Predigt zu Epheser 1,15-23

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Predigt zu Epheser 1,15-23

„Auffahrt, nicht so harmlos, wie angenommen“ | Auffahrt | 13.05.2021 | Predigt zu Epheser 1,15-23 |verfasst von Simon Gebs |

 Liebe Mitdenkende,

im ersten Moment lässt wohl der heutige Predigttext viele unter uns ganz schön ratlos zurück. „Gott hat den auferstandenen Christus in den Himmeln zu seiner Rechten gesetzt, hoch über jedes Regiment, jede Macht, Gewalt und Herrschaft.“ Auffahrt, oder Himmelfahrt: man bekommt den Eindruck, hier wird ganz dick aufgetragen, und es werden alle Register gezogen, um die universale Bedeutung des christlichen Glaubens zu sicher zu stellen. Die Vorstellung einer Himmelfahrt Christi, wie auch diese massive konzeptionelle Verschiebung vom einfachen Wanderrabbi Jesus von Nazareth, der im ländlichen Galilää ganz nah bei den Menschen war, heilte, zuhörte, Fragen stellte, mit einfachen Worten vom Reich Gottes sprach, mit Prostituierten und Ausgegrenzten am Tisch betete und feierte, hin zum im wahrsten Sinne abgehobenen himmlischen Super-Napoleon, dem alles unter die Füsse gelegt wird, ist, gelinde gesagt, für uns aufgeklärte Menschen, schwer nachvollziehbar. So verdichtet sich mein Eindruck: so wenig wir physischen Zugang zum Washingtoner Kapitol, zum innersten Zirkel im Kreml oder auch zum Bundesratszimmer in Bern haben, so wenig haben wir inneren Zugang zu dieser fantastischen Glaubenssprache, auch wenn die Himmelfahrt seit jeher zum Grundbestand des apostolischen Bekenntnisses gehört. Und wissen Sie was? Wir müssen hier kein schlechtes Gewissen haben, es ging und geht nicht nur uns so. So besuchen jährlich Hunderttausende die Geburtskirche in Bethlehem, denn die Geburt eines Kindes ist begreifbar. Ebenso ist die Grabeskirche in der Altstadt Jerusalems ein Pilgermagnet für Millionen. Tod und Neuanfang, wir finden Analogien im Leben und in der Natur. Die „Himmelfahrtskapelle“ auf dem Ölberg, gegenüber der Altstadt, jedoch fristet im Vergleich zu den „big two“ ein veritables Nischendasein. Irgendwie symptomatisch für die Verlegenheit, die Auffahrt bestenfalls noch auslöst, aller meistens stellt dieser Feiertag ja einfach eine willkommene Gelegenheit für ein verlängertes Wochenende dar, bar jeder Familientraditionen wie wir sie etwa an Weihnachten oder Ostern kennen.

Sie ahnen es wohl, liebe Mitdenkende, diese Predigteinleitung gleicht einem rhetorischen Unterzug. Einerseits signalisiert sie volles Verständnis für die Vorbehalte gegenüber dem Dogma „Himmelfahrt“. Andererseits wird der Pfarrer doch wohl einen Anspruch haben, zu erklären, inwiefern denn Auffahrt für Christ*innen im 21.Jahrhundert doch noch von Belang sein könnte. Und Sie haben Recht mit dieser Ahnung.  Denn das, was mit der Himmelfahrt Christi letztlich gemeint ist, zugegebener Weise in einer Bildsprache, die uns nur schwer verständlich ist, hat es in sich und ist auch keineswegs harmlos. Lassen Sie mich das ausführen.

