Contenance

Contenance

Predigt über 1. Petrus 2, 21a-25 | verfasst von Jochen Riepe |

 

I

Und vor allem: sich nicht provozieren lassen… ‚Contenance‘ heißt das edle, etwas steife, leicht näselnde Wort. Aufrechter Gang. Erhobenes Haupt. Und die ‚innere Stimme‘:  ‚Ich weiß, wo ich herkomme … und wenn von rechts und links mit Schlamm geworfen wird‘.

Er aber, der keine Sünde getan hat…, der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, und nicht drohte, als er litt… Durch seine Wunden seid ihr heil geworden‘.

II

Ein Lob, das tut gut! Und zwar Gott und Mensch gleichermaßen. ‚Dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder, /an welchen er sich am meisten ergötzt‘(eg 449,3). Ja, Gott macht es Vergnügen, wenn wir singen. Lob tut gut, aber ‚Loben-Können‘ oder  ‚-Wollen‘, das ist nicht selbstverständlich. Ich erinnere mich an eine Plakataktion von vor Jahren, da stand es – fast vorwurfsvoll – an der Litfaßsäule geschrieben: ‚Haben Sie heute schon ihr Kind gelobt? ‘

Eltern sind oft knauserig – damals jedenfalls – mit wertschätzenden Äußerungen, und die Werbetexter meinten, sie daran erinnern zu müssen: Daß es das Selbstbewußtsein eines Kindes stärkt, wenn es Bestätigung findet! Wie freut sich seine Seele, etwas gut gemacht zu haben! Wie viele Kräfte werden in lobender Harmonie freigesetzt!

III

Petrus, der Apostel (oder einer, der in seinem Namen schreibt), weiß das natürlich. Gleich zu Anfang seines Briefes preist er Gott mit erhebenden Worten: ‚Gelobt sei der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung‘(1,3) – ein heller, österlicher Jubelruf. Zugleich ist er ein guter Seelsorger und rühmt überschwänglich die Adressaten seines Briefes, wohl in Kleinasien in der Diaspora, der ‚Zerstreuung‘, lebende Christen: ‚Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk‘(2,9a).

Loben erhebt, Loben erhöht! Diese Worte, die Prädikate Israels, kommen einer Versetzung in den himmlischen Adelsstand gleich. Ein Traum: Petrus legt den Gemeindegliedern, den Lesern und Hörern seines Briefes, den weiten Königsmantel um, den sie als ‚Freie‘ (2,16) mit erhobenem Haupt tragen dürfen. Gottes Volk – gleichsam mit ‚aristokratischer Würde‘ ausgestattet, Menschen, die ‚vom Rand in die Mitte‘* gestellt wurden.

IV

Gewiß, die Frage stellt sich für jeden Seelsorger von selbst: Wie können die solchermaßen  Gewürdigten, ‚Weltüberlegenen‘, in einem niederen, oft feindseligen Alltag leben? Ein fremdgewordenes Umfeld, in dem sie vielen ein Ärgernis sind und gern von Gegnern bei den Behörden denunziert (4,14) werden. Das sind doch belastende, mitunter zerreißende (An-)Spannungen: Im Königsmantel auf den Markt gehen und einkaufen… Im Priestergewand das Stadion oder das Theater besuchen…  Overdressed… stigmatisiert – ein Alptraum.  Auch der hoffnungsstarke Sklave muß weiterhin seinem Herrn die Füße waschen und dessen Spott ertragen. Und die wiedergeborenen Frauen sind weiterhin den häuslichen (Gewalt-) Verhältnissen oder einem launischen Ehemann ausgesetzt. Ja, der Mantel der Könige. Wir kennen es vom großen Shakespeare: Wie tragisch endet der ‚King‘, der Erwählte, welche Fallhöhe hat er!

Petrus erinnert den neuen christlichen Adel, der sich wohl gar nicht so ‚veredelt‘ fühlt, an ihr ‚Früher‘ und Vormals, als sie noch wie ziellos ‚irrende Schafe‘ waren. Nun aber hätten sie in Christus einen ‚Hirten‘, einen ‚Bischof ihrer Seelen‘ gefunden, der über allen irdischen ‚Mächten‘ steht (3,22) und in dessen sanftmütigen ‚Fußstapfen‘ (2,21) sie gehen sollen. Er also, der Auferstandene, könne diese Spanne heilend zusammenhalten und den verunsicherten Seelen beistehen: Hochgelobt und marginalisiert in einem?

