Predigt zu Mt 14,22-33

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Predigt zu Mt 14,22-33

Auf dem Wasser gehen | 4. Sonntag vor der Passionszeit | 06.02.2022 | Predigt zu Mt 14,22-33 | verfasst von Ralf Reuter |

Manchmal muss man selber raus. In den Regen, ungeschützt, den Elementen ausgesetzt. Da hilft nichts. Ich bin gefragt. Kann mich nicht drücken. Sonst geht es schief. Enttäuscht andere. Kann nicht vor mir selber bestehen.

Du hast ein Geschäft oder einen Hof und bist kurz vor der Insolvenz. Da musst du raus. Bist bedroht, haftest mit deinem Vermögen. Die Familie hängt dran, die Zukunft sowieso. Und deine Angestellten, ihre ganze Existenz.

Du arbeitest in der Kirche und zu dir kommt jemand, der missbraucht wurde. Vertraut sich dir an. Da kannst du nicht kneifen. Musst das öffentlich machen. Auch gegen Personen, die du kennst. Weißt nicht, was dran ist, wie es ausgeht.

Es ist ein uralter Traum der Menschheit: Auf dem Wasser gehen. Wie die Götter den Herausforderungen des Lebens trotzen und sie bestehen. Es gibt viele solcher Geschichten, besonders auch buddhistische, ähnlich der unsrigen.

Petrus geht auf dem Wasser. Jesus entgegen. Eine unmögliche Möglichkeit. Oder mögliche Unmöglichkeit? Wie Berge versetzen? Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und Jesus ließ ihn kommen.

Ein unheimlich starkes Bild, das Matthäus hier einträgt. Es gibt Situationen, wo du dem Herrn entgegengehst, quasi göttlich wirst in aller Menschlichkeit. Da ist Gott nicht nur mit im Boot des Lebens, hier gehst du selber auf dem Wasser.

Wem fallen dazu nicht weitere Beispiele ein. Unglaubliche Rettungstaten in äußeren Katastrophen, im Krieg. Wege durch Krankheiten, Leidensgeschichten. Persönliches Retten vor Gewaltausbrüchen, auch im engsten Kreis.

Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als viele glauben. Hier wird Petrus himmlische Kraft zugespielt. Beispielhaft für die Jünger, für uns im Nachfolgen. Keine menschliche Überhöhung, nur im Glaubensverhältnis wird dies möglich.

Nicht immer sitzen wir im gesichert im Boot, weder in der Menschheit noch in der Tradition, noch in der Kirche und schon gar nicht im Unternehmen oder der Gesellschaft. Auch sie gilt es zu bewahren, aber manchmal muss man raus.

Da hilft nur noch der Blick auf Jesus. Komm her, der Ruf, sich der Sicherheiten zu entledigen und mutig nach vorne zu gehen. Das Leben hat mehr davon als wir denken, nicht nur für den letzten Weg übers Meer.

Hier blitzt etwas von dem neuen Menschen auf. Von den Möglichkeiten einer göttlichen Identität im Glauben. Von Erfüllung, von Einsatz und Echtheit. Von gefordert sein und sich rufen lassen, von echter Nachfolge.

Und doch, so glaube ich, bleibt es eine Vertrauensgeschichte. Eine wackelige Angelegenheit wie die Wellen auf hoher See. Wie der Wind, der einem Bewegung ermöglicht wie auch bedroht. Sobald du ihn siehst, brichst du ein.

Wie Petrus, dem mutigen Vorgänger. Dem seine menschlichen Zweifel die göttlichen Möglichkeiten beschneiden. Das wird uns immer wieder geschehen. Hier bleiben wir mit Umkehr, mit Vergebung, mit Neuanfang verbunden.

Als er den starken Wind sieht, erschreckt er und schreit: Herr, rette mich! Es ist der Gebetsruf in der Not, vor dem Versinken im Wasser, wie die Psalmen ihn kennen. Auch Jesus betete, bevor er auf das Wasser ging.

Da ist er uns in seinem Menschsein nahe und reicht uns in seiner Göttlichkeit die Hand. Mit ihm gibt es keine unmöglichen Möglichkeiten. Auf ihn bewegen wir uns zu. Er hält uns. Glaube ist Vertrauen in ein Leben mit ihm.

Wo du für die Deinen kämpfst, das Unmögliche möglich machst. Wo du die Hilfesuchenden nicht im Regen stehenlässt, sondern zu ihnen hinausgehst. Unerschrocken vor den anderen, mit klarem Blick auf den Herrn.

Weil es in diesen Tagen in Stadt und Land diskutiert wird: Missbrauch, wo und wie auch immer, ist Sünde im Herrn. Du erkennst das Angesicht der Opfer in seinem Angesicht, gehst auf dem Wasser dem göttlichen Angesicht entgegen.

Dann kann es nicht sein, wenn Kirche im Boot sitzen bleibt und so tut, als könne man diesen Sturm ohne den Herrn aussitzen. Mit diesem Jesus gehen wir nicht nur in Städte und übers Land, wir müssen mit ihm manchmal auch aufs Wasser.

Dazu gibt es diese wunderbare Geschichte von Petrus. Der trotz seines Zweifels fragt und sich traut, auf ein Wort von Jesus loszugehen. Ohne Rücksicht darauf, was die anderen denken. Ohne Angst, schlecht auszusehen und zu scheitern.

Das ganze Leben der Menschheit wird immer auch ein Gehen auf dem Wasser sein. Ein sich bewegen in Unsicherheit. Ein nicht Wissen, wie es ausgeht. Deshalb hat Gott seinen Sohn aufs Wasser gesandt, ihm gehen wir entgegen.

In diesen Tagen nach Lichtmess kippt das Jahr aus dem Weihnachtsgeschehen heraus in die Zeit der Passion und Ostern. Noch sind wir in der Schwebe. Noch droht das Meer. Doch wir wissen schon vom Kreuz, den Pfählen im Wasser.

Nur im Glauben, im spirituellen Erleben, können wir diese Pfähle erahnen und über sie gehen. Können hier Mensch sein und immer wieder neu werden. Die Boote verlassen und auf andere zugehen. Auf die Zukunft, auf den Herrn.

Pastor Ralf Reuter

Göttingen

E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Ralf Reuter, Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft in der Hannoverschen Landeskirche und zugleich Pastor an der Friedenskirche Göttingen

Literatur, Psalm und Lieder:

Exegetisch grundlegend: Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17), EKK I/2; S. 404-412

Vorschlag zur Psalmlesung: Ps 107, 23-32

Lieder: Da wohnt ein Sehnen tief in uns; Vertrauen wagen; Vertraut den neuen Wegen (395)

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