Der andere Blick

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Der andere Blick

Predigt zu Hiob 19, 25 | verfasst von Berthold W. Haerter, Oberrieden/CH |

Nach der Übersetzung der Basis Bibel, die mit diesem Gottesdienst auch in die Gemeinde eingeführt wird.

„Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Als mein Anwalt wird er auf der Erde auftreten und zum Schluss meine Unschuld beweisen.“ Hiob 19, 25 (19-27)

Liebe Gemeinde

  1. Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Der Verurteilung des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny finden wir absurd.

Wie brutal Lukaschenko mit der Opposition in Weissrussland umgeht, ist in unseren Augen ein Skandal.

Die Militärregierung in Burma hat sich undemokratisch an die Macht geputscht und geht mit Gewalt gegen seine demonstrierende Bevölkerung vor.

Das ist gegen jedes Demokratieverständnis, ähnlich wie die Situation in Honkong.

Wie die chinesischen Zentralregierung Kritiker nun mit dem neuestes Gesetz mundtot macht, das ist „Unterdrückung.“

Wir klagen die Regierungen Russlands, Weissrusslands, Burmas und Chinas an.

Wir können und wollen diese brutale diktatorische Vorgehensweise nicht akzeptieren.

Und doch fühlen wir uns so machtlos.

  1. Die Position des Hiob

Die Geschichte von Hiob erzählt von einem Menschen, der sich auch machtlos fühlt.

Es geht ihm wie den Regimekritikern.

Hiob wird absurd bestraft, skandalös behandelt und unterdrückt.

Das Wort Demokratie kannte man noch gar nicht, als man diese Erbauungsgeschichte aufschrieb.

Wie wir die verschiedenen Regierungen anklagen, so klagt hier Hiob die Weltregierung schlecht hin an: Gott.

Gott reagiert nicht, auch als Hiob Gott fragt:

‚Warum lässt Du zu, dass ich meine Kinder und meinen Reichtum verloren habe?

Dazu bin ich noch schwer krank, Sterben wäre für mich Erlösung.

Aber ich will noch nicht sterben, ich will eines von Dir: Gerechtigkeit.’

Gott schweigt dazu.

Hiobs Freunde sind gekommen.

Sie versuchen Hiob das Leiden zu erklären.
Sie meinen, es gibt eine Logik, warum Hiob in solcher katastrophalen Situation ist.

Wenn Hiob von Gott so bestraft wird, ist ihre „logische“ Überlegung, muss Hiob gesündigt haben.

Er muss gegen Gottes Verhaltenskodex gegenüber Menschen und Gott verstossen haben.

Denn Gott bestraft nie ohne Grund, meinen sie.

Dieses Denken war damals üblich.

Wir kennen es heute auch noch.

Das ist doch logisch …. Vor zwei Wochen  habe ich dazu eine Hiobspredigt gehalten.
Sie ist auf unserer Homepage: https://www.ref-oberrieden.ch/www.zh.ref.ch/gemeinden/oberrieden/content/e12740/e1948/e3220/Hiob10_12Predigt.pdf

  1. Hiob sucht Hilfe

a. Bei seinen Freunden

Hiob geht es wirklich schlecht.

Wenn wir von Menschen lesen oder hören, denen alle Menschenrechte genommen werden, die gefoltert werden, in Isolationshaft sind und bei der fast alle den Kontakt abbrechen bzw. abbrechen müssen, dann können wir uns annähernd vorstellen, wie es Hiob geht.

Hiob leidet körperlich, ist sozial vereinsamt und läuft nun Gefahr, die Situation auch psychisch nicht mehr auszuhalten.

Hiob fragt, klagt und fordert Gott heraus.

Gott aber schweigt.

Seine letzten ihm gebliebenen Freunde reden mit Hiob.

Sie versuchen zu erklären, ganz aus dem damaligen Denken heraus.

Hiob müsste sie eigentlich verstehen.

Aber Hiob beharrt darauf, dass er unschuldig ist.

‚Warum bestraft mich Gott so?’ fragt er immer wieder und ist mit keiner Antwort seiner Freunde zufrieden.

Seine Freunde erreichen, dass Hiob immer wieder redet, sein Elend immer neu heraus schreit, mit anderen Worten und Bildern.

Hiob hält das „Gerede“ seiner Freunde nach einer Weile nicht mehr aus und ruft:

„Habt Mitleid, habt Mitleid mit mir, ihr seid doch meine Freunde!

Denn Gott hat mich mit diesem Unglück geschlagen.
Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut?
Wann hört ihr endlich auf, mich zu zerfleischen?“

 Hiob möchte, dass seine Freunde die Seite wechseln.