Er aber, der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte als er litt... durch seine Wunden seid ihr heil geworden.‘

V

Lob tut gut. Es tut Gott gut, aber auch uns Menschen. Es setzt Energien frei. Schöpferischer, österlicher Einklang. Wir kennen das Gegenläufige: ‚Hinweg von mir das Geplärr deiner Lieder‘ (Amos 5,23), ruft der Gott des Propheten der Gemeinde Israels zu: ‚Euer Gesang will mich wegloben. Ihr lobt euch selbst, indem ihr mir huldigt‘.  Äußeres und Inneres klaffen auseinander. Unsere rühmenden Worte bekommen etwas Schillerndes, Täuschendes.

Was unsere Kinder betrifft, so haben die Pädagogen längst gewarnt. Sie mahnen, mit Urteilen gegenüber den uns Anvertrauten vorsichtig, gewissermaßen: realistisch, umzugehen. Übertriebene Wertschätzung kann ja die ‚Seele‘, diesen Innenraum eines jeden, machtvoll besetzen, unendlichen Bestätigungshunger auslösen und in grandiose Selbsttäuschungen treiben. Sobald die Droge ausfällt, stürzen wir tief gekränkt und verletzt ab: ‚Bin ich doch nicht der hervorragende Mitarbeiter, als den ich mich verstand?‘ Alles wird wertlos: Ein gereizter ‚King-Bettler‘, schäbig, abgerissen, mit ein paar ‚ärmlichen Pfennigen‘ in den Händen, jeder Provokation schutzlos ausgesetzt.  Eine kritische Bemerkung wird als Angriff und Beleidigung, als ‚Schmähung‘, wie Petrus sagt, empfunden und blaß und bebend mit einer ‚Gegenschmähung‘ oder ‚Drohung‘ beantwortet: Rache. Du oder ich.

Es geht dann eben das verloren, was man ‚Contenance‘ nennt und soz. von adeliger Herkunft ist. Eine innere Stimme, die auch in widrigen Umständen, sagt, wer man ist und zu wem man gehört.

VI

Ob der Seelsorger Petrus diese Gefährdung, diese Falle, die im Lob steckt, sieht? Menschen, die in den Himmel gehoben werden, finden nur schwer einen – befriedigenden – Stand auf Erden. Sie müssen fürchten, zurück von der Mitte an den Rand gestellt zu werden. Und die einst ‚irrenden Schafe‘ werden klagen: ‚Worte sind umsonst. Dein Urteil ist leer, kraftlos. ‚Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt‘ (F. Hölderlin)‘.

Vielleicht würde Petrus antworten: Man kann dieser Falle nicht entgehen. Man muß sie sehen. Unsicherheit und Anfechtung, soziale Unterlegenheit, gehören zum Adelsstand der Christen dazu. Die göttliche Erhebung  versetzt uns soz. in äußere und vor allem innere Spannungen und Konflikte. Wer die Seelenführung des ‚Erzhirten‘ Jesus Christus als Anleitung zu Harmonie oder Aufstieg verstehen will, muß immer auch seine Wunden, seine Dornenkrone und das ‚Leiden‘ der Seinen(4,16) zur Kenntnis nehmen: ‚Das Christentum ist … psychohygienisch eine zutiefst problematische Erscheinung‘**: Ein Narr, der im Königsmantel auf den Markt geht und sich dem Spott der anderen preisgibt!

Die so hoch Dekorierten haben verschiedene Überlebensstrategien gefunden, mit diesen prekären Stimmen und Stimmungen fertig zu werden. Sie steigen ganz in den Himmel von Dünkel und Hochmut auf. Sie stürzen ab und zerbrechen an ihren Ideal- oder Traumbildern. Beleidigt und rachsüchtig überziehen sie die Welt mit Gewalt, ‚damit die anderen auch so sind, wie wir sind‘.

Sie können aber auch die Spannung  als ‚Kraft Gottes‘ (Röm 1, 16) verstehen. Dann wird der Innenraum der Seele ein ‚Tempel des Heiligen Geistes‘(1.Kor. 6,19), in dem die ‚Stimme‘ (Joh 10,16) des verwundeten, demütigen Hirten Christus erklingt und gehört wird. Ein Haus, das wir ‚mit Furcht und Zittern‘ und in freier, öffentlicher ‚Verantwortung‘(3,15) gestalten dürfen. Das schmallippige Wort ‚Contenance‘  bewegt sich.  Es wird durchblutet und leitet zu einer wahrhaft frischen und dynamischen,  ‚zusammenhaltenden‘ Lebensstrategie an.

