Das Gebet…

Das Gebet…

Das Gebet – selbstverständlich und außerordentlich! | Predigt über Mt 06, 5-13 | verfasst von Andreas Pawlas |

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

 

Liebe Gemeinde!

Eigentlich braucht uns heute niemand etwas über das Vaterunser oder auch generell etwas über das Gebet zu erzählen. Denn gerade das Vaterunser gehört doch einfach zu uns in jedem Gottesdienst und ist für uns irgendwie eine Art Selbstverständlichkeit geworden.

 

Aber gerade diese Selbstverständlichkeit bewirkt in unseren Coronazeiten eine nie dagewesene Besonderheit: Denn wer unter uns ist heute nicht froh und dankbar darüber, dass wir uns endlich wieder unter diesem weltumspannenden Gebet im gemeinsamen Gottesdienst zusammenfinden dürfen?! Und vielleicht würde es sogar vor unserem Vater im Himmel reichen, derart angesichts des Gebetes mit Freude und Dankbarkeit erfüllt zu sein. Sicherlich würde er sich mit uns freuen. Und wäre das nicht großartig?!

 

Nun bewegen wir uns allerdings nicht jeden Tag auf der Ebene der großen und wunderbaren Gefühle. Schade! Aber damit müssen wir nun einmal rechnen. Und insofern ist es sicherlich klug und geboten, einmal darauf zu schauen, in welcher grundsätzlichen Weise der heutige Sonntag Rogate die Frage nach dem Gebet aufgreift, nicht nur in Coronazeiten, sondern auch so, wie wir es bisher erlebt haben.

 

Und wenn wir da unsere Beobachtungen ein wenig sortieren, da müssen wir doch feststellen, dass wir in einer ganz widersprüchlichen Zeit leben. Denn auf der einen Seite hat jeder die Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, wie prominente Fußballer in der Konzentration vor dem Elfmeterschießen die Hände zum Gebet falten, oder wie sie auch nach einem gelungenen Torschuss zum Dankgebet auf die Knie fallen und sich bekreuzigen (so z.B. doch Miroslaw Klose).

 

Zum Anderen finden es viele völlig peinlich, die Hände zum Gebet falten zu müssen. Denken wir da allein an den Schulalltag von euch Konfirmanden. Auch ist es da vielen völlig unangenehm, vom Gebet zu sprechen. Und deshalb redet man vielfach lieber gar nicht darüber. Damit wird gleichzeitig so getan, als gäbe es das Gebet überhaupt nicht. Auch dass sich etwa Leute öffentlich auf den Marktplatz oder an die Straßenecken hinstellen, um zu beten und dabei von allen gesehen zu werden, das scheint doch überhaupt nicht mehr in unsere heutige Zeit zu passen.

 

Aber einen Moment bitte! Denn das muss nicht unbedingt eine Ablehnung des Gebets bedeuten. Nein, es könnte auch eine direkte Folge, der Weisung Jesu in diesem Bibelwort sein, zum persönlichen Gebet gefälligst in sein Kämmerlein zu gehen.

 

Wie dem auch sei: auf jeden Fall scheint es in unserer Zeit abwegig zu sein, durch Frömmigkeit vor den Menschen Eindruck schinden zu können. Und daran ändert auch nichts die Frömmigkeit mancher, bei jungen Leuten so populären buddhistischen Mönche, welche ihre Frömmigkeit zu Kampfsportarten umgewandelt haben. Denn worum geht es da? Eben gerade nicht um Frömmigkeit und Gebet! Sondern es fasziniert gerade Kampf und körperliche Geschicklichkeit.

 

Was muss man dagegen heute und hierzulande anstellen, um von den Leuten gesehen zu werden, um bei den Leuten Eindruck zu machen? Da muss man doch lässig sein, oder – wie ihr jungen Leute sagt – cool. Man wird bewundert und ist Gesprächsthema, wenn man mit der richtigen Sonnenbrille auf dem Markt herumhängt, oder wenn man mit dem richtigen outfit an der Straßenecke steht. Frommtun hat ausgedient, die richtigen Klamotten tun es. Und bei den Älteren und Erfolgreichen ist es dann der Mercedes, das eigeneSegelboot oder das eigene Haus.

