Glauben angesichts Corona

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Glauben angesichts Corona

Andacht im Kirchenamt der EKD am 16.3.2020 | verfasst von Bendix Balke |

Begrüßung:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer hätte das gedacht, dass wir es als besonderes Geschenk betrachten könnten, dass eine Andacht am Montagmorgen überhaupt möglich ist! Viele sonntäglichen Gottesdienste wurden bereits abgesagt. Veranstaltungen und Dienstreisen finden möglichst nicht statt. Schulen und Kitas bleiben geschlossen.

Aber wir sind zur Andacht zusammenkommen. Wir dürfen uns als Schwestern und Brüder begegnen und nicht nur als Ansteckungsrisiko. Wir lassen uns Mut und Gelassenheit zusprechen von dem, der uns durch finstere Täler begleitet und uns zum frischen Wasser führt. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln – er trennt nicht zwischen weißen von schwarzen Schafen. Er erquicket meine Seele genauso wie die von meinen Mitschafen …

Eigentlich wollte ich Ihnen heute etwas ganz anderes erzählen. Ausgehend vom gestrigen Predigttext wollte ich Ihnen nahebringen, dass es gut ist, dass wir alle nur Gast auf Erden sind. Ich hatte die Andacht am Donnerstagabend fertiggeschrieben. Und dann wurde mir immer klarer, dass diese theologisch richtigen Gedanken heute einfach nicht mehr passen. Dass der Corona-Virus uns so sehr zerreißt, dass wir ganz andere Worte brauchen.

Und dann habe ich noch mal von vorne angefangen mit unserer Andacht. Neu begonnen habe ich mit dem Vers, der in diesen bewegten Tagen für mich zum Ruhepol geworden ist: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ – 2. Timotheus 1,7.

Der Bibelvers ist gerade nicht originell, aber er enthält für mich enthält alles Wesentliche zum Glauben in den Zeiten von Corona.

Wir feiern diese Andacht im Namen dieses Gottes, der Kraft und Liebe und Besonnenheit schenkt!

Psalm 34, 16-23 (Psalmblatt)

Auslegung:

Liebe Schwestern und Brüder,

 

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Ein Geist der „Verzagtheit“ oder der „Furcht“ kann sagen „Diese Pandemie kommt sowieso – jetzt kann ich nur noch mich und meine Allernächsten schützen.“ Dann ziehe ich mich maximal zurück und sehe in jedem anderen ein potenzielles Risiko.

Eine ähnliche Haltung kann auch zum Gegenteil führen. Sie setzt am gleichen Ausgangspunkt an: „Diese Pandemie kommt sowieso“ – und darum ist es mir egal, wie ich mich verhalte – ich tue alles, was mir Spaß macht, denn morgen kann es schon zu spät sein. Was kümmern mich kluge Ratschläge?“

Unser biblischer Text setzt beidem drei Kernbegriffe entgegen:

1.) „Besonnenheit“: Angesichts unserer doch ganz unbekannten Bedrohungen haben wir Angst, und das völlig zu Recht! Angst lässt uns nach Auswegen suchen, wenn es gefährlich wird. Aber Angst kann kippen und zu Panik werden. Dann rennen wir genau in die falsche Richtung. Wir wollen das Beste und tun genau das Falsche.

 

Die „Besonnenheit“ versteht menschliche Gefühle, aber sie fragt mit großer Klarheit zurück: Wovor genau hast Du Angst? Wie willst Du die Bedrohung vermeiden? Was ist die Alternative?

 

Besonnen ist, wenn wir uns eingestehen: Wir wissen einfach nicht, wie gefährlich Corvid-19 noch werden wird. Das Virus vermehrt sich erschreckend schnell. Aber weniger als 1% der Infizierten sterben daran. Es könnte unsere Gesundheitssystem überfordern –es kann aber auch so überschaubar bleiben wie eine heftige Grippe – zumindest in Deutschland.

 

Besonnen ist, wenn wir das tun, was nachweislich zur Eindämmung hilft: Möglichst wenig Körperkontakt, ein Abstand von ein bis zwei Metern hilft. Mehrfach am Tag mit Seife Händewaschen, etwa 20-30 Sekunden – etwa so lange wie ein Vater-Unser! Husten und Nießen nur noch in den Ellenbogen – oder in ein Einmal-Taschentuch.

 

Das ist etwas anders als „soziale Distanzierung“ um jeden Preis! Es gibt in manchen Situationen Nähe, die gefährlich ist. Die im schlimmsten Fall tödlich sein kann: Ich könnte jemand anstecken, ohne dass ich weiß, dass ich infiziert bin. Oder ich könnte mich bei jemand anstecken, der nicht weiß, dass er infiziert ist.

 

Mir ist wichtig: Das andere gibt es aber auch: Es gibt Distanz, die schaden kann. Oder sogar töten.

