Apostelgeschichte 9, 1-22

Apostelgeschichte 9, 1-22

12.Sonntag nach Trinitatis | 04.09.2022 | Apg 9, 1-22 | Elisabeth Tobaben |

Apostelgeschichte 9, 1-22

1 Saulus wütete immer noch mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohenpriester 

2 und erbat sich von ihm Briefe an die Synagogen in Damaskus, um die Anhänger des (neuen) Weges, Männer und Frauen, die er dort finde, zu fesseln und nach Jerusalem zu bringen. 

3 Unterwegs aber, als er sich bereits Damaskus näherte, geschah es, dass ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. 

4 Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? 

5 Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst.

6 Steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst. 

7 Seine Begleiter standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand. 

8 Saulus erhob sich vom Boden. Als er aber die Augen öffnete, sah er nichts. Sie nahmen ihn bei der Hand und führten ihn nach Damaskus hinein. 

9 Und er war drei Tage blind und er aß nicht und trank nicht. 

10 In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias. Zu ihm sagte der Herr in einer Vision: Hananias! Er antwortete: Hier bin ich, Herr. 

11 Der Herr sagte zu ihm: Steh auf und geh zur sogenannten Geraden Straße und frag im Haus des Judas nach einem Mann namens Saulus aus Tarsus. Er betet gerade 

12 und hat in einer Vision gesehen, wie ein Mann namens Hananias hereinkommt und ihm die Hände auflegt, damit er wieder sieht. 

13 Hananias antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. 

14 Auch hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle zu verhaften, die deinen Namen anrufen. 

15 Der Herr aber sprach zu ihm: Geh nur! Denn dieser Mann ist mein auserwähltes Werkzeug: Er soll meinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels tragen. 

16 Ich werde ihm auch zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss. 

17 Da ging Hananias hin und trat in das Haus ein; er legte Saulus die Hände auf und sagte: Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist; du sollst wieder sehen und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden. 

18 Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er sah wieder; er stand auf und ließ sich taufen. 

19 Und nachdem er etwas gegessen hatte, kam er wieder zu Kräften. Einige Tage blieb er bei den Jüngern in Damaskus; 

20 und sogleich verkündete er Jesus in den Synagogen und sagte: Er ist der Sohn Gottes. 

21Alle, die es hörten, gerieten in Aufregung und sagten: Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem alle vernichten wollte, die diesen Namen anrufen? Und ist er nicht auch hierher gekommen, um sie zu fesseln und vor die Hohenpriester zu führen?

22 Saulus aber trat um so kraftvoller auf und brachte die Juden in Damaskus in Verwirrung, weil er ihnen bewies, dass Jesus der Messias ist.

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist geradezu sprichwörtlich geworden, das Damaskuserlebnis.

Es steht in unserem Sprachgebrauch für eine plötzliche Kehrtwendung von einer Überzeugung zur anderen, für Bekehrung.

Aber ob man sich so etwas wünschen sollte?

Ich denke, Saulus wird eher das Gefühl gehabt haben, die „Burgen dieser Welt“ würden um ihn gerade in Trümmer fallen (Lied), kein Stein bleibt auf dem anderen in seinem alten Leben.

„Und jetzt muss ich es nur noch tun“, sagte der Student.

Wir hatten uns damals zufällig im Zug getroffen, als er mir erzählte, was er vorhatte. Er wollte nach Hause, und ein schwieriges Familienproblem anpacken.

Außerdem wollte er seinen Eltern mitteilen, dass er  das Studienfach wechseln werde.

„Jura ist einfach nichts für mich!, sagt er. „Und ich brauche endlich auch wieder eine Vollleyballmannschaft und einen guten Chor!“

Er hatte sich eine ganze Menge vorgenommen,

Aber er hatte alles sehr gut analysiert und viele Zusammenhänge nach meiner Beobachtung richtig durchschaut.

