Dieses verflixte ‚mit‘

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Dieses verflixte ‚mit‘

Predigt über 1. Kor. 3, (1.2)9-17 | verfasst von Jochen Riepe |

I

Es geht nur miteinander, aber miteinander geht‘s nur, wenn jeder selbst gehen lernt. ‚Denn wir sind Gottes Mitarbeiter‘ beim Bau des ‚Tempels‘, der Gottes Gemeinde heißt. ‚WirGottes! –Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter‘. Was für ein kostbarer Satz und – ‚mit‘, was für ein kostbares Wort!

II

Der Chef hatte die neue Kollegin eingewiesen, schließlich sagte er lächelnd: ‚Ach ja, wir duzen uns hier. Wir arbeiten partnerschaftlich‘. Jeder würde in seinem Beitrag ernstgenommen. Jeder habe seine Stimme bei der Entscheidungsfindung. ‚Kommunizieren auf Augenhöhe‘ – das ist ein Zauberwort unserer Zeit. Wohlklingender kann man sich vom ‚Von oben herab‘ der autoritären Geister nicht distanzieren und beziehungsstark ein Team motivieren. Dessen Lernkurve wird steil ansteigen und bald Spitzenwerte erreichen.

‚Auf Augenhöhe‘. Warum nur rollen viele Beschäftigte genervt mit den Augen, wenn sie die Losung hören?  Als wollten sie sagen: ‚Na, warten wir den ersten Konflikt ab. Der wird euch aufschrecken!‘

III

Ja, und dann stellt sich einer quer zum Zeitgeist. Intervention in Korinth. Paulus schreibt und die Art, wie er die Gemeinde gerade im 3. Kapitel seines Briefes anspricht, verstört: Ihr wart, als wir uns kennenlernten, ‚unmündige Kinder in Christus‘. Ihr konntet damals nur ‚Milch‘ vertragen, keine ‚feste Speise‘, und, als wäre es nicht genug:  auch ‚jetzt könnt ihr’s noch nicht‘.

Man versetze sich in die Situation, als das der Versammlung vorgelesen wurde. Empörte Zwischenrufe, rote Ohren, gar erhobene Fäuste. ‚Wir infantil … wie Zurückgebliebene‘, rief die Fraktion des Apollos, ‚sind wir doch durch unseren Meister in die Geheimnisse der Gottheit eingeführt worden?‘ ‚Wir könnten nichts Festes vertragen‘ riefen die Petriner: ‚Bildet doch unser Lehrer den Fels, auf dem Gott seine Gemeinde errichtet hat!‘ Und auch die, die Paulus als dem ‚Vater‘(4,15) der Gemeinde nahestanden und sein ‚Gemeinde-Organisationstalent‘* bewunderten, werden gedacht haben: ‚So spricht man nicht mit uns. Das ist übergriffig‘.

IV

‚…auch jetzt könnt ihr’s noch nicht‘. Darf man Menschen in dieser Weise den Spiegel vorhalten? ‚Ihr seid noch nicht reif! Ihr könnt noch nicht sprechen!‘ Paulus schildert seinen Eindruck vom Zustand der Gemeinde. Das klang schon an: Es gab, so war es ihm zugetragen worden,  Gruppierungen und Parteien, (Ab-) Spaltungen in Korinth, die ein reiches spirituelles  Innenleben hatten, die aber untereinander heftig konkurrierten. Nicht verwunderlich: Das führte zu ‚Eifersucht und Zank‘(3,3). Freund oder Feind? Wer hat die Lufthoheit in der geistlichen Deutung der Lage? Wer verfügt über die materiellen Ressourcen? Der ‚Zusammenhalt‘ (1,10) der quirligen, überspannten Gesellschaft am Isthmus war durch innergemeindliche Stammeskriege gefährdet: Wem soll man vertrauen? Und wer spricht für die, die ‚einfach so‘ zur Gemeinde Christi gehören wollten?

Nicht wahr, früher sagte man dazu: Cliquenbildung mit ‚Drang zum Jubeln und Umarmen‘(B. Meinhardt). Urteilswut. Prestigesucht (1,31).  Menschen suchen ihresgleichen. Ihre Seelen hungern nach wohlwollender Bestätigung und nach stärkender Abgrenzung: ‚Wir und Ihr – wir und sie‘. Und wenn dazu noch ein Gruppen-Idol kommt, ein betörender Häuptling, eine erleuchtete Prophetin, heiße er oder sie Apollos, Petrus oder eben Paulus oder Pauline, dann gehen wir fast in die Knie und himmeln den Helden an: Meine Schwäche macht die Starke gut. ‚Wir verstehen uns wortlos‘. ‚Hier nimmt man meine Träume ernst‘. ‚Hier kann ich echt sein‘.

Wo liegt das Problem? Wieso ‚durchkreuzt‘ der Apostel  diesen quasi natürlichen Prozeß?

