(Deutero)jesaja 40,1–11

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(Deutero)jesaja 40,1–11

Gibt es wahren Trost? | 3. Advent | 11.12.2022 | (Deutero)jesaja 40,1–11 | Thomas Bautz |

1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet. 6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Liebe Gemeinde!

Wir vernehmen gewichtige Worte eines Propheten zu der Zeit, als ein großer Teil der Bevölkerung Judäas (viele aus der Oberschicht) nach Babylonien ins Exil geführt worden ist. Seine Identität ist unbekannt, umstritten die Berufsbezeichnung als Prophet, weil sich einige der typisch prophetischen Redeformen bei ihm nicht finden.[1] Man mag sich fragen, warum er „nie in der bei allen anderen Propheten üblichen Berichtsform sein Wort auf die ihm zuteil gewordene Offenbarung JHWHs bezieht.“ Nach Martin Buber möchte dieser namenlose Prophet mit den anderen auf Augenhöhe bleiben, als einer der ihren, der das Neue im Alten erschließt und es fortsetzt; der das Frühere, Vergangene mit dem Künftigen „verknüpft“: „die Befreiung Israels als Beginn des messianischen Handelns JHWHs“.[2]

Die Zeit seines Auftretens gehört in das letzte Jahrzehnt des neubabylonischen Reichs und fällt mit dem Siegeszug des Perserkönigs zusammen: Kyros wird bei Dtjes zweimal namentlich erwähnt und spielt darüber hinaus in der Botschaft des Propheten eine bedeutende Rolle. Die Einnahme Babylons durch Kyros (539 v.d.Z.), Befreiung und Heimkehr des exilierten Israel hat er vorhergesagt, aber nicht mehr erlebt. Seine Wirksamkeit wird daher allgemein zwischen 550 und 540 v.d.Z. angesetzt. Als Ort seiner Verkündigung gilt gewöhnlich Babylonien; dafür spricht, dass er sich mit fast allen Texten an die Exilierten wendet.[3]

Aus historischen Quellen wissen wir, die Babylonier verhielten sich überhaupt nicht wie befürchtet als Gewaltherrscher. Das babylonische Exil ist auf der Basis anti-babylonischer und pro-babylonischer Tendenzberichte nicht ganz zu rekonstruieren. Man darf aber positiv konstatieren, dass Deportierte  Siedlungen und Land erhielten, das sie eigenständig bewirtschaften durften. Dafür waren Dienste und Zahlungen an den Staat zu leisten. Judäische Handwerker setzte man bei Bauprojekten ein. Insgesamt haben die Babylonier sowohl gelungene Siedlungs- wie auch Integrationspolitik betrieben. Die Königsfamilie wurde zwar bevorzugt behandelt, aber dem Volk ging es unter der Fremdherrschaft nicht so schlecht, wie oftmals behauptet wird.

Das babylonische Exil[4] wird durchaus nicht nur als Verbannung erlebt,[5] sondern auch als etwas von JHWH Geplantes, zum Wohl des Volkes Erfahrenes – ein Geschehen im Rahmen eines versöhnlichen, politisch-wirtschaftlichen modus vivendi mit den Babyloniern, eine erfolgreiche Politik für mehrere Generationen. Unter diesem Aspekt mag die Rede vom Zwangsexil zweitrangig sein. De facto haben sich im Laufe der Zeit viele Judäer in Babel und dem weiteren Umfeld angesiedelt und es sich dort im wahrsten Sinne des Wortes häuslich eingerichtet. Sie pflanzten Obst, Gemüse, Getreide an; sie sorgten für die eigene Fortpflanzung. Mischehen waren nicht ausgeschlossen. Das erzwungene Exil hat sich zu einem freiwilligen Exil entwickelt. Die politischen Umstände des Exils hatten allerdings für das Mutterland und Jerusalem verheerende Folgen.

