Der eine Gott und seine …

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Der eine Gott und seine …

Der eine Gott und seine vielen Wandlungen | Predigt zu Exodus 13, 20-22 und 14, 1-20 in Auswahl | Altjahresabend 31.12.2020 | Ulrich Kappes |

Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext berichtet von dem Aufbruch des Volkes Israel aus Ägypten. Hals über Kopf hatten die Israeliten das „Sklavenhaus Ägypten“ verlassen. Gott bestimmte fortan den Reiseweg, den sie nehmen mussten, um in das Land der Väter zu kommen.

Der Predigttext setzt in dem Augenblick ein, als das Volk bereits außerhalb des Pharaonenreiches war und eine Ruhepause einlegte.

Ich verlese einen Abschnitt aus dem 2. Mosebuch, Kap. 13 die Verse 20-22.

Exodus 13, 20 – 22

20 So zogen sie aus von Sukkoth und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Das ist der vorgegebene Text. Ich erweitere ihn um einige Verse aus dem nachfolgenden 14. Kapitel:

(Der HERR sprach zu Mose:)

1 Rede zu den Israeliten und sprich, dass sie umkehren und sich lagern bei Pi-Hahirot zwischen Migdol und dem Meer. 9 Und die Ägypter jagten ihnen nach mit Rossen, Wagen und ihren Männern … und holten sie ein, als sie sich gelagert hatten am Meer bei Pi-Hahirot … 10 Und als der Pharao nahe herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf … und fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN. 15 Und der HERR sprach zu Mose: Was schreist du zu mir? Sage den Israeliten, dass sie weiter ziehen. 16 Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, so dass die Israeliten auf dem Trockenen mitten durch das Meer gehen. 19b) Und die Wolkensäule erhob sich und stellte sich hinter sie. 20 und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. Und dort war die Wolke finster … und so kamen die Heere eine ganze Nacht einander nicht näher.

Wir wollen uns einem ersten Detail der Erzählung zuwenden.

Israel lagerte sich zunächst bei Sukkoth am Rande der Wüste. Dann musste das Volk erneut aufbrechen, und lagerte sich „am Meer“.

Als sie sich dort nieder ließen, wussten sie ebenso wenig wie am Vortage, was der morgige Tag bringen würde. Keiner ahnte, warum sich die Route plötzlich änderte.

Diese Wechsel im Ablauf des Geschehens geschahen unvermutet, fielen geradezu über sie her. Unbeantwortet war, warum das alles geschah. Warum, warum?

Wir unterbrechen und blicken zurück auf das zu Ende gehende Jahr 2020.

Die biblische Episode veranschaulicht, dass zwischen „heute“ und „morgen“ manchmal große Umbrüche liegen. Das können wir auch von dem zu Ende gehenden Jahr sagen.

Es war Februar. In diesem Monat gab es die Winterferien. Die Kinder verreisten zu den Großeltern oder umgedreht. Andere fuhren zum Skiurlaub. Skifahren war eines. Da gab es noch das andere. Es hieß „Aprés-Ski“ und schließt Geselligkeiten, gemeinsame Mahlzeiten und Getränkekonsum ein.

In einem Tiroler Zentrum für Skiabfahrten amüsierten sich Menschen aus aller Welt. Wochen später erfuhren sie und wir, dass sich von dort aus ein gefährlicher Virus ausgebreitet hatte.

Wir erlebten und erlitten, dass zwischen „heute“ und „morgen“ große Umbrüche lagen. Unbeantwortet war und ist, warum das alles geschah. Warum, warum?

Sagen wir: „So ist das eben. Das Leben verläuft zufällig und damit sinnlos?“

Oder halten wir mit der Schrift daran fest, dass es eine „Wolken- oder Feuersäule“ gibt, die uns den Weg weist? Wie eine Säule an einer Gabelung dem Wanderer den Weg weist, so wird Gott hier im Bilde einer Säule beschrieben. Es ist ein und die gleiche Säule, die – sozusagen als Metamorphose – als Feuer am nächtlichen Himmel erscheint und tagsüber als Wolke. Später wird erzählt, dass sich Gott als Wolke am Berg Sinai offenbart (Ex. 19, 16 -18 u. ö.) und dann als Wolke und Feuer über der Stiftshütte, dem Zeltheiligtum, schwebte (Ex. 40,38 u. ö.). [1] So sehr das alles zusammenhängt, so setzt das Bild von einer Säule doch einen zusätzlichen Akzent. Verschwimmt die Wolke mit dem Himmel, so hat eine Säule etwas Unverrückbares und Festes.

Wir wenden uns wiederum dem Bibeltext zu.

Die Situation der Menschen, die aus Ägypten geflohen waren, spitzte sich im folgenden Kapitel dramatisch zu. Wir kennen die Erzählung seit Kindheitstagen. Die Ägypter jagten hinter dem Volk der Juden hinterher. Das muss gegen Abend gewesen sein. [2] So weit so bekannt.

