Apostelgeschichte 8,26-39

Apostelgeschichte 8,26-39

 

Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Martin Luther, WA 30 I, 91,13-16: „Ut ergo Christi mors et resurrectio occulta
non maneret, venit spiritus sanctus, praedicat, das heisst, quod spiritus sanctus
te ducat ad dominum, qui te liberat. Quando ergo te quaero: Quid significat iste
articulus? responde: Ego credo, quod spiritus dei me sanctificet.“

Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Predigt von Luise Stribrny de Estrada
über Apostelgeschichte 8,26-39

Homiletische Vorbemerkung

Liebe Schwestern und Brüder!

Heute möchte ich Ihnen von einem erzählen, der auszog, den
Sinn seines Lebens zu finden. Er hatte zwar alles, was er zum Leben brauchte,
hatte eine gute Arbeitsstelle, war angesehen und besass viele Freunde,
aber plötzlich stellte er fest, dass ihn all das nicht mehr zu befriedigen
vermochte. Er spürte einen faden Geschmack im Mund, wenn er daran
dachte, wie seine Tage verliefen und sah voller Schrecken voraus, wie
sich ein Tag voller Leere unendlich an den anderen reihen würde
bis zu seinem Tod. Er steckte in einer Lebenskrise.

Da beschloss er, etwas dagegen zu unternehmen -vielleicht würde
Veränderung ihm helfen- und sich auf die Reise zu machen. Er erbat
sich von seiner Chefin mehrere Wochen Urlaub und brach auf. Wohin? Bekannte
hatten ihm von einer für ihn neuen Religion erzählt, in der
es einen Gott gab, der ein ganzes Volk aus der Sklaverei befreit und
in ein neues Land geführt hatte. In die Hauptstadt dieses Landes
wollte er reisen, um mehr über den Gott zu erfahren, der womöglich
auch ihn frei machen könnte von der Sinnlosigkeit seiner Existenz
und den bedrohlichen Gedanken an den Tod.

So kam unser Reisender nach Jerusalem. Er suchte mehrere Male den Tempel
auf, wo dieser Gott angebetet wurde und unterhielt sich auch eines Nachmittags
mit einem klugen Mann, der ihm erklärte, was in den heiligen Schriften
dieser Religion stand – aber das, was er gesucht hatte, fand er nicht. „Was
hattest du dir denn eigentlich erhofft?“, fragte er sch selbst,
als er sich schon wieder auf dem Rückweg befand. „So etwas
wie eine Erleuchtung, einen Moment, in dem klar wäre: Das ist es,
wonach ich mich gesehnt habe und wodurch mein Leben von neuem Sinn bekommt“,
gab er sich selbst zur Antwort. Was würde er jetzt tun? Zu einem
anderen Heiligtum fahren? Wahrscheinlich hatte das genausowenig Zweck…
Resigniert griff er nach den Schriften, die er noch in Jerusalem gekauft
hatte, um durch sie vielleicht doch noch die Stimme dieses Gottes zu
hören. Aber als er zu lesen anfing, begriff er nicht, wovon die
Rede war, warum das Schaf, das da zur Schlachtbank geführt wurde,
stumm blieb angesichts des bevorstehenden Todes und mit wem es verglichen
wurde.

Grübelnd schaut er aus seinem Wagen und entdeckt einen Mann, der
wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und neben dem Wagen hergeht. Der Fremde
spricht ihn an. „Ich habe eben gehört, dass du laut etwas
aus der Bibel gelesen hast. Verstehst du es?“ „Nein“,
antwortet der Reisende, „und das frustriert und ärgert mich.
Ich hatte gehofft, das es mir etwas sagen könnte, aber ich brauchte
wohl einen Schriftgelehrten, der mir alles genau erklärt.“ „Wenn
es dir recht ist, kann ich das tun“, erwidert der andere. „Dann
steig nur auf, ich bin neugierig zu hören“, erhält er
zur Antwort.

Er war an den richtigen Mann geraten. Der Fremde, der sich als Philippus
vorstellte, erklärte ihm, dass der Prophet mit den Worten vom Schaf
das Schicksal eines Mannes vorausgesehen hatte, der Jesus hiess und vor
kurzem gestorben war. Sein Feinde hatten ihn grausam hinrichten lassen,
aber er hatte sich nicht gewehrt und alles mit sich geschehen lassen.
Ohne Schuld sei er gewesen, erkärte Philippus, aber durch seinen
Tod am Kreuz habe er die Schuld aller anderen Menschen auf sich genommen,
die nun vor Gott hinfällig sei. Das besondere an Jesus war, so hörte
staunend der Weitgereiste, dass er eine besonders enge Beziehung zu Gott
hatte, den er liebevoll Papa nannte, und in jedem Augenblick seinen Willen
tat. Nachdem er gestorben war, hatten seine Freundinnen und Freunde ihn
wieder gesehen, nicht als Totengeist, sonden als Menschen aus Fleisch
und Blut, und er hatte ihnen erklärt, dass Gott den Tod überwunden
und ihn auferweckt hatte. Er hatte sich von ihnen verabschiedet mit den
Worten, er ginge jetzt zu seinem Vater in den Himmel, aber er würde
durch den Heiligen Geist mit ihnen verbunden bleiben. Danach hatten sie
ihn nicht mehr gesehen, aber das sichere Gefühl gehabt, dass er
ihnen nahe war und ihnen Mut machte, wenn sie zu verzagen drohten. Philippus
erzählte auch von der Gemeinschaft, die seine Anhängerinnen
und Anhänger miteinander verband, und dass sie sich zum Ziel gesetzt
hatten, möglichst vielen Menschen von Jesus, den sie den Christus
nanten, zu erzählen.