Die während der Exilszeit entstehenden Geschichtserzählungen und theologischen Entwürfe stellen die Eroberung Jerusalems, die Deportationen und die Zerstörung der heiligen Stadt im Wesentlichen als Strafgerichte dar. Dabei geht mit dem Verlust der Heimat und des Zentralheiligtums (des Tempels) auch der nahezu völlige Verlust der Gemeinschaft mit JHWH einher (Ez 11,15).[6] Der Prophet Jeremia hat lange bevor diese Strafgerichte ergehen, entsprechende Warnungen ausgesprochen und wurde  deswegen prompt in Jerusalem angefeindet.[7] Für die Zeit des Exils begegnet er der Selbsttäuschung vieler Exulanten, indem er verkündet, man solle nicht mit einer baldigen Rückkehr rechnen. Wer sich aber mit den Babyloniern arrangierte, konnte in der Fremde ein gutes Leben führen, zumal durch Boten auch Kontakte mit der Heimat bestanden.[8]

Ausgleichend wird den Exulanten wie den in der Heimat Verbliebenen wieder die Zusammenführung verheißen, vorausgesetzt, sie würden künftig den Planungen und Weisungen JHWHs gemäß leben. Und dennoch: Obwohl die soziale Integration in die babylonische Gesellschaft gut funktionierte, litten viele Exilierte unter den Problemen der Infragestellung ihrer religiösen Überzeugungen. Mit dem Verlust des Landes, der Zerstörung des Tempels standen die göttlichen Verheißungen auf dem Prüfstand. DtJes bezeugt (40,27), dass die Exilierten nicht mehr auf die göttlichen Verheißungen vertrauten, sondern darüber klagten, JHWH habe das Lebensrecht seines Volkes übergangen bzw. habe es verlassen (DtJes 50,1) und Jerusalem vergessen (DtJes 49,14). Rückkehrerwartung drohte den Exilierten bei weitgehender Assimilierung zusehends an Bedeutung zu verlieren.[9]

Einige im Exil verfasste Texte strahlen eine Religiosität, Philosophie und erstaunliche Weltoffenheit aus, wollte man nämlich bedenken, dass ausgerechnet die Zeit in der Fremde bei aller erforderlichen und freiwilligen Assimilation gleichsam den jüdischen Monotheismus[10] gebiert (DtJes 45,5–7):

„Ich bin JHWH und sonst keiner. Außer mir gibt es keinen Gott. Ich gürte dich, auch wenn du mich nicht erkannt hast, damit sie erkennen, vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang her, dass es keinen gibt außer mir. Ich bin JHWH und keiner sonst. Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, ich, JHWH, bin es, der all dies vollbringt.“

JHWH wird explizit als einziger Gott proklamiert. Dieser Monotheismus hat sich allmählich geöffnet, so dass JHWH nicht nur als der Gott Israels angesehen wird, sondern auch als König über die Völker. Hier darf man keinen „Missionsimperialismus“ wittern, wie er für europäische Völker in Verbindung mit ihrer Kolonialpolitik (Kolonialismus)[11] typisch war. Im Exil gab es daher nicht nur Tendenzen zur Abgrenzung, sondern „zugleich auch eine tiefgreifende Öffnung“ zur „Völkerwelt“, „Universalisierung des Gottesgedankens“, als sei „diese theologische Entwicklung Spiegel der veränderten Lebenswelt“: „Das Leben im Exil war nicht abgeschottet, sondern weltoffen und lernbereit.“ Das Bekenntnis zum Einen Gott hat sich „im Dialog mit zeitgenössischen Theologien“ herausgebildet.[12]

Wenn man bedenkt, dass die Zeit des Exils unter den Assyrern und unter den Babyloniern zusammen ca. siebzig Jahre betrug, ist es erstaunlich, dass das leidgeplagte Volk so lange Zeit den Belastungen standhalten konnte, zumal die assyrische Herrschaft offensichtlich am schwersten zu ertragen war.[13] Wir sprechen vereinfachend vom „Volk“; wir reden und denken aus der historischen Distanz. Dabei stecken dahinter Leidgeschichten von betroffenen Familien, Vätern, Müttern, Kindern. Schicksale, die immer mit Verlust der Besitztümer, Häuser, Haushalte, der Arbeitsstellen, der wirtschaftlichen Basis und in Summa die Vernichtung der Existenz und dem Verlust der eigenen Würde einhergehen.

