4. Mose 11,11-12.14-17.24-25

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4. Mose 11,11-12.14-17.24-25

Die Anwesenheit Gottes: Die Heilige Geistwirkung | Pfingstmontag | 06.06.22 | 4. Mose 11,11-12.14-17.24-25(26-30) | Rainer Kopisch |

„Pfingsten“, 1909 Öl auf Leinwand 87 x 107 cm von Emil Nolde            © Nolde Stiftung Seebüll

Liebe Gemeinde,

wir leben in einer Welt von Begeisterung. Ergriffensein von Ideen und Wünschen scheint wie die innere Bestätigung eines Lebenssinnes zu sein. Das eigene Leben wird durch die Teilnahme an der ansteckenden Begeisterung anderer Menschen von Energie erfüllt. Unser Leben wird weit und unser Wille zum neuen Lebenssinn kräftig.
Als Emil Nolde dieses Pfingstbild malt, ist er ergriffen von der Geschichte, die er aus der Apostelgeschichte des Lukas seit Kindertagen kennt. Da er die Bibel schon als junger Mensch intensiv gelesen hat, kennt er auch aus den Mose-Geschichten den Bericht über die Ausschüttung des Geistes Gottes auf die 70 von Mose erwählten Ältesten des Volkes, der in diesem Kirchenjahr der Predigttext zum Pfingstmontag ist. Diese Geschichte zeigt, dass Pfingsten als Ausgießung des Geistes Gottes auf Menschen, die zunächst in Verzückung geraten, aber sich dann in den Dienst Gottes stellen, eine Tradition des Volkes Israel ist, die das Christentum aus dem Judentum übernommen hat.

Die alttestamentliche Geschichte erzählt davon, wie es ist, wenn Gottes Geist über Menschen kommt. Diese Geschichte stammt aus einer Textquelle, deren Autor von den Exegeten unter den Theologen mit dem Namen Jahwist benannt wurde, weil er Gott Jahwe nannte. Die Redaktion des Alten Testamentes hatte seine Quelle mit einer anderen Textquelle zusammengesetzt, die vom Weinen und Jammern nach den Fleischtöpfen in Ägypten erzählt. Die Kommission, die die Ordnung der Predigttexte erstellt hat, trennte die beiden Quellen durch ihre Versauswahl wieder.

Eines war damals der Redaktion des Alten Testamentes klar: Das Volk Israel war nicht begeistert von seinem Marsch durch die Wüste Sinai. Die Fleischtöpfe Ägyptens sind sprichwörtlich geworden, nach denen sich das Volk in der Wüste zurücksehnte. Das Weinen und Jammern des Volkes setzt Mose erheblich zu.

Darauf bezieht sich unser Predigttext aus diesem Textauswahl von 4. Mose 11, ab 11:

„11 Mose sprach zum Herrn: Warum bekümmert du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? 12 Habe ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trage es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? 14 Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. 15 Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss. 16 Und der Herr sprach zu Mose: Sammle mir 70 Männer aus unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, 17 so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volkes tragen und du nicht allein tragen musst. 24 Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des Herrn und versammelte 70 Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. 25 Da kam der Herr nieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von seinem Geist, der auf ihm war und legte ihn auf die 70 Ältesten. Und als der Geist auf Ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf. 26 Es waren aber noch 2 Männer im Lager geblieben; der eine hieß Eldad der andere Medat. Und der Geist kam über sie, denn sie waren auch aufgeschrieben, jedoch nicht hinausgegangen zu der Stiftshütte, und sie gerieten in Verzückung im Lager. 27 Da lief ein junger Mann hin und sagte es Mose und sprach: Eldad und Medat sind in Verzückung im Lager.
28 Da antwortete Josua, der Sohn Nuns, der dem Mose diente von seiner Jugend an, und sprach: Mose, mein Herr, wehre ihnen! 29 Aber Mose sprach zu ihm: Eiferst du um meinetwillen? Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn Propheten wären und der Herr seinen Geist über Sie kommen ließe! 30 Darauf kehrt der Mose zum Lager zurück mit den Ältesten Israels.“

Was behalten wir von dieser Geschichte? Gottes Geist bewirkt, dass Menschen befähigt werden, für die Gemeinschaft, in der sie leben, in Gottes Sinne Verantwortung übernehmen zu können. In der alttestamentlichen Geschichte wird von Verzückung und prophetischem Reden der Menschen berichtet, die vom Geist Gottes erfasst werden.