Er wusste genau, was er wollte. „Jetzt muss ich es nur noch tun“, sagt

  1. Ich muss lachen und frage: „Nur noch?“

Er guckt überrascht, aber dann lacht er auch und seufzt: „Ach ja, vielleicht ist genau das das Schwierigste. Vielleicht brauche ich ja doch so ein kleines Damaskuserlebnis? Oder wenigstens so einen Blitzschlag wie bei Martin Luther?  Gleich sein ganzes Leben radikal ändern und ins Kloster gehen, bloß weil der Blitz einen verschont hat? Eigentlich ganz cool…“

Die eigene Erkenntnis und die Wünsche sind das eine, wenn man etwas verändern möchte im Leben, sie aber dann „nur noch“, umzusetzen, das ist dann oft gar nicht so leicht.

Auch wenn man selbst ganz sicher ist, das man nun den richtigen Weg

gefunden hat, garantiert kommt nach den ersten Schritten irgend jemand und sagt: „Wie?? Was hast du vor? Och nee, das lass man lieber.“

Oder auch abfällig, nachdem etwas bereits wunderbar gelungen ist: „Du hast dich aber verändert, früher warst du aber viel umgänglicher“.

Meistens heißt das auf Deutsch:  Früher warst du bequemer für uns, du hast funktioniert und brav getan, was wir von dir erwartet haben. Jetzt stellst du unangenehme Fragen, hast eigene Vorstellungen…

Da kann es schon sein, dass man manchmal denkt: so ein scheinbar zwangsläufiges Ereignis wie es der Saulus-Paulus erlebt hat, wäre gar nicht so schlecht!

So dass man vermeintlich gar nicht anders könnte, als ganz neu anzufangen, und war ohne dass die Erfahrungen der Vergangenheit einen dauernd einholten und beeinflussten, ohne dass man es noch wollte; Unbelastet, couragiert, voller Elan und Power;

Aber: kann man sich so etwas eigentlich wirklich wünschen? Gar planen? Erhoffen?

Saulus hat sich so ein Erlebnis wie das vor Damaskus ganz bestimmt nicht gewünscht! „Damaskus-Erlebnisse“ plant man nicht, sie geschehen, und man kann sie wohl auch erst im Nachhinein als solche deuten, dann, wenn schon alles anders geworden ist.

Aber wie kommt es dazu?

Das kann sehr unterschiedlich sein, gucken wir mal, wie es bei Saulus passiert ist.

„Er wütete mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn“ steht in der Apostelgeschichte.

Warum tut er das? War er einfach ein cholerischer Typ? Wohl jedenfalls nicht in erster Linie, er geht ja sehr systematisch vor und holt sogar Empfehlungsschreiben ein.

Aus seiner Sicht handelt er völlig korrekt, denn er möchte für Ordnung sorgen in den Synagogen.

Die Anhänger dieses neuen Christus-Glaubens bringen nur Unruhe in die Gemeinde und verwirren das Volk. Das geht auf gar keinen Fall, denn in seinen Augen laufen die Leute so in ihr Unglück!

„Anhänger des neuen Weges“ nennt die Apostelgeschichte diese Menschen, wahrscheinlich  die erste Selbstbezeichnung von Christinnen und Christen.

„Glauben die doch tatsächlich, Jesus sei der Messias gewesen! So ein Unfug!“, denkt Saulus.

Er war ein hoch gebildeter, sehr frommer und religiös hoch engagierter Mann.

Er kannte sich hundertprozentig aus in seiner Bibel und war sich sicher, dass der Messias natürlich nicht aus Nazareth kommen konnte, die Propheten hatten  schließlich etwas ganz anderes geweissagt.

Und dann wurde er auch noch gekreuzigt wie ein Verbrecher, er kann es also gar nicht sein!

Also ist es –innerhalb seines Gedankengebäudes- völlig logisch, dass Saulus schnaubt und wütet gegen diese „Anhänger des neuen Weges“ .

Vielleicht hatte er auch schlicht Angst, weil er tief in sich spürte, dass er selbst niemals in der Lage sein würde, alle Forderungen des Gesetzes wirklich in ganzer Tiefe zu erfüllen.