Unwillkürlich stehen mir die Bilder aus den Nachrichten, im Internet täglich, vom Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine vor Augen, von denen auch Unzählige verschleppt wurden und werden. Die Zerstörung der Infrastrukturen durch die russische Aggression soll nun bewirken, dass die Bevölkerung mangels Strom, Wasser, Heizung mürbe wird und den Winter nicht überlebt. Zumindest soll der bislang fast übermenschliche Überlebens- und Widerstandswille geschwächt werden – bis zur Aufgabe. Aber das wird Putin – es widerstrebt mir, diesen infantilen Diktator und Misanthropen (Menschenhasser, – verächter) überhaupt zu benennen – nicht gelingen, denn das Volk in der Ukraine ist nicht nur selbstbewusst, sondern hat einen charismatischen, verantwortungsvollen Führer. Wolodymyir Selenskyj ist auch ein Mann des Trostes, ein Mensch, dem ich zutraue, trösten zu können. Und damit sind wir (endlich) beim Thema!

Trost war in Antike und Mittelalter schon ein hohes Gut; griechische und römische „Consolatio“ war ein Konzept für therapeutische Behandlungen. Antike Trostliteratur war eine eigene Gattung; es gab dafür philosophische Grundlagen; berühmt ist die Consolatio philosophiae des Boethius.[14] Trösten – eine seltene Tugend. Heute mag uns jedoch die hebräische Bibel inspirieren. Die Stammformen des hebräischen Verbs für trösten weisen viele Bedeutungen auf, z.T. für uns ungewöhnlich:[15] „trösten“, „getröstet werden“; „bereuen“, „sich etwas gereuen lassen“; „sich trösten lassen“;  „Mitleid haben“, „Leid tragen um jemanden“, „sich erbarmen“; aber auch „sich rächen“, weil sich mit Ausübung der Rache eine gewisse Befriedigung verbindet. Bei  Nominalbildungen dagegen kommt allein die Bedeutung „Trost“ zum Tragen.

Sehr interessant und weiterführend ist die Bedeutung einer entsprechenden Wurzel im Arabischen:[16] „heftig atmen“, „tief seufzen“ und auch „trösten“. Dabei hat man eine Situation vor Augen, wobei der Leidtragende dem Ersticken nahe ist: „Ich bekomme keine Luft mehr!“ Verzweifelt ringt jemand nach Luft; es verschlägt dem Menschen dann schier den Atem! Hier muss der psychisch bedingten Atemnot durch tiefes Luftholen begegnet werden, um die erforderliche Erleichterung zu bewirken. Nach diesem Verständnis geschieht (!) das Trösten, um einem Menschen „das Aufatmen und so die Rückkehr ins Leben zu ermöglichen“.[17]

Parallel wird auch der Ausdruck gebraucht: „jemandem zu Herzen reden“, der „ja auch das Ziel hat,

emotionalen Druck von einem Menschen zu nehmen. So kann verhindert werden, dass ein Mensch erstarrt und die Enge des Herzens ihn (von innen) erdrückt“:[18] „Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten!“ Menschen werden in die Enge gedrängt, werden gesellschaftlich isoliert: schon in der Schule, während der Ausbildung, im Studium, am Arbeitsplatz; in der Familie, auch in der Kirche! Unsere Sozialdemokratie (be)müht sich, dass hierarchische Strukturen, die sich nicht leugnen lassen, nicht mehr Ungerechtigkeiten oder gar Unterdrückung hervorbringen als der Einzelne oder manche Gruppen es verkraften. Allemal schnüren bestimmte wirtschaftliche Zwänge wie z.B. massenhafte Entlassungen den Betroffenen die Luft ab. – Wer tröstet sie?

„Trost“ ist kein rein verbaler Akt, obschon wir „trösten“ als performatives Verb ansehen, das (ähnlich wie „segnen“, „taufen“, „versprechen“) als solches mit einer Handlung verknüpft ist; vielmehr „muss sich der Trost in einer weltverändernden Tat realisieren“: „Eine ebene Straße durch die Wüste ist zu bauen, auf der JHWH selbst seine Herrlichkeit … offenbaren will“ (DtJes 40,3–5).[19] JHWH kehrt heim[20] nach Jerusalem als Sieger und führt sein Volk mit zu seiner Verherrlichung vor allen Ländern, gemäß der Verkündigung des Propheten „Das Wort unseres Gottes hat auf ewig Bestand“ (DtJes 40,8b).[21]

