weihnachtsmorgen vor allem müde gewesen sein. Er musste alles zugleich: Hebamme sein, Ochs und Esel auf die Seite scheuchen, seiner Frau beistehen, Feuer machen, Wasser kochen, die Hirten bewirten, …

Soll er sich ausruhen.

Die Hirten breiten aus, was ihnen begegnet ist. Aber wer glaubt schon die Geschichten der Hirten? Die erzählen noch viel, wenn die Nacht lang ist.

Die Engel sind wieder gen Himmel gefahren, sie stehen für weitere Rückfragen leider nicht zur Verfügung.

… wir heissen Kinder Gottes, und wir sind es.

Weil wir Kinder sind, lieben wir diese Weihnachtsgeschichte.

Eine aufregende Nachtgeschichte voller Gefahr, in der viel dazwischenkommt und dann noch mit offenem Ende.

Aber am nächsten Morgen erkennen wir, dass es eine Nachtgeschichte ist. Zutage getreten ist wirklich nichts.

Nichts, was für die Welt eindeutig zu erkennen wäre.

Auch in unseren Weihnachtsnächten geschieht viel, aber tritt etwas zutage?

Viele beschenken einander: Manchmal glückt es, manchmal kann es unkompliziert umgetauscht werden.

Viele versuchen alle Jahre wieder zur Ruhe zu kommen, aber zugleich fürchten sie die Ruhe eines Lockdowns, der unseren Aktivitäten dann doch zu enge Grenzen setzt.

Die meisten halten die Nächstenliebe für eine sehr gute Sache, aber in der eigenen Familie war es mit zwei Onkeln väterlicherseits doch schon immer schwierig.

Hoffnung schöpft die Mehrheit eher später als früher, erst dann, wenn sich schon Besserung abzeichnet, wenn die Fallzahlen ein paar Tage hintereinander sinken.

Gerechtigkeit gegen jedermann hat der neue Bundeskanzler in Deutschland versprochen, aber er ist ja auch nur ein Mensch. Das war schon vorher klar.

Barmherzigkeit muss geübt werden, am meisten mit sich selbst.

Nein, Güte und Ruhe, Nächstenliebe und Hoffnung, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind noch nicht zutage getreten.

Weihnachten ist ein sehr irdisches Fest. Es wächst aber immer wieder auf unserem Mist – bis Gott einst zutrage treten lässt, was nachts schon geschah.

Aber auch dann wird nach allen Verheissungen, die wir kennen, keine Supermacht erscheinen, sondern Gott wird mit seiner ganzen Liebe kommen. Paulus verdanken wir das schönste Liebeslied:

Die Liebe langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles (aus 1. Kor 13).

Einen (theologischen) Disput kann niemand mit dieser Liebe gewinnen, Besserwisserei und Rechthaberei nützen nichts gegen die Liebe, auch beweisen kann man dann immer noch nichts, man kann den Mächtigen dann immer noch nicht imponieren, man kann niemandem verbindlich zeigen, wo Gott hockt.

Aber aus dieser Liebe leben wir.

Mit dieser Liebe bleiben Maria und Josef ein Paar.

Durch diese Liebe wird die fünftbeste Unterkunft bewohnbar, sehen sogar Ochs und Esel ein, dass ihr Futtertrog für das Neugeborene taugt.

Von dieser Liebe lassen sich Hirten mitten in der Nacht zum Aufbruch bewegen, vom wärmenden Feuer weglocken.

Die Kinder aber verstehen es gewiss: Ihr Lieben, jetzt (schon) sind wir Kinder Gottes, schreibt Johannes in seinem sehr kurzen Weihnachtsbrief – und: Wir wissen aber, dass wir, wenn es zutage tritt, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 

Gott werden wir gleich sein – stellen Sie sich das jetzt sofort viele Nummern kleiner vor als im allerersten Moment. Wie Kinder werden wir sein.

Denn Gott kam selbst als Kind zur Welt.

Als seine Kinder kommen wir zu Gott.

«Welch eine Zärtlichkeit:

Ein Gott, der bedürftig wird wie wir:

Der das Glück der Freundschaft und der Liebe kennt wie wir;

Der früh auf der Flucht ist wie viele von uns

und den das Leben aufs Kreuz legt wie andere auch.

Die pure Macht,

Stärke und Grösse

hat noch niemanden gerettet.»,

dichtet Fulbert Steffensky.

Diese Liebe ist noch nicht vollends zutage getreten, aber Johannes ermuntert uns an diesem Weihnachtsmorgen:

Seht, welche Liebe uns der Vater gegeben hat …

Mit Gottes Liebe ist es möglich, denn Dienst auf den Intensivstationen auch zu Weihnachten zu tun, die Sterbenden bei Gott geborgen zu wissen.

Durch diese Liebe kommt einem LKW-Fahrer die Heimfahrt, 2000 km auf der Autobahn, gar nicht so weit vor.

Von dieser Liebe legt sich der innerliche Sturm auf hoher See, der im Dunkeln gar nicht zu sehen war.

Diese Liebe hat Platz zwischen den Menschen im Flüchtlingslager, die wahrscheinlich noch enger zusammengerückt sind.

Um diese Liebe Gottes und seine Nähe beten wir für jeden Menschen, der isoliert von allen anderen eine ansteckende Krankheit kurieren muss.

Auf diese Liebe hoffen wir – und für die Polizei wünschen wir, dass die ganze Nacht nichts los gewesen ist.

Es ist wahr: Heute Abend wird es wieder dunkel, wird es wieder Nacht.

Stressig oder still.

Nur mit Schmerzmitteln zu ertragen oder ruhig wie noch nie.

Schlaflos oder heilig.

Keine Weih-nacht gleicht der anderen.

Aber Gott ist zur Welt gekommen.

«Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsere Nacht nicht endlos sein.»,

dichtet Dieter Trautwein und so singen wir an diesem Morgen.

Denn es wird hell, wenn Gott zutage tritt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, vorläufig Tag und Nacht. Amen.

de_DEDeutsch