Auf die Bäume!

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Auf die Bäume!

Predigt zu Lukas 19:1-10 | verfasst von Ralf Reuter| 

 

Auf die Bäume! Es wird wieder Zeit, Horizont zu gewinnen, Früchte zu ernten, aus der täglichen Routine zu entfliehen. Zachäus macht das richtig. Er steigt auf einen Baum. Nur da wird Jesus ihn sehen und ansprechen. Ihn wieder zurechtbringen, sein Leben neu aufstellen. Zachäus ist uns in dieser wunderbaren Geschichte von Lukas in vielem Voraus. Wir können von ihm lernen. Auf die Bäume!

Im Alter von 10 oder 11 Jahren bin ich oft auf einen hohen Baum gestiegen. Von dort hatte ich einen weiten Blick in die Landschaft. Im Herbst waren es mehr die Zwetschgen, Birnen, vor allem Äpfel, die mich lockten. Auf die Bäume steigen war auch hilfreich, wenn man etwas ausgefressen hatte. Da war ich erst einmal sicher. Das Ansprechen geschah dann bald. Man wurde ins Haus gerufen und kam verändert heraus.

Ist es bei Zachäus tatsächlich ein Verstecken im Baum, so wie sich Adam im Paradies vor Gott versteckte? Oder eher ein Fliehen aus seinem bisherigen Leben, ein Aufsteigen zu Gott, um von ihm angesprochen zu werden? Von Jesus wird er gehört haben, sicherlich von seinen Heilungen. Wer auf einen Baum steigt, um Jesus sehen zu können, der trägt schon eine Sehnsucht im Herzen. Der sucht nach mehr und anderem.

Lukas erklärt das Aufsteigen mit seinem kleinen Wuchs. Das macht es erst einmal schwer, sich mit ihm zu identifizieren. Zudem ein Zöllner, der nicht sehr hoch im Ansehen stand. Dazu noch sein Reichtum. Vielleicht sagen einige: Wie Leute von Wirecard, die mehr in die Bilanz stellten, als sie durften. Oder Unternehmer, die in diesen Zeiten das Zehnfache für Masken und medizinische Ausstattung nehmen.

Zu so einem geht Jesus ins Haus. Der Himmel kommt auf die Erde. Es ist eine göttliche Einkehr, wie sie stärker nicht sein kann. Jesus schenkt ihm eine persönliche Begegnung in seiner so kostbaren Zeit. Dieser Mensch ist seiner wert. Der Heiland kehrt bei ihm ein, und Zachäus empfängt ihn mit Freuden. Da schimpfen die anderen, doch sie wissen noch nicht, wie die Geschichte ausgeht. Sonst kämen sie ins Nachdenken.

Denn Zachäus kommt verwandelt heraus. Die Hälfte von seinem Besitz will er den Armen geben. Und wo er betrogen hat, es vierfach zurückzahlen. Das klingt auf den ersten Blick mehr als es vielleicht ist. Die Hälfte des Reichtums abzugeben ist sicherlich sehr sinnvoll. Da reicht es heute schon, ehrlich Steuern zu zahlen und den Rest in die Kollekte zu werfen. Auch vierfach Unrecht zu vergelten ist ehrlich und angemessen.

Ich glaube, dies ist eine Geschichte für uns. Lukas hält uns einen Spiegel vor, wir sind dieser Zachäus. Glauben wir denn wirklich, wir bräuchten diesen Jesus nicht ebenso? Sind wir immer sauber, verzichten auf Privilegien, schlagen Vorteile aus? Denken wir nur einen Moment lang weltweit. Als reiches europäisches Land dominieren wir mit unserer Wirtschaftskraft, mit unserer Kultur, mit unserer Fitness.

Was würde Jesus mit uns besprechen, zuhause an unserem Küchentisch? Das mag sich jeder und jede selbst beantworten. Und was wären die Folgen? Die Hälfte abgeben, nicht nur an Geld, sondern auch an Macht, an Einfluss, an Zeit? Vielleicht braucht auch die Natur etwas vom dem wieder, was wir ihr durch Übernutzung genommen haben. Unsere Erde würde aufatmen, wenn unser Fußabdruck um das Vierfache zurückginge.

Dann würde auch unserem Haus Heil widerfahren, denn auch wir sind Abrahams Kinder. Plötzlich befinden wir uns in der Gemeinschaft der abrahamitischen Religionen. Mitten im Leben von Juden und Muslime, auch sie werden wie wir Christen zurechtgebracht werden müssen. So wie uns diese Pandemie zurzeit weltweit einigt im Erleiden und uns Kraft geben kann für ein neues, elementareres Leben.

Diese Sehnsucht nach einem solchen Leben tragen viele Menschen schon lange in sich. Manchmal kommen Führungskräfte zu mir, in der Seelsorge, im Coaching, um sich wieder neu aufstellen zu lassen. Sie fragen sich: Bin ich noch richtig? Was passt zu mir und zum Sinn des Lebens? Stimmen die Formen meiner Existenz oder bin ich aus den Fugen geraten? Das hat tatsächlich etwas von dieser Geschichte von Zachäus.

Oft frage ich mich: Wer coacht mich eigentlich? Oder uns in der Kirche, wo doch all die Fragen der Veränderung ebenso anstehen? Oder in unserer Gesellschaft, in dieser Welt? Den Weg, den uns Lukas zeigt, geht über das Himmlische und führt so zum Menschlichen. Es ist ein Weg, der mit dem Suchen beginnt, mit dem Besteigen der Bäume. Um Ausschau zu halten nach Gott, nach dem Sinn des Lebens.

Die Kirche der Zukunft führt über diesen Jesus von Nazareth, der da bei einem Sünder einkehrt und ihn wieder ins Lot bringt. Der das Geistliche und das Soziale miteinander verbindet. Er kann uns im Priestertum aller Glaubenden zu Menschen machen, die andere in den Bäumen sehen und sie ansprechen. Die vierfache Zeit haben und bei ihnen einkehren. Die die Hälfte ihrer Woche ehrenamtlich arbeiten.

Also: Nichts wie rauf auf die Bäume! Es ist Zeit, Horizont zu gewinnen, Früchte zu ernten, der Überheblichkeit zu entfliehen. Machen wir es wie Zachäus. Halten wir Ausschau, um von Gott angesprochen zu werden. Nutzen wir die vielfältigen geistlichen Formen und Formate. Über das Spirituelle, über die Einkehr Gottes in unserem Herzen, läuft alle Erneuerung des Lebens. Also: Auf die Bäume!

 

Pastor Ralf Reuter, Göttingen, E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft, Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, und zugleich Pastor an der Friedenskirche Göttingen

 

 

 

 

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