Dann aber hörten wir, dass sich Gott als Wolkensäule zwischen die Ägypter und die Juden stellte. Nunmehr war die Wolkensäule tiefschwarz. Sie nahm den Verfolgern die Sicht auf die Verfolgten. Das Volk Israel sah das nicht, dass es da eine Wolkensäule hinter ihnen gab. Sie sahen nur die Schwärze der Nacht hinter sich

Neben Gott als den Wegweiser erscheint nun Gott in dieser alten Erzählung als der, der „dazwischen“ tritt. Der gleiche Gott, der Menschen den Weg weist und ihnen ein Ziel vorgibt, wird Teil eines Krieges. [3] Hier wie dort ist er präsent, um die Seinen zu retten und zu bewahren. Er rettet aber so, indem Menschen das verborgen bleibt. Er behebt die Ursache, aber keine und keiner sieht und begreift, dass er am Werk ist.

Wenn sich die durch das Meer hetzenden Jüdinnen und Juden umdrehten, sahen sie nur eine undurchdringliche Finsternis und keine Spur von Gott. Es bleibt offen, ob sie je verstanden, wer da im Meer am Werk war, um sie zu retten.

Wir springen wieder in die Gegenwart.

Welchen Verlauf die Pandemie „Covid 19“ nehmen wird, weiß keiner. Wie es der Impfstoff schaffen wird, uns von der Furcht zu befreien, infiziert zu werden, kann nur in Geduld abgewartet werden. Hat es Sinn, dafür zu beten, dass ich nicht von dem Virus angesteckt werde? Kann der aufgeklärte Mensch damit leben, dass die naturwissenschaftlich begründete Kette von Ursache und Wirkung „von einer höheren Macht“ außer Kraft gesetzt werden kann?

Der biblische Text will uns heute am Altjahresabend 2020 nahe legen, dass unser Gott und Herr unserem Leben ein Ziel vorgibt und uns andererseits nicht unserer Not überlässt. Das Ziel ist manchmal schnell begriffen, wie er aber Not und Leid von uns abwendet, bleibt ein Rätsel und Geheimnis.

Wenden wir uns noch einmal der Bibel zu!

Als sich damals, zur 1. Nachtwache (Vers 24), im Meer das Dunkel der Nacht lichtete, wie der Text überliefert, ließ Gott die Flut los und die Ägypter ertranken. Die Peiniger hat er selbst für seine Auserwählten dahingerafft.

Das ist die eine Seite, bei der naheliegt, zu fragen, ob das geschehen musste.

Die jüdischen Ausleger betonen aber auch eine andere Seite. Nach dem Meerwunder geschah inmitten des Volkes Israel etwas Neues, bisher nicht Dagewesenes. Jüdinnen und Juden in einer unsagbaren Intensität als Menschen, die in besonderer Weise zusammengehören, als ein Volk vereint sind. Sie hatten sich alle hinter die Wolken- und Feuersäule geschart und von ihr leiten lassen. Allesamt erlebten sie das Wunder der Errettung vor erneuter Sklaverei und Tod. Wo es vorher nur hier und dort einzelne Stämme Israels gab, wurde zu „ersten Nachtwache“ eine neue Gemeinschaft aus ihnen. Die Finsternis wich dem Licht des neuen Tages. In diesem Licht fühlten sie alle gemeinsam, dass es diesen EINEN gibt, der sie führt und bewahrt. Es war die Geburtsstunde Israels als Volk. [4]

Welchen Sinn hat diese schreckliche Coronapandemie? Wer vermag das zu sagen?

Könnte es sein, dass wir uns als Gemeinde, die auch in der Coronakrise ihre Gottesdienste weiter feierte, besser verstehen? Wir hörten zumeist nicht auf, für einander zu beten und gemeinsam zu hoffen. Ist unsere Gemeinschaft im Glauben gewachsen, so dass wir „danach“ nicht mehr die Gleichen sind wie davor?

Welchen Sinn hat diese schreckliche Coronapandemie? Blicken wir über uns hinaus, so dürfen wir als Gläubige wie Atheisten fragen, ob das Dogma, wonach der Mensch alles machen und alles verfügen kann, eine Illusion ist oder ob es dabei bleibt. „Es kann vor Nacht leicht anders werden als es am frühen Morgen war …“ heißt es in einem alten Gesangbuchlied. Dass es „anders“ wird, haben Menschen, siehe Corona, bisweilen nicht in ihrer Hand. Wenn sich diese Einsicht ein wenig sich breit machte, nähme sie uns die selbstverordnete Hochschätzung, wonach der Mensch allein der Schmied seines Glückes ist.

Mit welcher Folge? Ein könnte ein Gefühl aufkommen, dass wir abhängig sind von „Einem“, der unabhängig von uns die Geschicke lenkt. Das wäre bei allem Leid, das „Corona“ über uns gebracht hat, ein großer Gewinn. Wir würden uns neu verstehen.