So weit, so gut! Aber wenden wir uns wieder den „Niederungen“ menschlichen, vor allem: leidvollen Lebens zu. Man braucht Trost, wenn jemand aus der Familie oder aus dem Freundeskreis verstorben ist. Neben den Trauerriten ist die Gemeinschaft der Verbliebenen, meist in Form einer Trauerfeier, nicht zu ersetzen. Gespräche, das gemeinsame Mahl, auch Berührungen wie Umarmungen und das Schulterklopfen, vornehmlich unter Männern – all diese Gesten, so unscheinbar sie sein mögen, tragen zum Trösten bei. Inwiefern dabei der Trost Empfangende sich tatsächlich getröstet findet, kann  wohl nur der Betroffene selbst empfinden. Es ist jedenfalls keine leichte Aufgabe für jeden, der von Herzen gern Trost spenden möchte.

Noch schwieriger ist es angesichts todbringender Krankheit; oft hilft es nur, zunächst schweigend am Kranken- oder bereits am Sterbebett bei dem Betroffenen auszuharren und – wenn man sich kennt – die Hand zu halten. Sterbenden sollte man immer wieder vorsichtig Flüssigkeit einflößen, damit ihr Mundraum nicht austrocknet. Zwiesprache mit dem medizinischen Personal ist auch wichtig, um keine ungeschickten, vermeidbaren Fehler zu begehen. Man muss selbst seelisch schon recht stabil sein, um – gewollt oder ungewollt (zwangläufig) – dem nahenden Tod gleichsam ins Auge zu sehen.

Leichter fällt es, wenn mit einem schwerst Erkrankten wenigstens noch Gespräche möglich sind. Hierbei sollte man kein Register erlernter seelsorglicher Methoden aus dem Ärmel hervorzaubern. Sehr wichtig ist es, wenn man einander fremd ist, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, dem Betroffenen Gehör schenken. Wenn er oder sie schweigt, wird es schwierig, die passenden Worte zu finden. Wenn es niemand anderen gibt, der oder die den Kranken besucht, wird die Situation nicht leichter. Wir können Nähe anbieten und langsam herstellen, ohne uns aber aufzudrängen. Nicht unproblematisch ist auch die ungleiche Position des Kranken (oder Sterbenden) im Vergleich zu dem meist gesunden Besucher am Krankenbett: das Liegen auf der einen, das Sitzen oder Stehen auf der anderen Seite. Das allein schafft bereits Distanz, die es zu überbrücken gilt, wenn sie obendrein von einem inneren, seelischen oder geistigen Abstand begleitet oder gar begünstigt wird.[22]

Die Gefahr bei der Hospizarbeit: sie darf nicht zu professionell werden, weil manchmal die Distanz statt der Nähe größer wird und meist sogar gewollt ist – vermutlich zum Schutz des Trostspenders. Keineswegs aus Angst, Kranken oder Sterbenden zu nahe zu treten (sich womöglich aufzudrängen), sondern eher aus Furcht, bedrohlich wirkender, vielleicht unheilbarer Krankheit, der Trostlosigkeit der unvermeidlichen Situation an der Grenze des Lebens, wenn auch nur punktuell standhalten zu müssen. Fazit: Empathie, Mitgefühl, Trösten lassen sich nicht methodisch erlernen …

Schauen wir einmal, was wir aus der hebräischen Bibel über Trost lernen können. Soweit ich sehe, gibt es hilfreiche Belege in den Psalmen, im Buch Ijob, bei DtJes, bei den Klageliedern des Jeremia.[23] Es wird vom gelingenden, aber auch von scheiterndem Trost, besonders aber vom starken Kontrast zwischen dem verzweifelten Schrei nach Erbarmen und Trost seitens Israel angesichts der zerstörten Stadt Jerusalem und dem sich erbarmenden, Trost spendenden Gott Israels erzählt. Die Klagelieder des Jeremia spiegeln die Situation nach der Zerstörung Jerusalems und des Zentralheiligtums, des Tempels (587 v.d.Z.), eine wahrhaft trostlose Zeit für das Volk!