Ein erster Aspekt

Stellen Sie sich vor, dieser Gott, der in diesem Jesus von Nazareth aufgezeigt hat, von welchem Holz er geschnitzt ist, der Macht nicht als Gelegenheit zum Herrschen und Diktieren verstand, sondern zum Dienen und sich Verschenken, dieser Gott, der in Christus ganz unten durch ging, dieser Gott hätte in Christus den an Ostern noch verunsicherten Jünger*innen gesagt: „Euch kann man nicht allein lassen“, „euch muss man eng an der Leine führen.“ Kennen Sie auch Mütter oder Väter, die ihren Sohn oder ihre Tochter aus Sorge um ihr Wohlergehen und aus Mangel an Vertrauen auf ihr Potenzial nicht loslassen können? Kennen sie auch 50jährige, die nie haben lernen können, autonom ein Leben zu führen, innerlich ungut gebunden an ihre Väter oder Mütter? In meinen Augen ist Himmelfahrt daher zuerst einmal ein himmlischer Akt des Vertrauens: „ich traue es euch zu, nun meine Zeug*innen zu sein, nehmt mit, was ihr von mir gelernt habt, übernehmt Verantwortung, geht euren Weg und vergesst mich dabei nicht, lebt gemeinsam diese Hoffnung auf das Reich Gottes.“ In jeder Beziehung, auch in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen geht es immer auch um das Verhältnis von Autonomie und Bezogenheit, von Distanz und Nähe, es muss genug Luft dazwischen sein, Luft, die getragen ist von Vertrauen und Wohlwollen. So klebt der Auferstandene nicht an seinen Jünger*innen, obwohl er wahrlich Grund genug gehabt hätte, seinen Abschied noch hinauszuzögern. Und er tat es nicht, im Gegenteil, er verabschiedet sich kurz und bündig und bricht auf. Für mich persönlich wie theologisch ein bemerkenswerter Aspekt von Himmelfahrt. Umarmungen, Fürsorge und Kümmern können Menschen einschnüren, ja fast zum Ersticken bringen. Liebe braucht jedoch Luft, ja, Liebe darf nicht kleben, muss immer wieder Platz machen, loslassen, um Freiraum schaffen. Voilà, ein erster wesentlicher Aspekt. Auffahrt – die Geschichte vom „nicht Kleben“ Gottes….

Ein zweiter Aspekt:

Die ersten Christ*innen hatten dann aber ein doppeltes Problem. Erstens, wenn das „Kleben“ und Einschnüren“ nicht die „Sache Gottes“ ist, wenn er Raum schafft und lässt, nun selbstverantwortlich und mündig diesen Glauben zu leben, wo ist denn dieser Auferstandene, wenn nicht mehr auf diesem kleinen Landstrich namens Palästina? Und wie bleibt er, wenn er die Beziehung nicht aufgekündigt hat, auf die Welt und auf uns Menschen bezogen? Und wie ist es möglich, dass Christus für Menschen in Rom, Alexandria, in der Türkei und Athen gleichzeitig im Gebet ansprechbar ist? Bei solch drängenden Fragestellungen, die die frühen Christ*innen umtrieben, erstaunt es wohl nicht, dass sie auf gängige Glaubensvorstellungen zurückgegriffen haben. In der römisch-hellenistischen Antike findet sich nämlich eine weit verbreitete Auffassung. Bedeutende mythologische Figuren wie etwa Romulus, der Stadtgründer von Rom, sind nach ihrem Tod in einer Wolke in den Himmel entrückt. Später, im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, setzte man noch einen drauf. Römische Kaiser wie Augustus, Vespasian und Titus wurden nach ihrem Tod öffentlich verbrannt, mindestens ein Augenzeuge musste bekunden, wie die Seele des Kaisers von einem Adler in den Himmel emporgehoben wurde, sodass anschliessend der Kaiser zur Gottheit erklärt werden konnte. Die politische Legitimation des Imperiums war damit perfekt. Vielleicht verstehen wir vor diesem Hintergrund nun besser, wieso die Verfasser des Epheserbriefes eine dermassen  imperiale Sprache verwenden, um diesen nun universalen Christus im Himmel zu beschreiben: „ hoch über jedes Regiment, jede Macht, jede Gewalt und Herrschaft hat ihn Gott gesetzt.  Es gleicht einer fundamentalen Provokation gegenüber den damaligen Weltlenkern. Weder der römische Kaiser, noch irgendein ein anderer Machthaber hat absolute Verfügungsgewalt über uns, sondern nur Gott in Christus.  Dabei würde es ein zünftiges Missverständnis darstellen, wenn wir den ersten Christ*innen vorwerfen würden, den römischen Imperator durch den christlichen Imperator zu ersetzen, jedoch letztlich in denselben Kategorien von oben und unten zu denken. Es geht nicht darum, einen religiös motivierten Putsch anzuzetteln, um selber in die Politik zu gehen, um nun mit denselben Machtinstrumenten über andere zu herrschen, sondern es geht um ein entschlossenes Nein gegenüber jeglichem übergriffigen und ausbeuterischen Gebaren. Klar, geben wir es zu, diese imperiale Glaubenssprache, die die frühe Christenheit übernommen hat, kann leicht auch missbraucht werden. Wer sich triumphalistisch als Diener*in dieses Weltherrschers versteht, erliegt schnell mal der Versuchung, das absolute Deutungsmonopol für sich zu beanspruchen, Andersdenkende zu eliminieren, und Kirche hierarchisch zu verstehen.  Umso wichtiger erscheint es mir, den zur Rechten Gottes sitzenden Christus, dem alles zu Füssen liegt, mit dem Jesus zu verbinden, der den Jüngern die Füsse gewaschen, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt hat und immer wieder davon sprach, dass derjenige, der gross sein will, Diener sein soll (Mt 20,24-29). Und so wie dieser Jesus in Galiläa, Jericho und Jerusalem leidenschaftlich in Beziehung zu Menschen lebte, so leidenschaftlich dienend bleibt dieser Christus auf die Welt und uns Menschen bezogen.

