Auferstanden aus den Toten

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Auferstanden aus den Toten

Predigt zu 2. Timotheus 2,8-13,| verfasst von Dr. Rainer Stahl

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

In diesem Jahr die Osterbotschaft zu verkündigen, wird mir ganz schwer, der ich zusammen mit uns allen Ausgangsbeschränkungen beachten und durchstehen muss. Wie soll ich diese, alle Einschränkungen und Begrenzungen überwindende gute Nachricht, in Griechisch: dieses Evangelium, zur Sprache bringen? Wie kann ich die Osterfreude ansteckend weitergeben – und das angesichts der täglich neuen Zahlen von Corona-Infizierten, ja: angesichts der neuen Zahlen der mit einer Corona-Infektion Verstorbenen?

Egal, ob der 2. Brief an Timotheus von Paulus ist, wie der Brieftext sagt, oder von einem späteren Theologen unter seinem Namen verfasst wurde, die ersten Sätze unseres biblischen Textes geben einen Rahmen, den ich als Aussage über mich selbst verstehen kann. Diese Aussage benennt meine eigenen Unsicherheiten und Ängste, aber auch meinen Auftrag:

„Erinnere Jesus Christus, der aus den Toten auferstanden ist […]

entsprechend meiner guten Nachricht,

um derentwillen ich bis dahin mitleide, dass ich gefesselt bin wie ein Verbrecher –

aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt“ (Verse 8-9).

Die Erkenntnis vieler Neutestamentlerinnen und Neutestamentler, dass diese Aussagen gar nicht klar mit dem Martyrium des Paulus in Verbindung gebracht werden können, hilft mir richtig: Denn daraus erkenne ich, dass diese Sprachbilder auch genutzt werden können, andere und eigene Herausforderungen und Unsicherheiten neu zu verstehen.

Worüber ich gestolpert bin: „Mein Evangelium / meine gute Nachricht, um dessentwillen / um derentwillen ich mitleide […]“. Ich frage mich: Ist das nicht ein Leiden angesichts der Widersprüche anderer? Also z.B.: Du, mit Deinem Christus? Was bewirkt Deine Osterbotschaft angesichts der heutigen Sorgen und Nöte? Wie verhilft sie dazu, das eigene Geschäft oder die Firma durch die Krise hindurchzubringen? Wer behält wegen dieser Botschaft seinen Arbeitsplatz? Wie kann mit dieser Botschaft eigene Einsamkeit gemildert werden? Wie hilft sie denen, die unter der bedrängenden Enge mit den Familienmitgliedern in der eigenen Wohnung Konflikte durchstehen müssen? Wem wird durch sie in schwerem Krankheitsverlauf geholfen? Wer wird mit ihr vor dem Tod errettet?

Da erhält diese uralte Osterbotschaft eine ganz erschreckende Aktualität und Bedeutung! Denn wir sollen doch denjenigen in Erinnerung behalten, der aus den Toten auferstanden ist! Hier wird keiner verkündigt, der davongekommen war, sondern einer, der sich selbst allen Todeswegen ausgesetzt hatte und danach aus diesem Tod herausgerufen worden, aus diesem Tod auferstanden war! Es gibt einen wunderbaren Begriff in unserer frühchristlichen Sprache, der dieses Wunder großartig benennt: Christus ist „der Erstgeborene aus den Toten“ (Kolosser 1,18). Das ist für mich der wichtigste „Lackmustest“ dafür, der Prüftest dafür, ob meine Osterbotschaft die richtige Grundlage hat: Diese Osterbotschaft, diese gute Nachricht kommt von allem Leiden her, kommt von jedem Tod her und sagt doch Leben aus!

Deshalb setzt der Briefschreiber diese Botschaft des Lebens den Untiefen unseres Lebens aus und kleidet sie in unvergleichliche Gegensätze und Entsprechungen:

(1)   „Wenn wir mit [Christus] sterben,

werden wir auch mitleben.

(2)    Wenn wir dulden,

werden wir auch mitherrschen.

(3)    Wenn wir verleugnen,

wird uns jener auch verleugnen.

(4)    Wenn wir untreu werden,

so bleibt jener treu,

denn er kann sich selbst nicht verleugnen“

(VV. 11-13).

Das überraschende Verhältnis der beiden letzten Aussagen zueinander – von (3) zu (4) – kann ich nur folgendermaßen verstehen: „Verleugnen“, sich verweigern, einfach „Nein“ zu Christus zu sagen – das ist als ganz umfassende Verweigerung verstanden. Da sagen welche zum Auferstandenen grundsätzlich „Nein!“: Den gab es doch nicht. Der ist nicht auferstanden. Und wenn doch, dann hat das keinerlei Bedeutung für mein Leben.