Es könnte gut sein, dass er auch deswegen so unnachgiebig war und die verfolgte, die ja nun aus seiner Sicht  vom Gesetz abgewichen sind – weil sie Jesus vertrauten.

Ich habe oft erlebt, dass gerade solchen Menschen besonders fanatisch reagieren, die damit innere Zweifel übertönen und totschlagen wollen.

Oder wie Hermann Hesse sagt: „Was nicht in uns ist, das regt uns auch nicht auf!“

Saulus glaubt, ein gutes Werk zu tun, wenn er hilft, diesen unmöglichen neuen Glauben so schnell wie möglich auszurotten.

Die Anhänger sollen gefesselt nach Jerusalem verschleppt werden wo sie wohl wieder zurecht gebracht werden sollen. .

Saulus reist voll Feuereifer nach Damaskus.

Und dann? –

Zwischengedanke: Leider muss ich immer daran denken, wie diese einmal so wunderschöne Stadt mit herrlichen Innenhöfen, Brunnen und alten Gebäuden heuten aussehen mag…

Das kann mir gerade den Boden unter den Füßen wegziehen…

Paulus zieht es buchstäblich den Boden unter den Füßen weg.

Blendend helles Licht, eine Stimme, die auch die Umstehenden, mehr oder weniger Unbeteiligten, hören.

Das allein bewirkt die große Veränderung allerdings noch nicht.

Ich denke, Saulus hätte sich dieser Stimme auch verschließen können, sie vielleicht als psychotisches Erleben auffassen können, womöglich Tabletten verschreiben lassen dagegen.

Aber das tut er nicht. Er lässt sich auf dieses ungewöhnliche „Gespräch ein, er antwortet  mit einer Gegenfrage.

Und hier, glaube ich, geschieht der eigentliche Umbruch in Saulus‚ mit Frage:

„Herr, wer bist du?“

In ihm muss aber zu diesem Zeitpunkt wohl doch schon etwas Entscheidendes  geschehen sein.

Mit „Herr“ griechisch  „Kyrios“ redet er die Stimme an. Das ist  ein Ehrentitel, mit dem man höher Gestellte ansprach: Könige oder Herrscher. „Du musst etwas Besonderes sein“, sagt er im Grunde  schon allein  mit dieser Anrede. „Ich erkenne deine Macht an.“

„Herr, wer bist du?“ Das ist eine Frage, auf die es keine fertige, perfekte und immer

und zu allen Zeiten und für jeden Menschen richtige Antwort gibt.

Natürlich wird es manche Übereinstimmung geben, über die man sich auch verständigen kann.

Aber wer Jesus für uns genau heute und hier, jetzt und in diesem Moment ist, das hängt offensichtlich immer auch von unserer eigenen Lebenssituation ab!

Für Saulus war die Antwort in diesem Moment: „Ich bin Jesus, der, den du verfolgst“.

Für ihn war Jesus zunächst mal der, der sein ganzes bisheriges Leben durcheinander gebracht hat, ihn zutiefst in Frage stellte.

Später wird er dann auch noch zu neuen Erkenntnissen kommen.

Als er anfängt, überall in den Synagogen selbst die neue Lehre zu verkündigen,

da sagt: Jesus ist Gottes Sohn. Er wird komplizierte theologische Gedankengebäude errichten.

Offenbar braucht man Zeit für so einen Erkenntnis- und Begegnungsprozess!

Von Saulus jedenfalls erfahren wir, dass er nach seiner Vision nichts mehr sehen kann, so geblendet ist er von dem hellen Licht, das seine Vision und Audition begleitet hatte.

So hat er drei Tage, um nachzudenken, zu beten und sich neu zu orientieren.

Ich stelle mir das schon beunruhigender vor, als es sich im ersten Moment so anhört, drei Tage, na ja, was ist das schon? Aber das weiß Saulus ja vorher nicht, wie lange seine Dunkelheit dauern wird. Nur, dass er irgendwie Anweisungen erhalten wird, sagt ihm die Stimme.

