Deuteronomium 4,5-20

Deuteronomium 4,5-20

WortGott | Israelsonntag, 10. Sonntag nach Trinitatis | 13.08.2023 | Dtn 4,5–20 | Christoph Kock |

  1. Famous last words

Was bleibt? Mose fasst es zusammen. Bald wird er sterben und das Volk wird ohne ihn das Ziel erreichen. Bald wird er nicht mehr da sein und sie werden im verheißenen Land leben. Die Frage ist nur, wie. Ohne seine Leitung, seinen Rat, seinen Draht zu Gott. Mose nimmt Abschied und spricht darüber, was ihm am Herzen liegt. Worauf es ihm ankommt. Was er Gottes Volk mit auf den Weg gibt. So entsteht ein ganzes biblisches Buch. Das 5.Buch Mose. An dessen Ende ist Mose tot. Vorher redet er. Zu den Menschen, die mit Gott verbunden und so zum Volk Israel geworden sind. Mose erinnert, ermahnt, ermutigt. Fasst zusammen, was bleiben. Und wir hören zu. Im 5. Buch Mose im 4. Kapitel.

5 Ich habe euch die Gesetze und Bestimmungen gelehrt,

wie es mir der HERR, mein Gott, befohlen hat.

Handelt danach in dem Land, in das ihr kommt!

Ihr sollt es in Besitz nehmen.

6 Befolgt die Gebote und handelt danach!

Denn darin liegen eure Weisheit und euer Verstand,

was den anderen Völker auffallen wird.

Sie werden von allen diesen Gesetzen hören

und dann über euch sagen:

»Wie weise und vernünftig ist doch dieses große Volk!«

7 Urteilt selbst:

Welches Volk ist ein so großes Volk und hat Götter,

die ihm so nahe sind wie uns der HERR, unser Gott?

Wir beten zu ihm und er hört uns.

8 Welches andere große Volk hat Gesetze und Bestimmungen,

die so gerecht sind wie unsere?

Nur wir haben diese ganze Weisung,

die ich euch heute verkünde.

II. Weise und vernünftig

Gott ist Israel nahe in den Geboten. In der Tora, den fünf Büchern Mose. Die jüdische Tradition zählt darin 613 Gebote. Dazu gehören die Zehn Gebote und noch 603 andere. Gott hat sie gegeben, damit sie befolgt werden. Sie sorgen dafür, dass Israel Israel bleibt. Sie sind weise und vernünftig, haben Ausstrahlungskraft über Israel hinaus. „Die anderen Völker werden euch für die Gebote bewundern“, sagt Mose.

Liebe Gemeinde, in Deutschland gibt es über 1700 Jahre jüdisches Leben. Wovon Mose träumt, kann man in diesem Zeitraum lange suchen. Über weite Strecken ist diese Geschichte von Feindschaft und Ausgrenzung geprägt. Christen und Christinnen haben gelernt, die Tora zu verachten – obwohl sie doch Teil ihrer eigenen Bibel ist. Bewunderung – Fehlanzeige.

Und doch gibt es dafür allen Anlass. Ein Beispiel vom Anfang unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Art 1 (1).

Wo kommt dieser Gedanke her? In der Geschichte politischer Ideen war man davon überzeugt, er sei dem antiken Griechenland oder dem Christentum zu verdanken. Das sei, meint Micha Brumlik, zumindest ergänzungsbedürftig. Er macht geltend, dass jüdische Gelehrte schon im 2. Jahrhundert „das Prinzip der Würde des Menschen einschließlich des Prinzips seiner Individualität gekannt und aktiv propagiert [haben], und das zu einer Zeit, als das den Vätern der Kirche noch keine Erwähnung wert war. So lesen wir etwa in der Mischna Sanhedrin aus dem zweiten Jahrhundert: »Und zu bezeugen die Größe des Heiligen, gelobt sei er, dass ein Mensch so viele Münzen mit einem Stempel prägt, und alle gleichen sie einander, aber der König aller Könige, gelobt sei er, prägt jeden Menschen mit dem Stempel des ersten Menschen und nicht einer gleicht dem anderen …« (IV, 5).“[1] Gott schafft den Menschen – als einmaliges Wesen. Daraus speist sich seine Würde.

Ein für unsere Demokratie zentraler Begriff auch entstanden durch jüdische Auslegung der Gebote Gottes? Anlass genug, mit den Augen des Moses auf die Tora und ihre Auslegung zu schauen.

III. Sich erinnern und darüber reden

9 Pass auf, Israel, und achte gut auf dein Leben!

Vergiss die Ereignisse ja nicht,

die du mit eigenen Augen gesehen hast!

Behalte sie ganz fest in deinem Herzen

dein ganzes Leben lang!

