Der Himmel und das Paradies

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Der Himmel und das Paradies

 5.4.2021 | Ostermontag |Predigt über Offenbarung 5,6-14 | verfasst von Hansjörg Biener |

Der heutige Predigttext stammt aus der Offenbarung an Johannes. Die Offenbarung ist eines der geheimnisvollsten Bücher des Neuen Testaments. Keine Jesus-Erzählungen nach der Art der Evangelien. Kein Nachdenken über den Glauben nach Art der Paulus-Briefe. Vielmehr: gewaltige Bilder, schnelle Wechsel, wie wir sie aus manchen Video-Clips kennen, und Symbolbilder, die wir heute nicht mehr ohne Weiteres deuten können. Diese Vielfalt des Neuen Testaments ist gut für uns. So können wir auf ganz verschiedene Weisen den frühen Christen beim Glauben zuschauen. Es geht nicht nur um Geschichten und einprägsame Worte wie in den Evangelien. Es geht nicht nur um Nachdenken wie bei Paulus. Es geht aber auch nicht nur um besondere Erlebnisse wie bei Johannes. Es geht darum, wie auf verschiedene Weisen Glauben bei uns geweckt wird. Mit der Erlaubnis, dass unser Glaube sich in Geschichten und Glaubenszeugnissen zeigen darf, in der Nachdenklichkeit über Gott und die Welt oder auch in ein bisschen ekstatischer Frömmigkeit.

Es hilft nichts, wenn man das eine gegen das andere ausspielt oder gar das eine durch das andere erklären will. Die Offenbarung an Johannes ist dafür das beste Beispiel. Sie hat wegen ihrer Bildersprache viele religiöse Spekulationen an sich gezogen. Aus dem Trostbuch für die frühe Christengemeinde wurde ein Fahrplan über kommende Ereignisse gemacht, und manche Ausleger monopolisierten ihre Endzeitinterpretation. Nur sie hätten recht und alle anderen nicht. (Das letzte Mal wurde 2011 auch in Deutschland das Jüngste Gericht groß plakatiert.) Die Offenbarung an Johannes ist aber nicht zu verstehen, wenn man sie in einen Fahrplan kommender Ereignisse auswalzt. Und ebenso wenig wird sie verstanden, wenn man versucht, sie versweise aufzudröseln und rational zu erklären. Die Bildersprache der Johannes-Offenbarung schließt am ehesten an die Welt unserer Träume an. Darum müssen wir uns von diesen aus an die Welt der Offenbarung annähern.

 

Der Seher Johannes teilt mit uns im heutigen Predigttext (s)einen Blick in den himmlischen Thronsaal. Lassen wir die Bilder erst einmal auf uns wirken.

 

Der Predigttext

 

(Umbrüche als Vorlesehilfe)

„6 Und ich sah

mitten zwischen dem Thron und den vier Wesen und

mitten unter den Ältesten

ein Lamm

stehen,

wie geschlachtet;

es hatte sieben Hörner und sieben Augen

[, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande].

7 Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß.

8 Und als es das Buch nahm,

da fielen die vier Wesen

und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm,

und ein jeder hatte eine Harfe

und goldene Schalen voll Räucherwerk, [das sind die Gebete der Heiligen,]

9 und sie sangen ein neues Lied:

Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel;

denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut

Menschen

für Gott erkauft

aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen

10 und hast sie unserm Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht,

und sie werden herrschen auf Erden.

11 Und ich sah,

und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron

und um die Wesen und um die Ältesten her,

und ihre Zahl war

zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend;

12 die sprachen mit großer Stimme:

Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig,

zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.

13 Und jedes Geschöpf,

das im Himmel ist

und auf Erden und unter der Erde

und auf dem Meer und alles, was darin ist,

hörte ich sagen:

Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm

sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt

von Ewigkeit zu Ewigkeit!

14 Und die vier Wesen sprachen: Amen!

Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“

(Offb 5,6-14)

Es ist ein überwältigendes Panorama: In der Mitte der Thron Gottes und rund herum ein Hofstaat. Er ist vielfach gegliedert bis zu Tausenden von Engeln. Wir hören von Musik, Gesang und Räucherwerk. Und der Blick zoomt auf ein Lamm, dem der Lobpreis des Hofstaats gilt. Es wurde geschlachtet und ist wieder am Leben. Es ist würdig, das Buch der Endzeit zu öffnen. Nach ihr wird sich alles geklärt haben und kommen die Gläubigen zu ihrem Recht. Aber am Ende ist alles Gottesdienst. „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ Nach und mit aller Schöpfung sprechen auch „die vier Wesen“ ihr Amen. „Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“

