Der Fromme stirbt

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Der Fromme stirbt

Predigtreihe „Passion im Lied“ – Judika, 1.4.2001
EG 81, 5+6: „Der Fromme stirbt“, Rolf Wischnath


Verwechselung! – oder: Aprilscherz in der Passion!

Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, / der Böse lebt, der wider Gott gehandelt; / der Mensch verdient den Tod und ist entgangen, / Gott wird gefangen. EG 81, Strophe 5 des Liedes „Herzliebster Jesu“ von Johann Heermann

Liebe Gemeinde, die Strophe passt zu diesem Passionssonntag, der auf den ersten April fällt: Am ersten April muss man aufpassen, um nicht in den April geschickt zu werden. Der wechselvolle und wetterwendische Monat hat dazu geführt, seinen ersten Tag als Tag der heiteren Täuschung und Verwechselung zu begehen. Für die Kirche wird dadurch die Passionszeit, die Zeit, in der in besonderer Weise des Leidens und des Kreuzes Jesu gedacht wird, in ihrem Ernst unterbrochen. Aber schon in der ursprünglichen Geschichte des Kreuzweges Jesu geschieht eine unglaubliche Verwechselung: „Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, der Böse lebt, der wider Gott gehandelt ….. “ Das ist gleichsam ein grandioser Aprilscherz, allerdings auf den ersten Blick ziemlich makaber. Und er hat einen direkten Anhalt in der Leidensgeschichte Jesu, in der die Lebensgeschichten zweier Menschen sich kreuzen und es zu einer grandiosen Verwechselung kommt – so, wie sie das Lied von Johann Hermann besingt. Diese Verwechselung ist zum Lachen und doch zugleich bitter ernst:

Vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus, der zum ungerechten, feigen Richter an diesem Tag wird, steht der gefangene Jesus: höhnisch mit der Dornenkrone und einem roten Mantel ausstaffiert zur Lachnummer als „König der Juden“. Pontius Pilatus macht mit und erinnerte sich der Gewohnheit, dem Volk aus Anlass des Aprilfestes einen der jüdischen Gefangenen loszugeben – nach Wahl: also den, den sie sich aussuchen. Und da heißt es in der Bibel beim Evangelisten Matthäus: „Sie hatten aber zu der Zeit einen berüchtigten Gefangenen, der hieß Jesus Barrabas. Und als sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen soll ich euch losgeben?, Jesus Barrabas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Denn er wusste, dass sie ihn aus Neid ausgeliefert hatten“ (Matthäus 27, 15-18).

Jesus Barrabas und Jesus Christus: zwei Gefangene stehen sich hier gegenüber. Komischerweise tragen sie denselben jüdischen Namen: „Jesus“. Das hat man in der Geschichte der Kirche oft verschwiegen oder einfach vergessen: Auch Barrabas trägt den Namen Jesus. Zum Verwechseln gleich. Dieser Name wird von Matthäus im ersten Kapitel des Neuen Testaments im Blick auf den in Bethlehem geborenen Jesus erklärt: „Jesus“ heißt, „Er wird sein Volk retten von ihren Sünden“ (Matthäus 1,21). In dieser Erklärung zitiert der Evangelist den achten Vers des 130. Psalms, wo es von dem Gott Israels heißt: „Ja, ER wird Israel retten von allen seinen Sünden.“ Eine unüberbietbare Identifikation des Jesus von Nazareth mit dem einen und einzigen Gott des erwählten Volkes wird hier vollzogen. Man muss das vom Anfang bis zum Ende des Evangeliums im Ohr behalten. Auch und gerade in der Passionsgeschichte. Und Johann Heermann bringt es wirklich auf den Punkt: „….. der Mensch verdient den Tod und ist entgangen, / Gott wird gefangen.“

