Ein offener Entwurf

Home / Bibel / Neues Testament / 03) Lukas / Luke / Ein offener Entwurf
Ein offener Entwurf

Predigt zu Lukas 9,57-62 verfasst von Udo Schmitt |

  1. Halbzeit-Pause mit Spannungen

Es ist der dritte Sonntag der Passionszeit. Halbzeit also auf dem Weg nach Ostern – Halbzeit auf dem Leidensweg Jesu Christi. Doch was uns die Perikopen-Ordnung an diesem Sonntag beschert hat, ist alles andere als entspannend. Es ist überaus spannend, ja, es führte – und führt – immer wieder zu Spannungen, was wir da gerade gehört haben.

Die Überschrift “Vom Ernst der Nachfolge” klingt ja noch eher harmlos. Dann wird in drei Szenen beschrieben, was es heißt, in der Nachfolge zu stehen bzw. in Jesu Fußstapfen zu treten. Die Botschaft Jesu ist radikal, ja sie ist ein Skandal. Der eine darf sich nicht von seinen Verwandten verabschieden, der andere darf nicht einmal seinen Vater begraben. Lass alles zurück. Brich die Brücken hinter dir ab.

Was Jesus da verlangt, wurde zu allen Zeiten als eine Zumutung empfunden; zu allen Zeiten sind Menschen an diesen Worten hängen geblieben, sind über diese Worte gestolpert, oder waren einfach geschockt: “Das kann er doch nicht verlangen!” Das geht zu weit, – das kann ich nicht! – das kann er doch nicht von mir verlangen!

  1. Annahme verweigert

Machen wir uns keine Illusionen, nicht nur wir stoßen an die Grenzen dessen, was wir verstehen und akzeptieren können. Das ging auch schon den ersten Jüngern so. Denn im antiken Judentum war es eine unabdingbare Pflicht, die eigenen Eltern würdevoll beizusetzen. Sagte nicht Gott selbst in den Zehn Geboten: ‘Du sollst Vater und Mutter ehren’? Diese Pflicht war also heilig!

Und dann diese Antwort: “Lass die Toten ihre Toten begraben.” Man erkennt Jesus gar nicht wieder! Ist ihm denn nichts heilig? Redet hier noch er? Oder hören wir nicht vielmehr den schnoddrig patzigen Ton eines Jungrevolutionärs oder Alt-68ers, der gegen die Konventionen des Establishments rebelliert. Was Jesus da sagte, klang damals schlicht unzumutbar. Und auch heute noch erregt es Widerwillen, Widerstand und Protest.

Vor ein paar Jahren hörte ich mal einen Kollegen zu dieser Stelle predigen. Er wurde, kurz gesagt, auch nicht damit fertig, diesen Anspruch Jesu auf sein Leben zu übertragen. Nicht zu trauern, das hielt er nicht nur für unmöglich, sondern schlicht für falsch, und lehnte schließlich die Worte des Lukas als Unsinn ab. Das kann ich doch nicht. Annehmen. Lieber Jesus. Annahme verweigert.

  1. Radikale und andere „follower“

Nun ja, die Exegeten, die die Bibel historisch auslegen, gehen meistens einen etwas anderen Weg. Sie sagen in etwa Folgendes: Die Forderung, einen radikalen Bruch mit den gesellschaftlichen Konventionen zu vollziehen, beziehe sich nicht auf (uns) alle. Sondern nur auf eine Gruppe von Wanderpredigern, die es in frühchristlicher Zeit gab. Sie zogen durchs Land, um das Evangelium zu verkünden. Sie hatten nur ein Gewand, einen Wanderstab und ein Paar Sandalen dabei. Was sie zum Leben brauchten, mussten sie erbitten oder durch Gelegenheitsarbeiten verdienen.  Es gab aber daneben auch andere Formen der Nachfolge. Maria und Marta etwa, die den Herrn und seine Jünger bei sich aufnahmen und die selbst nicht durchs Land ziehen konnten. Auch sie waren „follower“ des Herrn.

