Da sitzt Hiob

Da sitzt Hiob

Predigt zu Hiob 19,19-27 | verfasst von Katharina Wiefel-Jenner |

19Alle meine Getreuen verabscheuen mich,

und die ich liebhatte, haben sich gegen mich gewandt. 

20Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch,

und nur das nackte Leben brachte ich davon. 

21Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde;

denn die Hand Gottes hat mich getroffen! 

22Warum verfolgt ihr mich wie Gott

und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?

23Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden!

Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, 

24mit einem eisernen Griffel und mit Blei

für immer in einen Felsen gehauen! 

25Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt,

und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
26Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist,

werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 

27Ich selbst werde ihn sehen,

meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.

Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

 

Da sitzt Hiob.

Er sieht nicht gut aus.  Die Hose ist fleckig, am Jackett fehlen die Knöpfe. Abgerissen. Er selbst ist abgerissen.

Das Haar ist ungekämmt. Seit Wochen unrasiert.

Da sitzt Hiob.

Er stinkt. Wenn er den Mund öffnet, steigt ein widerlicher Geruch auf.

Da sitzt Hiob.

Seit Tagen.

UND KLAGT.

Schaffe mir Recht, Gott, /

und führe meine Sache wider das treulose Volk

und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

 

Da sitzt Hiob.

Seine Frau wendet sich angewidert von ihm ab.

Seine Kinder verachten ihn.

Seine Mitarbeiter ignorieren ihn. Die Partner verlassen ihn.

Seine Nachbarn verspotten ihn.

UND HIOB KLAGT.

Schaffe mir Recht, Gott, /

und führe meine Sache wider das treulose Volk

und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

 

Da sitzt Hiob.

Seine Freunde sind noch da.

Seine Freunde trösten ihn.

Sie reden ihm gut zu.

Sie erklären ihm sein Leid.

UND HIOB KLAGT.

Schaffe mir Recht, Gott, /

und führe meine Sache wider das treulose Volk

und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

 

Seine Freunde reden ihm gut zu. Setzen ihm zu.

Sie sprechen von sinnvollem Leiden.

Welcher Sinn?

UND HIOB SCHWEIGT.

Seine Freunde spekulieren.

Man muss die Lage immer auch aus der anderen Perspektive betrachten. Es gehören immer zwei dazu.

Wie recht sie haben.

Es gehören immer zwei dazu.

Hiob und Gott. Gott und Hiob.

 

UND HIOB KLAGT.

Schaffe mir Recht, Gott, /

 

Seine besten Freunde haben sich in Feinde verwandelt.

Seine besten Freunde reden über ihn und haben keine Ahnung.

Sie reden über Gott und haben keine Ahnung.

Sie haben nie gemerkt, wie nahe man an den Abgrund tritt, wenn Gott nahe ist.

Sie haben nie Gottes Zugriff gespürt.

Sie sprechen vom guten Gott. Sie sprechen von der Liebe Gottes.

UND HIOB KLAGT.

Schaffe mir Recht, Gott, /

Stopf ihnen das Maul,

dass ihnen ihre Obszönitäten im Hals stecken bleiben.

 

Gott ist dunkel.

Gott verbirgt sich.

Gott lässt Hiob nicht in Ruhe.

UND HIOB KLAGT.

Warum hast du mich verstoßen?

Warum muss ich so traurig gehen,

wenn mein Feind mich drängt?

 

Ist Hiob der Einzige, der sich an Gott aufreibt?

Die Freunde sind blind für Gottes dunkle Hand.

Sie haben nicht gemerkt, dass Gott ihnen das Herz abschnüren kann.

Sie erinnern sich nicht an das bange Fragen des kleinen Isaak.

Sie haben vergessen, in welche Dunkelheit Gott Abraham gestürzt hat.

Die Freunde sind sich ihres Glaubens sicher.

Ihr Gott tut ihnen nichts. Ihr Gott ist lieb und treu und gut und mitfühlend und freundlich.

Ihr Gott ist ein netter Typ.

 

UND HIOB KLAGT.

