Exodus 20

Exodus 20

 

Predigten und Texte zum Dekalog, April 2002
Reflexion zum 6. Gebot, Christian-Erdmann Schott

I. Fragt man lange verheiratete Paare, was das Wesen einer guten Ehe
ausmacht, werden einem in der Regel drei Punkte genannt:

1.Eine gute Ehe lebt von dem immer bleibenden und als Bereicherung empfundenen
Unterschied von Männern und Frauen. Dieser Unterschied sorgt für
lebenslange Spannung und Lebendigkeit in der Ehe. Vgl. auch: John Gray,
„Männer sind anders, Frauen auch“, 1. Aufl. München
1992.
2. Eine gute Ehe lebt davon, daß die Partner, jeder für sich,
mit sich im Reinen sind, mit sich in Übereinstimmung leben und also,
letztlich, Gott für die Ehe mit diesem Partner dankbar sind.
3. Eine gute Ehe ist in Liebe und Vertrauen gegründeter Austausch,
nicht endendes Gespräch.

II. Nicht sagen diese Paare, daß eine gute Ehe Streitlosigkeit,
immerwährende happiness oder sexuelle Hochform der Partner bedeutet.
Vielmehr wissen sie, daß die sexuellen Möglichkeiten und Interessen
der Menschen einerseits nicht immer gleich sind, andererseits die Möglichkeiten,
die Ehe bietet, bei weitem übersteigen können.

III. Ein Ehebruch kommt (fast) nie aus heiterem Himmel. In aller Regel
hat bereits länger vorher ein Entfremdungsprozeß zwischen den
Ehepartnern eingesetzt, der bei sich bietender Gelegenheit das Fremdgehen
als eine im Grunde geradlinige Konsequenz erscheinen läßt;
zumindest als eine Konsequenz, bei der die Gewissensbisse gegenüber
dem Noch-Ehepartner auf ein nicht störendes Minimum reduziert werden
können.

IV. Sind Kinder vorhanden, sind von einer auseinanderbrechenden Ehe mehr
Personen betroffen als nur die beiden Ehepartner. Es ist nicht erst aufgrund
neuerer Untersuchungen an Scheidungskindern, sondern bereits seit Jahrtausenden
bekannt, daß die Kinder in aller Regel die wirklich Leidtragenden
einer Scheidung sind: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger
Gott, der über die, so mich hassen, die Sünde der Väter
(und Mütter) heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied;
aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl in tausend
Glied“ (M. Luther, Kleiner Katechismus, Beschluß der Gebote).
Nicht selten treten als Spätfolgen im Leben von Scheidungskindern
Mangel an Vertrauen zu sich selbst und zu anderen auf und bilden die psychische
Grundlage von Kontaktschwäche, Bindungsangst und Einsamkeit.

V. Als evangelische Christen werden wir nicht in jedem Fall und auf Biegen
und Verbiegen gegen eine Scheidung sein können. Es gibt Situationen,
in denen Scheidung für alle Beteiligten das beste ist. Nicht tolerierbar
ist hingegen die Leichtfertigkeit, mit der in unserer noch immer stilbildenden
Spaßgesellschaftsmentalität über Ehe, Eheschließung,
Ehebruch und Ehescheidung öffentlich und medienwirksam verhandelt
wird. Der spaßige Unterton, der hier vorherrscht, verdeckt, daß
Eheschließung mehr als ein festlicher Event und Ehescheidung mehr
als „das Ende einer Beziehung“ ist. Im Kern geht es bei Scheidung
um enttäuschte Liebe, um aufgegebene Hoffnung, um Leid, dessen leichtfertige
Abschüttelung nicht zur Reifung der Persönlichkeit, sondern
in den Zynismus führt.

VI. Es fällt auf, daß kirchliche Trauungen nach wie vor einen
hohen Stellenwert besitzen. Warum eigentlich? Warum genügt die Trauung
im Standesamt nicht? Im Unterschied zum Standesamt kommt in der Kirche
ausdrücklich der Gottesbezug dazu. Die Traufragen setzen ein mit
den Worten „Ich frage dich vor Gott und diesen Gliedern seiner Gemeinde,
willst du….“. Gottesbezug, Gebet und Segen geben der Bindung an
den Ehepartner die glaubensmäßige Kraft, die aus der letzten,
tiefsten Bindung der Person an Gott entsteht. Eine tiefere Bindung und
Ausrichtung des Gewissens kann es nicht geben. Selbst wenn sich die Beteiligten
nicht immer über diese Bedeutung des vor Gott gesprochenen Ja im
klaren sind oder sie nicht so empfinden, so ist es dennoch und tatsächlich
ein Versprechen vor Gott. Manchmal wird ihnen auch später, erst im
Lauf ihrer Ehe voll bewußt, was das heißt.

Diese Letztbindung ist gewollt. Sie entspricht sowohl dem Wesen der Liebe,
das auf Dauer drängt, nach „lebenslänglich“ verlangt,
als auch dem Bedürfnis nach Sicherheit, dem wir einen Halt geben
müssen und auch wollen, bevor wir das Risiko eingehen und auf die
Willenserklärung eines anderen unsere Zukunft bauen.