Demgegenüber lebt Israel mit dem Propheten Deuterojesaja in einer Zeit der sich erfüllenden Verheißungen: Rückführung der Exulanten, Wiederaufbau, Stabilisierung, auch Neubesinnung auf ihre Traditionen und Festigung der eigenen Religiosität. JHWH und keine anderen Götter oder gar Götzen soll wieder im Mittelpunkt ihres Glaubens stehen. Das schließt nicht aus, dass eine redliche, notwendige Offenheit gegenüber Kulturen erhalten blieb, die sie im Exil kennenlernten, hätten sie sonst nichts dazugelernt. Sie wurden nun durch Neubeginn und Wiederherstellung getröstet: JHWH hat Zion getröstet, getröstet all ihre Trümmerstätten; wie Eden hat er ihre Wüste wiedergestellt und ihre Steppe wie den Garten JHWHs! Dort findet sich Frohlocken, Freude, Dank und lauter Lobgesang (DtJes 51,3; s. auch Jes 57,18). Der Trost ist an keine Bedingung geknüpft und zeitlich unbegrenzt.[24]

In den Psalmen findet sich häufig die Klage des Einzelnen, auch die Suche nach Trost, als Gebet an JHWH adressiert, manchmal voller Zuversicht (wie Ps 23,4b), dass das Gebet Gehör findet bei JHWH. Mitunter sucht der Beter Trost in schwierigen sozialen Verhältnissen (wie 71,21; bes. 86,17). Wenn man im Elend zu versacken droht, ruft man JHWH um Trost und Hilfe an und findet sie beim Studium der Tora: „Das ist mein Trost in meinem Elend, das dein Wort mich am Leben erhält“ (Ps 119,50). „Meine Augen schmachten nach deinem Wort, sie fragen: Wann wirst du mich trösten?“ (Ps 119,82; cf. 119,76).

Das Buch Ijob beleuchtet die Problematik, wie Hiob mit unsäglichem Leid: Verlust seiner Familie, seines gesamten Besitzes und dem Befall mit einer fürchterlichen Krankheit mit unerträglichen Schmerzen nicht mehr unversehrt und ohne gesellschaftliche Anerkennung dahinvegetieren muss.

Die Freunde Hiobs weinen und klagen anfangs mit ihm, zerreißen ihre Kleider, versuchen ihn zu trösten. Aber später suchen sie nach dem Grund seines Leidens, stellen steile, spekulative Theorien auf und zweifeln seine Unschuld an. Sie meinen, es hülfe Hiob, wenn er zumindest in Erwägung zöge, dass es auch ihm an Gerechtigkeit und tadelloser Frömmigkeit mangele. JHWH würde Hiob nur einer Prüfung unterziehen. Hiob lässt sich nicht beirren, pocht auf seine Unschuld und bezeichnet sie als „leidige Tröster“[25] (Hi 16,2b). Es ist das einseitige Gottesbild, das die Freunde verleitet zu denken,  JHWH würde Hiob prüfen, ob er gottesfürchtig sei und danach lebe.

Hiob schlägt vor, die Rollen zu tauschen: „Auch ich könnte reden wie ihr, wenn ihr an meiner Stelle wärt. Ich könnte mit Worten gegen euch glänzen (…). Ich wollte euch stärken mit meinem Mund und euch trösten mit meinen Lippen“ (Hi 16,4–5). Hiob bräuchte theologisch sicher nicht hinter dem Berg halten, müsste hinter der Gelehrsamkeit der Freunde nicht zurückstehen – das muss er auch betonen; aber er setzt einen entschieden anderen Akzent: Stärken und Trösten, ohne Rechthaberei! Hingegen: „Wie tröstet ihr mich mit Nichtigem! Und von euren Antworten bleibt nur Betrug“ (Hi 21,34).

Echter Trost hat mit Treue zu tun; er ist „beständig, unwandelbar, unvergänglich“, wirkt überzeugend, „zumal er nicht leicht über die Lippen kommt, keine billige Rede ist“. Echten Trost erkennt man daran, „daß sich der Tröstende mit dem zu Tröstenden identifiziert.“[26] Die Identifikation hat freilich Grenzen; in der Sterbebegleitung wird mit Nachdruck gesagt: Sie dürfen (sollen) nicht  mitsterben! Wie schon angesprochen: Weder zu viel Nähe, noch zu viel Distanz. Aber: Leicht gesagt, schwer verwirklicht! Die besten Chancen einer Seelsorge und Sterbebegleitung auf Augenhöhe erwachsen aus Erfahrungen, die uns selbst das Leben gelehrt hat: bitteres Leid, Unglück, Verlust, Versagen, Entscheidungen, die man später bereut hat; Verletzungen, die man anderen zufügte; starke Schuldgefühle. Man muss sich auch selbst verzeihen können, und das kann verdammt schwer fallen. Und wer tröstet uns dann??