Damit könnte alles gesagt sein, aber „gepredigt muss werden“. Zum einen, weil wir nicht alle Visionäre wie Johannes sind, und zum anderen, weil Jahrhunderte zwischen uns und den biblischen Zeiten stehen. In unseren volkskirchlichen Gemeinden sind die wenigsten Visionäre nach Art eines Johannes. Aber: Wir haben durchaus Visionen, denn jeder von uns träumt. Und da finden wir dasselbe wie in unserem Bibeltext: Bilder, die nicht immer zusammenstimmen und manchmal unvermittelt wechseln. Vielleicht hören wir etwas. Vielleicht spüren wir eine Berührung. Vielleicht riechen wir etwas. Und manchmal wachen wir auf und glauben, dass wir etwas Bedeutsames geträumt haben. Bei allen Unterschieden zwischen der Bilderwelt von Johannes und unseren Traumbildern – das sieht und fühlt sich wohl ähnlich an. Nicht nur in dieser Hinsicht kommen wir Johannes näher. Auch Johannes rätselt gelegentlich über das Gesehene. Manchmal erklärt er sich das Gesehene selber. Manchmal kommt ein Angelus interpres, ein Auslegeengel zu Hilfe. Mit unseren Träumen ist das ähnlich. Internet und Buchhandlungen sind voller Ratgeber, welches Bild wofür steht. Allerdings möchte ich bezweifeln, dass wir mit Entschlüsselungen wirklich weiterkämen. Es geht m. E. nicht darum, wofür dieses oder jenes Bild „in Wirklichkeit“ steht. Manche Leute sind sogar bereit,  einen Traumdeuter zu bezahlen. Da meine ich, wäre es wichtig, den Klienten im Mittelpunkt zu lassen und damit zu arbeiten, was er oder sie mit ihren Träumen macht.

Lassen Sie uns also Träume haben und probehalber Visionäre sein. Ich möchte unsere Annäherung zunächst mit Bildern zu zwei Worten beginnen: „Paradies“ und „Himmel“. Zuerst:

Das „Paradies“

Wenn Sie mich fragen würden, wie für mich das „Paradies“ aussieht – meines sieht so aus: Ein altes Landhaus umgeben von einem Landschaftsgarten. Rhododendren und vor allem Hortensien. Weiß, rosa, lila und vor allem blau. Ich finde mich in einer großen Bibliothek im Stil der alten Bibliotheken, mit Galerien und Buchregalen bis zur Decke. Ich habe eine große Sitzecke und einen schönen Kamin. Ich kann lesen, so viel ich will und in welcher (Original-)Sprache ich will. Ich lese nur Bücher, die das Lesen lohnen. Und bei meinen eigenen Büchern kann ich auch nach Jahren noch zum Geschriebenen stehen. Auch all das, was nie gedruckt wurde, ist nun fertig. Und alles ist gut, zwischen mir und dem Leben, zwischen mir und der Welt. Ich kann richtig sehen, was ich nie konnte, und endlich läuft es sich wieder leicht, wenn ich meinen Landschaftsgarten durchwandere. Und die Katze, die schnurrend meine Nähe sucht, löst bei mir keine Allergien aus. Sie ahnen: Da ist manches dabei, was man in dieser Welt schon haben kann, und anderes, was ich in einem irdischen Leben nicht haben werde. Sicher fragen Sie sich: Wo sind hier die Menschen?

Um es im Scherz zu sagen: Meine Frau ist in der Provence. Ihr ist weniger nach Bretagne, Irland oder Südengland. Ihre Landschaft ist die Provence. Ein Morgen in den Lavendelfeldern. Eine alte Abtei im Blick, und sonst ist alles in lila. Die Luft ist frisch und doch gefüllt von Lavendelduft und einem Hauch Aroma eines Kaffees in der Hand. Im Mund der Geschmack eines französischen Croissants und von Lavendelhonig aus der Abtei von Sénanque. Wenn ich ein Bild für uns beide suchen würde, könnten wir durchaus im Paradies des anderen leben, aber vielleicht brauchen wir auch ein anderes „Paradies“. Die Laube meiner verstorbenen Schwiegereltern vielleicht. Mein Schwiegervater grillt, meine Frau und meine Schwiegermutter machen Dips und Salate. Und später spielen wir Rommé.

„Der“ Himmel

Kommen wir zum zweiten Wort. „Himmel“. Da habe ich für mich eine interessante Entdeckung gemacht. „Himmel“ – das Wort hat für mich zuerst mit Gott zu tun, mein „Paradies“ zuerst mit mir. Wie sollte ich mir auch vorstellen, dass Gott in einem Luxusauto die Allee herauffährt, um mich in meinem Landhaus zu besuchen?