ANMERKUNGEN

[1] Eine Zusammenstellung des Vorkommens der Metapher „Wolke und Wolkensäule“ geben Helmut Utzschneider und Wolfgang Oswald: Exodus 1-15, Stuttgart 2013, S. 304.

[2] Walter Groß rekonstruiert (schwierig für mich nachvollziehbar): „Die dunkle Wolke tritt noch bei Tage zwischen die bereits anrückenden Ägypter und die bereits lagernden Israeliten, die so plötzlich hereinbrechende Finsternis verhindert ihr Zusammenstoßen.“

Walter Groß, Die Wolkensäule und die Feuersäule in Ex 13 + 14, in: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, Für Herbert Lohfink S.J. Freiburg/Basel/Wien 1993, (142 – 165), S. 151.

[3] „Die Erzählphase handelt von einem Kampf, ja einem Krieg … Er gewinnt ihn zum Erweis seiner Herrlichkeit gegenüber den Ägyptern und zur Rettung der Israeliten. Gott führt diesen Krieg nicht nur, sondern er plant und arrangiert ihn.“ Utzschneider/Oswald, a.a.O., S.292.

[4] Hanna Liss: „Mit dem Durchzug durch das Meer wird das Volk Jisrael eine eigenständige Größe, die sich allein auf Gott verlassen muss. Hier erst beginnt der eigenständige Weg Jisraels.“ Hanna Liss: Tanach, Lehrbuch der jüdischen Bibel, 8. Band, Schriften der Hochschule für jüdische Studien, Heidelberg 20194, S. 93.

Helmut Utzschneider und Wolfgang Oswald unterstreichen das mit dem Hinweis auf die Lichtmetaphorik des Textes: „All dies geschieht auf der Zeitgrenze zwischen Finsternis und Licht. Dass die Rettung im heraufziehenden Morgenlicht geschieht, ist mehr als nur eine Frage der Tageszeit. Es markiert … die Grenze zwischen Tod und Leben in einem, aus christlicher Sicht, österlichen Sinn.“ Utzschneider/Oswald, a. a. O., S. 296.

Fürbittgebet

Wenn wir jetzt beten, bitte ich Sie nach den Worten „Gemeinsam rufen wir zu Dir“ mit mir zu beten: „Wir bitten Dich, erhöre uns!“

 

Am Ende des Jahres 2020 halten wir inne vor Dir, unserem Gott, und beten zu Dir.

Herr, unser Gott, wir danken Dir, gleichviel, wie schwer auch manches im letzten Jahr war. Wir danken Dir für alle Tage und Stunden des Jahres 2020.

Wir hatten Dein Wort, das uns begleitet und geführt hat so wie einst das Volk Israel die Wolkensäule hatte, der es folgte.

Du sprichst zu uns bei Tag und bei Nacht. Du bist da. Du machst, dass wir aufrecht gehen.

So bitten wir Dich, dass wir als Deine Gemeinde den Weg durch die mannigfache Wüste gehen und die Kraft erhalten, in Deinem Sinn und nach Deinem, Wort zu leben.

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Wir bitten Dich, erhöre uns!

 

Herr, unser Gott, was ist die Zeit? Wir wissen es nicht. Wir wissen, was vergangen ist, wir wissen nicht, was kommen wird.

Wir beten, dass wir in allem Auf und Ab Pilgerinnen und Pilger in der Nachfolge Deines Sohnes bleiben. Irren wir ab, so hole uns zurück. Hilf uns, die Einflüsterungen der Sorge zum Schweigen zu bringen.

Mache du uns, Vater, zu Überwindern.

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Wir bitten Dich, erhöre uns!

 

Herr, unser Gott, für den es keine Zeitabläufe gibt, keinen Anfang und kein Ende. Wir bitten Dich, dass du uns nicht dem Gang der Dinge überlässt, sondern uns rettest und bewahrst wie du einst Israel im Meer errettet hast.

Die Pandemie macht vor keinen Ländergrenzen halt. Eine gefährliche Mutation des Virus ist in England ausgebrochen. Mit dieser neuen Wendung im Pandemiegeschehen kommt auch bei uns die Furcht an, dass die Grenzen der Beherrschbarkeit dieser Pandemie immer näher rücken.

Wir hoffen auf den neuen Impfstoff. Befähige alle, die dafür Verantwortung tragen, dass er bald angewendet wird und sich so alles zum Besten wendet.

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Wir bitten Dich, erhöre uns!

 

In der Stille beten wir nun zu Dir …

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Wir bitten Dich, erhöre uns!

 

Nimm Dich unser gnädig an. Rette und erhalte uns. Dir allein gebührt Ehre und Anbetung, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Vater unser …

 

Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes

Luckenwalde

ulrich.kappes@gmx.de

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