Reibt sich wund.

Zermartert sich das Hirn, ohne eine Antwort zu hören.

Gott! Diese ganz Qual! Der Hunger, die Kranken und Toten, das viele Blut, die Wunden und die Angst. Das ergibt keinen Sinn, Gott!

 

Da sitzt Hiob, klagt Gott an und schreit uns seine Verzweiflung ins Gesicht.

Wenn wir nicht weglaufen, reißt er bei uns die Wunden auf, die so mühsam vernarben.

Wir könnten es besser machen als die Freunde. Wir könnten versuchen, ihn nicht zu belehren. Wir könnten versuchen, seinen Worten zu trauen. Wir könnten versuchen, die Worte seiner Verzweiflung nachzusprechen und sie auswendig zu lernen.

 

Da sitzt diese Elendsgestalt und will offensichtlich genau das. Hiob will, dass seine Not in Erinnerung bleibt. Sein Elend soll aufgeschrieben werden. Nicht die Vertröstungen der Freunde sollen aufbewahrt werden. Seine Schmerzen und seine Klage will Hiob in Buchstaben pressen, in Buchstaben, die nicht verblassen oder gelöscht werden können. Hiob will, dass sich seine Worte in unsren Herzen festsetzen. Hiob will, dass seine Worte ins Herz Gottes eingeschrieben werden. Wenn die Freunde seine Not nicht verstehen, dann sollen wenigstens wir die Worte bewahren, mit denen er sich gegen das Elend wehrt. Gott soll seine Worte bewahren.

 

Da sitzt Hiob.

Will er, dass wir uns seine Klageworte leihen? Immer wenn wir vor Schmerz verrückt zu werden drohen? Wenn wir es nicht mehr ertragen, wie tatenlos Gott dem Blutvergießen zusieht? Wenn wir an Gott verzweifeln? Sollen wir Hiobs Streitworte gegen Gott nachsprechen?

Hiob, hast Du nicht bessere Worte für uns, wenn wir das Dunkel nicht durchdringen?

In deinen Worten wird der Abgrund um Gott noch bestürzender. Wie sollen wir das Dunkel mit deinen Worten aushalten? Mit deinen Worten ist meine Seele betrübt bis an den Tod.

Hiob, du sitzt da. Du könntest uns auch die Worte der Psalmisten zurufen:

Was betrübst du dich, meine Seele,

und bist so unruhig in mir?

Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,

dass er meine Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

 

Hiob, du sitzt da. Wir sind nicht wie deine Freunde. Wir rechtfertigen das Leiden nicht. Wir erklären das Sinnlose nicht für sinnvoll. Wir fürchten den Schmerz und sehnen uns nach Erlösung. Wir sind nicht wie deine Freunde, die denken, dass Gott berechenbar sei. Wir sind erschüttert von deiner Not und von den Toden um uns herum. Aber wir glauben an Gott. Wir wollen an Gott festhalten. Wir ahnen an den guten Tagen, dass die Finsternis nicht finster ist.

Hiob, du sitzt da und hast Gott nie aufgegeben.

Hiob, du sitzt da und hältst gegen jede Vernunft an Gott fest.

Hiob, du sitzt da. Du leidest und glaubst trotzdem.

Wie hältst du das aus? Wieso entlässt du Gott nicht einfach aus der Verantwortung? Was weißt du, das deine Freunde nicht wissen?

 

UND HIOB SCHWEIGT

Hiob, du Leidender, was weißt du von Gott?

Hiob, du Gequälter, woran glaubst du?

Hiob, so antworte.

 

UND HIOB SPRICHT

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt,

und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist,

werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 

Ich selbst werde ihn sehen,

meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.

Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

 Amen.

Dr. Katharina Wiefel-Jenner

Berlin

wiefel_jenner@hotmail.com

 

Katharina Wiefel-Jenner, geb.1958, Pfarrerin i.R., bildet als Dozentin für Liturgik und Homiletik Ehrenamtliche für den Verkündigungsdienst aus.

 

 

 

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