Wie sah das aber bei der Zusammenkunft der Jünger Jesu aus, als der Heilige Geist über sie kam?

Der Maler Emil Nolde aus dem nordischen deutsch-dänischen Grenzgebiet hat 1909 nach seinem Bild „Abendmahl“ auch das Bild „Pfingsten“ gemalt. In der Predigt zum Gründonnerstag 2022 habe ich auf seine besondere Botschaft von der „Gemeinschaft im Abendmahl“ aufmerksam gemacht. Wir sehen heute im Pfingstbild wieder die Gemeinschaft der Jünger, aber jetzt im Heiligen Geist.

Die Person im Mittelpunkt ist jetzt Petrus, der die Rolle des Sprechers der Jünger übernimmt. Seine Hände sind auf der Mitte des Tisches aufgestellt und sehen aus, als würden sie etwas Kostbares bergen. Wenn Sie ihre Hände so mit dem Hohlraum halten, spüren sie etwas wie eine Energie, die langsam an Kraft gewinnt. Auch den Jüngern sieht man die Ergriffenheit an. Feuerzungen sind auf ihren Köpfen zu sehen und bald werden sie aufstehen und zur Menschenmenge aus aller Herren Länder von den großen Taten Gottes predigen, so dass alle sie in ihrer eigenen Muttersprache verstehen.

Menschen sammeln sich zu einem Neuanfang, einem neuen Weg mit Gott. So wie Mose seine Mitarbeiter mit Gottes Geist zum Weg ins gelobte Land berufen hat, hat auch Jesus seine Jünger zur Mitarbeit auf dem Weg ins Reich Gottes berufen. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung aber werden die Jünger erst durch die Ausgießung des Heiligen Geistes selbstständig und eigenverantwortlich.
Die Geschichte Gottes mit seinen Menschen ist lang und hat eine Tradition, die sich entwickelt.
Wenn wir es genau ansehen – und das sollten wir ab heute tun – haben wir mit einer Tradition zu tun, die sich aus der Herrschaft Gottes zu einer Demokratie der Gottbegeisterten entwickeln kann.
Unsere Aufgabe als Christinnen und Christen ist, zuerst bei uns selbst die Geister erkennen zu lernen, die uns Menschen beherrschen wollen. Gottes Geist ist leicht zu erkennen, denn er macht uns frei, mutig und selbstverantwortlich in unserem Tun.

Ein kleine Geschichte dazu:

Ein kleiner 3-jähriger Junge saß mit seiner Mutter im Sommer 1944 ein Jahr vor Ende des schrecklichen Weltkrieges im Seebad Kolberg zur Mittagszeit in einem Keller-Restaurant.

In den Händen hielt er eine der kleinen Papierfahnen mit einem Hakenkreuz, die auf der Straße verteilt wurde.

Durch die Fenster konnte man auf dem Gehweg vor dem Haus nur die Beine der vorübergehenden Menschen erkennen. Plötzlich waren von draußen ein lauterwerdender Gesang und Marschieren im Gleichschritt zu hören. Zuerst war die Fahne zu sehen, die der Kolonne vorangetragen wurde. Laut war zu hören:

„Unsere Fahne flattert uns voran,  …“, das Kampflied der Hitlerjugend.

Kaum war die Kolonne vorüber, hielt der kleine Junge seine Papierfahne mit beiden Händen in die Höhe und rief: „Die Fahne hoch!“ Gleich darauf zerriss er die Fahne und rief: „Die Fahne runter!“, und hielt die Teile unter den Tisch. Er sah in die Runde. Seine Mutter sah er erbleichen und schnell in die Runde sagen, dass er doch nur ein kleiner vorlauter Junge sei.