Erzähl deinen Kindern und deinen Enkeln davon!

10 Vergiss nicht den Tag,

an dem du vor dem HERRN, deinem Gott, gestanden hast.

Damals, am Horeb, gab er mir den Auftrag:

»Hol mir das Volk zusammen!

Sie sollen hören, was ich selbst ihnen sagen will.

So lernen sie,

mir jeden Tag mit Ehrfurcht zu begegnen,

so lange sie auf der Erde leben.

Das sollen sie auch ihren Kindern beibringen.«

Mose kommt es darauf an, dass sich die Israeliten und Israelitinnen erinnern. An den Auszug aus der Sklaverei. An den Bund, den Gott mit ihnen geschlossen hat. An die Gebote, von Gott gegeben. Erinnere dich und erzähle davon. Wenn du diese Erinnerungen verschweigst, endet die Zukunft. Wo du sie an die nächsten Generationen weitergibst, fängt sie immer wieder an. Mit jedem Passafest wird sie gefeiert. Verschiedene Generationen sitzen zuhause am Tisch und kommen miteinander ins Gespräch. „Warum ist diese Nacht anders als alle übrigen Nächte?“,[2] fragt das jüngste Kind. In der Antwort wird an den Auszug aus der Sklaverei erinnert, und zwar so, als ob die Feiernden selbst dabei gewesen wären. Von dieser Befreiung muss erzählt werden, damit sie gegenwärtig wird.

Ein Grundmuster für biblisches Erzählen, an dem sich Christinnen und Christen orientieren. An Ostern beginnen viele Gottesdienste mit einem wechselseitigen Gruß: „Der Herr ist auferstanden!“ Auf diesen Zuruf antwortet die Gemeinde: „Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Was so unglaublich ist, muss ausgesprochen, sich gegenseitig gesagt werden, allem berechtigten Zweifel zum Trotz. Wie in den ersten Ostergeschichten. So macht die inszenierte Erinnerung das Evangelium gegenwärtig, verbindet über Generationen hinweg, eröffnet Zukunft.

  1. Die Bibel ist ein Hörbuch

11 Also seid ihr näher gekommen,

bis ihr am Fuß des Berges versammelt wart.

Der Berg stand in Flammen, bis zum Himmel loderten sie.

Ringsum waren Dunkelheit, Wolken und Finsternis.

12 Da redete der HERR, euer Gott, zu euch,

mitten aus dem Feuer hörtet ihr ihn sprechen.

Ihr konntet den Klang seiner Stimme hören,

aber eine Gestalt habt ihr nicht gesehen.

Da war nur diese Stimme.

13 Er verkündete euch seinen Bund,

den ihr halten sollt – die Zehn Worte.

Die schrieb er auf zwei Tafeln aus Stein.

14 Mir befahl der HERR damals,

euch die Gesetze und Bestimmungen zu lehren.

Die sollt ihr im versprochenen Land halten,

in das ihr hinüberzieht, um es in Besitz zu nehmen.

Mose erinnert an die entscheidende Begegnung mit Gott am Sinai bzw. Horeb, wie der Berg im 5. Buch Mose meistens heißt. Was es dort zu sehen gab, war beeindruckend. Ein Berg in Flammen mitten in der Finsternis. Aber Gott war nicht zu sehen. Gott war zu hören, der Klang von Gottes Stimme. Das, was Gott gesagt hat. Mose betont:

Da redete der HERR, euer Gott, zu euch,

mitten aus dem Feuer hörtet ihr ihn sprechen.

Ihr konntet den Klang seiner Stimme hören,

aber eine Gestalt habt ihr nicht gesehen.

Da war nur diese Stimme.

Gott bringt sich zu Gehör. Gott ist ein WortGott. Gott kommt zur Sprache, nicht vor Augen. Und Glaube kommt aus dem Hören. Obwohl der Mensch doch besser sieht als hört, wie viele meinen. Der Mensch sei eben ein Augentier. Jetzt kommt es darauf an, genau hinzuhören. Gott verzichtet darauf, sich in einer Gestalt zu zeigen. Gottes Stimme dagegen kann sich durchaus sehen lassen. In beeindruckenden Begleiterscheinungen. Gott bewahrt damit einen Abstand, lässt sich nicht auf ein Bild festlegen. Weil Gott die Freiheit am Herzen liegt. Deshalb ist die Bibel ein Hörbuch, das Bilder in den Köpfen der Hörenden entstehen lässt, ohne ein Bild vorzugeben.

Was der Mensch dagegen sieht, will er in Händen haben und festhalten. Das zeigt jede Baumarktwerbung. Selber sehen, selber machen, selber haben.