Der Mann auf der Suche hat zugehört, zuerst einfach interessiert,
hat einige Fragen gestellt, und ist immer erregter geworden. Er spürt
ganz deutlich: Das hat etwas mit mir zu tun, ich bin gemeint. Wenn dieser
Jesus weggenommen hat, was zwischen uns und Gott steht, ist das ein neuer
Anfang. Auch ich kann noch einmal von vorne beginnen, ohne dass ich auf
mein bisheriges Leben festgelegt werde, auf das, was ich getan oder unterlassen
habe. Er spürt, wie seine Brust sich weitet und er tief durchatmen
kann. Ich brauche mir kein Vorwürfe mehr zu machen, weil ich auf
dem Weg nach oben andere weggeboxt habe, oft mit unfairen Mitteln, oder
weil ich Menschen dazu gezwungen habe, ihre Schulden bei mir zu zahlen,
obwohl ich wusste, dass sie nicht über genügend Geld verfügten.
Diese Sünden nimmt Gott mir ab. Und er fragt Philippus dringend: „Aber
was muss ich tun, damit ich nicht wieder Falsches tue und mich von neuem
von Gott entferne?“ Dieser erwidert: „Du sollst dich an Gottes
Gebote halten, Gott vor allen anderem lieben und deinen Nächsten
so wie dich selbst.“ „Und wenn ich darin versage?“ „So
wird Gott, wenn es dir ernstlich leid tut, dir auch in Zukunft deine
Schuld verzeihen.“

Wie war das mit dem Tod? Jesus Christus ist auferstanden, weil Gott
mächtiger ist als der Tod? „Wie ist das bei den Anhängern
von Jesus, sind sie, wenn sie gestorben sind, denn für immer tot
oder will Gott auch sie wieder zum Leben bringen?“, fragt er atemlos
seinen Lehrer. „Auch uns Christen und Christinnen will Gott auferwecken,
wir brauchen keine Angst mehr vor dem Tod zu haben und werden für
immer bei Gott leben, in seinem Licht“, erhält er zur Antwort.
Der Reisende fühlt sich in seinem Innersten angerührt. Das
ist es, wonach er sich gesehnt hatte: Dass er den Tod nicht mehr zu fürchten
braucht, dass er der Angst etwas entgegensetzen kann, wenn sie nach ihm
greift. Am Ende wird nicht stehen, dass alles sinnlos gewesen ist und
von ihm nichts anderes übrig bleibt als ein Häufchen Staub
und Knochen. Nach seinem Tod in Gottes Nähe zu sein, ja, das wünscht
er sich, wenn er es wagen darf. Was er von Philippus gehört hat,
hat ihn frei gemacht, erlöst von seinem Erschrecken angesichts des
Todes, befreit von der Sinnlosigkeit, unter der er litt.

Aber eines fehlt noch: „Wie kann ich dazu gehören zu Jesus
Christus, wie kann ich einer von euch werden?“, möchte er
jetzt wissen. Philippus erklärt: „Du musst dich taufen lassen,
dreimal im Wasser untertauchen, damit das Alte, das du bisher warst,
untergeht, und das Neue an´s Licht kommen kann.“ „Sonst
ist nichts nötig? – Kannst du das mit mir machen: taufen?“ „Ja!“ Bald
darauf kommen sie an einem Fluss vorbei. Der Reisende lässt den
Wagen halten und fragt noch einmal, fast mehr sich selbst: „Gibt
es etwas, was mich hindert, mich taufen zu lassen? – Nein“, entscheidet
er.

Die beiden Männer steigen aus dem Wagen und gehen hinab zum Fluss.
Sie legen ihre Obergewänder ab und waten in den Fluss hinein. Dann
taucht Philippus den anderen dreimal ganz unter, so dass er nach Luft
schnappen muss, als er wieder nach oben kommt, und sagt: „Ich taufe
dich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und
danach umarmt er ihn, ohne lange nachzudenken: „Willkommen, Bruder,
in unserer Gemeinschaft. Ich freue mich, dass Gottes Geist dich angerührt
hat und du Jesus Christus als deinen Retter angenommen hast.“ Der
Mann ist ergriffen: „Jetzt bin ich neu geboren, alles liegt offen
vor mir, so dass ich jetzt noch einmal anfangen kann, mein Leben zu gestalten.
Nichts braucht mich mehr zu belasten, vor Gott bin ich reingewaschen.
Danke für alles, mein Freund.“ Und er umarmt Philippus.