In der Welt leiden erschreckend viele Menschen unter Armut, Hunger, Unterernährung und Gewalt, während im Vergleich der geringere Anteil der Weltbevölkerung im Wohlstand und im Frieden ein bequemes Leben führt. Ich habe dabei immer wieder ein schlechtes Gewissen; schließlich leben die reichen Länder auf Kosten der ärmeren (auf Grund komplexer Relationen in der Weltwirtschaft). – Wenn demokratische, wirtschaftlich stabile Staaten es wollten, gäbe es einige Millionen weniger Arme, Hungernde, Verhungernde. Aber sie müssten konsequent sein, Militärdiktaturen die Stirn bieten und den geliebten Wohlstand einschränken, dem Anderen geben, was man im Überfluss hat.

Emmanuel Lévinas, Philosoph der Ethik des Anderen, schreibt: „Für das reine Leiden, das an sich sinnlos und ohne Ausweg (…) verdammt ist, nimmt ein Jenseits im Zwischenmenschlichen Gestalt an.“[27] Lévinas spricht (mit Nietzsche) vom Skandal des sinnlosen Leidens von Unschuldigen und von dem tief im Menschen verankerten Bedürfnis, dies Leiden auch noch zu rechtfertigen.[28] Mögliche Lösung: Mitmenschlichkeit wirkt wie ein Jenseits im Diesseits und verschafft einzig wahrhaften Trost.

Amen.


Pfarrer Thomas Bautz

Bonn

E-Mail: bautzprivat@gmx.de; th-bautz@t-online.de

Pfarrer „im Unruhestand“


[1] Rolf Rendtorff: Das Alte Testament. Eine Einführung (1983): (III) (3.1.2) Jesaja 40–55 (Deuterojesaja), 204–205; jüdische Exegese meint teilweise, es sei der bekannte Prophet Jesaja Ben Amoz, hält also an der Einheitlichkeit des Buches Jesaja fest; Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 3 (1988), 193–207: 194–195.

[2] Martin Buber: Der Glaube der Propheten (2., verb. u. um Register erg. Aufl. 1984): Der Gott der Leidenden (195–281): Das Mysterium, 246–281: 248.

[3] http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/16341/ Hans-Jürgen Hermisson: Deuterojesaja, wibilex (2017): (3.) Der Prophet, S. 12–13: 12.

[4] Siegfried Herrmann: Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (2., überarb. u. erw. Aufl. 1980): (III.) (1.) Die Epoche des babylonischen Exils, 353–363. Israel hatte bereits als Nordreich vor und durch Eroberung Samarias durch die mächtigen Assyrer gelitten, die große Teile der Oberschicht, Wehrfähige, Handwerker deportierten, während die Landbevölkerung am Ort blieb. Die Deportationspraxis der Assyrer bewirkte, dass die staatliche Existenz Israels aufgehoben wurde; die Exilierten waren auf mehrere Länder und Regionen verteilt, verstreut und nicht mehr als homogene Gruppe erkennbar; cf. op. cit. (1980): (8.) Die assyrische Expansion bis zum Fall von Samaria, 301–313: 301f; (9.) Juda bis zum Regierungsantritt des Josia, 314–322; (10.) Die Restauration des Josia und das Ende der Assyrer, 321–334; cf.

[5] Cf. Leben im Exil. Predigt zu Jeremia 29:1.4–7.10–14, verfasst von Thomas Bautz (21. So. n. Trin. 21.10.2018); http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/18001/  Thomas Wagner: Exil/ Exilszeit, wibilex (2007): (3.2.2.) Die Situation exilierter Judäer in Babylonien: (a) Die Lebensverhältnisse, S. 17.

[6] Ezechiel verkündet aber sogleich die Rückführung des Volkes aus allen Ländern, in die es verstreut war und erinnert daran, dass JHWH auch in jenen Völkern sie nicht verlassen habe (Ez 11,16–17).

[7] Cf. S. Herrmann: Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (1980), 343–344.