„Sich selbst nicht verleugnen zu können“, sich selbst nicht verweigern zu können, nicht „Nein“ zu sich sagen zu können – das heißt doch für Christus, dass er seinem Einsatz der Liebe für andere treu bleiben wird. Deshalb auch hält er zu uns selbst in Phasen der Untreue, des Zweifels, des Misstrauens, des Nicht-Glaubens. Auf all das antwortet der Auferstandene mit seiner Treue zu uns!

Ob aber wirklich das letzte Wort über diejenigen gesagt ist, die Christus wirklich verleugnet haben, zu ihm wirklich „Nein“ gesagt haben, möchte ich offen lassen. Kann für sie nie Ostern werden?

In diesem Moment fällt mir wieder ein Erlebnis ein, das ich schon oft berichtet habe. Auch jetzt muss ich es wieder erzählen: Am Abend des 1. Mai 1973 machten wir einen Spaziergang auf dem „Roten Platz“ in Moskau. Unsere Gruppe von etwa sechs Jugendlichen aus der DDR kam mit zwei Altersgenossen ins Gespräch. Nach einigen Minuten sagte einer der beiden ohne jeden Zusammenhang zu unserem Gespräch: «Христос воскресе!» – „Christos woskrese!“ – „Christus ist auferstanden!“ Keiner von uns hatte sich darauf vorbereitet, dass in jenem Jahr ja am 29. April das Osterfest nach dem Julianischen Kalender gewesen war. Die anderen in meiner Gruppe schienen gar nichts verstanden zu haben. Ich verstand, was der sowjetische Jugendliche gesagt hatte, wusste aber nicht, was ich in Russisch hätte antworten müssen und sagte deshalb nur: «Да! Да!» – „Da! Da!“ – „Ja! Ja!“ Aber, das war nicht genug, und die beiden gingen schnell weg.

Haben aber in dieser Situation die anderen meiner Gruppe den Auferstandenen verleugnet? Zu einem hatte ich noch lange Zeit ein freundschaftliches Verhältnis und ihn und seine Familie im Mai 1990 in Quedlinburg einmal besucht. Er hat nicht verleugnet. Er hat – wie wir alle – mit dem Glauben gerungen. Da wird mir der Fehler dieser Briefpassage bewusst:  Wir wissen gar nicht, wenn oder wann jemand wirklich verleugnet. Auch der frühchristliche Briefschreiber wusste das nicht. Selbst, wenn Paulus dieser Briefschreiber gewesen wäre, hätte er das über andere nicht eindeutig sagen können. Wir sollten unsere Mitmenschen immer als solche sehen, die unter Unsicherheiten Treue einmal nicht durchhalten können, die zweifeln, die misstrauisch werden, die ihren Unglauben spüren. Und dann gilt – das ist die Osterbotschaft des diesjährigen Osterfestes –: Der Auferstandene bleibt sich treu. Er trägt uns gerade in solchen Phasen der Unsicherheit und der Zweifel.

Damit tritt wieder das Bibelwort dieses Jahres 2020 in unseren Blick – das Wort des hilfsbedürftigen Vaters: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9,24). Also auch wir, die wir uns als Glaubende bezeichnen würden, die wir bei einer Volksbefragung Fragen nach Gott und Kirche positiv ankreuzen würden, wissen nicht, ob wir diesen grundsätzlich schon vorhandenen Glauben durchhalten würden. Und uns sagt das Osterfest des Jahres 2020 – für mich 47 Jahre nach jenem 1. Mai in Moskau –, dass der Auferstandene zu uns hält.

Auch in diesen Wochen der Unsicherheit und Angst, die vielleicht manche richtig wie ein „Mitsterben“ – so (1) –, wie ein „Dulden“ – so (2) – empfinden, gilt für uns das Wort, das Jesus in jenem Heilungsgeschehen dem Vater gesagt hatte, woraufhin dieser seinen Schrei über seinen gleichzeitigen Glauben und Unglauben ausgestoßen hatte: Wenn wir wie jener Vater bekennen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, dann gilt auch für uns das Wort Jesu:

„Alles ist möglich den Glaubenden“ (Markus 9,23b).

Daran dürfen wir uns klammern – an die Aspekte des Glaubens in unserer Seele. Und Christus, der Auferstandene wird genau diese Aspekte des Glaubens in uns wahrnehmen – ganz auf diese schauen!                 „Alles ist möglich den Glaubenden.“

Amen.

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Dr. Rainer Stahl

Erlangen

rainer.stahl.1@gmx.de

[1951 geboren, Studium der Theologie in Jena, Assistent im Alten Testament, 1981 ordiniert, Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, zwei Jahre lang Einsatz beim Lutherischen Weltbund in Genf, dann Pfarrer in Altenburg, Alttestamentler an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Referent des Thüringer Landesbischofs in Eisenach, seit 1998 Dienst für den Martin-Luther-Bund (das lutherische Diasporawerk) in Erlangen, seit 2016 im Ruhestand.]

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