Sie sollen nicht Gott verteidigen, sie sollen mit ihm Gott anklagen.

Die Freunde aber verteidigen Gottes Vorgehen, obwohl sie keine wirkliche Schuld bei Hiob finden

Es ist ähnlich wie bei Jesu Anklage vor dem jüdischen Rat damals in Jerusalem.

Es sind immer nur fadenscheinige Anklage, keine Beweise für eine Schuld vorhanden (Matthäus 26, 57-68 als Lesung).

Und Hiob?

Er wird immer einsamer.

Er klagt Gott an, wie Mike Müller in der Schweizer Krimiserie „Der Bestatter“.

In einer Folge, brüllt Müller Gott an: ‚Warum lässt Du zu, dass der geistig behinderte Sohn mit einem Stein seine Mutter umbringt?’

Später stellt sich allerdings heraus, dass diese Vermutung überhaupt nicht stimmt.

Dass auch bei Hiob die Freunde mit ihren Schuldbehauptungen falsch liegen, zeigt die Rahmengeschichte des Hiobbuches.

Hiob klagt Gott an:

Gott lässt Ungerechtigkeit zu.

Er lässt leiden, zu Unrecht.

Liebe  Gemeinde

Solche Anklage liegt uns auch immer wieder auf den Lippen.

Dann, wenn ein Mensch unerwartet aus dem vollen Leben heraus stirbt, obwohl er sich immer in die Welt eingebracht hat (Bezug zu einer Beerdigung in der letzten Woche).

Da fragt man schon: Warum?

Oder wenn ich von Nigeria lesen.

Die Christen im Nordosten des Landes leben in ständiger Angst vor der Terrorgruppe Boko Haram.

Da klagen wir auch und fragen, warum kann man unsere Schwestern und Brüder nicht wirklich schützen?

Wohl sind wir mit Mission 21 (Ev. Missionswerk Basel) da und kümmern uns um Vertrieben und missbrauchte junge Mädchen, aber muss da nicht ganz anderes geschehen? (begegnen, 1. März 2021, mission 21, p. 10f)

Gott ist ungerecht, ist da Hiobs berechtigte Schlussfolgerung.

b. Bei Gott

Und doch passiert mitten in der Anklage etwas Unerwartetes, ähnlich wie bei den Christen in Nigeria.

Sie sagen: „Wir brauchen Unterstützung und Gebete.“

Und Hiob, als er sich eigentlich von allen verlassen fühlt, sieht in Gott seine einzige Rettung.

Er meint (betet?):

Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Als mein Anwalt wird er auf der Erde auftreten und zum Schluss meine Unschuld beweisen.

Gott, so meint Hiob, wird seinen Freunden beweisen, dass er, Hiob, wirklich unschuldig ist.

Er meint: ‚Gott wird mein Anwalt sein und auch wenn ich schon halbtot bin, wird er noch für mein Recht und Gerechtigkeit sorgen.’

Das erstaunt nun jeden Lesenden der Hiob-Story.

Hiob hat eine Hoffnung, sie ist wie ein Strohhalm im Meer: Gott!

Der Gott, der  ihn angeblich bestraft… und der schweigt.

Warum, fragt man sich?

Warum meint er, Gott wird sich melden und quasi gegen Gott selbst, Hiob und seinen Freunden beweisen, dass Hiob unschuldig leidet?

  1. Der andere Blick

Für Hiob ist der Tod finster und dunkel.

Er erwartet kein neues Sein, keine Erlösung bei Gott.

Genauso haben die Jüdinnen und Juden damals im 3. Jahrhundert v.Chr. das fertige Hiobbuch gelesen.

Und die Übersetzung der Basisbibel betont genau diese Interpretation.

Die Hiob-Story endet genau so.

Hiob bekommt noch auf Erden Gesundheit und Besitz zurück und wird nochmals Vater.

Die ersten Christen aber lasen das Hiobbuch mit einem anderen Blick.

Besonders diese eine Stelle: Ich weiss ja doch, dass mein Erlöser lebt.

Die ersten Christen durchforschten die Schriften des Alten Testaments nach Hinweisen auf Jesus und seine Auferstehung.

Und genau hier meinten sie eine gefunden zu haben.

Der Kirchenvater Hieronymus und erst recht Martin Luther interpretierten diese Bibelstelle auf Jesus Christus hin.

Ich weiss ja doch, dass mein Erlöser lebt.

Das ist ein Glaubensbekenntnis.

Hier erwartet jemand, dass Gott uns nicht hier auf Erden hilft.