Drei Tage Enge und Angst, Dunkelheit und Orientierungslosigkeit. Wie mag es weitergehen?

Drei Tage. Drei symbolträchtige Tage.

Der Verfasser will daran erinnern: So wie das Alte Testament von Jona im Bauch des Fisches erzählt, und so wie die Ostergeschichte erzählt, dass Jesus nach drei Tagen im Reich des Todes aufersteht.

So ist auch die Berufung des Saulus ein Stück Auferstehung.

So beginnt für Saulus nach drei Tagen ein neues Leben,  als Hananias ins Spiel kommt.

Man kann sich  leicht vorstellen, wie dem zumute gewesen sein muss, als er diesen Auftrag bekommt!

„Wie“?  fragt er. „Saulus? Zu dem willst du mich wirklich ernstlich schicken, Gott?

Das ist doch der, der deinen Heiligen überall das Schlimmste angetan hat“!

Da ist die Angst um die eigene Freiheit, denn was, wenn es schief geht?

Wird er, Hananias, dann auch gleich als erster verhaftet und nach Jerusalem verschleppt?

Und außerdem ist es in der Tat eine unglaubliche Zumutung für ihn, dass Gott da Großes

mit einem vorhat, der sich so schändlich verhalten hat!

Ist das überhaupt möglich, dass einer sich so um 180° drehen kann, dass sogar aus einem Verfolger ein Anhänger des neuen Weges, ein Christ wird?

Und wenn, kann man dann von denen, die bisher die Opfer waren verlangen, dass sie nun mit ihrem ehemaligen Peiniger womöglich sogar zusammen in einer Gemeinde leben?

Hananias  ist nicht der einzige, der so denkt.

Was würden wir denn denken, wenn bei uns ein ehemaliger Neonazi oder gar IS-Kämpfer auftauchen würde, der sagt, er habe Gottes Stimme gehört, ein Licht gesehen und sei jetzt bekehrt??? Er werde ganz gewiss keine Bomben mehr zünden?

Als Saulus zu predigen anfängt, stürzt er damit die Synagogengemeinde in helle Aufregung und die Juden in Damaskus in dramatische Verwirrung.

Kann man so einem den glauben? Ist das vielleicht eine Falle?

Ein verständliches Misstrauen.

Vielleicht umso mehr, weil bei uns mit Berichten von so plötzlichen und radikalen Bekehrungen auch oft Erfahrungen wach werden, wie sie der Student mit seinen  Veränderungsplänen machen musste: dass es nämlich ganz schön schwierig sein kann und anstrengend.

Auch wenn die große Veränderung im Leben des Saulus so plötzlich geschieht und außerdem gerade nichtaus eigenem Entschluss entsteht, ist das in unserem eigenen Erleben schlecht

voneinander zu trennen.

Aber gerade deswegen finde ich die Geschichte ausgesprochen ermutigend:

Sogar da noch, wo jemand in Verhaltens- und Glaubensmustern so festgefahren ist, dass er selber gar nicht mehr glaubt, dass sich etwas ändern könne, selbst da noch kann Gott Bewegung in ein Leben bringen.

Und selbst da, wo jemand denkt, er sei komplett auf dem richtigen Weg und im Recht,

und er hätte ein Umdenken und ein neues Leben überhaupt nicht nötig,

kann Gott Bewegung in ein Leben bringen, Aufbruch, neuen Anfang möglich machen.

Manchmal völlig unerwartet. Manchmal umwerfend. Meistens eher langsam, Schritt für Schritt.

Trauen wir es ihm zu!

Amen

Liedvorschläge:

Eingangslied: EG 304 Lobet den Herren, denn er ist sehr freundlich

Wochenlied:EG 289, 1-2

Vor der Predigt: EG 378 Es mag sein, dass alles fällt

Nach der Predigt: Freitöne 112 Anker in der Zeit

Schlusslied: Freitöne 200 Weise uns den Weg, Gott, geh mit

Oder EG 410 Christus, das Licht der Welt

de_DEDeutsch