Predigt zu Mt 14,22-33

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Predigt zu Mt 14,22-33

Ich rufe deinen Namen | 4. Sonntag vor der Passionszeit | 6.2.2022 | Mt 14,22-33 | Nadja Papis |

In the middle of darkness, in the center of a storm, I know there’s a name I can call. And I call on your name, Jesus.

Mitten in der Dunkelheit, mitten in einem Sturm weiss ich: Es gibt einen Namen, den ich rufen kann. Und ich rufe deinen Namen, Jesus.

(Liedtext: „I call on your name“, Oslo Gospelchoir/Tore W. Aas)

Hoffnung trotz allem?

Naiver Glaube?

Oder menschliche Urerfahrung?

Was kommt uns im Song „I call on your name“ entgegen?

Vertrauen

Aber…

Ja, da meldet sich doch bei mir ein „Aber“, nein, nicht nur eines, gleich mehrere:

Aber müssen denn der Sturm und die Dunkelheit überhaupt sein?

Aber was ist mit den Menschen, die den Namen vergessen haben?

Aber was ist, wenn mein Ruf nicht gehört wird?

Aber…

Vertrauen

Vertrauen, sich einlassen, sich darauf verlassen, glauben.

Es fasziniert mich immer wieder: das Nachdenken über den Glauben, darüber, was Glauben ist und bedeutet. Und es fordert mich heraus.

Manchmal möchte ich gern wissen. Ja, sicher sein, beweisen können, glasklar und für alle ersichtlich aufzeigen: Gott ist. Schaut einfach hin. So wie Ihr 2 und 2 rechnen könnt, so wie ich euch physikalische Gesetze beweisen kann oder, dass die Welt eine „Kugel“ ist, so machen wir’s doch auch kurz mit Gott. Und der Hoffnung. Und der Liebe. Und dem Glauben…

Aber nein. Glauben heisst Vertrauen, nicht Wissen. Glauben heisst, sich einlassen, nicht sich beweisen. Glauben heisst mehr ahnen als sehen, anfassen, rechnen, denken.

Der heutige Predigttext macht das deutlich, ja, geradezu symbolisch zeigt er Aspekte des Glaubens auf, die wir heute noch erleben und darum auch nachvollziehen können.

Predittext: Mt 14,22-32

(Nach einem erlebnisreichen Nachmittag mit vielen Menschen) drängte Jesus seine Jünger und Jüngerinnen, ins Boot zu steigen und ans andere Ufer vorauszufahren, während er selber die Leute verabschiedete. Danach stieg er auf einen Berg, um ungestört zu beten. Das Boot war schon (weit) vom Land entfernt, als es von Wellen hart bedrängt wurde, denn der Wind stand ihnen entgegen.

(Gegen Morgen) kam Jesus zu ihnen, er ging über den See. Als sie ihn sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und schrien vor Angst. Sogleich aber redete Jesus mit ihnen: Seid getrost, ich bin es! Fürchtet euch nicht! Petrus entgegnete ihm: Herr, wenn du es bist, heisse mich, übers Wasser zu dir zu kommen! Jesus sprach: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot, er konnte auf dem Wasser gehen, und ging auf Jesus zu. Als er aber den Wind spürte, fürchtete er sich, begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Sofort streckte Jesus die Hand aus, hielt in fest und sagte: Du Kleingläubiger! Warum hast du gezweifelt? Als sie ins Boot stiegen, legte sich der Wind.

Puh, was für eine Dramatik! Haben Sie auch mitgelebt? Hin und her ging’s da mit dem Vertrauen und dem Zweifel und am Schluss gab’s zum Glück ein Happy End. Fürs Theater oder den Film ist das eine tolle Geschichte – und auch für uns. Ja, denn der Petrus in dieser Geschichte steht für jeden und jede, die glaubt. Schauen wir doch nochmal hin.

Wasser, Sturm, Nacht – so real sie uns in der Geschichte vorkommen, sie stehen noch für mehr. Sie sind Symbole für das, was Angst macht, was gefährlich und sogar lebensbedrohlich ist. Wir brauchen diese Bilder heute noch: Unser Leben kann uns wie riesige Wellen überspülen, die Stürme des Lebens erschüttern uns zutiefst und nachts kommen in der Schlaflosigkeit Ängste und Sorgen über uns. Das Boot wird von den Wellen gequält – wie Menschen von Krankheiten, Folter oder anderen Nöten, so beschreibt es das griechische Wort im Originaltext eindrücklich. Auch unser Lebensboot wird immer wieder gequält, bedroht und herumgewirbelt.

Mitten in der Dunkelheit, mitten im Sturm weiss ich: Es gibt einen Namen, den ich rufen kann.

Jesus kommt – zu einer symbolischen Zeit: Die 4. Nachtwache, morgens zwischen 3 und 6 Uhr, Zeit der Auferstehung. Jesus kommt. Und es ist klar: Hier kommt die Erlösung, die Rettung.

So deutlich erfahrbar, dass Petrus fast ein wenig übermütig wird: Voller Vertrauen wagt er sich aufs Wasser.