“Ach so”, können wir dann erleichtert ausrufen, das bezieht sich also nicht auf uns, sondern nur auf so ein paar Wanderprediger und Bettelmönche. Erleichtert können wir die Forderung abtun, es sind ja nur irgendwie so frühchristliche Spinner hier gemeint. Aber nicht wir. Entspannt können wir uns zurücklehnen und unser bürgerliches Leben weiterhin genießen. Was immer auch für uns dazu gehört: Haus und Garten, Familie und Kinder, Haustiere und Auto, Kühlschrank und Fernseher, was immer auch für uns dazu gehört, wir dürfen es genießen. Oder? – Stimmt das?

Jetzt fürchten Sie vielleicht, dass ich “Nein” sage. Aber keine Angst, auch ich sage: “Doch”. Wir dürfen es genießen, unser kleines Glück, sicher zu wohnen, gesund zu sein, genug zu essen zu haben, aufgehoben zu sein in einer Gemeinschaft und – womöglich – eine Familie zu haben. All das kann man haben und dennoch dabei ein guter Christ sein, der in der Nachfolge Jesu steht und der dies ernst meint. “Doch” ich darf all das genießen – ohne Wenn und Aber.

  1. Was hülfe es dem Menschen, wenn er sein Leben gewönne

Und doch –„Ernst der Nachfolge“ kann auch heißen, dass ich vor die Wahl gestellt werde, dass ich in eine Situation gerufen werde, in der ich mich entscheiden muss, weil sich das eine mit dem anderen nicht mehr vereinbaren lässt.  Ich möchte dies am Beispiel Dietrich Bonhoeffers verdeutlichen.

Er war ein guter Pfarrer, beliebt bei seinen Gemeinden, er war ein Professor der Theologie, beliebt, ja verehrt bei seinen Studenten, er hatte ein sicheres Auskommen, er hatte eine Verlobte, er hatte die Chance, eine Familie zu gründen, Kinder zu kriegen und noch viele Bücher zu schreiben. Er war schon in Sicherheit vor den Nazis, die ihn verfolgten, sein Schiff hatte Amerika erreicht, er sah schon die Skyline von New York, er hätte nur aussteigen müssen und wäre gerettet gewesen.

Aber was hätte er gerettet? Sein Leben? Gewiss. Seine bürgerliche Existenz? Auch. Aber seine Seele? Da hatte er Zweifel. Und kehrte deshalb wieder um nach Deutschland, um sich am Widerstand gegen Hitler zu beteiligen. Er wollte sein Leben nicht retten, wo so viele ihres im Krieg verloren, er wollte sich nicht selbst retten, wo so viele ermordet wurden in den Lagern.

  1. Lass fahren dahin

Seine Hoffnung auf ein normales Leben, konnte er vergessen, seine Träume vom kleinen stillen Glück, eine Familie und vielleicht Kinder zu haben, musste er begraben. Er hatte nicht einmal die Zeit, sich davon zu verabschieden. Durfte sich nicht schwach zeigen, denn die anderen, seine Mitgefangenen in den Todeszellen brauchten seine Stärke, seine Kraft. Seinem Schicksal und der Gnade Gottes ganz ergeben, musste er es zu sich sagen, was Luther gedichtet hat: “Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib – lass fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn”.

Oder anders gesagt: Er war vor die Wahl gestellt, entweder seine Gesundheit, sein Leben, seine Existenz, sein privates Glück, seinen guten Ruf zu verlieren oder aber seinen Glauben zu verraten. Wie er sich entschieden hat, wissen wir. Er ist den Weg der Nachfolge radikal mit allen Konsequenzen bis zum Ende gegangen. Dies zeigt, dass eine Nachfolge, die mit Familie und bürgerlichem Glück bricht, nicht nur etwas ist, das damals und da galt und nur für ein paar umherziehende frühchristliche Spinner.