 

Übrigens ist es dabei völlig egal, was man Kluges und Nichtkluges sagt. Darauf kommt es vor heutigen Menschen offenbar gar nicht an. Und wenn Jesus damals vom Plappern sprach, meinte er natürlich etwas Anderes. Aber wie dem auch sei, das alles bewirkt keinen Erfolg. Offenkundig sind es heutzutage bestimmte äußere Zeichen, bestimmte optische und akustische Signale, die vielen maßgeblich erscheinen.

 

Aber dabei weiß eigentlich jeder, dass diese bestimmten äußeren Signale, mit denen man Leute beeindrucken will, also dieses Lässig- oder Cool-sein, überhaupt nichts hilft, wenn es um die entscheidendenFragen des Lebens geht. Wie ist das z.B. bei der freiwilligen Feuerwehr bei uns im Dorf? Etwa bei einem Feuerwehr-Einsatz cool an der Spritze zu stehen mit der Zigarette lässig im Mundwinkel? Nein, das machtdoch keiner! Denn selbstverständlich laufen und eilen alle, um die Spritze in Gang zu setzen und so den Brand schnell zu bekämpfen. Allein darum muss es doch gehen!

 

Und wozu braucht man nun das Gebet? Was passiert da denn eigentlich? Ja, heute am Sonntag Rogate darf man doch fragen, wie das Gebet eigentlich funktioniert. Ist denn das Gebet so etwas wie der Direktzugang zur großen Wunscherfüllungsmaschine, online-Ferneinkauf, online-Erfolgsproduktion alles sofort und zumNulltarif und ohne Transportkosten?

 

Oder ist also ein Gebet so etwas, wie Angabe der eigenen Kontonummer oder der Geheimzahl bei einem Geldautomaten, damit einem dann die gewünschte Anzahl von Geldscheinen direkt in den Schoß fällt. Ja, wenn Gebet genau so etwas bedeuten würde, dann wäre ein Pastor ja so eine Art Einkaufstrainer, bei dem man mit jeder Gebetsformulierung lernt, Zugang zu dieser prima Geldquelle zu gewinnen und ja nicht zu vergessen.

 

Aber das stimmt natürlich alles gar nicht!

 

Und dennoch wissen wir genau, dass beim Gebet unsere Wünsche keineswegs zu kurz kommen. Denn nicht umsonst heißt ja die vierte Bitte des Vaterunsers “Unser tägliches Brot gib uns heute”. Und das umschließt ja nach der Erklärung unseres Vaters im Glauben, Martin Luther, Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof Acker, Vieh, Geld, Gut ein, eben alles was wir zur leiblichen Nahrung und Bewahrung unseres Lebens brauchen. Ja, bis hin zum guten Wetter, zum frommen Ehepartner, zu frommen Kindern zu guten Freunden oder getreuen Nachbarn – und Gesundheit nicht zu vergessen!

 

Also ganz selbstverständlich dürfen wir das alles im Gebet vor Gottes Angesicht bringen, allerdings: wederleichtfertig noch in Panik oder mit Anklagen. Aber warum denn nicht? Denn es drängt uns doch so?

 

Doch weil unser Vater im Himmel weiß, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum bitten. Und damit kommen wir zu dem eigentlich Sensationellen an diesem Bibelwort und an diesem Gebet: Wir müssen hier eben nicht eine für uns verantwortliche Instanz erst einmal mit achtfachen Formularsatz darüber informieren, was uns eigentlich Not tut. Wir brauchen als Christen auch nicht zu klagen oder zu schreien bis zum Heiserwerden. Wir brauchen uns auch nicht selbst  zu quälen und zu martern, um durch unseren schlimmen Schmerz Gott zu erweichen.

 

Sondern eben genauso wie ein liebevoller Vater oder eine liebevolle Mutter sehr genau sieht, was ihr kleines Kind gerade braucht an Essen, Kleidung oder Unterkunft, ja, genauso weiß unser Gott, was wir wirklichbrauchen, damit wir hier auf seiner Erde, damit wir in seinem Kosmos richtig leben können.

 

Und dabei dürfen wir überraschenderweise unseren Gott, das mächtigste Wesen über alle Welt, im Gebet ganz vertraulich anreden. Also nicht mit Zittern und Zagen, wie man sich den Großen und Mächtigen dieser Erde respektvoll nähern muss, durch drei bis vier Vorzimmer mit gestrengen Aufsichtspersonal hindurch, sondern wir dürfen ganz vertraulich zu unserem Gott sagen: “Vater unser im Himmel”, was sich in unserer Zeit vielleicht auch anhören dürfte wie „Mein Papa im Himmel“! „Meine Mami im Himmel! Und dann dürfen wir uns auf seine Güte und Fürsorge verlassen und ihm die Ehre geben. Deshalb heißt es im Vaterunser ja auch weiter “geheiligt werde Dein Name”.