VII. Dem Bedürfnis, einer Verbindung Dauer und Sicherheit zu geben,
kommt Gott seinerseits entgegen, wenn er verkünden läßt:
„Du sollst nicht ehebrechen“. Damit sagt dieses Gebot – in seinem
Wortlaut – genau das, was wir selbst wollen. Es bestätigt, unterstützt,
beglaubigt unsere tiefste Absicht, die wir mit der Eheschließung
verwirklichen wollen, um deren erfolgreiche Umsetzung wir gemeinsam beten
und für die wir uns durch den Segen vor dem Traualtar stärken
lassen.

VIII. Aber diese Übereinstimmung zwischen unserem Willen und dem
Willen Gottes hat ihre Grenze; und zwar deshalb, weil wir Menschen nur
ein begrenztes Blickfeld haben. Bei der Eheschließung wird das daran
deutlich, daß wir bei diesem Schritt normalerweise an unseren Partner,
an unsere Ehe und an unsere gemeinsame Lebenszeit, vielleicht noch unter
Einschluß von Kindern, denken. Menschheitliche Perspektiven, also
etwa Gedanken an die Weitergabe des Lebens, Dienst an der Schöpfung,
Fortpflanzung der Menschheit haben wir dabei in aller Regel nicht. Und
volkswirtschaftliche, rentenbezogene oder demographische Gesichtspunkte,
die im Augenblick europaweit diskutiert werden, haben Liebende bei der
Eheschließung schon gar nicht. Das aber heißt: Wenn wir eine
Ehe schließen, tun wir es, weil es unseren Interessen – so wie wir
sie sehen und erkennen – entspricht. Der Schöpfer aber hat weitergehende
Absichten. Wenn er gebietet, „Du sollst nicht ehebrechen“, stellt
er die Institution Ehe unter seinen Schutz. Um der Erhaltung und Weitergabe
des Lebens willen, um der Familie und um der Kinder willen muß Ehe
sein. Sie ist ein Teil der Schöpfungsordnung Gottes. Und wir sollen
sie nicht kaputt machen.

IX.. Das sechste Gebot drückt das allerdings wesentlich konkreter
aus. Nur abgeleitet meint es die Institution Ehe, konkret geht es um die
Ehe meines Nächsten. Dabei ist hier daran zu erinnern, daß
das sechste Gebot der sogenannten Zweiten Tafel, also den Geboten 5 bis
10, zugeordnet ist und damit der Hälfte des Dekalogs, die den Umgang
mit unserem Nächsten betrifft. Es zeigt sich, daß sich Gott
schützend vor meinen Nächsten stellt und fordert, daß
ich dessen elementare Lebensgrundlagen nicht antaste. Dabei wird durch
die Reihenfolge erkennbar, daß hier eine Rangordnung herrscht. Je
wichtiger die Güter für das Leben meines Nächsten sind,
desto weiter oben stehen sie.

Das wichtigste Gut, die Lebensgrundlage schlechthin, ist Leben und Unversehrtheit
des Nächsten (5. Gebot: Du sollst nicht töten). Es folgt seine
Ehe und Familie, sein Zu-Hause in dieser Welt (6. Gebot: Du sollst nicht
in seine Ehe einbrechen, aber auch deinen eigenen Ehepartner nicht um
sein Zu-Hause bringen). Es schließt an der Schutz des Eigentums
(7. Gebot: Du sollst nicht stehlen). Daran schließt sich an der
Schutz seines guten Namens, seines Ansehens, seiner Ehre (8. Gebot: Du
sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten). Darauf
folgt der Schutz seines Erbes (9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten
Haus) und schließlich der Schutz seiner Leute vor Abwerbung (10.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh
oder alles, was sein ist).

X. Das sechste Gebot steht in dieser Rangordnung an zweiter Stelle, kommt
also gleich nach dem Mordverbot, und ist schon durch diese Platzierung
als sehr wichtig gekennzeichnet. Das entspricht dem Gesamtzeugnis der
Bibel: Die Ehe ist nicht allein von Gott gewollt. Sie steht auch unter
seinem besonderen Schutz und jeder ist gehalten, diesen Willen Gottes
zur Kenntnis zu nehmen und sich danach zu richten. Und wenn wir uns nicht
danach richten?

„Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau
zu ihm, im Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen
zu ihm: Meister, diese Frau ist ergriffen auf frischer Tat im Ehebruch.
Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche zu steinigen. Was sagst du?
Das sprachen sie aber, ihn zu versuchen, auf daß sie eine Sache
wider ihn hätten. Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb
mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun anhielten, ihn zu fragen, richtete
er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der
werfe den ersten Stein auf sie. Und bückte sich nieder und schrieb
auf die Erde. Da sie aber das hörten, gingen sie hinaus, einer nach
dem anderen, von den Ältesten an; und Jesus ward allein gelassen
und die Frau in der Mitte stehend. Jesus aber richtete sich auf und sprach
zu ihr: Weib, wo sind deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt?
Sie aber sprach: Herr, niemand. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich
auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr“. Johannes-Evangelium
8, 2 – 11.

Dr. Christian-Erdmann Schott
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