Es kann nur umgekehrt sein, dass ich zu Gottes Ort komme. Nicht er ist mein Gast, sondern ich bin seiner, so wie Johannes im himmlischen Thronsaal. Und dann ändern sich für mich die Bilder. Es sind immer noch Bilder, die dem Alltag entnommen sind, und ich kann auch sagen, wo sie herkommen: Ich sehe Gotteshäuser. Manche sind architektonisch gewaltig, manche protestantisch schlicht, aber es ist mir wichtig, dass sie seit Jahrhunderten durchbetet werden. Für mich ziehen sich zusammen:

– das Licht der farbigen Fenster gotischer Kathedralen

– die Strenge mittelalterlicher Klosteranlagen

– der Psalmengesang aufeinander eingesungener Mönche

– die Weihnachtskonzerte der Chöre, in denen ich mitgesungen habe.

Sie sehen, das steht so neben- und ineinander, wie bei den Bildern unseres Predigttextes. Aber: Am Ende reicht das weit nicht, um den „Himmel“ zu fassen.

Denn eigentlich geht es beim Himmel nicht um einen Vorgeschmack, der vom Irdischen auf das Ewige schließt. Wenn es wirklich der Himmel ist, dann ist er anders als die Erde. Mir geht es wie dem Johannes am Ende unseres Predigttextes. Am Ende kann im Angesicht Gottes nur Anbetung stehen und nichts anderes. Und ewige Zustimmung, ein ewiges Amen.

Der „Himmel“ und das „Paradies“ von Johannes

Gehen wir zurück zur Vision des Johannes in unserem Predigttext. Ich sprach von „Paradies“ und „Himmel“, und wir erkennen, Johannes zeigt uns seine Vision vom „Himmel“. Er sieht ihn als riesigen Thronsaal, größer und bedeutsamer als alle irdischen Thronsäle. Und er sieht darin Gott im Regiment. Auch das ist größer und bedeutsamer als das, was Menschenkönige und -kaiser tun. Selbst wenn es Gott im Verborgenen ist. Für Johannes ist das wichtig, denn seine Gemeinde ist einer ersten Verfolgung ausgesetzt. Johannes selber ist verbannt und von ihr getrennt. Die Verfolger zeigen ihre Macht; Johannes aber wird sich in Visionen wie diesen gewiss, dass alles nur eine Etappe der Weltgeschichte ist. Alles wirklich Wichtige ist schon geschehen. Er schaut in den Thronsaal und sieht das Lamm, das geopfert ist und wieder lebt, das „Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob“ entgegennimmt. Im Himmel wird schon Amen gesagt, auch wenn wir auf Erden noch kein preisendes Amen zum Lauf der Welt und zum Verlauf unseres Lebens haben.

Hören wir noch einmal aus dem Lobgesang auf das Lamm:

„Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel;

denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut

Menschen

für Gott erkauft

aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen

und hast sie unserm Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht,

und sie werden herrschen auf Erden.“

Johannes weiß: Durch den Glauben an das Lamm gehöre ich dazu. Am Ende der Johannes-Offenbarung wird dann sein „Paradies“ kommen. Die ewige Stadt Jerusalem, prächtig geplant und gestaltet. Einige Verse aus Offenbarung 21, das in meiner Kirche ein Textvorschlag bei Beerdigungen ist: „3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ Das ist aus Offenbarung 21, aber hier und heute geht es noch um Offenbarung 5. Das Paradies ist noch nicht da, aber im Himmel weiß man, dass alles Wesentliche schon geschehen ist.

Unser Weg in den Himmel: das Lamm

Zoomen wir auf das Lamm, „wie geschlachtet. Es hatte sieben Hörner und sieben Augen. […] Es hat mit seinem Blut Menschen für Gott erkauft, als königliches und priesterliches Volk.“ Wieder verschiedene, ineinander geschobene Bilder: Hörner für Macht und Augen für Wissen, Opfer und Blut als Kaufpreis, die Christenheit als königliches und priesterliches Volk.

Ich will mich auf das Opfer und Blut beschränken, weil es die heutzutage umstrittensten Bildsymbole sind. Vielleicht hatten Sie schon einmal eine stark blutende Wunde, haben Blut gespendet oder einen Menschen in seinem Blut liegen sehen. Dann wissen Sie: Blut ist wirklich „ein besonderer Saft“. Das galt auch in der Antike, wo das Bild vom Opferlamm allgemein verständlich war. Israel brachte seinem Gott Opfer dar, so selbstverständlich wie die anderen antiken Völker ihren Göttern. Das Opfer, so die Vorstellung, überwindet die Distanz zwischen der irdischen und der göttlichen Welt, in die man nicht hineinlatschen kann wie ein Tourist in eine Kirche, der nicht einmal weiß, dass der Altarraum eigentlich nicht zu betreten ist.