So wird aber auch klar, was es bedeutet, dass Barrabas denselben Namen trägt: Dieser andere Jesus, der auch Barrabas genannt wird, muss gerettet werden, sonst wäre er rettungslos verloren. Er ist berüchtigt – das heißt: seine ruchlosen Taten sind ruchbar geworden. Barrabas war ein politischer Terrorist, der in seinem Fanatismus einen Mord begangen hatte. Er hatte das Schlimmste getan, was ein Mensch in der Sünde tun kann: einem Mitmenschen sein Leben nehmen, weil dieses Leben den eigenen Interessen im Wege steht. Der erste Jesus, der Christus genannt wird, muss retten, sonst wäre Barrabas rettungslos verloren. Denn auch der erste Jesus ist berüchtigt – aber in einem anderen Sinne – nämlich so, dass niemand auf die Frage des Pilatus antworten kann: „Was hat er denn Böses getan?“

So stehen sie sich gegenüber: der Ruchlose und sein Retter, beide mit dem Namen „Jesus“. In dieser Gegenüberstellung wird an Beiden etwas deutlich:

An Jesus Barrabas wird das Unfassliche der Leidengeschichte des Jesus, den sie den Christus nennen, fassbar. Der Sünder wird freigesprochen; er ist frei, ohne zur letzten Verantwortung gezogen zu werden für seine Schuld. Das ist wirklich zum Lachen. – An Jesus Barrabas sollen wir erkennen: Seit dem Tag seines Freispruchs trägt heimlich jeder Schuldige auch den Namen Jesus. Denn dieser Name ist für alle Schuldigen die einzige Hoffnung, weil Jesus Christus für jeden von ihnen das Urteil auf sich genommen hat, weil er für jeden von uns Schuldigen gestorben ist: weil er allein „sein Volk retten kann von seinen Sünden“.

Und an Jesus Christus, dem unschuldig Hingerichteten, sollen wir erkennen: Seit dem Tag seiner Verurteilung ans Kreuz gibt es keine hoffnungslosen Fälle mehr: Kein Mensch ist so sehr mit seinen verfehlten Taten, mit seiner Schuld identisch, dass es für ihn keine Rettung mehr gäbe. Vor Gott gibt es Rettung für den schlimmsten Sünder. Jesus Christus steht auch für ihn ein; der Gekreuzigte tritt auch an Deine und meine Stelle, so wie er an die Stelle des Jesus Barrabas getreten ist: an den Ort, wo wir verurteilt werden und wo einmal der große Verurteiler unseres Lebens, der Tod, erscheint. Hier war und ist es Gott so ernst, so bitter ernst, dass er keinen Spaß versteht. Er will den verurteilten, den sich so selber verurteilenden Menschen retten in seiner Liebe. Darum geht Gott in Christus selber im Gericht auf die Seite des Verurteilten. Kein Aprilscherz, keine Täuschung, sondern Gottes Versprechen und Rettung bekommen wir zu hören mit dem Namen Jesus Christus. Wunderbar – die Verwechselung des Schuldigen mit dem Unschuldigen! Es ist die einzig wunderbare Verwechselung in der Weltgeschichte. „Verwechselung“ oder „Austausch“ ist übrigens die wortwörtliche Übersetzung des griechischen Begriffs („katallagä“), der im Neuen Testament zu finden ist, und den die die deutschen Bibelübersetzungen mit „Versöhnung“ wiedergeben. Und „Versöhnung“ – das ist Kern und Stern der Theologie des Kreuzes: „Versöhnung“ zwischen Gott und Mensch als „Verwechselung“ und „Austausch“, als Existenzstellvertretung. Nirgendwo wird das so deutlich wie an Jesus Barrabas und Jesus Christus. Aber auch unsere Stellvertretung, unsere Versöhnung ist am Kreuz geschehen: der Gekreuzigte ist „für die vielen gestorben“ – auch „für uns gestorben“.

Ein für allemal und unter allen Umständen ist das ein hinreichender Grund zur Freude und zum Lachen. Und Sie, liebe Gemeinde, brauchen heute kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn die Kinder zu Aprilscherzen aufgelegt sind. Sie dürfen sich davon anstecken lassen – auch von Johann Heermann mit der nächsten Strophe seines Passionsliedes:

„O große Lieb, o Lieb ohn alle Maße, / die dich gebracht auf diese Marterstraße! / Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden, / und du musst leiden.“ Amen.


Generalsuperintendent Dr. Rolf Wischnath

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