Nein, es kann prinzipiell jederzeit passieren, es kann auch heute geschehen, dass ich aus all meinen gewohnten Lebensbezügen herausgerufen werde und in die Entscheidung hineingerufen werde. Dann muss ich mich entscheiden: Bin ich ein Mainstream-Follower oder ein radikaler Bekenner, der notfalls alles aufzugeben bereit ist?

  1. Ein offener Entwurf

Unser Leben als Christen ist also prinzipiell offen. Darauf hin. Es besteht nicht nur aus Kaffee und Kuchen, Frauenhilfe und Kindergarten. So sehr man es mag oder auch nicht. So sehr man dieses Leben genießt – es ist prinzipiell aufgebbar. Der radikale Weg gilt nicht für jeden. Zunächst und zumeist. Aber potentiell kann es jeden treffen. Vielleicht muss man diesen Gedanken erst einmal auf sich wirken lassen. Unser Leben als Christ ist ein Entwurf, der offen ist.

Man soll es sich aber auch nicht wünschen. Die Füchse haben ihre Gruben, die Vögel unter dem Himmel haben ihre Nester. Nachfolge – das kann heißen: allein sein. Um des Evangeliums willen leiden. Sich zu Gott bekennen, das kann heißen: Von den Menschen verachtet werden. Mit mildem Spott: “Oh, Gott, der Ärmste, jetzt ist er religiös geworden und rennt in die Kirche!” Es kann bis zum Äußersten gehen, so wie jetzt in Syrien, im Irak, in Afrika. Menschen werden getötet. Nur weil sie Christen sind. Die meisten Menschen, die momentan aus religiösem Hass verfolgt, vertrieben und ermordet werden, sind unsere Schwestern und Brüder in Christus.

  1. Was können wir tun?

Wir leben in einem reichen Land. Die Antwort ist leicht. Wir sollten unsere Herzen nicht verschließen, und unsere Grenzen und Türen auch nicht für diese Menschen, wenn sie zu uns fliehen. Sie aufnehmen wie Maria und Marta es taten. Wer Flüchtlinge aufnimmt, nimmt Christus selbst auf. Jesus hat gesagt: Was ihr einem von diesen geringsten meiner Brüder angetan habt, das habt ihr mir angetan.

Du sagst dir vielleicht: Was kann denn ich schon tun? Jesus und seine radikalen Jünger, auch Bonhoeffer – schön und gut. Alle toll. Aber alle tot. Und der Weg der radikalen Nachfolge ist mir immer noch drei Nummern zu groß – geht’s nicht auch ein bisschen kleiner?

Ja, auch das geht. Das Bekenntnis ist auch im Alltag möglich, am Arbeitsplatz, in der Familie. Es ist möglich, den Mund aufzumachen, wenn gelästert wird über “die Kirche” – wenn gelacht wird über das, was anderen heilig ist. Wenn der Kirchenaustritt propagiert wird. Dann muss ich nicht mitmachen oder mich wegducken, ängstlich schweigen – sondern kann sagen: Moment mal! Ja, ich. Ich glaube an Gott! – Ja, ich gehe in die Kirche und bekenne mich dazu. Auf die Gefahr hin, dann als eine Art “spätchristlicher Spinner” belächelt zu werden. Aber Jesus hat auch dies gesagt: Wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem will auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wenn wir ihn annehmen für unser Leben, dann will auch er uns annehmen für unser Leben in Ewigkeit.

Liedvorschläge:

Zum Eingang: „Wenn meine Sünd mich kränken“ (EG 82,1-2+6-7),
oder: „Holz auf Jesu Schulter“ (EG 97)

Lied zur Epistel: „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn“ (HuE 282),

Lied nach der Predigt: „Hilf, Herr meines Lebens“ (EG 419),
oder: „Lasset uns mit Jesus ziehen“ (EG 384),

Zum Schluss: „Jesu geh voran“ (EG391),
oder: „Nun ziehen wir die Straße“ (EG 585).

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

de_DEDeutsch