Uns ist das Bild vom Opfer fremd geworden, weil die Christen in Jesus das letzte Opfer gefunden haben. Das war keine leichte theologische Übung, weil der Tod am Kreuz ein Verbrechertod war und nicht das Opfer eines makellosen Tiers. Doch fand man zum Beispiel beim Propheten Jesaja [53,4-7* im Gottesknechtslied] einen Text wie diesen:

„Wir […] hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 […] der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.“

Das half, im Licht der Auferstehung Jesu, dem Tod Jesu eine Bedeutung abzuringen. Jesus starb „für uns“, in einem doppelten Sinn. Zum einen „für uns“ zur Vergebung unserer Sünden. Das kommt aus der Vorstellung, dass Gott ein Recht auf die Menschen hat und ein Recht auf Rechenschaft über unser Leben, die wir aber wegen unserer Sünden nicht erfolgreich geben könnten. Zum anderen „für uns“ auch im Sinn unserer Zukunft. Nichts soll mehr zwischen uns und Gott stehen. Auch der Tod nicht.

Seit Jesu Kreuzestod und Auferstehung haben die Christen auf blutige Opfer für Gott verzichtet, wenngleich leider nicht auf blutige Opfer. Im Gegenteil, heute werden immer noch Menschen für weit weniger hehre Ziele in Kriege geschickt und geopfert. Das gehört zu dem vielen, was auf dieser Welt nicht gut ist, und was zu Visionen treibt, wie es anders sein sollte.

Das alles findet aber seine Neubestimmung durch

Karfreitag – Karsamstag – Ostern

In der Schule erkläre ich meinen Schülern und Schülerinnen die Bedeutung dieser Tage so. Ich spreche von Karfreitagen, Karsamstagen und Ostersonntagen im Plural. Karfreitage, das sind die Tage, an denen uns Lebensmut und Gottvertrauen sinken: schlimme Diagnosen, Unfälle, Trennungen, Entlassungen, Schlaganfälle, Sterbefälle, Schuld, und manchmal reicht es schon, dabei- und beistehen zu müssen. Auch uns stellt sich die Frage nach dem „Warum“. Und häufig genug sind wir ja auch dabei, wenn es darum geht, „Was kann jetzt werden?“. Immerhin kann man verschiedentlich erleben, dass es ein kleines Ostern gibt und es weitergeht, man vielleicht im Nachhinein sogar seinen Frieden mit dem Schicksalsschlag macht. Vielleicht gibt es nicht ein besseres Leben, wohl aber ein bewussteres Leben mit der Krankheit. Eine neue Liebe. Eine berufliche Neuorientierung nach dem Hörsturz oder Herzinfarkt. Eine neue Berufschance, die man ohne die Entlassung oder Pleite nicht gesucht oder ergriffen hätte. Dazwischen liegen freilich Zeiten, in denen gefühlt „gar nichts gut“ ist. Manchmal bleibt einem nichts anderes, als durchzuhalten und/oder „aktiv“ zu warten. Das sind für mich die Karsamstage, die ich lieber „Tage der Grabesstille“ nenne, in der Hoffnung, dass es am „dritten“ Tag oder eben irgendwann wieder besser wird. Natürlich weiß ich auch, dass manchmal der „Tag der Grabesstille“ für immer dauert. Das ist in dieser Welt so. Und am Ende des Lebens kommt unser letzter Karfreitag: Der Tag von Sterben und Tod.

 

Deshalb ist es für mich wichtig, dass unsere kleinen und großen Karfreitage und unsere Tage der Grabesstille, aber auch unsere kleinen Ostererfahrungen, im Drama des Lebens Jesu aufgehoben werden. Wir geben unsere Karfreitage in seinen Karfreitag und hoffen, dass alles am Ende in einer großen Auferstehung hin zu Gott endet. Im Angesicht Gottes wird es keine Fragen mehr geben, sondern Anbetung und ein ewiges Amen. Bis dahin sollen wir aber fragen und auch nach dem besseren Leben fragen, denn die Christen sind im Licht des Glaubens ein königliches und priesterliches Volk, das seine Möglichkeiten visionär in die Hand nehmen und seine Macht vor Gottes Augen im Dienst an der Welt nutzen soll.

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Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und derzeit als Religionslehrer am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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