[8] Cf. R. Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 2 (1987): Jeremias Brief an die Exilierten (Jer 29,1.4–7.10–14), 276–292: 277.

[9] Cf. T. Wagner: Exil/ Exilszeit (2007), S. 18f.

[10] Cf. T. Wagner: Exil/ Exilszeit (2007), S. 32.

[11] Jürgen Osterhammel/ Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen (1995; 8., aktualis. Aufl. 2017).

[12] Barbara Schmitz: Geschichte Israels (2., aktualis. Aufl. 2015): (2.5.) Das Leben in Juda, Babylonien und Ägypten (597/ 587–520 v.d.Z.), S. 35–45: 40–41, cf. 43–44.

[13] Cf. Wagner: Exil/ Exilszeit (2007): (2.) Das assyrische Exil, S. 2–12.

[14] S. Rudolf Kassel: Untersuchungen zur griechischen und römischen Konsolationsliteratur (1958); Peter von Moos: Consolatio. Studien zur mittellateinischen Trostliteratur über den Tod und zum Problem der christlichen Trauer. Vier Bände, Münstersche Mittelalter-Schriften 3 (1971/ 1972); Trost der Philosophie. Boethius. Lateinisch und deutsch, hg. v. Ernst Gegenschatz (2., überarb. Aufl. 1969). Boethius (ca. 480–ca. 524) bedient sich aller damals bekannten philosophischen Genera; Philosophie war nach langer Haft sein großer Trost; cf. Lexikon antiker Autoren, hg. v. Oliver Schütz (1997): Boethius, 143–145.

[15] Wilhelm Gesenius‘ hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament (12. Aufl. 1895), pdf, S. 491f; op. cit., hg.v. Rudolf Meyer/ Herbert Donner, Bd. 2 (181995); zit.n. W. Gesenius: op. cit. (161915), 497–498.

[16] Gesenius: op.cit., S. 491; cf. http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/36214/ Peter Riede: Trost / Tröster / trösten, wibilex (2014), S. 1.

[17] Riede: Trost / Tröster / trösten (2014), S. 1.

[18] P. Riede (2014), S. 1; es folgt Ps 25,17.

[19] H.-J. Hermisson: Deuterojesaja (2017): (3.) Der Prophet, S. 12.

[20] S. Christina Ehring: Die Rückkehr JHWHs: Traditions- und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Jesaja 40,1 – 11, Jesaja 52,7 – 10 und verwandten Texten, WMANT 116 (2007).

[21] Der doppelte Ruf bei DtJes 40,1 zeugt von einer starken Akzentuierung: Das Volk soll umfassend getröstet werden; es hat im Exil auch stark gelitten; R. Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 3 (1988), 197.

[22] Der Internist Dr. Paul Becker von der Internationalen Gesellschaft für Sterbebegleitung und Lebensbeistand (IGSL-Hospiz e.V.), gegr. 1986, https://www.igsl.de/ publiziert im Team hilfreiche Erfahrungen; sie haben immer wieder auch praktische Hilfen in der Ausbildung angeboten. Dr. Becker erzählte auch von seinen Erfahrungen.

[23] Konkordanz zum hebräischen Alten Testament (BH R. Kittel, Masoretischer Text, unter Mitwirkung v. L. Rost), ausgearb. u. geschr. v. Gerhard Lisowsky (1958), s.v. נחם, S. 918–919; Riede: Trost / Tröster / trösten (2014), S. 2–5.

[24] Cf. R. Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 3 (1988), 197–198.

[25] S. Andreas Scherer: Lästiger Trost. Ein Gang durch die Eliphas-Reden im Hiobbuch, BThSt 98 (2008).

[26] R. Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen 3 (1988), 207 („Wegweisung für unsere Zeit“).

[27] Sinnloses Leiden, zit. n.  Nietzsche and Levinas. „After the Death of a Certain God“, hg. v. Jill Stauffer/ Bettina Bergo (2009): (9) Beyond Suffering I Have No Alibi (David Boothroyd), 150–164: 150: Useless Suffering; cf. The Provocation of Levinas. Rethinking the Other, hg. v. Robert Bernasconi (1988).

[28] Cf. The Cambridge Companion to Levinas, hg. v. Simon Critchley/ Robert Bernasconi (2002): Evil and the temptation of theodicy (Richard J. Bernstein), 252–267: 257–258.

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