V

Paulus wäre der Letzte, der an dieser Stelle nicht sensibel einräumte: ‚Das ist eine Gratwanderung – meine Kritik aus der Perspektive des Erfahrenen und Gereiften an den Anfängern des Glaubens‘. Gerade in seiner Korrespondenz mit den Korinthern zeigt sich, wie der Apostel die eigene soz. autoritäre Gefährdung, seine ‚Intervention‘, überführt – in eine sprechende, ‚wertschätzende‘, Beziehung zur Gemeinde, die ein liebevolles (13,1ff) ‚Mit-einander‘  ermöglicht**.

Das ‚mit‘, die gleiche Augenhöhe, das Vertrauen untereinander, ist ja ein Weg, oft genug ein tränenreicher Weg, und nicht einfach Vorgabe. Nicht alles, was so forsch-partnerschaftlich daherkommt, ist es auch in der Praxis. In Konflikten lernt man bekanntlich Menschen – und sich selbst!- erst richtig kennen, auch ihre ‚Eifersucht‘, ihre Unterstellungen, ihre Unfähigkeit, einen Irrtum zuzugeben. Der Chef, der große Lächler, erweist sich plötzlich als ‚aufgebläht‘ (4,18), und das generös gewährte ‚Du‘ kann zum Hindernis für die nötige Distanz werden. Die liberalen, ihrem Sohn so nahen Eltern versagen, wenn es darum geht, ihm Grenzen zu setzen; ihm ‚feste Kost‘ und deutliche Worte vorzusetzen, an denen er wachsen kann. ‚Wir haben es so gut gemeint. Wir wissen nicht weiter. Das Kind kann nicht stillsitzen und dem Unterricht folgen‘.

Dieses verflixte ‚mit‘: eine gemeinsame Sprache finden und doch das Gefälle aus Wissen, Erfahrung und Erkenntnis nicht verschleiern. Unterschiede nutzen. Es geht nur miteinander, aber miteinander geht‘s nur, wenn jeder er selbst sein, oder besser: werden kann. Die ‚Kinder‘ und auch der ‚Vater‘.

VI

Denn wir sind Gottes Mitarbeiter‘, sagt der Apostel, und mit diesem Satz, dieser ‚gehaltvollen Speise‘, tritt er – obwohl fern in Ephesus-  nach vorn ans Rednerpult. Er stellt sich den Protesten der Korinther. Als einer, der die Lage der Gemeinde ‚durchkreuzt‘ und doch, selbst verwundet und verwundbar, das Verbindende sucht, das alle Seiten in eine gemeinsame Welt stellt und soz. ihre     Koexistenz ermöglicht. ‚Mit-arbeiter Gottes‘-  in diesem Wort ist eine Beziehungsebene, ein Sprach-Raum, benannt, der den Kritiker selbst einbezieht, relativiert und befragbar macht: ‚mit‘.

Was kennzeichnet einen solchen Mitarbeiter am Bau des ‚Leibes Christi‘ (12, 12), der das ‚Kindliche‘ ‚abgetan‘ hat (13,11)? Vielleicht zunächst dieses Einfache und doch so Schwere: Er sieht sein Werk und das Werk des anderen. Er läßt es zu und achtet es! Er überwindet seine Eifersucht und erkennt, daß beide, die bescheidenen und die überragenden Beiträge, dazugehören. So wie beim Errichten eines Hauses die Handwerker sich aufeinander beziehen und verständigen müssen, wollen sie nicht in babylonische Verwirrung stürzen. Daß darum alle aber auch begrenzt sind in ihrem Tun und soz. nicht selbst gründungsfähig: ‚Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus‘, heißt der klare und schöne Satz. Wir stehen in der zweiten Reihe: ‚Er, das Haupt, wir seine Glieder,/ er, das Licht, und wir der Schein‘(eg 251.1 ).

Gerade indem Paulus eine allen zuvorkommende und alle tragende Sprache sucht, mindert er den Abgrenzungsdruck der Lager und macht die Mitarbeiterschaft füreinander transparent. Er gibt seiner Autorität einen sachlichen Bezug: Ich habe gebaut und die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, kann ich nicht vergessen. Wohl oder übel, ihr müßt euch dies ‚sagen lassen‘(Jak 3,17). Dann dürft ihr ‚prüfen‘ (1.Thess. 5,21), ‚zubeißen‘, von ‚welcher Art‘ (3,13) meine Bauweise ist. Ob ich ‚Kostbares‘ aus dem ‚Gewöhnlichen‘ (Jer 15,19) hervorgebracht habe, und ob ihr ‚meinemBeispiel‘(4,16) folgen wollt. Jeder Christ geht seinen Lernweg, ja, und auch ein ‚Vater‘, ein ‚weißer alter Mann‘, kann ‚in Christus‘ ein weiser alter Mann werden.