Kennen Sie solche Momente? Wo Glaube Gewissheit ist? Wo die Erlösung glasklar und offensichtlich fühlbar ist? Wo Sie einfach aufs Leben, auf sich und auf Gott vertraut haben?

In diesen Glaubensmomenten kann mich nichts umhauen, ich stehe fest, weder Wind noch Wellen können mir etwas anhaben. Ich vertraue. Ich glaube.

In diesen Momenten singe ich das Lied voller Überzeugung und Inbrunst: Mitten in der Dunkelheit, mitten im Sturm weiss ich: Es gibt einen Namen, den ich rufen kann.

Was auch immer mir geschieht, was auch immer das Leben von mir fordert, ich bin gehalten und geborgen – in meinem Glauben. Und in der Liebe der Menschen, die mir nahe sind.

Jetzt sind wir mit Petrus da draussen auf dem Wasser. Geht nicht, sagt unser Denken, und es hat Recht. Menschen gehen nicht übers Wasser. Achtung: Da ist die nächste Welle. Der Wind bläst uns hart ins Gesicht. Und wir beginnen zu sinken.

Ja, ich glaube schon, aber…

Zweifel kommt auf, das Vertrauen schwindet.

Und plötzlich begreife ich, was ich getan habe – Petrus auch: Hilfe!

Nein, nicht „Hilfe!“, sondern: Herr, hilf mir! Jesus, rette mich! Gott, steh mir bei!

Voller Panik, voller Zweifel, voller Unsicherheit und Haltlosigkeit singe ich das Lied nun: Mitten in der Dunkelheit, mitten im Sturm weiss ich: Es gibt einen Namen, den ich rufen kann.

Ich weiss nicht, ob du da bist, Gott, aber wenn, dann brauche ich dich jetzt!

Vor einer Weile begleitete ich eine Frau, die grosse Angst vor dem Tod hatte. Sie war nicht krank, auch nicht alt, aber sie fürchtete sich, tot zu sein und verloren zu gehen. Ich hätte ihr gern bewiesen, dass das nicht passiert, also das Sterben schon, aber nicht das Verloren-Gehen. Ich hätte ihr gern Wissen gegeben, aber das ist nicht möglich. Da habe ich ihr aus einem inneren Impuls heraus den Text dieses Liedes vorgelesen, nur diesen Teil: In the middle of darkness, in the center of a storm, I know there’s a name I can call. And I call on your name, Jesus. Sie hat das Angebot angenommen und ihr eigenes „Lied“ daraus gemacht: Mitten in der Angst rufe ich: Ich vertrau dir trotz allem! Diesen Satz hat sie in den düsteren Stunden ihres Zweifelns und Fürchtens immer wieder gesagt, manchmal geweint, manchmal geschrien, manchmal geflüstert.

Jesus, rette mich! Schreit Petrus. Und alle damaligen Leser und Leserinnen kennen diesen Ruf aus dem Psalm 69 (Vers 2): Gott, hilf mir! Sie können ihn mitbeten und übernehmen für eigene Situationen, in denen sie in Bedrängnis und Not geraten.

Jesus, hilf mir! Und da ist sie: sofort, ohne Zögern, ohne Wenn und Aber – die Hand, die rettet. Es könnte auch ein Wort, ein Blick, eine Umarmung sein. Mitten im Sturm bleibt der Schrei nicht ungehört. Jesus ist da. Und bestätigt und erfüllt, was der Evangelist Matthäus als Leitsatz über sein ganzes Werk schreibt: Jesus ist der Immanuel, Jesus ist „Gott mit uns“. Nicht nur damals, auch heute.

Glaubst du das?

Glaubst du trotz den Zweifeln, die zum Glauben gehören?

Entscheidest du dich für dieses Vertrauen?

Für mich ist Vertrauen immer auch eine Entscheidung: Lasse ich mich darauf ein? Rufe ich den Name? Sehe ich trotz allen Zweifeln die ausgestreckte Hand?

Sie ist da, sagt unsere Geschichte. Dann, wenn du sie brauchst.

Sie ist da, sagt auch das Lied. Mitten in der Dunkelheit, mitten im Sturm.

Ob du das glaubst, ist deine Entscheidung.

Noch ein Letztes: Was mich persönlich jahrelang an dieser Geschichte gestört hat, sind die Worte, die Jesus zum Schluss an Petrus richtet: Du Kleingläubiger! Warum hast du gezweifelt?

Zu meinem Glauben haben Zweifel immer dazu gehört. Und ich habe mich oft genug als „kleingläubig“ empfunden, als kritisch, misstrauisch und zu wenig fromm. In diesen Worten höre ich den Vorwurf, den ich mir selber gerne mache: Du glaubst eben zu wenig! Aber der Tonfall könnte ja auch ein ganz anderer sein; ein liebevoller, verständnisvoller, ermutigender. Einer, der mich einlädt zu glauben und zu vertrauen, auch wenn sich die Zweifel immer wieder bemerkbar machen. Dann würden die Worte wohl so klingen: Vertrau mir doch! Mitten in der Dunkelheit, mitten im Sturm kannst du meinen Namen rufen und ich werde da sein.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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