VII

Wir sollten darum den Briefschreiber Petrus als ein Echo dieser Christus-Stimme hören: Sein Lob ‚verwundet‘, und aus dieser Wunde gewinnt das ‚heilige Volk‘ Leben und kann mit ‚Kraft‘ (4,11) und ‚gutem Gewissen‘(3,16) der Gerechtigkeit seines ‚Erzhirten‘ entsprechen. Eingedenk der Gefahr einer Gegenwelt, eingedenk der  Versuchung, der Erwählung zu entsagen, rät Petrus – ja, als ein weitherziger konservativer ‚Bischof‘, der das Kreuz ‚auf sich nimmt‘ und es wie Simon von Kyrene sichtbar trägt: Auch als Geschmähte werden sich uns ‚Frei-Räume‘ erschließen. Unser ‚Purpurgewand‘(Joh 19,2) mag staubig sein, aber in ‚Demut‘ (5,5) und, sei’s drum: auch in ‚Unterordnung‘ und in Anerkennung gewordener Strukturen, dürfen wir es tragen. Diese Welt wird vergehen. Ihre Zeit ist begrenzt.

Mag der Mantel weit sein, eben ein ‚Himmels-Traum-Mantel‘, so kann man ihn  ‚gürten‘ (1,13) und in ihm ein ‚nüchternes‘ ‚Gemüt‘, ‚Vernunft‘ bewahren und vor Übersprunghandlungen gefeit sein. Ja, Adel verpflichtet. Wozu? So wie er, der gute Hirte es getan hat, das Gesetz der Welt zu überbieten, Abstand zu wahren, die alltägliche Gewalt in österlicher und zugleich diplomatisch gewandter Contenance von innen her zu brechen. Ja, du kannst deine ‚lebendige Hoffnung‘ in die bedrückten und vergrämten Verhältnisse ‚hinein loben‘ und diese ‚zum Tanzen zu bringen‘:

Mußt du jeden x-beliebigen Angriff parieren? Überhaupt: Muß man auf jeden Vorwurf eingehen?  Kann man nicht umgekehrt dem anderen, ja: ‚demütig‘ entgegen- und ‚zuvorkommen‘***, einen Konflikt besprechen, den eigenen Anteil daran benennen und somit die Situation deeskalieren?

VIII

Vor allem aber: sich nicht provozieren lassen…  ‚Contenance, ihr Königskinder, ihr Gelobten des Herrn!‘

Mit der Erhebung Gottes beginnt Petrus, und so endet er: ‚Der Gott aller Gnade aber… der wird euch aufrichten, stärken, kräftigen, gründen‘ (5,1). So gegründet werden wir nicht medial-gefällig  ‚die Parlamente stürmen‘ wollen. So gestärkt leiten wir als gute Haushalter geistesgegenwärtig die ‚kleine Herde‘ Gottes. Sie ist der Ort, an dem der Angespannte Ruhe und Ergötzen findet: ‚Gott loben, das ist unser Amt‘(eg 288,5): Halleluja. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.Halleluja.

(Gebet nach der Predigt: ) Herr Jesus Christus, du bist Hirte und Hüter. Dir allein vertrauen wir uns an, und dir wollen wir nachfolgen. In der Kraft deines Geistes bitten wir um Nüchternheit in den Konflikten und Sorgen unseres Lebens. Du hast uns Zerstreute gesammelt und gewürdigt, deine Gemeinde zu sein. Laß uns dieser Bestimmung in tätiger Demut entsprechen.

Liedvorschläge:  Die güldne Sonne (449,3),  Erkenne mich mein Hüter (eg 85,5), Nun jauchzt dem Herren, alle Welt (eg 288)

 

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*V. Gäckle, Allgemeines Priestertum: Zur Metaphorisierung des Priestertitels im Frühjudentum und im Neuen Testament,2014,S.613; S. Bieberstein, Vom Rand in die Mitte- von der Mitte an den Rand.  Überlebensstrategien nach dem 1. Petrusbrief. In: M. Küchler (Hg.), Randfiguren in der Mitte: H.J. Venetz zu Ehren, 2003, S. 135-146 **Th. Bonhoeffer, Ursprung und Wesen der christlichen Seelsorge, 1985, S. 13 *** R. Feldmeier, Macht- Dienst –Demut: Ein neutestamentlicher Beitrag zur Ethik , 2012, S. 115 (mit Hinweis auf L. Goppelts Übersetzung)

Pfr. i.R. J. Riepe   Dortmund    email: Jochen.Riepe@gmx.net

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