Welch ein prophetischer Geist damals in den kleinen Jungen gefahren ist, wissen wir nicht, aber er war ganz begeistert von seiner Tat und fühlte sich kräftig.

Heutzutage ist von uns zu erwarten, dass wir dem Erschreckenden in unserer Welt nicht sprach- und tatenlos zusehen. Wichtig ist, die Geister zu erkennen, die Menschen verführen und unter ihre Macht und ihren Einfluss zu bringen versuchen. Das hat eine lange Tradition in der menschlichen Geschichte. Wir kennen alle Beispiele dafür. Standhalten üben, können wir zum Beispiel bei der Werbung, die versucht uns überall und zu aller Zeit zu erreichen.

Der erste Trieb, der uns selbst in den Rücken fällt, ist: Haben Wollen. Auf diesen Trieb zielt gut informiert die Werbung. Sie verschärft ihn in: Haben Müssen. Wir Menschen selbst haben uns unsere Lage selbst zuzuschreiben. Die entscheidende Frage dazu ist: Was brauchen wir und auf was können wir verzichten?

Was bleibt uns: Suchen wir nach dem Geist Gottes in dieser Welt. Er ist leicht zu finden, wenn wir nicht von Geistern besessen werden, die uns unseren gesunden Menschenverstand, unsere Hoffnung und unseren Gottesglauben genommen haben.

Suchen wir nach der Liebe Gottes in dieser Welt. Eigentlich begegnen wir der Liebe Gottes in jedem Menschen, denn Gott liebt sie alle. Vergessenen Sie nicht: Wir alle sind verführbar, solange wir in dieser Welt leben.

Kämpfen Sie nicht gegen die Versuchung, sondern seien Sie Ihr dankbar, dass sie Sie auf Ihre Schwachstellen aufmerksam macht.

Machen Sie sich ein Programm: Was brauche ich wirklich und was kann ich gut entbehren?

Laden Sie den Heiligen Geist ein, bei Ihnen zu sein. Sie werden erstaunt und glücklich sein mit ihm.

Amen

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Pfarrer i. R. Rainer Kopisch

Braunschweig

E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

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Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage und die Publikation Hans Werner Hoffmann, Alttestamentliche Texte der Predigtreihe IV philologisch erschlossen (Akademische Verlagsgemeinschaft München), benutzt.

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Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,

Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,

letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit:

langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche,

Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen,

Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD, Mitglied in der Fuldaer Runde.

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Seit Beginn meines Ruhestandes vor 15 Jahren schreibe ich Predigten im Portal der Göttinger Predigten. Diese Arbeit ist mein Dank für die Liebe Gottes, die mich in meinem Leben begleitet hat.

Roonstr. 6
38102 Braunschweig
rainer.kopisch@gmx.de

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Bildnachweis: Emil Nolde „Pfingsten“, 1909 Öl auf Leinwand 87 x 107 cm (Wvz. Urban 318)   © Nolde Stiftung Seebüll

Bild in Berlin:

https://www.facebook.com/photo/?fbid=1100134253341285&set=emil-nolde-pfingsten-gem%C3%A4lde-1909-im-besitz-der-staatlichen-museen-zu-berlin-pre

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Bitte nehmen Sie die Forschung zu Emil Nolde zur Kenntnis:

Bernhard Fulda zu Noldes Antisemitismus mit einer Bemerkung zu England (Jüdischer Kapitalismus):

https://www.dw.com/de/weder-nolde-noch-schmidt-rottluff-merkel-verzichtet-auf-gem%C3%A4lde/a-48242742

https://www.dw.com/de/kritisch-emil-nolde-schau-in-berlin-er%C3%B6ffnet/g-48250375

Ich finde die religiösen Bilder von Emil Nolde im Verständnis der biblischen Botschaft eindrucksvoll.
Braunschweig, den 31. Mai 2022
Rainer Kopisch

de_DEDeutsch