Ein dritter Aspekt:

„Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, zu welcher Hoffnung ihr berufen seid.“, wünscht Epheser 1,19 seinen Leser*innen. Und dieses erleuchten, neu, tiefer, besser verstehen, was unsere Hoffnung ist, brauchen wir immer wieder in einer Welt, die ist, wie sie ist. Unfair, oft willkürlich und unberechenbar, immer wieder heillos zerstritten. Und Menschen verunfallen schwer und sterben, sie werden ausgegrenzt und ausgebeutet. Oben und unten, drinnen und draussen, sind vorherrschende Kategorien. An diesem Punkt lädt der christliche Glaube ein, mehr und mehr mit den Augen des Herzens zu sehen, uns selbst, unsere Mitmenschen, ja unsere Welt nochmal anders in den Blick zu nehmen. Zuweilen ist es ja fast zum Verzweifeln, mit uns selbst, mit Mitmenschen, im Blick auf die Entwicklungen und Verwicklungen in dieser Welt. Die Botschaft von der Himmelfahrt Christi ist an diesem Punkt ein veritabler Mutmacher. Das, was vorherrscht, ob zuhause, in unseren wichtigsten Beziehungen, oder auch in unserer Welt, muss nicht so bleiben. Es kann anders werden. Dafür müssen wir nicht nach „oben“ schauen, denn dieser Christus, der in seinem Wesen gar nicht anders kann, als leidenschaftlich auf uns Menschen und auf die Welt leidenschaftlich bezogen zu bleiben, will mit seiner Kraft mitten unter uns sein. Also Himmel nicht „oben“ denken, sondern in und unter uns. Sicherlich, dieses neu „mit den Augen unseres Herzens Sehen“ ist immer wieder eine Lebens- und Glaubensschule. Zuweilen fühlen wir uns ausgeliefert, ohnmächtig, hoffnungslos in schwierige und traurige Geschichten verwickelt, aus denen wir nicht mehr herauszukommen meinen. Dann machen sich innere Glaubensätze wie „da lässt sich nichts machen“ oder „es ist zu spät“ breit. Und so machen wir uns klein und verkrümmt. Aber gerade die Botschaft von „Auffahrt“ ermutigt uns doch, nicht alles zu glauben, was wir denken. Welches ungute Regime auch immer mein Leben, unser Leben bestimmt, es ist nur das Vorletzte, nie das Letzte. Versprochen ist uns eine Kraft, die den aufrechten Gang (Karl Barth) ermöglicht, und uns ermutigt, als einzelne und als Kirche den Fussspuren Jesu zu folgen. Amen.

Pfr. Simon Gebs

Zollikon ZH

simon.gebs@ref-zollikon.ch

Simon Gebs, geb. 1965, Pfarrer der reformierten Kirche des Kantons Zürich, seit 1996

tätig als Gemeindepfarrer in Zollikon, Vizedekan im Pfarrkapitel Meilen, Teamleiter Notfallseelsorge Kanton Zürich

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