 

Gestern wollte ich zu einer Taufe fahren, die aber abgesagt wurde. Stattdessen habe ich mich entschieden, meinen 89jährigen Vater zu besuchen. Er gehört einer dreifachen Hochrisikogruppe an: Er ist 89 Jahre alt. Er ist männlich. Und er hat Vorerkrankungen.

 

Trotzdem bin ich nicht dem Rat gefolgt, die Älteren von den Jüngeren zu trennen.

 

Denn ich glaube: Es hilft meinem alleinlebenden Vater gerade mehr, wenn ich ihn besuche, als wenn ich ihn meide. Ich konnte ihm zuhören, ihm Verständnis zeigen und ihm ein paar Tipps für die kommende Zeiten geben.

 

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

 

2.) Zwei weitere von Gott geschenkte Energiefelder können uns in diesen außergewöhnlichen Zeiten helfen: Die Kraft und die Liebe.

 

Kraft schenkt er uns, wenn wir zur Ruhe kommen, wenn wir zu ihm beten, wenn er uns ansprechen kann. Kraft erhalten wir auch im Austausch mit anderen, im Tun des aktuell Nötigen. Wenn Gott uns Kraft schenkt, erinnert er uns: Da kommt etwas auf uns zu, aber wir können darauf aktiv reagieren. Wir können entscheiden, wem wir begegnen wollen. Wir können erspüren, wer gerade unseren Zuspruch oder unser Zuhören braucht. Wir müssen uns nicht trennen von denen, die uns so nötig brauchen!

 

Und 3.): Gott hat uns die Liebe gegeben. Wirklich christliches Handeln macht sich an der Liebe fest: Wie wirkt sich unser Handeln auf die Schwächsten aus?

 

Die Schwächsten der Gesellschaft in Zeiten von Corona sind die Alten, die über 70 oder 80jährigen. Dazu gehören Menschen mit Vorerkrankungen. Dazu kommen die, die sich nicht distanzieren können, wie die Obdachlosen, die Geflüchteten oder die Armen, etwa wenn sie zu Tafeln gehen. Und es sind die, die asiatisch aussehen – obwohl niemand in China oder anderswo Schuld hat am Entstehen des Corona-Virus.

 

Schon die Frage führt in die Irre, wer schuld ist an einer Krankheit: Die Frage wurde im At und NT intensiv diskutiert. Jesus brachte das Ergebnis auf den Punkt: Es führt nicht weiter, Krankheit oder Naturkatastrophen auf menschliche Schuld zurückzuführen. Zu unserer Welt gehören Licht und Finsternis, Begrenzung und Risiko. Das „Warum“ von Krankheit muss notwendig offen bleiben.

 

Und darum verhält sich Jesus so souverän gegenüber Aussätzigen und anderen Erkrankten: Sie sind nicht schuldig, sie wurden zu Opfer einer Erkrankung.

 

Aussätzige, also alle mit Hauterkrankungen mussten damals laut Klappern schlagen und „unrein“ rufen, wenn sie sich Gesunden näherten. Doch Jesus ging auf Aussätzige zu und heilte sie, die um sie hineinzunehmen in die Gemeinschaft.

 

Nächstenliebe entwickelt ein feines Gespür für die, die Beistand und Unterstützung benötigen. Und sie ist erfinderisch darin, wie sie das tut.

 

 

Darum halten wir fest an der Zusage: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen in Jesus Christus.

 

Lied: Bewahre uns Gott: EG 171

 

Gebet: Wir bitten Dich für alle, die verängstigt sind wegen des Corona-Virus: Beschütze sie und gib ihnen neuen Mut!

Wir bitten Dich für Die, die in Quarantäne gehen mussten, darunter (Name eines Mitarbeiters): Lass sie die Zeit der Trennung nicht zu belastend erfahren, sondern neue Möglichkeiten entdecken!

Wir bitten Dich für die Eltern von Kindern und Jugendlichen, auch unter uns: Gib ihnen Geduld, Kreativität und Freude mit ihren Kindern!

Wir bitten Dich für die Älteren und allen, die mit ihnen zu tun haben: Bewahre sie vor Ansteckungen und den Schäden der Distanzierung!

Wir bitten Dich für alle, deren wirtschaftliche Existenz durch Corona bedroht wird: Lass sie Hilfe und Solidarität erfahren.

Wir bitten Dich für Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen und für alle, die mit den besonders Gefährdeten arbeiten: Gib ihnen gute Worte, Gelassenheit und Beherztheit!

Wir bitten dich für alle, die in diesen Tagen Entscheidungen treffen und umsetzen müssen, die ihnen schwer fallen: Gib ihnen Deinen Geist der Besonnenheit, der Kraft und der Liebe!

All das, was wir darüber hinaus erbitten, fassen wir zusammen in den Worten Jesu:

Vater Unser

Aaronitischer Segen

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