Er/Sie erwartet Gottes Hilfe auch als Weg in eine Erlösung im Danach.

Nicht Dunkel und Finster ist das Danach, sondern gut und wohltuend.

Diese Sehnsucht hat Gott in jeden von uns angelegt.

Denn eines ist uns allen klar: Viele Ereignisse, die wir erleben und als ungerecht empfinden, werden nie für uns logisch auf Erden gerechtfertigt werden.

Schauen wir in die Geschichte, die Geschichte Europas, der Welt und unsere persönliche.

Wir Christen aber wissen um einen Erlöser.

Jesus Christus.

Wenn man Hiob mit diesem Wissen liest, dann möchte man Hiob zurufen:
Warum fragst Du ständig Warum?

Mit diesem Warum gehst Du psychisch und körperlich kaputt.

Ewiges und immer wieder neues Nachbohren und Nachfragen, löst die Warum – Fragen (oft) nicht.

Das bringt einen psychisch an den Rand, macht verrückt, im wahrsten Sinne des Wortes.

In der Psychologie sagt man, man müsse lernen die Vergangenheit zu akzeptieren, um im Jetzt zu leben.

Erst dann ist Auferstehung, Neuanfang im Leben möglich.

Wenn ich weiss, dass Gott uns Jesus Christus geschickt hat und Jesus Tod und Auferstehung uns zeigt:

Erlösung ist hier und erst recht im Danach möglich, dann kann ich diese Hiob-Hoffnung als Christus-Bekenntnis sprechen oder singen.

Ich weiss, dass mein Erlöser lebt.

Ich höre Georg Friedrich Händels Arie aus dem Oratorium Messias als eine mich bewegende, anrührende und auch mich einladende Musik:

Händel interpretiert diesen Hiobsatz so, dass wir darin Jesus Christus, ja das wir unser persönliches Ostern darin immer wieder neu hören können.

Die Musik eröffnet uns die transzendente Kraft dieses Bibelsatzes, diese christliche Hoffnung, die fast ein Wissen ist.

Wir hören Hiob mit einem anderen Blick,  als christliches Bekenntnis: „Ich weiss, dass mein Erlöser lebt“ (Eine Sopranist singt anschliessend nach Georg Friedrich Händel: Ich weiss ….).

AMEN

Eingangsgebet der Konfirmand*innen:

Unser Gott,

Wir sind in der Passionszeit.

Bewusst setzen wir uns mit dem Leidensweg Jesu auseinander.

Bewusst sehen wir aber auch die Leiden in der Welt.

Das macht uns müde, Gott.

Zumal wir ungeduldig werden,

wegen der nun schon ein Jahr anhaltenden Pandemie.
Die Einschränkungen sind anstrengend

und die nichtgelöste Situation verunsichert uns.

Unser Gott,

da fragen wir schon: Warum?

Wir fragen Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftler.

Wir fragen letztendlich aber auch Dich:
Warum Gott?

Wir hätten so gern eine Erklärung.
Aber wir wissen auch, so einfach ist das alles nicht.

Unser Gott,

schenke uns eine Stunde der Besinnung und Anregung.

Schenke uns eine Stunde mit Dir.

AMEN

Fürbitte und Unser Vater

 Ich weiss, dass mein Erlöser lebt,

unser Gott,

es ist gut, dieses Bekenntnis zu hören und sich immer wieder neu selbst anzueignen.

Ich weiss, dass mein Erlöser lebt,

es ist gut diesen Satz als Trauernde zu hören,

dieser Zuspruch gibt uns Hoffnung und auch Freude für die zu Dir Gekommenen, Gott.

Ich weiss, dass mein Erlöser lebt,

guter Gott,

in der Passionszeit, erinnert dieser Satz uns an den Weg den Jesus ging,

damit er zu unserem Erlöser werden konnte.

Das macht dankbar.

 Ich weiss, dass mein Erlöser lebt,

darauf hoffen wir auch im jetzt:

für die Regimekritiker in Russland, Weissrussland und Honkong und für die Menschen in Burma und Nigeria.

Sie kämpfen mit einer Kraft, in der wir sie mit unserem Glauben und Handeln unterstützen können.

Lass uns betend handeln.

 

In der Stille kommen wir mit unserem Gebet zu Dir.

Alle unsere Gedanken und Gebete sammeln wir in dem Unser Vater, das wir nun gemeinsam beten:

Lieder zum Text:

Jesus meine Zuversicht

Händel: Ich weiss, dass mein Erlöser lebt

Berthold W. Haerter, geb. 1963

Seit 1993 Pfarrer der Zürcher Landeskirche

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