Jesaja 54, 7-10

Jesaja 54, 7-10

Ein Gott, der umkehrt. | Lätare| 19. März 2023 | Jesaja 54, 7-10 | Kira Busch-Wagner |

Liebe Gemeinde,

bestimmt kennen Sie das auch: Sie treffen jemanden aus der Schulzeit, oder zum Konfirmationsjubiläum, Sie kommen miteinander ins Gespräch und haben das Gefühl: es ist wie früher. Als seien nicht Jahre und Jahrzehnte vergangen. Sie sind sich in so vielen Fragen treu geblieben. Solch eine Begegnung ist wie ein Nach-Hause-Kommen. Eine wohltuende Stabilität in all den Veränderungen.

Es gibt auch das Gegenteil. Da sagt mir eine Frau, die davon erzählt, wie es bei ihr in der Familie und in der Ehe derzeit aussieht: „Geheiratet habe ich einen anderen Mann. Der Mann, mit dem ich jetzt zusammenlebe und der, in den ich mich mal verliebt habe – die zwei haben so wenig miteinander zu tun.“ Und sie leidet daran. Für sie eine Veränderung zum Schlechten.

Die Konfis kennen aus ihren Lesebüchern vielleicht die Minigeschichte vom Herrn K. (Bertolt Brecht). Die ist so kurz, dass man doch ein bisschen länger über sie nachdenken muss und geht so:

»Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹ ›Oh!‹ sagte Herr K. und erbleichte.«

„Sie haben sich gar nicht verändert“: Ich möchte das gern als Kompliment hören. Vor allem, wenn ich älter bin als die statistische Lebensmitte. Für den Herrn K. ist das aber höchst beunruhigend. Er hört kein Kompliment, sondern den Hinweis: Du hast dich nicht verändert. Du hast dich gar nicht weiterentwickelt. Du bist in deinem Denken und Handeln einfach stehen geblieben.

Auch in Glaubensfragen, im religiösen Leben ist das problematisch. Wenn die eigene Glaubensentwicklung im Kindergarten oder nach dem Konfi-Unterricht aufgehört hat, dann kneift das irgendwann im Leben wie eine zu eng gewordene Hose.

Wie aber ist das mit dem biblischen Gott? Verändert sich Gott? Passt Gott sich an an unterschiedliche Lebensverhältnisse? Bereut Gott? Oder müsste Gott nicht immer genau derselbe bleiben, damit er Gott ist?

Einige Theologen der frühen Kirche, im 2. und 3. Jahrhundert nach der Auferstehung Christi hatten vor allem die Philosophie von Plato gelernt. Gemäß der griechischen Philosophie müsste Gott perfekt sein, und dafür unendlich, unbewegt, unveränderlich, unbegreiflich. Und wenn die christlichen Philosophie-Theologen dann in die Bibel schauten, fanden sie dort ganz andere Geschichten. Vom Gott Israels, vom Gott Jesu, der sich kümmert. Der in Beziehung steht. Der mitgeht durch die Geschichte. Eine Gottheit, die sich ihrer Mutterliebe rühmt (Jes 49, 15f), die wie eine Gebärende schreit (Jes 42,14), um sich Gehör zu verschaffen. Eine Gottheit, die immer wieder neu anfangen will, die bereut. Dergleichen konnte so sehr irritieren, dass manche Theologen die Bibel unzureichend empfanden gegenüber dem klaren, strukturierten System der Philosophie. Und lieber Kritik an der Bibel übten als an der Philosophie.

Lassen Sie uns hören auf einen Ausschnitt aus dem Jesajabuch, der uns heute aufgetragen ist zu bedenken. Um über Gott und ob Gott sich verändert, noch einmal nachzudenken..