Als beide wieder am Ufer anlangen, ist Philippus plötzlich verschwunden,
der andere schaut sich verdutzt um, aber er ist tatsächlich wie
vom Erdboden verschluckt. Hat er womöglich alles nur geträumt?
Nein, seine Kleider und Haare sind ja noch nass, und er fröstelt
im Wind. Und da drüben wartet sein Wagen, die Bediensteten schauen
irritiert zu ihm herüber und fragen sich wahrscheinlich, was er
dort im Fluss eigentlich gesucht hat. So steigt er schnell auf seinen
Wagen und lässt ihn weiterfahren, den weiten Weg nach Hause zurück.

Er erwischt sich ein wenig später dabei, wie er fröhlich
vor sich hinpfeift. Dass hat er seit Ewigkeiten nicht getan, vielleicht
seit er aufgehört hat, ein Kind zu sein. Aber seine Freude sprudelt
in ihm und muss sich Luft machen. Er ist überglücklich, ein
neuer Mensch. Auch seine Leute, die ihn anders kennen, merken etwas von
der Veränderung, die mit ihm geschehen ist, lassen sich von seiner
Freude anstecken und lachen mit ihm. Er strahlt mit seinem ganzen Wesen
Fröhlichkeit aus. Was für ein Glückstag, der Tag seiner
Taufe! Er war ausgezogen, den Sinn seines Lebens zu suchen – und er hat
ihn gefunden, aber anders, als er es gedacht hätte. Nicht im Tempel,
sondern in den Worten dessen, der ihm ein Freund geworden ist und im
Wasser des Flusses.

Wenn er wieder zuhause angekommen ist, wird er Menschen suchen, die
auch an Jesus Christus glauben. Einige wird es in seiner grossen Stadt
wohl geben. Er sehnt sich danach, ihnen von allem zu erzählen, was
ihm geschehen ist und von ihnen noch mehr über Gott zu hören.
Er braucht Gleichgesinnte, das spürt er ganz deutlich, damit nicht
mit der Zeit alles verpufft und bedeutungslos wird, was heute war. Das,
was sein Freund ihm erzählt hat, von der Gemeinschaft, die ihn selbst
trägt, kann ja auch für ihn wahr werden. Freund ist gar nicht
richtig, „Bruder“ hat er ihn genannt! Er hat eine neue Familie
gefunden… Ja, er wird sich gleich auf die Suche machen, wenn er wieder
zuhause ist; und er ruft dem Mann auf dem Kutschbock zu, die Pferde anzuspornen,
damit sie schneller laufen.

Lassen wir jetzt den Reisenden alleine seinen Weg fortsetzen und fragen
uns zum Schluss: War es einfach Zufall, dass die beiden sich begegnet
sind? Nein, der Geist Gottes hat dafür gesorgt, so heisst es in
der Bibel. Er spielt an verschiedenen Stellen der Erzählung eine
Rolle und sorgt dafür, dass Philippus im richtigen Moment auf den
Suchenden trifft. Ohne ihn wäre nicht möglich gewesen, dass
der eine die richtigen Worte findet und der andere offen ist zuzuhören.
Ohne den Heiligen Geist wäre es nicht zur Taufe im Fluss gekommen.
Nötig war aber auch, dass Philippus auf das hörte, was der
Geist ihm eingab und es in die Tat umsetzte.

Und wir? Betrifft uns das? Vielleicht finden wir uns wieder in dem,
der von Christus und der Befreiung, die er bringt, erzählen kann
oder in dem anderen, der auf der Suche nach seinem Lebenssinn ist und
den dieses Wort in‘s Herz trifft. Vielleicht merken wir auch, dass
es weniger Zufälle gibt als wir denken, und dass Gott uns durch
seinen Geist beeinflusst, ohne dass wir dabei unsere Freiheit verlieren.
Gottes Geist – spüren wir ihn in unserem Leben? Lassen Sie uns Augen,
Ohren und Herzen offen halten für seine Bewegung. Dazu möchte
ich Sie einladen.

Amen.

Homiletische Vorbemerkung:

Die Predigt erzählt in etwas verfremdeter und uns Heutige zur Idenfikation
einladender Weise die Geschichte von der Bekehrung und Taufe des äthiopischen
Schatzmeisters. Eingearbeitet sind Bezüge auf den dritten Artikel
des Glaubensbekenntnisses und auf Luthers Überlegungen zum Heiligen
Geist, der uns zum Herrn Jesus Christus führt, der uns befreit.
Dadurch werden wir selbst, unserer Sünden los und ledig, heilig,
und zu Mitgliedern der „communio sanctorum“. Ich habe diese
Erfahrung dem Äthiopier in den Mund gelegt und hoffe, dass das Umstürzende
dieser Veränderung, das wir als im Christentum von Kindheit an Aufgewachsene
oft schwer nachvollziehen können, durch ihn lebendig wird.

Den Predigttext lase ich schon als Epistel lesen, damit er zwar im Gottesdienst
präsent ist, aber von der Predigt etwas abgetrennt bleibt.

Luise Stribrny de Estrada
Pastorin der deutschen lutherischen Gemeinde in Mexiko
E-Mail: marclui@prodigy.net.mx

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