15 Passt gut auf, achtet auf euer Leben!

Denn ihr habt keine Gestalt gesehen,

als der HERR, euer Gott, zu euch sprach.

Am Horeb sprach er mitten aus dem Feuer.

16 Es wäre verhängnisvoll,

wenn ihr euch ein Bild von Gott macht:

Macht euch keine Nachbildung,

keine männliche oder weibliche Götterfigur!

17 Macht euch kein Abbild

eines Tieres, das auf der Erde lebt,

oder eines Vogels, der am Himmel fliegt!

18 Macht euch auch kein Abbild eines Kriechtieres

oder eines Fisches, der unten im Wasser lebt!

19 Lass dich auch sonst nicht verführen:

Du richtest die Augen Richtung Himmel

und siehst Sonne, Mond und Sterne?

Du siehst das ganze Heer des Himmels?

Dann bete sie nicht an und verehre sie niemals!

Denn der HERR, dein Gott, hat sie anderen gegeben:

Andere Völker unter dem Himmel mögen sie anbeten.

20 Aber der HERR hat euch genommen

und aus Ägypten geführt.

Dieses Land wirkte auf euch wie ein Schmelzofen.

So wurdet ihr Gottes eigenes Volk, sein Eigentum.

Das seid ihr auch heute noch.

  1. „Wenn’s gut werden muss“

Jetzt die Warnung. Vor Göttern aus dem Baumarkt. Alle selbst gemacht. Aber gar nicht gut. Der Mensch ist dafür anfällig. Sich auf ein Bild festzulegen und es zu vergöttern. Sich davon abhängig zu machen. Wohin das führt, konnte ich in Nürnberg während des letzten Kirchentages sehen. „Heil“ verbunden mit dem Namen eines Menschen, der sich Führer nennen ließ. Was von der Kulisse der Reichsparteitage übergeblieben ist, lässt das Ausmaß dieses deutschen Kultes erahnen. Die Gebäude sind eine Bürde für die Stadt. Wohin die Anbetung dieses Gottesbildes geführt hat? An und in einen Abgrund.

Die Warnung des Moses ist nur zu berechtigt. Finger weg von Gottesbildern. Gott ist weder Mann noch Frau. Gott ist weder cis noch trans. Gott hat keine sexuelle Orientierung. Gott ist weder ein Tier noch ein Gestirn am Himmel. Gott ist eben Gott, bleibt anders als gedacht, legt sich quer. Um der Freiheit willen.

Der eine, unverfügbare Gott. Ein beeindruckendes Geheimnis, das zur Weisheit der Tora gehört und mit Befreiung verbunden ist. Gott hat euch aus der Sklaverei geführt, Menschen, deren Herkunft sich im Dunkeln verliert, ohne Status, ohne Rechte, Repressalien und Willkür ausgesetzt. Dahergelaufene Sklavinnen und Sklaven. Gott hat euch befreit und so seid ihr das geworden, was ihr seid: Gottes eigenes Volk, Gottes Eigentum. Mit Ausstrahlung. Das bleibt.

Lieder:

  • EG 295: „Wohl denen, die da wandeln“
  • EG 577: „Kommt herbei“
  • RWL 680: „Im Lande der Knechtschaft“
  • WortLaute 103: „Wer macht uns Hoffnung“ (deutscher Text)

Schuldbekenntnis:

Einziger Gott,

du hast dein Volk Israel erwählt,

damit dein Segen unter die Völker komme.

Das haben Christen oft verdrängt.

Sie haben Juden verachtet und ausgegrenzt,

ja sogar verfolgt und ermordet.

Vor allem in unserem Land,

auch in unserer Stadt.

Seit 1943 gibt es Wesel nur noch jüdische Gräber.

Gott, wir klagen dir das Unrecht,

das hier geschehen ist.

Wir klagen dir das Leid,

das Christen und Christinnen über ihre jüdischen Mitbürger gebracht haben.

Die wenigsten, weil sie an ihrer Verfolgung und Ermordung beteiligt waren.

Die meisten, weil sie dazu geschwiegen haben.

Gott, wir klagen dir die Geschichte,

in der wir stehen.

Herr, erbarme dich.

weitere Gebete: Silvia Bukowski/Jochen Denker/Holger Pyka, Worte finden. Neue Gebet für Gottesdienst und Alltag, Neukirchen-Vluyn 2021, S. 42–43.

[1]                Micha Brumlik, Tora und Grundgesetz, in: Jüdische Allgemeine, 10.09.2013: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/tora-und-grundgesetz/

[2]                Chajm Guski, Die Haggadah, 24.03.2023: https://www.talmud.de/tlmd/die-online-haggadah/

de_DEDeutsch