 

Dabei ist es übrigens beim “geheiligt werde Dein Name” ganz wichtig, dass es uns hier um die Heiligkeit, die Ehre Gottes, also die Anbetung Gottes geht. Nein, es soll und darf dabei nicht wie gegenwärtig in vielen Shows und in vielen politischen Veranstaltungen eigentlich um Selbstanbetung gehen, also um: “geheiligt werde mein Name”. Nein, denn das wissen wir doch genau: Selbstanbetung ist ein tödliches Gift.

 

Warum? Weil doch Selbstanbetung letztlich zu Mord und Totschlag führt, weil dann ja jeder für sich oberste Anbetung und Befehlsgewalt in Anspruch nehmen will und es dann keine Grenzen und keinen Respekt vor dem Anderen mehr geben kann.

 

Auch kann dann weder Schuld eingestanden werden, noch Schuld vergeben werden. Und in Versuchung wird man dann nicht erst geführt, sondern man steckt bereits mitten drin. Durch Selbstanbetung hat sich das Böse teuflisch in uns ausgebreitet und hält uns förmlich besetzt. Dagegen ist Gott die Ehre zu geben etwas, was wir als Menschen wirklich brauchen, damit wir persönlich und gemeinsam hier auf seiner Erde richtig leben können und nicht hemmungslos übereinander herfallen. Im Gebet Gott die Ehre zu geben und ihn anzubeten, das ist darum also schlicht lebensnotwendig.

 

Allerdings, wer weiß jetzt nicht um die tausend völlig berechtigten Einwände. Denn wie etwa soll ich beten und Gott die Ehre geben, wenn ich immer nur zu kurz komme, wenn alle immer auf mich herabschauen und mich keiner leiden mag? Wie etwa soll ich beten und Gott die Ehre geben, wenn ich im Leben gescheitertbin, wenn ich keine Perspektive mehr habe, wenn ich um einen lieben Menschen trauere? Oder wie soll ich beten und Gott die Ehre geben, wenn mir die Krankheit den Leib zerfrisst?

 

Jedoch, könnte nicht die Welt – und vor allem meine Welt – ganz anders aussehen, wenn es mir überhaupt nichts ausmachen würde, dass mich keiner leiden mag, weil ich mich ja im Gebet an den Vater im Himmelwenden kann und wenn ich dann deutlich verspüren kann, dass er, ja er, mich mag und hält und trägt! Und könnte nicht meine Welt ganz anders werden, wenn ich zwar nicht an der Spitze der sozialen Leiter stehe, aber ich mir im Gebet immer wieder sicher werden darf, dass mein himmlischer Vater mich persönlich kenntund liebt? Und was für Perspektiven könnten sich für mich trotz aller Krankheit und aller Leiden auftun, wenn ich mich im Gebet ganz deutlich von der Gewissheit getragen fühlte, dass später in Gottes ganz anderer Wirklichkeit alles wieder gut werden wird, dass alle Tränen getrocknet und alle Sehnsüchte erfüllt werden? Ja, das alles soll nach Gottes Willen geschehen und das alles geschieht in seiner Kraft und zu seiner Herrlichkeit.

 

Allerdings, was ist, wenn wir nun so aufrichtig zu Gott gebetet haben – und es passiert einfach – nichts? Ja, wenn wir einfach nichts davon verspüren, wie Gott uns hilft und wie seine Kraft uns trägt? Was dann?

 

Ich weiß wirklich nicht, was Gott dann mit uns vorhat. Aber ich weiß, dass ich nicht alles unbedingt merkenmuss, was mir an Gutem widerfährt. Merkt denn etwa das Kind, das sich im Schlaf bloßgestrampelt hat, wie die Mutter kommt, und es liebevoll wieder zudeckt? Zuerst spürt es doch gar nichts. Aber dann durchströmt es Wärme, dann träumt es schöne Dinge und am morgen steht es erfrischt auf mit neuer Kraft für den neuen, von Gott geschenkten Tag.

 

Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas

Kl. Offenseth-Sparrieshoop

Andreas.Pawlas@web.de

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