Das Prophetenbuch Jesaja gibt im 54. Kapitel Gottes Worte folgendermaßen weiter:

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Gott redet hier durch den Propheten sein Volk an. Die beiden stehen offenbar in naher und enger Beziehung. Auch wenn es ein Gefälle gibt. Und es ist deutlich: Es muss einen Streit gegeben haben, eine Auseinandersetzung. Das hört man bei dem Abschnitt heraus. Und, sehr erstaunlich: das Zerwürfnis, was da noch im Hintergrund schwelt, macht Gott fertig, trotz allem Unterschied zwischen den beiden. Die Auseinandersetzung lässt Gott ganz mürbe werden. Gott liegt daran, die Differenzen wieder zu beseitigen. Gott leidet am Abstand. Gott sucht neu nach Verbindung. Gott macht den ersten großen Schritt. Der Gott Israels ändert sein Verhalten: ich habe mir geschworen, nicht mehr über dich zu zürnen. Der Gott, den der Prophet verkündet, verpflichtet sich: „meine Gnade soll nicht weichen“. Was ist das für ein Gott!

In unserem Ausschnitt zitiert Gott selbst die Schrift, erinnert an die Geschichte von Noah und wie er, Gott, umkehrte und sich selbst an die Kandare nahm: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Tatsächlich: quer durch die ganze Bibel finden wir immer wieder Geschichten, wo Gott sich selbst Einhalt gebietet, wo Gott umkehrt und bereut, um neu auf Menschen zuzugehen, insbesondere auf sein Volk.

Der Gott der Schrift ist ein Gott, der umkehrt. Der Gott der Schrift ist dem Herrn K., von dem ich eingangs erzählt habe, sehr nahe. Er will sich immer wieder verändern. Nicht starr werden. Sondern beweglich bleiben. Will im Kontakt bleiben. Lebendig. Kein System sein. Sondern in immer neuer Zuneigung gebunden. Undenkbar für die griechischen Philosophen.

Unveränderlich, unangreifbar, beständig ist der biblische Gott allenfalls in seiner Treue. Das bekennen die Beterinnen und Beter der Psalmen, das rühmt der Apostel Paulus. In seiner Liebe bleibt er sich treu. Und denen, denen er seine Treue zugesagt hat. Gottes Treue steht auch hinter unserem kleinen Predigtabschnitt. Beziehung, die Gott einmal begonnen hat, der sieht Gott sich verpflichtet. Wie gut, das an Israel zu sehen. Wie gut, bei Mose- und den Propheten tausendfach von Gottes Treue zu hören. Wie gut, dass wir, als Christinnen und Christen aus der Taufe kommend, uns darauf verlassen können.

Auf diese seltsame, verwirrende Gottheit der Schrift. Die immer wieder den Neuanfang sucht mit Menschen. Und in Treue sich selbst verpflichtet auf immer und ewig. Sogar über den Schmerz der Passion hinweg. Der am Ende in der Auferstehung neu das Leben schenkt, das er am Anfang gegeben hat. Einfach aus Liebe.

Ich gebe zu: mir ist das am Ende lieber als ein philosophisches System, das aufgeht wie eine Gleichung. Fehlerfrei und sauber, unangefochten von Geschichte, von Liebe oder Streit.

Ihnen in der Gemeinde, euch, den Konfis möchte ich den verwirrenden, liebenden, umkehrenden Gott der Schrift nahebringen. Es liegt natürlich an euch, an Ihnen, damit etwas anzufangen. Mit Beständigkeit bei Wandel. Mit Beziehung, nicht allein mit Logik. Mit dem biblischen Gott in all den Veränderungen des Lebens.


65 Von guten Mächten

637 (badischer Anhang) Gott ist getreu

634 (badischer Anhang) Weicht ihr Berge, fallt ihr Hügel

374 Ich steh in meines Herren Hand

365 Von Gott will ich nicht lassen


Kira Busch-Wagner, geb. 1961, Pfarrerin der evangelischen Landeskirche in Baden. Seit 2017 tätig als Gemeindepfarrerin an der Trinitatiskirche in Karlsruhe-Durlach-Aue.

Vorsitzende der ACK-Karlsruhe, geprägt durch den christlich-jüdischen Dialog.

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