VII

Darauf will der Apostel ja hinaus: Daß wir, ein jeder, Christus ‚gleichwerden‘(Phil 3,21). Zur ‚Freiheit befreit‘ (Gal 5,1). Ein Weg, der nicht selbstherrlich isoliert, sondern dem Bau der Kirche des Wortes zugutekommt. Vor ihm, dem Verwundeten, knien wir nieder und vor sonst niemanden. Gruppenstolz – ‚Wir gehören zur Avantgarde‘-  und die Verehrung von Heroen hemmen diesen Lernprozeß.

Gewiß:  ‚Gruppen und Kreise‘ tragen vielfach das gesellige und geistliche Leben einer Kirchengemeinde. Ein kluger, zugewandter ‚Leiter‘ tut gut. Ein Zirkel, ein Verein, eine Partei oder Aktionsgruppe geben Heimat. Aber sie  können auch verhindern, daß wir erwachen und vom ‚Schlafe aufstehen‘ (Röm 13,11). ‚Konsensmilch‘ für alle, alles vorhersehbar, wie schön, aber was ist, wenn einer abweicht? Man nennt es ‚Gruppenzwang‘  oder ‚Schweigespirale‘ (E. Noelle-Neumann): Meinungsführer bestimmen, die Gefolgschaft bleibt stumm – aus Furcht, ausgeschlossen zu werden und Nachteile zu haben. ‚Infantil‘ bedeutet wörtlich: nicht-sprechend.

Wie ist es, wenn es einen Konflikt gibt? Begegne ich dir als Person, als einer Schwester oder einem Bruder in Christus? Oder begegne ich einem Mißgünstigen und Mißmutigen, der ‚ergrimmt‘(Gen 4,5), weil der Beitrag des anderen dem eigenen überlegen ist? ‚Wer ist nun Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie‘, Mitarbeiter, die jeder ihren Beitrag gegeben haben. Gott wird urteilen, ‚wie das Werk beschaffen ist‘.

VIII

Dieses verflixte ‚Mit‘. Ja, es gibt ‚Starke‘ (Röm 15,1), die lächelnd eine Art medialer Lufthoheit über unsere Kirche genießen. Gemieden wird ‚der mit der falschen Haltung‘… ‚mag er doch den Raum verlassen – uns bleiben die ‚wirklich Überzeugten, … die Elite‘***‘. ‚Eins tut not‘: ‚Feste Speise‘. Ohne ‚Menschenfurcht und Zagen‘ (G. Arnold) das ‚kämpferische‘(9,25) Miteinander im Leben des, ja, konfliktreichen Leibes Christi. Die Anerkennung des ‚gemeinsamen Bandes‘, des ‚gemeinsamen Raums‘****. Vertrauensbildung im Einzeichnen des Kreuzes in den Tempel Gottes.

Paulus ist in seiner Korrespondenz mit den Korinthern auf diesen Lernweg geraten. Als ein leidenschaftlicher ‚Narr‘(4,10), unter Tränen, streitbar, bitter und dann wieder konziliant, dankbar und um Liebe werbend.  Ob man Regeln fand, den Streit zu klären, und sich daran hielt?  Die ‚Augenhöhe‘ des an den Marterpfahl geschlagenen Messias haben der Apostel dabei -und hoffentlich auch die Korinther- verstörend und beglückend erfahren.

WirGottes!- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein kostbarer, ein – köstlicher Satz.

(Gebet nach der Predigt:) Herr Jesus Christus, du siehst uns an. Lehre, das Wort vom Kreuz zu hören und mache uns stark in seiner Erkenntnis. Gib den rechten Geist, am Bau deiner Gemeinde mitzuwirken. Prüfe unser Tun und bewahre deine Kirche vor Hochmut, Eifersucht und Eitelkeit. Wehre du aller Urteilssucht und schenke den langen Atem deiner Liebe, die jeden als Person ruft.

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Liedvorschläge: eg 251  (Herz und Herz vereint zusammen); eg 388,6.7 (O Durchbrecher aller Bande, Vers 5 der alten Fassung ( ‚weg mit Menschenfurcht und Zagen‘) fehlt leider im heutigen eg); Du bist das Brot, das den Hunger stillt: https://www.youtube.com/watch?v=08_lm81Zqv0

*G. Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth. Versuch einer Einheitsdeutung,  in: W. Kraus (Hg.) Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, 2009, S. 277ff  **M. Crüsemann, Trost, charis und Kraft der Schwachen. Eine Christologie der Beziehung nach dem zweiten Brief der Gemeinde in Korinth, in: M. Crüsemann/ C. Jochum-Bortfeld (Hg.), Christus und seine Geschwister, Gütersloh 2009, S. 114 ***G. Thomas, Gebrauchsanleitung für das Endspiel(I), https://zeitzeichen.net/node/8424  ****Ph. Manow, (Ent-) Demokratisierung der Demokratie, 2020, S.154.https://wjpatzelt.de/2020/06/13/kirchentag-und-afd/ Manow fragt im politischen Zusammenhang: ‚… müssten wir nicht gerade mit den Gegnern der Demokratie so reden, als wären sie keine?‘(150)

Pfr. i. R. J. Riepe Dortmund    email: Jochen.Riepe@gmx.net

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